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worden. Dann hätten Sie niemals die Ursache ihrer früheren Weigerung erraten können/ Dunkle Röte stieg in Herberts Gesicht. Wie falsch beurteilten doch die Menschen die reine, edle Denkungsart seiner Jane. „Nein", entgegnete er fast schroff, „ich würde das Geheimnis freilich nie erraten haben, aber Lady Jane hätte mich dann auch nie geheiratet." „Dessen bin ich nicht so sicher", meinte der Verteidiger achselzuckend. „Aber ich bin's und ich war es stets. Aus diesem Grunde habe ich auch alles darangesetzt, das Geheimnis zu erforschen. Als ich es dann endlich erfahren und sie überredet hatte, dennoch mein Weib zu werden, lag für Jane kein Motiv mehr vor, den Mann zu töten." „Die Theorie, die verfolgt wird, um dem Verbrechen auf die Spur zu kommen, rechnet mit dem Umstande, daß der Mord begangen wurde, bevor sie eine Ahnung von Ihrer Mitwissenschaft hatte." „Wahr; doch die Theorie der Verteidigung würde sich darauf stützen, daß ihr ein Geständnis leichter geworden wäre als ein Mord." „Kann sein, doch wir können uns leider nicht mit Theorien befassen, sondern wir brauchen Tatsachen. Man muß es beweisen können, daß der Verdacht ungerecht fertigt ist, und alle Behauptungen der Anklage müssen widerlegt werden; können wir das nicht, dann steht es schlimm um die Angeklagte. Haben Sie keinen Anhalts punkt, nach dem wir uns richten könnten?" „Nein, ich wüßte jetzt nichts. Ich glaubte, Sie würden auf etwas kommen", meinte Herbert nieder geschlagen. „Vorläufig habe ich noch keine Idee, wie wir die Sache anfangen könnten. Aber der Fall interessiert mich um so mehr, als ich augenblicklich auch nicht den kleinsten Lichtstrahl in dem Dunkel, das den Mord umgibt, ent decken kann. Der zufällige Zeugenbeweis spricht sehr gegen die Herzogin, und obgleich die Zeugenaussage oft recht unzuverlässig ist, hat sie doch großen Einfluß auf die Geschworenen. Wenn die Angeklagte freigesprochen werden sollte, ohne daß wir ihre Unschuld klar beweisen können, dann hätte sie es zum größten Teil ihrer Jugend und Schönheit zu verdanken." „Ich glaube nicht, daß meine arme Jane die Freiheit unter solchen Umständen freudig begrüßen würde", murmelte der Herzog traurig vor sich hin. „Sprechen Sie nicht so. Freisprechung unter jeder Bedingung wäre immerhin besser als die andere Alter native", entgegnete Doktor Tremlin mit Überzeugung. „In diesem Falle bleibt einem immer die Hoffnung, daß der wahre Täter früher oder später einmal auftaucht oder irgendeine Kleinigkeit zum Vorschein kommt, die imstande ist, den seinerzeit unschuldig Angeklagten von der letzten Spur eines Verdachts zu reinigen. Ich habe einst einen Mann frei bekommen, den ich nur widerwillig verteidigte, da ich ihn nach meiner Überzeugung für schuldig hielt, und nach zehn Jahren legte der wahre Verbrecher ein Ge ständnis ab, wodurch dann endlich der Schatten von dem Namen des Unschuldigen genommen wurde." „Zehn Jahre! Das war eine furchtbar lange Warte zeit!" rief Herbert schaudernd. „Eine empfindsame Frau wäre inzwischen längst vor Gram gestorben." „Das glaube ich kaum", entgegnete Doktor Tremlin ruhig. „Ich hzie stets gefunden, daß gerade Frauen von großer Widerstandsfähigkeit sind. Und die Herzogin sieht nicht aus, als wäre sie eine feige Natur." „Sie ist durchaus nicht feige, aber sie hat in der letzten Zeit seelisch so furchtbar gelitten, daß ich befürchte, ihre Kraft wird nicht lange ausreichen", sagte Herbert tonlos. Der Verteidiger antwortete diesmal nicht; auch er hielt die Möglichkeit, die der Herzog aussprach, nicht für ausgeschlossen. Jane befand sich erst seit drei Tagen im Gefängnis, und trotzdem man sie mit der größten Rücksicht behandelte, hatte sie sich in der kurzen Zeit schon furchtbar verändert. Doktor Tremlin erinnerte sich Janes sehr wohl, als sie zum erstenmal mit ihrem Vater eine Saison in London verlebte. Ihre frische, junge Schönheit bildete damals das Gesprächsthema in sämtlichen Klubs; die Bewunderung, Lie man der Tochter des Herzogs von Broadwood zolltch war eine allgemeine gewesen. Mit tiefem Mitleid hatte er nun die bleichen, ein gefallenen Wangen und den schwermütigen Blick der von tiefen Schatten umgebenen Augen in dem vor kurzem noch so blühenden Gesicht Lady Beaumonts wahrgenommen. Nur die Lippen glühten in unnatürlichem, fieberhaftem Rot, das seltsam mit der fahlen Blässe der Wangen kontrastierte. Selbst ihre Stimme hatte einen anderen Klang angenommen. So klar und melodisch früher die Worte von ihren Lippen sprudelten, so langsam und ge brochen entwanden sich jetzt die einzelnen Silben ihrem Munde. Die elastische, jugendliche Gestalt Lady Janes glich einer in der Blüte geknickten zarten Pflanze, die sich nicht mehr erholen zu können schien. Die müde, resignierte Haltung der jungen Frau hatte einen so traurigen Ein druck auf Doktor Tremlin gemacht, daß er mit gutem Gewissen keine allzu großen Hoffnungen in seinem Klienten erregen durfte. Es lag klar auf der Hand, daß Lady Janes Gesundheit der Last des auf ihr ruhenden Verdachts und der etwaigen furchtbaren Möglichkeiten, die er zur Folge haben konnte, zusehends nachgab. Als der Verteidiger, Ler sich die erdenklichste Mühe gab, das tiefe, um dieses Verbrechen schwebende Dunkel zu lüften, ein zweites Mal mit der Herzogin zusammen kam, erschrak er fast bei dem Anblick der hinfälligen Er scheinung und dem teilnahmlosen Ausdruck in den müden, feinen Zügen. Seine große Zuversicht in die Widerstandsfähigkeit einer Frauennatur erlitt hier eine schmähliche Niederlage. Wenn sich die Aussichten nicht sehr bald zum Besseren wandten, dann war es sehr zu bezweifeln, ob die An geklagte überhaupt die Untersuchung überstehen würde. Es gelang Doktor Tremlin nicht, das geringste Interesse an ihrer Verteidigung mehr in Jane zu erwecken. „Wenn Sie nicht beweisen können, daß ich unschuldig bin, dann ist alles andere gleichgültig", sagte sie ver zweifelnd. „Im Gegenteil, es wäre mir in dem Falle lieber, wenn ich verurteilt würde, damit mein Gatte nicht gezwungen ist, ein Weib an seiner Seite zu dulden, auf dessen Namen eine so große Schande ruht." „Der Herzog scheint diesen schrecklichen Wunsch gar nicht zu teilen", entgegnete der Rechtsanwalt, eigentümlich berührt von der unnatürlichen Ruhe, mit der dieses junge Wesen von einer etwaigen Verurteilung sprach. . „Das macht, er hat mich so lange schon geliebt, da wird es ihm nicht leicht, sich an den Gedanken zu ge wöhnen, mich zu verlieren", meinte Jane mit einem leisen Seufzer. (Fortsetzung folgt.) Försters Alaric. Eine Erzählung aus dem Walde von Ludwig Staby. (Schluß.) (Nachdruck verboten.) „Sieh mal, manchmal ist mir sogar der Gedanke ge kommen", fuhr sie fort, die Hand auf seinen Arm legend, „daß wir beide —" Heftig ergriff Waldschmidt ihre Hände und stöhnte: „Marie, das wolltest du tun, Marie, du?" Heiße Leidenschaft war auf seinem Gesicht geschrieben, aber sie entzog ihm ihre Hände, und indem sie aufsprang, flüsterte sie, ihn liebevoll ansehend: „Warum nicht, aber ich kann es nicht ohne die Gewißheit." Schwer kämpfte es in dem starken Manne. Da plötzlich rief er, nach ihrer Hand haschend: „Die sollst du haben, Marie, wenn du mein sein willst." „Ja, Gerd", kam es mühsam aus ihrer Brust, „aber nicht hier, ich erwarte dich morgen abend um 6 Uhr in meiner Wohnung, da können wir alles besprechen und ab machen." Damit nickte sie ihm noch einmal zu, dann schlug sie den Heimweg ein, den Mann in schwerer Auf regung zurücklassend. Mit fiebernden Augen verfolgte er ihre schlanke, geschmeidige Gestalt, und als sie sich am Waldrande noch einmal umdrehte und mit der Hand winkte, da rief er freudetrunken ihr nach: „Also morgen um sechs!" — Der alte Oberförster Büscher saß noch spät abends, sein Pfeifchen schmauchend, am Schreibtisch bei seinen Ab rechnungen, als plötzlich seine neben ihm liegende Diano Len braunen Kopf hob und leise knurrte, ein sicherer L «'S 'N K r« s L VA SrvKS SLH -nrV? 'L> c>? Zeichen, Laß jemand sich Lem Hause näherte. ES dauerte auch nicht lange, da ging die Haustür, und kurz darauf wurde an seine Tür geklopft. Auf sein „Herein!" sah er zu seiner größten Verwunderung Lie junge Försterwitwe vor sich stehen mit geisterbleichem Gesicht, die Hand auf die wogende Brust gedrückt. Noch ehe er fragen konnte, trat sie auf ihn zu und stieß mit merkwürdig heiserer Stimme hervor: „Herr Oberförster, ich habe Len Mörder meines Mannes gefunden!" Der alte Herr sprang mit einem Ruck von seinem Sessel auf und ergriff Mariens Hand. „Was sagen Sie, Frau Wendel, jagen Sie noch immer dieser fixen Idee nach? Sie machen sich ja krank, liebe Frau." „Nein, Herr Oberförster, ich bin ganz klar bei Ver stand", erwiderte Marie erregt, „es ist so, wie ich Ihnen sagte, ich habe ihn gefunden, weiter kann ich Ihnen heute nichts verraten, aber ich bitte Sie, morgen nachmittag um Vr6 Uhr in meiner Wohnung zu sein, da werden Sie alles erfahren." „Aber, Frau Wendel, das ist ja gar 'nicht möglich", rief der alte Herr, durch ihre Festigkeit nun doch schwankend geworden, „wer ist es denn?" „Das alles hören Sie morgen, quälen Sie mich heute nicht weiter. Also nicht wahr, Sie kommen, und ich bitte, hinten durch den Garten, daß Sie niemand sieht. Aber pünktlich um V26 Uhr, nicht später!" „Ich komme bestimmt", sagte er, ihr fest die Hand reichend, „und gebe Gott, daß Sie sich nicht geirrt haben." „Ich danke Ihnen, Herr Oberförster." Nach diesen Worten verließ Marie das Haus und eilte ihrem ent fernten Heim zu. — Langsam verklangen die Schläge der Kirchenuhr des Dorfes, die die sechste Abendstunde angezeigt hatte, als der Waldschmidtbauer vor der Försterei ankam. Er hatte sein Sonntagsgewand angelegt, und über sein Gesicht ging ein Leuchten, als er Marie erblickte, die am Fenster stand und ihm freundlich zunickte. Dann ging sie in den Flur hinaus, dort blieb sie einen Moment, wie von Schwäche befallen, stehen, sie drückte die Hand auf das heftig pochende Herz, dann aber öffnete sie mit einem energischen Ruck die Haustür und reichte dem eintretenden Waldschmidt mit freundlichem Willkomm die Hand. „Komm', Gerd, setz' dich hier auf das Sofa", nötigte sie ihn, ins Zimmer tretend, „und nun können wir alles in Ruhe besprechen. Wie es mit mir und meinem Mann in letzter Zeit stand, habe ich dir ja schon erzählt, du weißt auch, daß ich wieder heiraten möchte", bei diesen Worten legte sie die Hand auf seinen Arm, „und ich hoffe, daß du alle Hindernisse aus dem Wege räumst. Bist du mir gut, Gerd?" „Ich liebe dich mehr als mein Leben, Marie!" rief er, ihre beiden Hände fassend, während sein Gesicht dunkel rot wurde, „und jetzt, wo ich weiß, daß dein Mann, dieser Lump, dich schlecht -behandelt hat, jetzt ist mir leichter ums Herz." „Erzähle mir alles in Ruhe, lieber Gerd", sagte sie, ihm ihre Hände entziehend, „erzähle von Anfang an." „Was soll ich da erzählen, Marie, es hat alles so kommen müssen. Sieh, ich war nach dem Unglück mit meinem leichtfertigen Weibe menschenscheu geworden und mied alle Gesellschaft. Jedoch mit der Zeit wandelte sich mein Schmerz in Verachtung von allem, was Weib heißt, ich wollte nichts mehr von der Welt, besonders nichts von den Frauensleuten wissen. Aber es kam anders. Als ich bei meinen fast täglichen Gängen zum Dorf hier im Forsthaus immer frohes Leben sah, dich lachen und singen hörte, da wurde auch mein Blut wieder rege und ich fragte mich, weshalb hat es der Förster so gut und warum habe ich keinen Menschen auf der Welt, ich bin doch auch noch jung. Und allmählich, Marie, als ich immer euer Glück vor Augen hatte, fraß sich in mir ein Neid gegen den Förster fest, der immer größer wurde. Ich gönnte ihm nicht, daß er dich besitzen durfte, weshalb durfte er dich im Arme halten und nicht ich? Und eines Tages, als ich zufällig dazukam, wie du deinen Diann bei seiner Rückkehr aus dem Walde begrüßtest, ihm um den Hals fielst und ihn küßtest, da, Marie, kamen die bösen Mächte zum erstenmal oben auf in mir, ich ging mit Wut und Verzweiflung im Gerzen fort, und am andern Morgen" — hier schwieg der Bauer, in Gedanken vor sich hinstarrend. „Nun, Gerd, am andern Morgen?" fragte sie bebend. „Am andern Morgen", stieß er rauh hervor, „schoß ich ihm den Sechzehnender tot, denn nun wußte ich ja, daß er Tag und Nacht im Revier sein würde, um den Wilddieb zu fassen. Da konnte er doch nicht bei dir sein und dich lieb haben, deshalb tat ich es, Marie. Und es ist mir geglückt", ein böses Lachen flog über sein Gesicht, der Förster hatte jetzt nur noch wenig Zeit für seine Frau übrig." „Also das hast du getan, Gerd", rief sie, während sie bis in die Lippen erblaßte, „dann hast du auch später den Rehbock geschossen?" „Ja, auch den, aus demselben Grunde", nickte er. „Und nun weiter, Gerd?" „Ja, was weiter! Meine Gedanken wurden immer toller, ich habe ost mit mir gekämpft, das kannst du mir glauben, aber es war stärker als ich, den Förster haßte ich auf den Tod. Ich dachte ja nicht daran, Marie, daß ich dich jemals gewinnen könnte, aber ich ertrug den Ge danken nicht mehr, daß er dich besaß. Ich war meiner Sinne nicht mehr mächtig, und mein einziges Bestreben war, ihm zu schaden. Ich hatte wieder einen starken Hirsch in der Nähe meines Ackers gespürt, und auch den sollte er verendet auf dem Wege finden. Schon zwei Morgen war ich aus gewesen, aber ich hatte ihn nicht angetroffen. Da, am dritten Morgen, ich stand gedeckt in meinem Torfstich, höre ich es leise knacken in den Büschen, und ich hebe das Ge wehr hoch, denn der Hirsch mußte gleich heraustreten, da ließ ich es plötzlich wieder sinken, denn es war nicht der Hirsch, es war der Förster, der aus dem Walde trat." „Und was tatest du, Gerd?" ihre Augen hingen angst voll an den harten Zügen des Bauern, in denen eine heftige Erregung arbeitete. „Ich weiß selbst nicht, wie es kam", stieß er rauh heraus, „vor meinen Augen wurde es schwarz und rot, die Wut stieg in mir auf, ich riß das Gewehr hoch, und als ich es wieder absetzte, lag der Förster mit durch schossenem Kopfe tot auf der Wiese." Scheu sah er sie an, in ihrem Gesicht jagten sich die Farben, bald war sie tiefrot, bald totenblaß, ein un artikulierter Laut entfuhr ihr, dann aber, sein miß trauisches Auge gewahrend, richtete sie sich straff in die Höhe und ihm die Hand auf die Schulter legend, fragte sie ruhig: „War er gleich tot?" „Ja, er hat sich nicht mehr geregt." „Und wo", preßte sie mühsam hervor, „wo ließest du ihn? Es wurde ja trotz allen Suchens nichts gefunden." „Nein, das konnte es auch nicht, denn ich habe ihn gleich in meinem Torfstich begraben, und da ich darin weiter arbeitete, konnte niemand daran denken oder eine Spur finden, daß er dort sei." „Ich danke dir, Gerd, du hast dein Versprechen ge halten, morgen wollen wir das weitere abmachen, deine Erzählung hat niich doch etwas angegriffen. Aber es wird bald vorübergehen", sie stand auf und reichte ihm die Hand, „nur heute fühle ich mich doch etwas schwach, komme morgen wieder, Gerd, dann können wir alles ab machen, denn nun, wo ich es weiß, ist ja kein Hindernis mehr da für uns beide." „Es ist gut, Marie, ich komme wieder, du siehst ja ganz weiß aus, aber morgen, nicht wahr, dann bist du lieb zu mir." Er suchte sie zärtlich zu umfassen, mit schwachen Händen wehrte sie ihm ab: „Laß mich, nicht heute, morgen! Leb wohl, auf Wiedersehen!" und damit geleitete sie ihn zur Haustür. — Als nach wenigen Augenblicken der Oberförster, der im Nebenzimmer, deren Tür nur angelehnt war, Las ganze Gespräch mit angehört hatte, tief erschüttert ins Zimmer trat, lag Marie in tiefer Ohnmacht auf dem Boden hingestreckt. Am andern Morgen wurde der Wald schmidtbauer wegen Mordes an dem Förster Wendel ver haftet, und er legte auch angesichts der Aussage des Ober försters Büscher sofort ein volles Geständnis ab. Marie aber konnte ihrem geliebten Gatten, dessen Leiche nach den Angaben des Mörders gefunden wurde, eine Stätte auf dem Friedhof bereiten, die sie noch jahrelang in tiefer Trauer besuchte.