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hoch? Was haben Sie denn in Ihrer Eiimedlerklau'e den ganzen, langen Winter über angefangen?" — Der Angeredete zeigte ein Lächeln in seinen sonst so ernsten Zügen und drückte mir die Hand. — Dann erwiderte er in kurzen, dem Kriegsmarine häufig eigenen Sätzen, die gleichwohl den Ton der Biederkeit und Herzlichkeit ver rieten: „Glauben Sie, ich halte Winterschlaf wie der Dacht;? Habe tagsüber voll zu tun, all die Rehe und Vögel zu füttern, welche sich bei Kälte an meinem Hause eiufinden. Du lieber Gott, wer würde sich jener Wesen erbarmt haben, wenn nicht ich es getan hätte!.. Haben doch auch Hunger, die Tierchen, und sollen sie vergessen sein?* ... Ich sah den wackeren Major groß an, nickte mit dem Kopfe zum Zeichen meines Einverständnisses und war von dem Blicke seiner Augen wie gebannt, die bei seinen letzten Worten einen feuchten Glanz annahmen. „Keune fast alle", fuhr der Major fort, „habe jedem Reh einen Namen gegeben, und die Tierchen sind am Ende so zahm, daß sie mir aus der Hand fressen. Kennen Sie nun meine Arbeit während der langen Winterszeit?" Ich hatte ihn vordem nie so redefroh gesehen; mir war's immer, als ob eine rauhe Eiskruste das Herz des Kriegsmannes umschlossen hielt. Er war meist wortkarg gewesen, obschon stets höflich und verbindlich. Mich batte die tiefe Verschlossenheit des Mannes, der weder über seine Familie, noch seine militärische Vergangenheit je ein Wort zu mir gesprochen hatte, gespannt gemacht. — Ich hielt zur Stunde die Gelegenheit für gekommen, um aus ihm herauszubcingen, welches der Grund seines Verzuges in diese Abgeschiedenheit, in dieses so selten von Menschen besuchte Waldtal war. „Ich zweifle nicht, Herr Major", warf ich bei seinen letzten Worten ein, „daß die in Eis erstarrte Natur dem Auge des aufmerksamen Beobachters eine Fülle von Schönheit und Majestät zu bieten vermag. Allein dazu ist ein dauernder Aufenthalt, ein weltabgeschiedenes Leben in dieser Einsamkeit nicht notwendig! Sie aber zogen sich für immer in diese waldige Einsamkeit zurück; der Verkehr mit Menschen ist doch ein Bedürfnis." Der Major sah mir durchdringend in die Augen. Nach einer Pause Hub er au: „Ich suchte ehedem die Gesellschaft wie Sie; ich war als junger Offizier ihr gern geiebenes Mitglied und hatte außer für des Dienstes ewig gleichgestellte Uhr Interessen für alle Fragen, alle Dinge. Die Zeiten sind dahin, seitdem ich verabschiedet war, ver abschiedet wider meinen Willen." . . . Die lebten Worte des Majors umschleierte ein weh mütiger, fast schmerzlicher Ton. Mein Gefühl regte sich und gab nur die Worte in den Mund: „Sie haben Ihre Ruhe voll verdient, Herr Major. Eine lange Reihe von Dienstjahren, darunter zwei Feldzüge, haben Sie in Ehren hinter sich." . . . „Ein Soldat, der rastet, rostet", erwiderte der An seredete, ohne das Ende meiner Worte abzuwarten. „Ich aber wünschte noch lange nicht zu rasten und zu rosten." „Und welches waren die Gründe, daß Sie aus dem Dienst schieden, aus Ihrer Laufbahn, während welcher Sie sich mit Ruhm und Ehren reich bedeckten?" Ter Major sah mich forschend aufs neue an, während ein bitteres Lächeln um seine Lippen spielte. „Wir hatten nach der siegreichen Rückkehr aus dem letzten Feldzug wieder uusere alte Garnisonstadt T. be- wgen. Der Oberst des Regiments hatte seinen Tod auf )em Schlachtfelde gefunden. Ich hatte ihn längere Zeit oertre.en, das Regiment wiederholt in den Kampf geführt; ich liebte die Offiziere wie die Mannschaften, welche sich heldenmütig für König und Vaterland geschlagen batten, vie Fleisch von meinem Fleisch. Das Schicksal wollte es, )aß das Regiment in X. einen neuen Vorgesetzten erhielt, velcher der Ehre und ruhmvollen Vergangenheit desselben wenig zu entsprechen schien. Hart war seine Behandlungs- we.se, parteiisch häufig sein Charakter. Die Offiziere kamen zu mir, das alles zu besprechen. Mir ward am Ende die Mission, dem Kommandeur im Namen des Offizierkorps in geziemender Weise und unter vier Augen Vorstellung zu machen. Ich tat den Schritt nur schweren Lenzens, denn ich wußte, welche Folgen er für mich haben tonnte. Aber es wäre feige gewesen, ihn nickt zu tun, um der Ebre unseres Regiments, um des Ve-Equens meiner Kameraden willen, . . Was ick gefürchtet hatte, trat zu ha'd schon ein. Nach etlichen Wochen batte ich auf meine Vorstellung hin in wenig gnädigen Worten meinen Abschied. Die Kameraden trauerten; ick packte meine Sachen — und zog in die stille Einsamkeit, um die Welt und die Menschen zu vergessen . . ." Ich war mit atemloser Gespanntheit der Erzählung des Majors gefolgt. Seine schlichten Worte, die dann und wann sein seelisches Ergriffensein verrieten, hatten einen tiefen Eindruck bei mir hinterlassen. Ich mußte ihn verehren und bedauern, ihn lieben und beklagen. Endlich fand ich Worte der Erwiderung: „Hart, reckt hart, Herr Major, hat das Schicksal Ihnen mitgespielt; aber bedenken Sie, daß andere noch schwerer von ihm heimgesucht wurden. Warum denn gleich die ganze Menschheit meiden?" Der Major machte eine abwehrende Bewegung, in dem er unverständliche Worte in den Bart murmelte. Dann begann er wieder: „Ich hatte für meine alte Mutter, die nun seit zwei Jahren in der kühlen Erde ruht, zu sorgen. Meine Pension war nur unbedeutend; nach Ab zug jener Summe, die ich meiner guten Mutter sandte, welche wahrlich einstmals bessere Zeit gesehen hatte, blieb mir nichts mehr übrig, um gesellschaftlich noch eine Rolle zu spielen. Nach dem Tode derjenigen, die mir das Leben geschenkt hatte, hing mein Herz an einer treuen Seele noch. Es war mein Bursche, welcher mir in der Schlacht mit Gefahr seines eigenen Lebens das meinige gerettet hatte. Eine Kugel durch den rechten Lungenflügel uno ein schweres inneres Leiden, welches sich danach entwickelt hatte, hatte ihn znm Invaliden in seinen besten Lebens jahren gemacht. Er befand sich seit langer Zeit im Wilhelmsstift. Dann wurde er mit einer dürftigen Pension entlassen, da man eine Besserung seines Leidens anzunehmen sich für berechtigt hielt. Hatte ich bisher wöchentlich von der treuen Seele Nachricht erhalten und ihm ebenso oft wieder geschrieben und ihm mit Rat und Tat geholfen, so vernahm ich seit dem Tage seiner Ent lassung nichts mehr von ihm. Alle Nachforschungen meinerseits blieben fruchtlos. Da las ich emes Tages in der Zeitung: „Der Invalide R. stand vor Gericht, angeklagt des Bettelns in einem Fleischerladen." Der Inhaber des Ladens hatte den Angeklagten auf gefordert, denselben zu verlassen. R. hatte den wiederholten Aufforderungen aber nicht Folge geleistet, sondern erklärt, man solle ihn verhaften. Er sei krank und leide an unheilbaren Gebrechen. Aus diesem Grunde finde er nirgends Arbeit oder Unter kommen; die Jnvalidenpension genüge nicht zu seinem Lebensunterhalt, und aus diesem Grunde habe er den Schritt getan, um nicht auf der Straße zu erfrieren. Ec habe aus Not gehandelt." Der Major hielt inne, dann fuhr er zähneknirschend fort: „Und das Urteil lautete auf Überweisung des R., dieses einst so treuen und tapferen Burschen, in ein Arbeitshaus . . ." Die Tränen kamen dem wackeren Kriegsmanns in die Augen; nur schwer unterdrückte er seine Rührung. „Sehen Sie", so schloß er, „hier ein Beispiel, was Not und Arbeitslosigkeit aus einem ehemals guten Menschen machen können." Ich fand im Augenblicke keine Worte der Erwiderung. So tief nahmen mich meine Gedanken in Anspruch, daß ich gar nicht bemerkt hatte, daß wir den Rückweg eingeschlagen hatten und wir nur wenige Schritt; noch von dem Häuschen des Majors entfernt waren. „Leben Sie wohl!" mit diesen Worten rüttelte er mich aus meinen Gedanken auf. „Sehen Sie dort meine stille Waldklause? Lassen Sie mich hier bis an meinen Lebensabend die Tiere des Waldes füttern, und wenn ich mein Auge zum letzten Schlummer schließe, bestatten Sie mich in der Einsamkeit daneben. . ." Ich drückte dem Wackeren die Reckte, während unsere Blicke lange ineinander ruhten. Ich mußte auf dem Heimwege, traumversunken, noch oft das Auge dorthin wenden, wo der Major Vergessenheit gefüllt und nun — seine leste Ruhestücke auch gefunden hat . .. L « «2 / «ssKs Fff VH s-ÄLKtP- LSrZGSZL S wieder besser.' Tie lächelte, dock es war ein müdes, trostloses Lächeln, das um ihre Lippen irrte. Der Pro fessor war aufgesprungen. „Erdmann, ein Glas Wasser!" rief er und machte dann selbst einige Schritte nach dem Hause. Dr. Berger, der prüfend in das Gesicht der jungen Frau geschaut, stand jetzt neben ihr. „Kommen Sie, meine Liebe!" sagte er wie be schwichtigend. „Es ist hier etwas stickig, gehen wir ein bißchen in den Garten hinab." Sie erhob sich gehorsam und ging neben ihm her. Den Blick gesenkt, öffnete sie ein paarmal die Lippen, als müsse sie irgendein Geständnis machen. „Sprechen Sie gar nicht", klang es neben ihr. Und dann in gedämpftem Tone weiter: „Es gibt Augenblicke, wo Schweigen besser ist als Reden." Sie sah mit einem trüben Blick zu ihm auf. Scheue Dankbarkeit und hoffnungslose Trauer lagen in den Tiefen dieser sprechenden Augen. Er drückte schweigend die zitternde Hand, die aus seinem Arme ruhte. „Fühlen Sie sich jetzt wohler?" fragte er dann nach einer Weile. Sie nickte. „So können wir wohl umkehren?" Sie nickte wieder, und jetzt lösten sich zwei Helle Tropfen von den dunklen Wimpern. „Frau Käthe!" rief der Doktor bestürzt. Sie blieb auf einmal stehen, und beide Hände auf seinen Arm legend, fragte sie in fast rauhem Tone: „Sagen auch Sie, eine Frau müsse sich knechten und mißhandeln lassen, und dennoch ausharren an der Seite eines Mannes, den sie in jugendlicher Verblendung für gut und edel gehalten?" „Nein", entgegnete er fest, „das sage ich nicht! Es gibt auch darin eine Grenze, wenn ich auch nicht umhin kann, der Ansicht meines Freundes beizustimmen, daß recht viele Bündnisse unbedacht geschlossen werden. Doch da läßt sich das schöne Wort anwenden: Alles verstehen, heißt alles verzeihen, und darum darf man gerade darin lein allgemeines Urteil fällen." „Ich danke Ihnen", sagte sie leise. Der Professor kam ihnen unruhig entgegen, hinter ihm die alte Danie an Margots Arm. Auf dem Gesicht der letzteren lag ein spöttischer Ausdruck. „Nun, sehen Sie, Mama Berger, jetzt ist wieder alles gut. Nächstens falle ich auch in Ohnmacht, wenn ich dann so verhätschelt werde." Dr. Berger warf einen vorwurfsvollen Blick auf die rücksichtslose Sprecherin. Ein heftiges Wort schwebte auf seinen Lippen, doch Mama Berger zog das junge Mädchen mit einem mahnenden „Aber Kind!" beiseite. „Na, das war doch sicher nur Verstellung, es ist ja gar nicht heiß", murmelte Margot. „Glauben Sie mir, bei dieser Frau ist alles Berechnung." „Nein, das glaube ich nicht", entgegnete die alte Dame sanft. „Man darf nicht vorschnell urteilen, liebes Kind. Wer kann denn wissen, was sie schon gelitten!" Margot preßte die Lippen zusammen, um nicht laut berauszurufen: „O, ich weiß es, ich habe ja ihre Selbst- auklage gelesen!" Aber sie durfte doch nicht zugestehen, daß sie indiskret gehandelt! Und mit finsterem Blick sah sie, wie der Doktor der „Person" eifrig zuredete, sie möge «ine Weile ruhen. Wie sie nun dastand — den Blick gesenkt, ein rührend hilfloses Lächeln um den Mund! Ach, es war empörend! Genügte es ihr vielleicht nicht, den Onkel in ihre Netze gezogen zu haben, wollte sie sich auch noch den Doktor sichern? Das junge Mädcken^drückte plötzlich die Hand auf das Herz, das ungestüm zu pochen anfing. Sollte es möglich sein, daß er ? Ja, nahm er sie nicht stets in Schutz? Aber nein, das sollte -hr nickt gelingen! L-ie wäre am liebsten vorgestürzt und tätte den Doktor von ihrer Seite gerissen. Dann war Frau Fink ins Haus gegangen und die heitere Stimmung schien auf einmal verflogen. Der Professor ging unruhig vor der Veranda, auf der man wieder Platz genommen, hin und her. Dr. Berger iah sehr gedankenvoll vor sich nieder; seine Mutter hatte «in Strickzeug hervorgeholt und Margot ärgerte sich noch .mmer über dies Aufheben, das von einer so geringfügigen Sache gemacht wurde, denn das Unwohlsein konnte nicht von Bedeutung gewesen sein, sonst wäre diese Frau wohl nicht aus einen Wink der Hanne in die Küche getreten, wie sie heobachtet hatte. „Ach, nächste Woche gibt's Ferien", begann sie nun mit forcierter Lustigkeit und klatschte wie ein Kind in die Hände. „Ich siedle dann ganz zum Onkel über." „Freuen Sie sich darauf so sehr?" fragte die alte Dame. „Hier ist es doch wohl stiller als in der Pension." „Ja, wer so wenig von seinem Dasein hat, wie ich, wird hescheiden, liebe Mama Berger", entgegnete Margot, „und keine einzige Pensionärin bleibt dort." Ihr Blick streifte dabei den Onkel, der aber nichts zu bemerken schien. Sie sprang nun lebhaft auf. „Onkel Doktor", rief sie, „noch immer so nachdenklich? Sie sitzen mit so trübfeliger Miene da, wie ein Lohgerber, dem die Felle fort geschwommen sind. Soll ist) Ihnen ein Lied singen? Wenn Onkel Kurt so lieben Besuch hat, darf keine Ver stimmung eintreten." Sie sah mit strahlendem Lächeln zu ihm auf. „Welch Widerspruch in diesem jungen Geschöpf! Jetzt rücksichtslos im höchsten Grade, im nächsten Augenblick be zaubernde Liebenswürdigkeit entfaltend", dachte der Doktor. Sie wartete keine Antwort ab, sondern knixte schelmisch, mit einladender Handbewegung nach der offenen Tür deutend. „Aber Margot, du willst musizieren", sagte der Pro fessor, „während Frau Fink —" „In der Küche bei Hanne steht. Ja, lieber Onkel; es wird sie wohl nicht stören." Und wenigs Minuten später klangen herrliche Akkorde durch das stille Haus. Dann sang die glockenreine Mädchen stimme das schöne, ernste Frühlingslied: Die Amnier flötet tief im Grund, Der Frühling blüht mein Herz gesund. Uber die Augen halt ich die Hand, Schimmernd liegt vor mir das Land, Schimmernd, wie ein goldner Rauch, Uber allen Dingen ruht ein Hauch. So still, so sonnig hängt die Luft. Über die ganze Welt weht Veilchenduft. Uber die ganze Welt, ungeseh'n, - Leise, leise Sonntagsglocken geh'n. Die Ammer flötet tief im Grund, Der Frühling blüht mein Herz gesund. § (Fortsetzung folg'.) Oer Verablckieäete. Von O. Weddigen. (Nachdruck verböten.) Dem murmelnden Waldesbache entlang zog ich eines Morgens hinaus in das von sanft abfallenden Höhen um- fchlossene Tal, an dessen äußerstem Ende, halb versteckt und einsam, das kleine Häuschen lag, welches seit einigen Jahren der wackere Major Graf B. bewohnte. Der Name feines Geschlechtes war durch einen feiner Ahnen in der deutschen Literatur — und zwar zur Zeit der Schlegel und Tieck — zu einem bekannten geworden. Er selbst hatte von seinem sechzehnten Lebensjahre ab dem Soldaten stande sich gewidmet; nach seiner Verabschiedung aber, fern von aller Welt, sich literarischen und geschichtlicken Studien hingegeben, und dieser letzte Umstand war es, der mich einst vor Jahren seine Bekanntschaft machen ließ. — Mein Interesse an dem einsam wohnenden Major hatte sich keineswegs gemindert; ich hatte so oft, wenn die November- und Dezemberstürme heulten, an ihn denken müssen und gefürchtet, daß ein Windstoß oder eine Schnee lawine die kleine, aus Fachwerk gebaute Behausung, welche mich lebhaft an das kleine Häuschen der Waldhexe in Grimms Märchen erinnerte, vom Erdboden verschwinden lassen würde. Ich mochte eine halbe Stunde gewandert sein, als ich Schritte und das Bellen eines Hundes hörte. Das Ge räusch scheuchte mich aus meinen Gedanken auf. Es kam näher — Himmel! Da kam ja der Major Graf B. auf mich zu. den ich während der Winterszeit in seinem ein samen Waldhäuschen erstarrt oder begraben wähnte. „Guten Morgen, Herr Major! Aber leben Sie denn