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dm Tönen nachgehcn. Sie sprang schnell die hohen Absätze herab zum unteren Geließ und bog um die Türöffnung. Vor ihr am Boden lag jemand, eine schlanke Frauengestalt im dunklen Regen mantel, sie drückte das Gesicht ins wuchernde Unkraut der granitenen Fliesen; sie weinte ruckweise und jämmerlich. Frau Goldammer erschrak heftig, „Lola" rief sie und kniete neben ihr nieder. „Liebs Lola, was ist Ihnen nur? Wollen Sie hier horchen nach alten romantischen Nitter- geschichtcn?" Aber der leichte Ton schwand ihr, als sie sich mit sanfter Gewalt das Gesicht des Mäd chens zukehrte. Solchem steinernen Schmerz durste kaum Mitgefühl näher kommen, viel weniger scherzendes. „Ihnen ist unwohl, liebe Lola. Stehen Sie auf. Es ist hier zu hart." Freilich fand der Kopf des Kindes bald ein weiches Ruhekissen an MargucriteS Brust. „Ich möchte hier bleiben," flüsterte sie kläglich. „Meine Mutter will mich nicht mehr. Dies ist nicht so hart, wie meine Mutter eben zu mir war." Aber Liebling, Sic haben doch ihren guten Vater." Da stieh Lola von Lieders einen kleinen Schrei aus, der lange in Marguerites Ohren uachgelltc, lag doch der tiefe Kummer einer Vereinsamung darin, für die dies Gcschöpf- chen zu jung und zu empfindsam war. Erst ganz allmählich gelang cs Frau Goldammer, die Liegende zum Ausstichen zu bewegen und sie aus dem alten Gemäuer zu ziehen. Unten auf einer Bank weinte sie stiller vor sich hin, indem sie alles erzählte. Marguerite ließ ihren Schützling allein und trat vor an eine Holzumzäunung, die im Rücken d?r Burg weite Tannenschonun- gcn cinschloß, darüber hinweg schlängelten sich endlose hochwaldbestandene Hügel. Die schwermütige Beleuchtung des Tages hing ihnen graue Schleier um. Mehr dem Hori zonte zu, in der offnen Ebene, zogen schmal- strängige Lichtstrcifen goldene Straßen durch das breite Gelände — irgendwo hinter Wolken mußte die Sonne noch stehen. Sie belustigte sich im himmlischen Versteck, bald hier bald da Stellen hervorzuhebcn durch Plötzliche Scheinwerfer. Vorerst achtete Frau Goldammer wenig hierauf. Ihre Gedanken kamen und gingen nicht ganz so leicht wie das Lichtspicl. Wie kam nur Wcgmeister zu diesem überraschen den Entschluß — er ließ das Mädchen >onst ganz unbeachtet. Eins aber sah sic bald ein. Das Kind, das ihr eben vom Leben wie wertloses Strandgut vor die Füße ge worfen wurde, gelangte verfrüht in eine Zeit, wie sie Wohl den meisten Menschen einmal vorkommt, in der man erkennt: man ist seelisch bankrott und muß von einem tüchtigen Konkursverwalter in die Hände ge nommen werden, will man überhaupt wie der hochkommen . . . Und es war wie Be stimmung, wie eine Mission, daß sie bei Lola zu diesem Verwalter wurde, sie wollte ihrs sogleich sagen . . . Im Begriff sich zu ihr zu wenden, fesselte etwas Blitzendes inmitten von Baumkronen auf einem entlegenen Felde ihr Auge . . . Die spielerische Sonne ließ ein großes, gelbes Kirchtnrmkreuz hell blinken. Als ob dies im Zusammenhang stände mit ihrem ersten Nachdenken und jetzigen Vornehmen schritt sie, freie Ent schlossenheit in der Bewegung, auf ihre trau rige Gefährtin zu. „Nicht wahr, liebes Fräulein von Lie ders, Sie beruhigten sich mittlerweile ein wenig? Und ich dachte nach, gründlich. Lolachen, ich gewann Sie in den Wochen hier lieb, und es würde mir schwer sein, Sie ganz entbehren zu müssen, zumal ich mir ge rade jetzt, wie schon öfter, vertieften Lebens inhalt sehr wünsche, er mir in der Tat not tut. Nun bin ich ein Glückspilz! Sie kom men mir in den Weg und sagen: Frau Gold ammer, aus verschiedenen Gründen weiß ich momentan nicht recht wo ich hinsoll. Was kann nun näher liegen, Kind, als daß ich Sie bitte, kommen Sie mit mir. Als was braucht gar nicht mit Namen bezeichnet wer- den — zu meiner Freude einfach. Ach kann für Sie mitsorgen, ohne selbst das Geringste zu entbehren. Sie sollen die Welt sehen, das fehlt Ahnen. Sie haben gelegentlich Flügel, liebe Lola, aber das Leben muß Sie lehren, wir gebrauchen auch kräftige Füße für seine Wirklichkeiten . . . und fliegen werden wir auch, gemeinsam . . . Ihr Vater vertrau! wohl meiner Person genug, um Sie mir mitzugebcn. Ich komme am Nachmittag, um alles Nähere mit ihm zu besprechen; ich möchte nicht lange in Berlin bleiben, nehme Sie, wie Sie gehen und stehen ... So . . . das war ja eine ordentlich lange Rede." Zwei zarte Hände lagen aus Lolas Schul tern, ein süßes Gesicht lächelte zu ihr nieder. Als sie endlich begriff, wieviel schöne ge sicherte Zukunft ihr angebotcn wurde, ver mochte sie nur ihren Dank zu stammeln. — Uebrigens schickte ihre holde Beschützerin den überglücklichen Findling schleunigst ins Kurhaus zurück. Ihr siel ein, wie der Ge heimrat einmal Furcht äußerte: seine Toch ter könne dem Herrgott verfrüht aus dec Schule laufen und sie wollte dem alten Herrn unnötige Sorge fern halten. So stellte Lola sich zur rechten Zeit an der Table d'hotr ein. Sie hatte sich sehr ordentlich gemacht und sah zum Erstaunen des Papas nicht einmal extra bleich aus. Es mußte doch mit ihrer Gesundheit weit besser bestellt sein; in ihren Augen lag heimliche Freude. Wegmeister saß, wie immer, oben an der Wirtstafel, ec wechselte mit Lola einen ganz unbefangenen Gruß. Auch Mama legte wieder ein Mäntel chen uni aus Korrektheit geschnitten, so ver brachten denn die restlichen Kurhausgäste in Hassental eine letzte gemeinsame Mahlzeit nach gewohntem Schema. Der -Quellenfund blieb unerwähnt, man redete Gemeinplätze. Gleich nach der Takel empfahl sich Weg meister, er mußte denselben Nachmittag auf einige Tage fort und fand die meisten der Herrschaften nachher nicht mehr vor. Das Brautpaar beglückwünschte er bereits und versprach dem Doktor seine Hülfe für die Zukunft. Für die Liedcrschen Damen hatte er nur förmliche Verbeugungen, während er dem Geheimrat die Hand in alter Weise ge fährdete. Zwischen Lola und Antonie kam es nicht über die Eiseskälte größter Höflich keit hinaus, die die alte Geheimrätin auch gegen Ida Speier und Tochter in Szene setzte. „Ich begreife nicht, wie man so wenig Stolz besitzen kann. So zu zeigen, daß sie beinahe vor Neid platzt wegen Eurer Ver lobung," sagte die Frau Oberlehrer in ihrem Privatgemach, wo das Brautpaar es riesig gemütlich fand, weil der beengte Sitzplatz aus einem Koffer recht inniges Aneinander schmiegen bedingte. „Ja," bestätigte Lisbeth, „die arme Lola! Ich dachte eigentlich, weil sie den General direktor so ost bei Frau Goldammer sah, würde es etwas mit den Beiden. Aber sie ist ein zu komisches Mädchen. Zu Herren nicht ein bißchen nett, nicht wahr, Kurte!?" Natürlich sagte Kurtet „ja". Man beschloß im Familienrat, um nicht mit Lieders zusammenzureisen, die Rückfahrt schon am Nachmittag anzutreten. Der Bräu tigam wollte sich seinen Schwiegereltern Vör stetten und kam mit. Als die beiden Damen reisefertig, verab schiedeten sie sich sehr oberflächlich von Ge heimrats, dann liefen sie Spießruten durch eine Gasse am Hotelausgang, gebildet vom Piccolo bis zu Stürmer aufwärts, wo ihre Portemonnaies bluten mußten, und erreich ten endlich den Omnibus, der sie aus Has sental entführte. Lola packte, ohne den Eltern ihre schöne Aussicht zu verraten, und ihre Mutter, die gänzlich verärgert auf dem Sofa lag, lebte erst wieder auf, als ihr Lieders freudigst be wegt mitteiite, eine wie unverhoffte glück liche Wendung Lolas Schicksal nehmen sollte. Fran Goldammer hatte ihn schließlich bitten lassen, sie zu einer Rücksprache aufzusuchen, so winde am besten jedes Zwischenreden von Antonie vermieden. „Nun, hat sie da nicht auch einen Grund hcrauSgcfunden, um abzulchnm?" fragte sie ihren Gatten spöttisch. „Aber liebe Tony, wie wird sie denn," er rieb sich vergnügt die schmusen Hände nud das Glück seines Lieblings machte ibn augenblicklich kühn. „Es war nur schön, dir verabredetest neulich mit mir: ich als Vater sollte über ihre Zukunft bestimmen." „Denkst du etwa, ich würde dagegen jein, wo sich ihr eine solche Chance bietet," fuhr sie ihn an. „Nein sicher nicht, Frauchen; nein, gewiß nicht. Dazu bist du viel — viel zu verständig. Und alle sagen, wie nett cs ist. — Auf dem Rückwege von Mon Nepos traf ich Weg- meister, dem ich es natürlich erzählte, denn ihm verdanken wir doch schließlich die Be kanntschaft mit Lolas guter Freundin. Wir brauchen ihn doch auch nicht vor den Kopf zu stoßen weil Lola — na — dies hier ist vielleicht alles in allem beinahe so gut für sie." „Möchtest du vielleicht beinahe s > gut sein, mir weiter vom Generaldirektor zu erzäh len?" „Ach so. Ja, der sagte „das ist richtig, sehr gut, paßt mir auch. Auf Frau Gold ammer können wir uns ganz verlassen, und auch auf Miß Warden." Frau Antonie nahm jetzt sitzende Stell ung ein, weil sie so die Ohren besser spitzen konnte. „Hast du das auch richtig verstanden, Lie ders?" posaunte sie ihm zu. „Was werde ich nicht, der redet fchon deutlich; aber etwas Besonderes ist doch nicht darin." Seine Frau zog die Stirn kraus. Spät in der Nacht pochte ein behutsamer Finger an die Tür von Fräulein von Lie ders. Sie schlich auf bloßen Füßen heran und öffnete, da sie hörte cS war ihr Vater. Im Schein des Nachttischkerzchens erkannte sie sein gutes liebenswürdiges Gesicht. Und das zitternde Zagen, wodurch ex sie heute heimatlos machte, versank für sie, wenn sie an die tiefe Treue dachte, die sonst ihre Reichtümer vor ihr ausschüttete, wenngleich auch sie unter dem Zwange stand von wenn und aber. Sie hatte ihn noch . . , Er sprach im erregten Flüsterton. — Heute. — Er konnte nicht anders — sie