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Ern verhängnisvoller Umzug. Es war im Juni 1876, als ich aus der Nähe von Dippoldiswalde in die Gegend zwischen Wilsdruff und Meißen versetzt wurde. Weil Dippoldiswalde damals noch leine Bahnverbindung hatte, so schickte man uns einen Kutschwagen zur Abholung. Der Wagen kam bei der zu großen Entfernung schon am Tage zuvor und nahm im Gasthofe Quartier. „Morgen früh", sagte der Kutscher zu mir, „müssen wir pünktlich 6 Uhr hier abfahren, denn ich soll spätestens 11 Uhr an der Grenze unseres Dorfes sein, wo sie, was ich eigentlich nicht verraten soll, feierlich em pfangen werden." Das Dichterwort: „Doch mit des Ge- schickes Mächten ist kein ewger Bund zu flechten, denn das Unglück schreitet schnell," sollte sich an uns in recht bitterer Weise erfüllen. In derselben Nacht geht ein Strolch am Gasthofe vorüber, sieht auf dein Hofe einen Landauer stehen, den er durchwühlt und wird gewahr, daß in dem Saale des Gasthofes, der im Parterre lag, der Kutscher sein ganz neues Kutschgeschirr samt Livree aufbewahrt hat. Das Fenster wird erbrochen, in der Scheune ein großer Korb geholt und in der Schmiede, die neben dem Gasthofe lag, ein Handwagen weggenommen Geschirr und Livree ein gepackt und verschwunden war der Dieb mit seiner Bente Am anderen Morgen, welch ein Schreck für den Kutscher! Schon um 5 Uhr wurde ich nach dem Gasthofe gerufen. Der Kutscher stand am Tor und erzählte unter Tränen, was geschehen war. Der Wirt, dem das sehr fatal war, sprach zu mir: „So lange ich hier wohne, ist bei mir noch.kein Einbruch verübt worden Was sollen die Leute im Nieder lande von uns hier oben denken! Ich sattle jetzt mein Pferd und sehe, daß ich den Halunken erwische." Uns schien das ganz aussichtslos, denn dieser hält sich jedenfalls den Tag über im Walde auf und fährt am Abend in das nahe Böhmen. Hofmann, so hieß der Wirt, ritt aber fort. Im Gasthof Bärenburg erfuhr er, daß in den frühen Morgen stunden ein Mann mit einem Handwagen und Korb vor übergefahren sei. Das war ein Grund zur weiteren Ver folgung des Feindes. Im raschen Tempo ritt Hofmann den langen, steilen Berg hinauf und erreichte mit seinem schweißtriefenden Pferde die Stadt Altenberg, wo zu seiner großen Freude der Handwagen vor einem Restaurant stand. Er gibt eiligst sein Pferd im Gasthofe ab, überzeugt sich heimlich von dem Inhalte des Korbes, setzt sich an den Tisch des vermutlichen Einbrechers und läßt sich mit ihm in ein Gespräch ein. „Herr Wirt, geben Sie dem Manne hier noch ein Glas Bier und einen Schnaps dazu, ich komme sofort wieder." Er brachte den Gendarm mit, welcher den Dieb arretiert. Die gestohlenen Sachen blieben vorläufig in Altenberg. Wir konnten natürlich nicht warten, bis Hofmann nach Hause kam. Ein Gutsbesitzer half uns aus der Verlegenheit und borgte uns ein den Pferden gut passendes Geschirr; die Wirtin gab dem Kutscher Rock und Hut ihres Diannes, so daß wir nach einer Stunde Ver spätung abfahren konnten. In Tharandt hielten wir in Reichels Restauration an. Nach einer reichlichen halben Stunde Rast setzte sich meine Frau mit unseren zwei kleinen Kindern wieder in den Kutschwagen, während ich den Wirt bezahlte. Ehe ich eingestiegen war und ehe der Kutscher seinen Platz eingenommen hatte, setzten auf einmal die Pferde an und gingen durch mit meiner Frau und den Kindern. Ich weiß nicht, wie mir wurde. „Um Gottes willen, wie wird das enden!" schrieen wir alle. In der Nähe des Tharandter Friedhofes fuhr der Wagen mit solcher Wucht an einen Steinhaufen, daß meine Frau im Wagen über die beiden Kinder stürzte und das geborgte Kutschge schirr vollständig zerriß. Einige Straßenarbeiter brachten Pferde und Wagen bis an die Restauration zurück Meine Frau, furchtbar aufgeregt und totenbleich aussehend, führten wir in das Gastzimmer, wo die gute Wirtin allerhand Tropfen zur Beruhigung brachte. Zwei Sattler wurden geholt, welche das Geschirr notdürftig und so gut wie cs eben ging, zusammenflickten. Nach einer reichlichen Stunde Verspätung bestiegen wir mit einer gewißen Angst und Sorge den Wagen. Der Kutscher hatte zwar Mühe und Not, die so aufgeregten und unruhigen Pferde zu erhalten, doch wir erreichten glücklich die Grenze unseres neuen Heimatortes, wo wir durch Gesänge und Ansprachen feier lich empfangen wurden. „Gott sei Dank," seufzten wir, „daß wir nun endlich am Ziele sind." Als die Leute von dem Unglück hörten, sagten sie: „Das hat nichts Gutes zu bedeuten!" Dieses Wort ging leider in Erfüllung, denn nach kurzer Zeit starb unser jüngstes Kind und bald dar auf meine Frau in ihrem 26. Lebensjahr. Unser Herrgott führte mich durch ein finsteres Tal, aber ich verlor den Mut und das Gottvertrauen nicht. Es ist alles wieder gut geworden, denn in der Schwester meiner verstorbenen Frau erhielt ich meine zweite Lebensgefährtin, die mir nun schon 31 Jahr treu zur Seite steht. Gutachten des Vereins Sachs. Heimat schutz über unsere Jalwdikirche. Nach erfolgter Ortsbesichtigung, vorgenommen durch die Herren Bauamtmann Riemer-Meißen und unseren Architekten Ressel kann die Erhaltung des so schönen, historischen Kirchleins ruhigen Gewissens befürwortet werden, wenn für seine Instandhaltung die notwendigen Geldmittel aufgebracht werden Da größere Mittel jedenfalls nicht er forderlich sind, könnten Stadt und Staat gemeinsam um eine diesbezügliche Unterstützung angegangen werden. Die Prüfung des Baues hat ergeben, daß sowohl das massive Mauerwerk, als auch das überaus kräftige, gesunde Holz werk des Dachstuhles, ihm noch eine lange Lebensdauer gewährleisten. Auch die Bedenken, die gegen den schief sitzenden Dachreiter erhoben werden könnten, erscheinen uns nicht stichhaltig, indem der Unterbau desselben, vier starke auf der Kirchendecke ruhende Holzfäulen, eine hinreichende Sicherheit bietet. Ein weiteres Senken ist nicht wahr scheinlich. Vorerst käme eine gründliche Reparatur des Daches in Frage, dessen Ziegeleindeckung teilweise schad haft geworden ist. Das durchtropfende Regenwaffer würde mit der Zeit ein Faulen der Hölzer zur Folge haben. Für späterhin könnte dann eine Renovierung des Kirchen- innern, das noch so manchen wertvollen Schatz aus längst verklungenen Zeiten birgt, ins Auge gefaßt werden. Jeden falls liegt auch uns die Erhaltung der Kirche und ihrer malerischen Umgebung, des alten Friedhofes, sehr am Herzen und Sie können die Versicherung entgegen nehmen, das wir Sie in Ihren lobenswerten Bestrebungen tat kräftig unterstützen werden Dresden, 20. Juli 1912. Landesverein Sächs. Hcimatschutz Abt. Bauberatungsstelle. Aus unserm Leserkreis. Anfrage: Noch vor einem Menschenalter wnrde in Wilsdruff am Johannistage der Mistelzweig gebrochen. Wer weiß etwas über Entstehung und Bedeutung dieses alten Brauches? Schustleitung, unter Mitwirkung des Vereins für Naturkunde, Sektion Wilsdruff, Druck und Verlag von Arthur Zschunke. Wilsdru^. Alle Weiträge und Zuschriften find zu richten „An die -Redaktion des Wochenblatt für Wilsdruff" Nr. 13. Mllge zum „WocherrdNt für Wilsdruff und Nrngegend". Srptmbrr 1912. Der 29. August 1870, ein blutiger Kyrentag des 4. Königl. Sächs. Infanterie- Wegiments Ar. 103 (Mnuug. H., ein alter lOZer, f. Kompagnie. (Nachdruck verboten.) Am 23. August hatte das Regiment das Schlachtfeld von St. Privat und die westlich davon gelegenen Orte verlassen und war im Verbände der neugebildeten Diaas armee westwärts marschiert. Am 26 August wurde, nach dem die westliche Marschrichtung aufgegeben und die nörd liche eingeschlagen worden war, Varenne8 erreicht. Auf dem Weitermarsche kam das Regiment am 28. August nach Oun 8ur lVleu86 zu liegen, dessen hoch gelegener Kirchhof mit Umgebung besetzt, die Kirche selbst aber später belegt wurde. Hier machten sich Anzeichen be merkbar, daß wir wohl sehr nahe am Feinde sein müßten und weit vorgeschoben waren. Der später in der Kirche selbst vom Divisionspfarrer Schelle abgehaltene Feldgottes dienst bestärkte uns in unserer Ansicht, daß etwas bevor stehen müsse Denn der Geistliche behandelte in kurzen, zu Herzen gehenden Worten den Spruch: „Seid stark in der E tunde derGefahr,seid starkin der Stundedes Todes!" So kraft voll hatte ich unser altes Lutherlied: „Ein feste Burg ist unser Gott!" noch nicht singen hören, und mit ernsten Ge sichtern sah man die Kameraden den gewohnten Lager arbeiten sich hingeben. Wir hatten uns nicht getäuscht; denn am 29. August, früh gegen 6 Uhr begann der Abmarsch nach dem Sammel plätze öoulcon, den wir im Laufe des Vormittags er reichten. Es war ein herrlicher, frischer Sommermorgen. Gegen Mittag kamen wir bei ImIIzk auf den Höhenkamm gegenüber der Mühle von biouart, Slmmp^ und dem Koi8 ciö8 Vame8. Zu unserer Freude erblickten wir von hier aus die weißen Zeltlager der Franzosen, die uns aber mit Jener aus ihren weittragenden Gewehren — über 1000 Schritte — begrüßten, sodaß wir" trotz der weiten Entfernung schon hier Verwundete hatten. „Einer muß den Anfang machen!" sagte ein Kompagniechef, als einer seiner Leute getroffen wurde. Auf Betel)! unseres Regimentskommandeurs ging das Regiment zum Angriff über — 3., 2., 1. Bataillon. Jede Kompagnie hatte sozusagen ihr Arbeitsgebiet erhalten, um den Feind zur Entwicklung seiner Streitkräfte zu zwingen und nach Möglichkeit aufzuhalten. Unter vielen Mühen und dem heftigen Feuer des Feindes wurde die sumpfige Niederung des tiefen Wiseppekales erreicht und der von den Regengüssen angeschwollene, tiefe und breite Bach auf verschiedene Arten überschritten, mit Hurrah in die einzelnen Waldparzellen des jenseitigen Hanges eingedrungen, die selben nach harter Arbeit und unter vielen Verlusten endlich erstürmt. Der Feind mußte aus mehreren übereinander liegenden, gut gedeckten Verteidigungslinien vertrieben werden. Das Regiment verlor von elf Kompagnien, die am Ge fecht beteiligt waren, an Toten und Verwundeten 13 Offi ziere und 356 Unteroffiziere und Soldaten; es hatte sich gegen eine fünffache Uebermacht siegreich behauptet. Während des Gefechtes verbreitete sich unter den Kämpfenden die Nachricht, daß der Kommandeur des 1. Bataillons, Major Gustav von Schönberg-Pötting I, ge fallen sei. Leider bestätigte sich diese Nachricht, wie wir uns nach dem Abbruch des Gefechtes überzeugen konnten, in vollem Umfange. Eine feindliche Gewehrkugel, auf dem dritten Uniformknopfe angeprallt, hatte, etwas seitwärts gehend, das Herz getroffen. Nicht ein Tropfen Blut war auf der kleinen, mit einer Fingerspitze zu schließenden Wunde zu sehen. Unter Zuhilfenahme zweier Decken haben wir unsern toten Kommandeur mit in das Biwack bei Karricourt genommen. In letztgenanntem Orte fand ich eine Leiter, 4Y