Volltext Seite (XML)
Sie sah alles mit gespannter Aufmerksamkeit durch. Dann lachte sie, eS klang geräuschlos, aber sicher und froh. „Torheit!" sagte sie, „laß dir doch nicht bange machen, Bern! ... Ich kenn' dich ja gar nicht wieder!... Wie bist du denn?" Sie sagte das absichtlich, weil sie wußte, wie peinlich ihm jede Gefühlswallung und jedes Aus-der-Rollefallen war. Und obwohl ihr der Stand der Dinge keineswegs so günstig und unbedenklich erschien, bot sie doch alles auf, um selbst sorglos zu erscheinen und dadurch auch ihn wieder aufzurichten. „Es ist doch ganz selbstverständlich", meinte sie dann, „daß dieser dicke Mensch" — sie nannte Deimichel nie anders — „sich an dir zu rächen versucht dafür, daß du ihm die Tür gewiesen hast." „Na, und hätte ich das etwa nicht tun sollen?" „Aber, keine Frage! . . . Was du getan hast, war das einzig Richtige! . . . Und glaube nur, im Grunde imponiert so etwas immer, besonders Leuten, bei denen alles brutal ist, und die jeden tyrannisieren, der in ihre Nähe kommt! . . . Und dann, du mußt dir doch auch so sagen, wer sollte dich denn ersetzen? . . . Herr Böckel etwa, der über die Bühne stürzt, daß ihm die schwarzen Locken um seinen dicken Kopf fliegen, so . . ." Und sie imitierte in einer unglaublich drolligen Weise den neuen Regisseur des „Lyrischen Theaters", einen noch sehr jugendlichen Herrn, der das, was ihm an Erfahrung und Können abging — und das war fast alles! — durch einen ungeheuren Verbrauch seiner Arm- und Beinkräfte während der Proben ersetzte. „Nein", sagte er, „den Böckel, den werden sie wohl kaum zu meinem Nachfolger ausersehen haben! . . . Aber . . . aber vielleicht unsern lieben Willibald . . ." Die kleine Emilie wurde ganz blaß, als sie diesen Namen aus dem Munde ihres Verlobten hörte. Sie hatte im Anfang eine kleine Schwärmerei für den „Rezitator und Schauspieler" gehabt, um ihn später ganz unausstehlich zu finden. Jetzt haßte sie ihn glühend, da sie ebenso wie der Baron selbst in ihm den Rivalen ihres Verlobten witterte. Aber sie gab ihren Empfindungen auch nicht mit einem Worte Ausdruck. Im Gegenteil, sie verschloß alles tief in sich und nahm sich nur vor, Herrn Willibald Most aus dem Engagement zu bringen, koste es, was es wolle. Zu ihrem Verlobten sagte sie: „Aber ich bittt dich, ein Direktor muß doch wenigstens das Militärmaß haben . . . Oder sie müßten denn die Absicht haben, ein Puppentheater daraus zu machen — übrigens, weißt du, was wir jetzt tun, wir nehmen eine Droschke und fahren bis zur Vorstellung spazieren, ja?" Er nickte und küßte sie. „Meine liebe, kleine Emmy!" / 18. Hochzeit. „Also bei Adlon?! ... na, er scheint's ja noch recht dicke zu haben, der Herr Baron! . . . wenn Sie übrigens wollen, Most, dann fahr' ich Sie noch da runter!" Damit wandte sich Herr Otto Deimichel, vor dem vom Diener ofsengehaltenen Schlag seines Wagens stehend, zu dem Schauspieler und stieg dann zuerst ein, mit seinem stets regen Sinn für Lebensart und guten Ton sich selbst den Vorzug gebend. „Na, so kommen Sie doch!" rief er, als Willibald Most, offenbar indigniert über die ganze Art und Weise des Spekulanten, zögerte, „ich glaube, wir haben noch Verschiedenes zu besprechen!" Das wirkte. Im nächsten Augenblick saß Most an der Seite des Dicken, die Pferde zogen an, und das Gespann flog dahin auf seinen Gummirädern. „Aber Sie setzen mich schon vorher ab, nicht wahr, Herr Deimichel?" „Wieso? Sie haben wohl Angst, mit mir zusammen gesehen zu werden?" „Aber nein", sagte der Schauspieler mit einem Achselzucken, „ich will nur nicht, daß man zu früh erfährt, was Sie und ich miteinander Vorhaben... Um den Baron wär's mir egal! Aber Sie wissen doch, wie die andern alle an ihm hängen! . . . Wenn die jetzt schon merken, was los ist, und mich mit Ihnen sehen, dann hab' ich sie nachher alle, auf dem Halse unb kann darauf rechnen, daß sie mir das Leben schwer machen . ." Deimichels praktischer Verstand begriff die Richtigkeit dieser Ausführungen sofort. „Wie Sie wollen", sagte er, „ich werde Sie also am Brandenburger Tor absetzen . . . was wohl das Baronchen sagen wird, wenn er hört, was wir vor haben!" . . . Der dicke Mann rieb sich mit teuflischem Behagen seine fetten Hönde. Dann aber im Nachdenken wurde er plötzlich wütend, seine Stirn färbte sich rot, und die kleinen Augen schillerten zwischen den faltigen Lidern grünlich hervor, wie bei einem bösen Tier. Eine Weile blieb er, sich innerlich ärgernd, ganz still, aber plötzlich brach er los: „Js denn so was schon mal dagewesen? Wissen Sie, was mich das jetzt gekostet hat, das ver dammte Theater, in dem einen Monat? Fünfundzwanzig tausend Mark! . . . Sage und schreibe: fünsundzwanzig- tausend!! . . . Der Kerl is woll verrückt, mich so rein zupacken?! . . . Wenn er nichts versieht, soll er kein Theater machen! . . . Soll meinetwegen Bücher schmieren, die kein Mensch liest, und dabei verhungern! . . . Aber nicht die Leute um ihr Geld betrügen! . . . Das is 'ne Gemeinheit! ... Da wird ja auch immer drauf los jerüstet, janz ejal, was es kostet! . . . Stücke gegeben, die drei-, viertausend Mark Ausstattung kosten, und die kein Mensch sehen will! . . ." (Schluß folgt.» ' Oer Trauring. Humoreske von V. Wiesen. (Schluß.) (Nachdruck verboten.) In der Försterei angelangt, gesellte sich auch Mama Mertens, ein wenig erhitzt und ermüdet, zu den beiden. Man trank gemeinschaftlich Kaffee, und Hegern erbat sich die Erlaubnis, auch an den folgenden Tagen die Damen begleiten zu dürfen. Daß in ahnungsloser Freundlichkeit Frau von Mertens das Gespräch häufig auf seine „liebe Frau" brachte, war dem Assessor zwar höchst fatal und unbequem, doch als gewandter Weltmann fand er sich schließlich in die Lage hinein. — Was wollte er denn auch machen? Der un bedachte Streich war nun einmal begangen, der Trauring lieb sich ohne Aufsehen nicht wieder abstreifen. Der Ge danke aber, jetzt einzugestehen, daß alles nur Scherz ge wesen und dadurch in den Augen Hildes und ihrer Mutter in einem mehr als seltsamen Lichte dazustehen, war dem Manne fast unerträglich. Mochte die Geschichte denn so fortgehen! Wenn er in vierzehn Tagen wieder heimreiste, war es ja schließlich ganz egal, und niemand fragte mehr darnach. So genoß Hans von Hegern sorglos die schönen Stunden, die sich ihm boten. Man unternahm nach und nach eine Menge schöner Ausflüge. Bei Frau von Mertens hatte es wirklich nur der Anregung bedurft, um ihr zu beweisen, daß sie eigent lich eine viel bessere Fußgängerin sei, als sie gedacht. Des Assessors Unterhaltung verkürzte so angenehm den Weg, und wer hätte auch Hildes Bitten und Schmeicheln widerstehen können! Herr von Hegern aber fand jetzt die schon so oft besuchten Aussichtsplätze gar nicht mehr lang weilig; im Gegenteil entsann er sich immer neuer ent zückend schöner Punkte, die den Damen durchaus noch ge zeigt werden mußten. So waren die letzten Tage seines Urlaubs heran gekommen. — Hegern gestand sich, daß es ihm unsäglich schwer werden würde, den füllen Ort zu verlassen, ja, daß er es gar nicht vermöchte, ohne Gewißheit zu haben, ob Hilde ihn liebe, wie er sie. Aber wie wollte er das erfahren? Wäre die dumme Geschichte mit dem Trauring nur nicht gewesen, dann war die Sache ganz einfach. Aber so — Hilde und ihre Mutter hielten ih i ja für verheiratet! — Der Assessor stampfte wütend mit dem Fuß auf. Er war jetzt schon längst nicht mehr der kühle „ältere Herr". Warmes Empfinden strömte durch sein Herz und ließ die Pulse schneller schlagen. Er hätte rasen mögen bei dem Gedanken, in der eigenen Falle gefangen zu sein. Es war am vorletzten Tage seines Aufenthalts in W Frau von Mertens und Hilde saßen, mit Handarbeiten beschäftigt, auf Ihrem gewohnten Eckplatz; der Assessor neben ihnen, einsilbiger als sonst. Vergebens hatte er den ganzen Morgen nachgesonnen, wie sich die Sache am geschicktesten aufklären ließe, es war ihm nicht die leiseste Idee gekommen. Wahrhaftig, er, der Regiemngsassessor von Hegern, hatte Angst wie ein Schuljunge, der einen dummen Streich eingestehen soll. Das Gespräch wollte heute gar nicht recht in Fluß kommen: Hegern, nur mit seinen Gedanken beschäftigt, antwortete einsilbig und zerstreut, so oft ihn auch Hilde freundlich anredete. Sein Blick schweifte ziellos über die vor ihm liegenden Gartenwege. Da sah er einen Herrn quer über den Kiesplatz gerade auf sich zukommen. „Wahrhaftig, Hegern, da sind Sie ja! — Vor einer Stunde bin ich hier angekommen, las Ihren Namen in der Kurliste und suchte Sie schon in Ihrem Hotel!" Dann, aus die Damen deutend: „Wollen Sie mich bitte vorstellen!" „Regierungsrat Warbrecht — Frau Rittergutsbesitzer von Mertens, Fräulein Tochter —" Man verbeugte sich gegenseitig. Frau von Mertens forderte den Rat auf, Platz zu nehmen. — „Vielen Dank, meine Gnädigste — wenn Sie gestatten!" Er setzte sich. „Ich komme nämlich nicht als Kurgast, sondern nur vor übergehend her, da ich in der Umgegend dienstlich zu tun habe. Wie ich aber den Namen meines Kollegen Hegern in der Badeliste entdeckte, wollte ich ihm doch guten Tag sagen und sehen, wie er sich die Zeit vertreibt." „Nun, ich denke, recht lustig!" nickte Hilde unbefangen zu Hegern hinüber, der wie auf Kohlen saß und unter dem Tisch wütend an seinem Trauring drehte. „Ja", sagte Frau von Mertens freundlich, „wir haben miteinander viele vergnügte Stunden verlebt, an die ich oft und gern zurückdenken werde. Wir bedauern es sehr, daß der Herr Assessor uns morgen verläßt, aber er selbst wird sich wohl schon nach seiner Häuslichkeit sehnen." „Nun, da kennen Sie ihn aber doch schlecht, gnädige Frau!" lachte Warbrecht, während es dem Assessor zumute war, als schwebe eine Lawine drohend und unaufhaltsam über seinem Haupt, jeden Augenblick bereit, ibn zu er drücken. „Solch hartgesottener Junggeselle wie der La weiß häusliches Behagen gar nicht einmal zu schätzen." Jetzt war es heraus — jetzt hatte das Verhängnis ihn ereilt. Der ertappte Sünder wagte kaum, sich zu rühren. Nur ein scheuer Blick streifte Hilde. Sie sah mit großen, er schrockenen Augen zu ihm auf, als könne sie das alles nicht begreifen. Frau von Mertens aber hatte sich kerzen gerade im Stuhl aufgerichtet, ihr Gesicht war feuerrot ge worden, und um den sonst so wohlwollenden Mund lag ein Zug abweisender Schärfe. — Eine geraume Weile stockte dasGespräch; dann versuchte Regierungsrat Warbrecht, der — ohne sich Las Warum klarmachen zu können — wohl merkte, seine scherzhafte Außemng habe Anstoß er regt, es wieder in Gang zu bringen. Doch schien dies ein undankbares Unternehmen. Heger war sonderbar er regt, fast verstört, die Damen waren einsilbig. Bald darauf entfernten sich diese, indem Frau von Mertens äußerte, daß sie vom Bade ermattet und die Musik ihr zu rauschend sei. Man trennte sich eisig-höflich. „Na, der tausend, nun sagen Sie mir, Hegern, was ist denn plötzlich tos?" fragte Warbrecht verblüfft. Mit des Assessors Fassung war eS zu Ende. „Tun Sie mir den einzigen Gefallen, lieber Rat, und fragen Sie mich jetzt nichts! Ein andermal — morgen — bitte, heute entschuldigen Sie mich, ich habe so schreckliches Kopfweh! Wir sprechen uns ja noch morgen!" Damit drückte er dem älteren Kollegen flüchtig die Hand und war im nächsten Augenblick fortgestürmt. Morgen! — Dieser eine tröstliche Gedanke geleitete den Armen, als er ziellos durch die entlegensten Park wege streifte. Morgen mußte er sich mit Hildegard aus sprechen, eher konnte er auf keinen Fall abreisen, denn schriftlich ließ sich so etwas ja gar nicht erklären. Es war nicht anzunehmen, daß die Damen heute noch die Abendpromenade besuchten, dennoch wartete Assessor von Hegern unverdrossen, bis auch das letzte Gaslicht er loschen, die letzte leichtoerhüllte Frauengestalt verschwunden war. Die Ersehnten kamen nicht. Hegern hatte eine entsetzlich schlechte Nacht. Immer schien ihm, es sei schon Zeit zur Abreise, und er könne es .versäumen, mit Hilde zu sprechen. Alle Augenblicke machte er LM und 'sah nach der Adr. Die Stundet schlichen endlos. — Endlich war es wirklich Morgen ge worden. Der Assessor erhob sich, müde und zerschlagen. Er hatte beschlossen, nicht mehr aus ein zufälliges Zu sammentreffen zu warten, sondern sich geradenwegs bei den Damen melden zu lassen. Kaum konnte er die Zeit bis zur üblichen Besuchsstunde erwarten; dann harrte er, klopfenden Herzens, vor der Zimmertür, während der Kellner die Karte hineintrug. „Gnädige Frau bedauern, keinen Besuch empfangen zu können; gnädige Frau sind nicht wohl und das Fräulein ausgegangen!" Also auch daS vergebens! — Was nun? — Und nur noch fünf Stunden bis zur Abreise — es war zum Ver zweifeln! Hegern eilte hinaus. Die belebte Promenade ver meidend, schlug er einen Seitenweg ein. Er wußte selbst nicht, wohin er wollte. Gleichviel — nur allein sein, keinem Menschen begegnen! — Am Ausgang des Parkes, wo unter dichtem Gebüsch versteckt die alte Sandsteinbank steht, hatte er noch vor wenigen Tagen mit Hildegard ge sessen, ihrem herzigen Plaudern zugehört und in die lieben braunen Augen geblickt, die so vertrauensvoll zu ihm aufschauten. — Vorbei! Aber was schimmerte denn da durch das Buschwerk hervor? — Sein Schritt stockte — das dunkelblaue Kleid kannte er doch — das kleine Matrosenhütchen — die blonden Flechten — „Hilde!" — Das Mädchen schrak empor. — Sie hatte geweint, die Augen waren noch stark gerötet, aber jetzt sprühten sie zornig. „Was wollen Sie von mir? Gehen Sie doch!" „Mit Ihnen einen Augenblick ungestört sprechen, das will ich, und das werden Sie mir gestatten, nicht wahr, Fräulein Hilde? Wir waren doch bisher so gute Freunde!" „Nein, nein!" trotzte das Mädchen. „Gehen Sie nur fort! Es ist ja alles Lug und Trug, was Sie sagen!" Heftig wandte sie ihm den Rücken, damit er die neu hervorbrechenden Tränen nicht bemerke. — Hegern aber rührte sich nicht vom Platze. Mit leisen und doch be redten Worten begann er zu schildern, wie der über mütige, in einem unbedachten Augenblick ersonnene Scherz für ihn selbst die schlimmsten Folgen gehabt, wie er ihn tausendmal bereut und doch nicht habe eingestehen wollen, aus Furcht, Hildes und ihrer Mutter Vertrauen zu ver lieren. ,So mußte ich die Pein derLügen tragen", fuhr er sorh „denn ich konnte Ihre Freundschaft, die schönen Stunden des Beisammenseins mit Ihnen, Hilde, nicht mehr ent behren!" „Ach ja", schluchzte Las Mädchen, „wir waren so froh zusammen, und auch Mama hatte Sie so gern! Jetzt ist sie aber furchtbar erzürnt und will Sie gar nicht mehr sehen, weil L>ie uns solche Schnurren aufgebunden haben! — Ach Gott, wie schrecklich ist es doch, daß Sie keine Frau haben!" Da flog zum erstenmal wieder ein Lächeln über Hegerns Gesicht, und ein Blitz früheren Selbstvertrauens leuchtete in seinen Augen. Er setzte sich dicht neben das weinende Mädchen, und mit sanfter Gewalt ihre Hände an sich ziehend, sagte er innig: „Ja, sehen Sie, Hildegard, das finde ich selbst; und weil es so schrecklich ist, daß ich keine Frau habe, so möchte ich Sie fragen, ob Sie es nicht werden wollen — wenn Sie mir nämlich nur halb so gut sind wie ich Ihnen?" Dabei hatte er schnell den Trauring abgestreift und cm ihren zitternden Finger gesteckt. „Sehen Sie doch nur, wie hübsch der böse Reifen, der so viel Unheil verursacht hat, an dieser kleinen Hand aw- sieht! Hilde — liebe, süße Hilde — sage doch ja, — ich kann ja nicht mehr leben ohne dich!" Ob sie daS Wort wirklich ausgesprochen, läßt sich nicht feststellen, denn sie weinte nur noch heftiger als zuvor. Hans von Hegern mußte aber auch dies für ein günstiges Zeichen halten. Stürmisch umschlang er die Geliebte und preßte ihr tränenüberströmtes Gesichtchen an seine Brust. Was dann weiter geschah, was er ihr Holdes und Schönes ins Ohr geflüstert, und wie oft sie sich geküßt, mag ungesagt bleiben, denn Liebende soll man nicht be lauschen!