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Z ZL^K L^K-Lsrsr LG LLZZ LZ Schimmer erhellte Dunkel des Zuschauerraumes hinab« blickte, aus dem sich zahllose Köpfe in blasser Silhouette hoben, da überkam sie eine tolle Furcht. Sie hätte ihre Gitarre fortwerfen und davonstürzen mögen, aber gleichzeitig fühlte sie sich wie von einem bösen Zauber gebannt durch diese tausend ihr aus der Dunkelheit entgegenstarrenden Augen, die sie nicht sah, und deren Blick sie doch so schmerzhaft fühlte. Auf einmal kamen leise, gedämpfte Töne herauf zu ihr, die aus dem Boden zu dringen schienen. Und sie er innerte sich schwer, wie man sich beim ersten Erwachen an etwas erinnert, was am Tage vorher passiert ist, daß dort unten das Orchester wäre, und daß sie nun auch singen müsse. Aus dem Zuschauerraum kam ein ganz leichtes Räuspern . . . also, man erwartete dort unten etwas von ihr, etwas, dem sie sich nicht gewachsen fühlte. Eine Traurigkeit kam über sie, ein wehes, leidvolles Gefühl, das in musikalischen Menschen von selbst zur Musik wird, und nicht mehr um einer Pflicht zu genügen, sondern rein aus ihrem bedrängten Herzen heraus, griff sie in die Saiten und sang eine altspanische Romanze, ein dumpf klagendes Lied von einem Manne, den sein Weib so lange gequält, bis er sie mit seiner Naoaja tötet, und der nun selbst zum Alkalden geht und sich des Mordes bezichtigt. Das Lied stand gar nicht auf ihrem Programm. Von dem tragischen Talent, daß sie damit offenbarte, hatte weder ihr Bräutigam noch ihr Lehrer eine Ahnung gehabt. Ein paar schelmische, kokette Sachen hatte sie singen sollen, mit denen sie sicherlich kein großes Aufsehen hervorgerufen hätte. Ntun offenbarte sie plötzlich ein Talent, das niemand in ihr vermutet hatte, und dessen Äußerung ihr vielleicht selbst überraschend kam. Der Applaus war ungeheuer. Und als der Baron hinter der Szene sie mit Worten begeisterten Dankes in die Arme schloß, da glaubten er und sie, daß die Schlacht nun gewonnen und der Abend gerettet sei. Aber schon die folgende Nummer versagte wieder gänzlich, und obgleich Daja Korescu mit ein paar Schlagern die Laune wieder heraufholte, blieb die ganze Aufführung doch immer für und wider stecken. In der darauffolgenden Pause stand denn auch in dem nicht übermäßig großen und wenig vorteilhaft gebauten Fouer die Kritik beisammen und schüttelte einmütig ihre diversen Hydraköpfe. 17. Der Kontrakt. Als der Baron am nächsten Morgen die Zeitungen las, fand er in den meisten Blättern seine Befürchtungen weit übertroffen. Nur wenige gab es, die noch ein gutes Haar an chm ließen, die andern stellten sich der ganzen Uberbrettlei skeptisch gegenüber. Einzelne weissagten sogar schon den Niedergang und die baldige Pleite des „Lyrischen Theaters", und ein wegen seiner scharfen Feder besonders gefürchteter Kritikus schloß seinen Bericht mit den Worten: „Ein nicht unbegabter Schriftsteller ist ge storben und als lächerlicher Bänkelsänger wieder auf erstanden!" Herr von Gandersheim lachte herzlich, als er das las. Noch glauhte er an seine gute Sache! Ihn zu ent mutigen, dazu gehörte mehr als der gelegentliche Miß erfolg eines vielleicht doch nicht genug vorbereiteten Premierenabends. Und er war noch mit seinen Gedanken beschäftigt, wie er bei der nächsten Premiere, die schon in vierzehn Tagen stattfinden sollte, diese Niederlage wettmachen wollte, als ihm Herr Otto Deimichel gemeldet wurde. Und eh' er sich entschlossen hatte, ob er den Millionär empfangen wollte oder nicht, stürzte der dicke Mann, alles vor sich her über den Haufen rennend, schon ins Zimmer. „Na, das ist ja 'ne schöne Geschichte", schrie er ohne jede Begrüßung und ohne selbst seinen Zylinder abzu nehmen, die Nummer der „Wacht" in der Hand schwingend, in der jene vernichtende Kritik enthalten war. „Haben Sie das gelesen?" Er schlug mit der Rechten auf das Zeitungsblatt und lachte, daß es dröhnte. . . „Bänkelsänger. . . lächerlicher Bänkelsänger! ... iS ja prachtvoll! ,. , jrotzartigl..." Der Baron hatte sich erhoben, ünd gleichzeitig mit ihm stand die Ulmer Dogge auf, die auf dem Schreib tischteppich lag, ein schöner Hund, der seinen Herrn fast nie verließ, und der jetzt sich mit einem tiefen „Uah" die mächtigen Glieder reckte. Herr Deimichel schrak ein wenig zurück, aber gleich darauf mochte ihm doch wohl klar werden, daß hier trotz des Hundes eine Gefahr für ihn nicht zu befürchten sei, und in einem unerträglich anmaßenden Tone sagte er: „Meine Tochter haben Sie schon in Ungelegenheiten gebracht, Sie! .... Na, darüber habe ich nichts gesagt, weil die Trude mich selbst gebeten hat... . obgleich ich das nicht begreifen kann, wieso sie Sie noch in Schutz nimmt .... und is mir auch lieber so, daß Sie nicht in meine Famile reinheiraten!... Das macht sich viel besser, wenn man geschäftlich zu tun hat miteinander! . . . aber jetzt handelt sich's um mein Jeld, und das sollen Sie mir nich verbuttern! Da schieb ich 'n Riejel vor, da ver lassen Se sich drauf, Sie! . . . verstehn Sie?" Er fuchtelte mit den Händen und kam dem Baron unwillkürlich näher. Da ließ ihn ein tiefes Knurren des Hundes stutzig werden. Der Baron hatte noch immer kein Wort gesprochen. Jetzt ging er zur Tür und öffnete diese weit. „Sie wollen wohl den Hund rauslassen, was?" meinte Deimichel. „Nicht den Hund, der sich nichts hat zu Schulden kommen lassen, sondern Sie selbst fordere ich auf, sich zu entfernen!" sagte der Baron mit starker Stimme, „und ich bitte Sie, erst wiederzukommen, wenn Sie sich entschlossen haben, sich anständig zu betragen! .... Adieu, Herr Deimichel!" Als er fort war, empfand der Baron zuerst nur eine große Genugtuung. Dann aber kamen ihm doch schwere Bedenken, ob er recht daran getan hatte, den Geldmann so zu brüskieren? — Ach was, er hatte diesem Protzen gezeigt, daß er sich nicht fürchte, es würde sicherlich nicht lange dauern, bis Deimichel wiederkam .... höher als alles andere steht solchen Leuten das Geld! . . . - , (Fortsetzung folgt.) Der Trauring. Humoreske von V. Wiesen. (Nachdruck verboten.) Herr von Hegern war Regierungsassessor, wohlhabend und eine auffallend stattliche Erscheinung. Daß es dem glücklichen Besitzer so liebenswürdiger Eigenschaften nicht an der nötigen Damenbekanntschaft fehlte, ist selbstver ständlich. Trotzdem war er, mit 34 Jahren, noch immer unverheiratet, denn es ist eine leider nur zu häufig wiederkehrende Beobachtung, daß man meistens nur das schwer Erreichbare erstrebt, mühelos sich bietendes Glück aber nicht zu schätzen weiß. In der Tat konnte der Regierungsassessor als eine der bekanntesten und beliebtesten Persönlichkeiten gelten. Seine Stellung, sein vorteilhaftes Außere, sein form gewandtes Wesen machten ihn überall zu einem Viel gesuchten. Die Geselligkeit der Stadt war äußerst reger oft brachte ihm jeder Abend zwei bis drei Einladungen, so daß aus dem Vergnügen schon längst eine lästige Pflicht der Höflichkeit geworden war. Früher, vor Jahren, da hatte ihm dergleichen nochi Spaß gemacht. Er entsann sich, auf den Studentenbällen seiner Verbindung im glutheißen, überfüllten, staubdurch^ wirbelten Saal mit ausdauernder Leidenschaft bis zn völliger Erschöpfung getanzt zu haben, gleichviel mit welcher der reichlich anwesenden Couleur-Schwestern odew Cousinen. — Wie man nur so anspruchslos hatte sein können und dabei so ausgelassen froh?! Ja, die Zeiten ändern sich! Gegenwärtig zählte sich Herr von Hegern überhaupt nicht mehr zu den Tänzern. Es genügte, sich als Zu schauer sehen zu lassen, verbindliche Worte auszutauschen und höchstens gelegentlich — im Beisein hoher Vor gesetzten — eine Dame zur Extratour zu engagieren — natürlich eine junge Frau. Mit Frauen unterhielt sich Herr von Hegern bei weitem lieber als mit Mädchen. Die schüchternen waren ibm lanaweilia. die lebhaftes wehmütige Erinnerungen knüpften. DaS obenauf Schiller. liegende Korpsband, sowie andere Verbindungszeichen wurden schnell beiseite gelegt, ebenso verschiedene bunte Kotillonschleifen — Andenken an Backfische in weißen, mit Vergißmeinnicht oder Heckenrosen garnierten Mullkleidern. — Ganz unten aber befand sich, wie ein Allerheiligstes, noch ein besonders kleines Kästchen, das der Assessor jetzt öffnete, und das nichts enthielt, als ein Löckchen grauen Haares und einen Trauring. Das Haar hatte seiner ver storbenen Mutter gehört, der Ring dem Vater. Der junge Mann nahm den goldenen Reifen heraus und streifte ihn prüfend auf den vierten Finger der rechten Hand. Er paßte. Nun, dann mochte er mit auf Reisen gehen. Es war eine originelle Idee und wirklich gar nicht so übel. Hans von Hegern schloß schnell den Schreibtisch zu, eilte die Treppe hinab und sprang in die schon längst wartende Droschke. „Vorwärts nach dem Bahnhof!" Hastig stieg der Reisend« in ein nicht zu überfülltes Coups und machte es sich in einer Ecke bequem. — So, nun konnte die Geschichte losgehen. — Welch behagliches Ge fühl, in die Welt hinaus zu gondeln, noch dazu mit dem kleinen Talisman am Finger, der seinen Träger vor allen etwaigen Plänen fürsorglicher Mütter sicherstellte. Herr von Hegern war nicht wenig stolz auf seine Kriegslist und konnte es sich nicht versagen, ab und zu den Glacehandschuh abzustreifen, mit der Rechten seinen schönen blonden Spitzbart zu streicheln und dabei den goldenen Reif am vierten Finger zu betrachten. Merk würdig, wie gut das kleine, blanke Ding sich an der schlanken Hand auSnahm, gerade, als wenn eS wirklich dahin gehörte. Am Abend langte der RegierungSafsessor in seinem neuen Aufenthaltsorte an. Das Kurhaus war noch nicht überfüllt, ein komfortables Zimmer zu haben, die Aus sicht von dem weit vorspringenden Balkon geradezu wundervoll. Befriedigt ließ sich Herr von Hegern sein Abendessen servieren und begab sich dann zeitig zur Ruhe. Lndequem. NuK hatte er immer das Gefühl, vorsichtig jedes Wort auf die Wage legen zu müssen, damit es nicht, durch liebende Mütter oder Tanten kolportiert, unver sehens eine falsche Deutung erhielte. Hans von Hegern war nicht eitel, nicht selbstbewußt, aber er wußte aus Er fahrung, daß, falls er in der Gesellschaft sich einmal mit einem jungen Mädchen lebhaft und angeregt unterhielt, aus dem Kreise der rings umhersitzenden alten Damen beobachtende Blicke ihm folgten, daß man erwartungsvoll lächelnde Gesichter machte, und daß bald darauf jene un begründeten und unzarten Andeutungen von voraussichtlich baldiger Verlobung ihn trafen, die ihm so entsetzlich zu wider waren. So kam es, daß Assessor von Hegern daS kühl reservierte Lächeln annahm und mit besonderer Be tonung sich zu den „älteren Herren" rechnete. Nun waren wieder einmal die Strapazen solcher ge sellschaftlichen Winterkampagne überstanden. Der wie vielten wohl? — Hans von Hegern begann in Gedanken nachzuzählen, ließ eS aber, mit leichtem Seufzer, bei dem Versuch bewenden. Man wurde wirklich schon alt! — Aber was schadete es? Das Leben bot noch immer des Angenehmen genug. Der Frühling war vor der Tür, und der Gesellschaftsmüde im Besitz eines vierwöchigen Urlaubs, der zu einer Erholungs- und Vergnügungsreise ausgenutzt werden sollte. Der Tag der Abreise war da. Hans von Hegern hatte mit peinlicher Umständlichkeit seine Sachen gepackt und jedem seiner mannigfachen Bedürfnisse dabei Rechnung getragen. Jetzt prüfte er nochmals die Haltbarkeit des Kofferschlosses und mit einem letzten Blick in den Spiegel seine eigene elegante Erscheinung. Er konnte zufrieden sein; das neue, staubgraue Reisekostüm saß tadellos und hob nur noch mehr die stattliche Erscheinung seines Trägers. Schon war der Assessor zur Tür hinausgeschritten, als er, wie von einem plötzlichen Gedanken erfaßt, stehen blieb und nach kurzem Besinnen ins Zimmer zurückkehrte. Er öffnete seinen bereits sorgsam verschlossenen Schreib tisch und suchte in verschiedenen Fächern emsig nach einem wahrscheinlich lange nicht hervorgeholten Gegenstände. Endlich hatte er ihn gefunden. Eine unscheinbare, kleine, braune Holztruhe, die Hans von Hegern in längst ver gangenen Jugendtagen den „Gefühlskasten" zu nennen pflegte, denn er barg allerlei Dinge, an die sich frohe oder x Alles wiederholt sich nur im Leben Ewig jung ist nur die Phantasie. . Was sich nie und nirgends hat begeben, ; Das allein veraltet nie. Die ndkMn 'Lagr wuvM w Spazierglmgen kn M Umgegend und zur Besichtigung der verschiedenen Aus sichtspunkte benutzt. Der Assessor taS, schrieb und schlenderte umher, unbelästigt von der übrigen Kurgesell schaft, die ihn hier weder kannte noch aufsuchte. Diese Ruhe tat ihm anfangs wohl. Nach einiger Zeit aber fand er doch, daß die Tage sich gar zu eintönig abspielten. Die Table d'hote im Kurhause brachte auch wenig Erheiterndes. Neben dem Assessor saß ein kleiner, dicker Herr mit kahlem Kopf und roten Händen, der sich sehr laut gebärdete und unglaubliche Porttonen vertilgte. Er hatte schon wiederholt eine Unterhaltung mit Herrn von Hegern anzuknüpfen versucht, allerdings immer erfolglos, denn dem Mann der feinen Formen waren Leute, die bei Tisch mit Messer und Gabel herumfochten und auf den Kellner schalten, von vornherein un sympathisch. Da war an einem der nächsten Tage, als die Hotel glocke zu Tisch rief, die Szenerie verändert, der kleine, geräuschvolle Herr abgereist und statt seiner waren zwei Damen — augenscheinlich Mutter und Tochter — an gelangt. Die Mutter rund, gutmütig phlegmatisch, die Tochter sehr jung, lebhaft, mit entzückend rosigem Teint und lustigen Schelmenaugen. Assessor von Hegern stellte sich vor und setzte^ sich — seines Traurings eingedenk — im Gefühl völliger Sicherheit neben die Tochter. Im Laufe der Unterhaltung erfuhr er, daß die ältere Dame, Frau Rittergutsbesitzer von Mertens, eines hartnäckigen Rheumatismus halber Thermalbäder gebrauchen müsse, während Hilde nur zur Unterstützung und Gesellschaft der Mama mitgenommen worden sei. „Es ist zu dumm", erzählte das junge Mädchen leb haft, „daß Papa wegen der groben Wirtschaft nicht auch Herkommen konnte! Er ist solch guter Spaziergänger, und hier gibt es so viel zu steigen und zu klettern. Aber was nützt das? Muttchen wird immer gleich müde, und da sitzen wir dann den ganzen Tag und sehen nichts von der schönen Umgegend." „Falls Sie mit meiner Gesellschaft fürlieb nehmen wollen, mein gnädiges Fräulein", entgegnete Hegern keck und langte recht sichtbar mit der beringten Rechten nach seinem Weinglase, „so würde ich mich Ihnen mit Ver gnügen als Beschützer und Wegweiser zur Verfügung stellen!" „Ach, wie nett!" rief die Kleine fröhlich, verstummte aber schnell vor einem strafenden Blick der Mutter. Diese ließ das Thema fallen. Sie war zwar, als echte Land frau, in Sachen der äußeren Form nicht skrupelös, doch schien ihr der neue Tischnachbar noch zu fremd, um Verabredungen mit ihm zu treffen. Da sie den Ring an seiner Rechten bemerkt hatte, lenkte sie nun das Gespräch nach dieser Richtung. „Sie sind verheiratet, wie ich sehe, Herr von Hegern, aber ebenfalls allein hier, ohne Ihre Frau Gemahlin?" „Jawohl, meine Gnädigste!" beeilte sich der Assessor zu versichern. Er war wirklich rot geworden, obgleich er nie geglaubt hätte, daß ihm dergleichen noch passieren könne. „Wie drollig!" rief Hilde dazwischen. „Mama ist ohne ihren Mann, Sie sind ohne Ihre Frau hier; da müssen Sie wirklich einer den andern trösten!" — Man lachte, die Unterhaltung blieb lebhaft im Gange, und nach aufgehobener Tafel wurde nun doch ein Spaziergang zu Dreien nach der Försterei für den nächsten Tag verab redet. Wie anders erschien dem Assessor jetzt der gewohnte Waldweg, als er ihn neben der lustig umhergaukelnden Mädchengestalt dahinschritt, als er dem anmutigen Ge plauder des frischen Kindermundes zuhörte und die Sonnenstrahlen beobachtete, die, durch grüne Tannen zweige sich Bahn brechend, auf Hildes blonde Flechten goldene Lichter streuten. (Schluß folgt.) Lester