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c/i Auch beschäftigte sich die hauptstädtische Preffe dauernd mit ihm. Schon fing man zwar an, ihn für die zahl reichen und schlechten Nachahmungen seines Qberbrettls verantwortlich zu machen. Aber man verzieh ihm dies doch, weil er selbst seine Aufgabe so glänzend gelöst hatte. Und wenn es schon hieß, das Qberbrettl sei keineswegs eine neue, fortbestehende Kunstgattung, sondern ein Unter nehmen, das mit dieser einen künstlerischen Person des Herrn von Gandersheim stehe und falle, so warf doch auch das nur wieder einen desto goldigeren Schimmer auf den Schöpfer und Ausgestalter der ganzen Idee. Jedenfalls war die bereits zweimal angekündigte und jedesmal wieder verschobene Premiere, die jetzt end gültig für den 1. November angesetzt war, ein Ereignis, dem die hauptstädtische Bevölkerung mit der größten Spannung entgegensah. AKAMAI - „ Der Potsdamer Bahnhof war voll von Menschen, die auf die Ankunft des Pariser Schnellzuges warteten. Robert Brandt, der sich ein wenig abseits von dem Gewühl hielt, stand auch hier und richtete seine Blicke dann und wann zur Halle hinaus, wo in der blauen Ferne auf Häuser und von der Abendsonne vergoldete Türme der Herstabend herniedersank. Seit einiger Zeit war Robert Brandt wieder Redakteur. Seine allerdings sehr scharfe, aber auch außer ordentlich gewandte Feder hatte den Verleger eines Montagsblattes interessiert, das durch seine fulminanten Artikel großes Aufsehen heroorrief. Das Gehalt war nicht groß, aber Brandts litera rischer und politischer Ehrgeiz kam hier viel mehr zu seinem Recht als bei dem Blatte, dem er früher gedient hatte. Und da er selbst bedürfnislos war, so kam er mit seinem jetzigen Gehalt auch ganz gut aus. Frau Frieda war vom Juni bis jetzt auf der Reise gewesen und hatte in Zwischenräumen von zwei und drei Tagen an ihren Mann geschrieben. Er antwortete ihr darauf regelmäßig, aber ihre persönlichen Beziehungen kamen in diesem Briefe so gut wie gar nicht zum Ausdruck. Sie fragte nach dem kleinen Charles, dessen Pflege er gewissenhaft überwachte, und er gab ihr erschöpfende Auskunft über das Befinden des Kindes; das war alles! Vielleicht bildete er sich nur ein, daß sie nichts anderes von ihm hören wollte. Aber mit ihm selbst war eme Veränderung vorgegangen, die dieser Überzeugung, gleichviel, ob sie nun wahr oder falsch war, den besten Boden gab. Er gehörte nicht zu denen, die die sorgende Hand einer Frau nicht entbehren können. Im Gegenteil, er war ein Mensch, der gern grübelte und seinen Ideen nachhing, und für den die Einsamkeit nichts Schreckliches hatte. Für ihn war die Leidenschaft und die Liebe zu einer Frau etwas Einziges, und wenn es erlaubt ist, eine so tiefe Empfindung damit zu vergleichen, glich sie in seiner Auffassung einem Gegenstände, den man sich nur einmal anschafft, und den man für das ganze Leben behält. Gewiß hatte auch Robert Brandt wie alle anderen Menschen ein Bedürfnis nach Zärtlichkeit, aber dieses Be dürfnis war nicht so stark, wie bei den meisten seiner Ge schlechtsgenossen. Viel stärker als bei anderen dagegen war in ihm das Gefühl der Treue entwickelt. Seine Frau auch nur in einer Kleinigkeit zu hintergehen, wäre ihm nie in den Sinn gekommen. Selbstverständlich baute er auch auf die Treue seiner Frau und batte recht, es zu tun. Aber schon, daß sie eigentlich doch gegen seinen Willen wieder zur Bühne gegangen war, schon darin lag für seine bei einem Manne vielleicht allzu empfindsame Auffassung der Ehe eine Art von Treulosigkeit. Auch daß sie es übers Herz brachte, ihm selbst und ihrem Kinde so lange fernzubleiben, hatte ihn mit der Zett immer geringer von ihrer Liebe denken lassen. Sicherlich mußte sie, nachdem einmal ihr Kontraft abgeschlossen war, ihren Verpflichtungen Nachkommen und die Tournee mitmachen . . . Aber warum schloß sie erst solchen Kontrakt ab? Eine wahre Mutter und Gattin tut daS nicht, war seine Ansicht. Und diese Ansicht zog langsam, aber unabänderlich ihre Konsequenzen in seinem Empfinden. Wie Robert Brandt jetzt auf dem Bahnhof stand und dem Zuge entgegensah, der aus dem blauen Dämmern des Herbstabends wie ein schwarzer Riesenwurm mit glühenden Augen heranschoß und schnaubend und zischend in die Halle fuhr, da befestigte sich das, was er in der langen Zeit der Trennung von Frieda immer wieder gedacht und empfunden hatte, bis zum Entschluß: Er wollte ihr die Freiheit zurückgeben und sich von ihr scheiden lassen. Nicht, daß ihm das leicht wurde! Aber ihm graute vor dem endlosen Zank und Streit, den er wieder Herein brechen sah. Ihre Bühnenlaufbahn freiwillig aufgeben würde Frieda nicht, das wußte er. Und dies Nebeneinander herleben, jeder nach einer anderen Richtung, und jeder nur mit seinen eigenen Gedanken und Plänen beschäftigt und die einzige Gemeinsamkeit der Interessen nur im Geldpuntt suchend, erschien ihm unerträglich. Natürlich würde er das Kind behalten. An das Kind hatte er sich gewöhnt, etwas muß man lieb haben, und was wäre besser dazu als ein Kind, ein kleines, liebes Geschöpf, dessen Geist noch im tiefen Schlummer liegt, und das man entwickeln kann, wie es einem recht und gut dünkt. Frieda sollte das Kind jederzeit sehen können. Er war ihr ja nicht böse, und sie wollten im Frieden von einander scheiden. Aber das Kind mußte er haben, das war sein! Sie batte ihre Kunst dafür, die sie ihm und dem Kinde vorgezogen hatte, mit der sie sich nun trösten mochte. Auch waren gewiß viele Hände bereit, sich ihr entgegen zustrecken und die ihre zum Bunde für das Leben zu er greifen . . . Die Reisenden hatten inzwischen die Coupes mit der durch die unpraktische Bauart der V-Züge bedingten Lang samkeit verlassen, und wie Robert aus seinen trüben Ge danken aufblickte, stand Frau Frieda schon vor ihm. Ihr Gesicht zeigte die Spuren eben vergossener und kaum getrockneter Tränen. Und als sie seinen Grub er widerte, meinte er, sie spräche anders als sonst. „Jawohl*, sagte sie, während sie in offenbarer Ver legenheit ganz rot wurde, „ich habe mich ein bißchen er kältet . . ." Und dann fragte sie hastig und stürmisch und zweifel los, um nicht selbst mehr gefragt zu werden, was das Kind mache, wie es ihm gehe, und sagte ihm, wie sehr eS sie freue, daß er wieder eine feste Stellung habe. Er antwortete in seiner ruhigen, sachlichen Weise, sie insgeheim scharf beobachtend und begierig, zu ergründen, was der Grund ihrer hastigen Verlegenheit wäre. Sie sah ibn an, und ihr Auge schimmerte feucht, alS kämen ihr » wieder die Tränen. Und L sprach sie wieder und lachte und erzählte viel von der Reise und von ihren Erfolgen. (Fortsetzung folgt.) Zusgekolfen. Humoreske von Teo von Torn (Nachdruck verboten.) „Herr Leutnant von Rennkamp!" — „Zu Befehl, Herr Major!* — „Was ich noch sagen wollte — ja: Es liegt zwar keine direkte Beschwerde vor, Herr Leutnant von Rennkamp; ich schicke das voraus. Aber ich glaube beobachtet zu haben, daß Sie es in Ihrem Zuge an jener ruhigen Reserve, jener schneidigen Milde fehlen lassen, die den Offizier auszeichnen muß, wenn er feiner eminent erziehlichen Aufgabe gewachsen sein will. Sie brauchen, wenn ich mich nicht verhört habe — und ich will das vorerst annehmen — den Mannschaften gegenüber Be zeichnungen, welche in einem zoologischen Handbuch am Platz sein mögen, im Königlichen Dienst aber nicht. Es gibt kein menschliches Wesen, welches disqualifiziert genug ist, um als Esel oder Kamel bezeichnet werden zu dürfen. Alles ist menschlich. Auch die Dummheit. Man begeht also nach zwei Seiten hin eine Ungerechtigkeit, wenn man einem Heupferd anhängt, was einem am Menschen miß fällt. Sie haben mich verstanden, Herr Leutnant von Rennkamp —?* — „Zu Befehl, Herr Major.* — „Schön. Und was ich noch sagen wollte — ja: Sollte sich früher oder später ergeben, daß Sie mich doch nicht ganz ver standen haben, so würde ich nicht umhin können, Ihnen dreimal vierundzwanzig Stunden Zeit zu lassen, damit Sie sich meine kameradschaftliche Mahnung nach der ästhetischen wie erzieherischen Seite gründlich und ungestört überlegen können. Sie haben mich verstanden, Herr Leutnant von Rennkamp —* — „Zu Befehl, Herr Major.* — „Ich danke Ihnen.* Ein Vorgesetzter kann alles — aber er kann nicht Gedankenlesen, und das hatte in diesem Fall seine An nehmlichkeiten, sowohl für den Herrn Major Kaßner, welcher quam re bene seiner schöngeistigen Häuslich keit zustrebte, wie auch für den Leutnant von Rennkamp, der im Geist heftig in Brehms Tierleben blätterte und schließlich mit einem mehrfach kombinierten Zitat seinem cholerischen Temperament Luft machte. Dabei war der kleine Leutnant im Grunde gar nicht so bösartig. Im Gegenteil! Seine Leute gingen für ihn durchs Feuer: er nahm sich ihrer an, wo er nur irgend konnte, erwirkte ihnen Urlaub und „vertuschte* sogar, wenn sich das irgend mit seiner sehr ernsten Auffassung des Dienstes verein baren ließ. Lao mancher ist mit einem „Anhaucher* da vongekommen, dem von Rechts und Reglements wegen drei Tage „Mittel* aufgebrummt werden mußten. Leutnant von Rennkamp war also sozusagen eine „Seele* — nur austoben mußte er sich! Und das wußten seine Leute. Wenn der kleine Leutnant aus allen Knopflöchern pfiff, so war ihnen das immer noch angenehmer, als die Praxis des menschenfreundlichen Majors, der stets „lieber Mann* sagte und besagten „lieben Mann* erbarmungslos ein- spunnte. Die etwas einseitig geführte Unterhaltung zwischen dem Major Kaßner und dem Leutnant von Rennkamp hatte ein paar Tage vor der Bataillonsbesichtigung statt gefunden — zu einer Zeit also, die nicht nur im Zorn, sondern auch für den Zorn erschaffen worden ist. Alles, was der Mensch lernt, hat die Eigenschaft, gerade dann vergessen zu werden, wenn man es braucht. Genau wie einem auf dem Billard ein Kunstball nie gelingt, wenn man ihn zeigen soll, so „kickst" auch der Soldat, wenn er den Nachweis führen soll, Laß er in allen Künsten des Frontdienstes firm ist. Das ist von Urväter Zeiten her so gewesen, und die älteren Jahrgänge unter den Herren Zugführern pflegen sich nach und nach zu der Ansicht zu bekehren, daß solche Besichtigungen zum einen Teil Ansichts- und zum andem Glückssache sind. Nicht so der Leutnant von Rennkamp. Er genoß die Sache erst zum zweiten Male und war noch in dem starren Aberglauben befangen, sein und seines Zuges Glück forcieren zu können. Im verflossenen Jahre batte er sich kolossale ÄNühe gegeben. Wenn trotzdem der Hoke Inspizierende behauptet hatte, daß die Leute wie „eine wild gewordene Hammelherde" umeinanderliefen, so schloß der Leutnant durchaus nicht etwa, daß der Liebe Müh' umsonst sei, sondern vielmehr, daß er sich noch kolossalere Mühe geben vmffe. Aber wie sollte er daS nun anfangen? Sein eigener, sozusagen leiblicher Major hatte ihm jenes Ventil geschloffen, welches funktionieren mußte, wenn der Leutnant von: Rennkamp im Königlichen Dienst nicht eines elendiglichen Todes verbleichen sollte. „Ich kann nicht, Futzke", klagte der Ärmste seinem Sergeanten unter vier Augen, „ich muß schimpfen! Sie wissen, daß ich das nicht so meine und daß ich von meinen Kerls — der Koschubeit kriegt übrigens noch 50 Pfennig für das letzte „Hornvieh* — daß ich von ihnen mehr halte als mancher andere, der sie mit Schokolade begießt. Aber schimpfen muß ich auf die Kanälen, denn wenn ich nicht schimpfe, muß ich sie insperren, und das bringe ich nicht übers Herz.* * Soweit das die' dienstliche Haltung überhaupt er möglichte, sah der pqmmersche Riese ordentlich zärtlich auf seinen betrübten kle inen Leutnant herab. Dann neigte er unmerklich das Haupst und sagte treuherzig: „Könnten Ler Herr Leutnant niekt vielleicht ein bißchen leiser schimpfen?* — „Liebstem Futzke. Sie sind ein Schafskopf. Das ist ja gerade so, als' wenn Sie von einem Menschen verlangen, er soll das byV'e 0 singen und dabei die Luft anhalten. Leiser schimpfen! Säuseln — nicht währ?!* — „Dann wüßte ich nur noch einen Ausweg, Herr Leutnant.* „Na?" — „Daß der Herr Leutnant ruhig weiter schimpfen.* — „Futzke — Sie sind ein !!!* — „Zu Befehl! Aber wenn der Herr Leutnant mich machen lassen wollen, so dürfte der Herr Major nichts mehr einwenden können.* Es waren nur noch zwei Tage vor der Besichtigung. Auf dem Kasernenhof der kleinen Garnisonstadt herrschte von früh bis in den späten Nachmittag ein Äienentreiben. Es wurde „geschliffen*, daß die Sensen und Sicheln der umwohnenden Krautbauern von der bloßen Nähe sich schärften, und der Unermüdlichsten einer war der Leutnant von Rennkamp. Aber es ging ging; es wollte und wollte nicht klappen. Der Hinrichsen, dieser , hatte keine Ahnung, was der Soldat unter Abstand versteht; außer dem trat er sich alle Augenblick auf den „großen Onkel*, wobei er dann ein Gesicht machte, als wollte er Hurra schreien. Und das — — von Klempau übte mit der rechten Hinterflosse Parademarsch und mit der linken Felddienst! Es war zum in die Luft gehen! Major Kaßner aber war sehr zufrieden. Er hatte der Sache eine Weile zugesehen und war dann in die Kaserne gegangen, mit den ermunternden Worten: „Sehen Sie, Herr Leutnant, es geht auch so.* Nein, es geht nicht so! hatte es in dem Gepeinigten aufgeschrien, der sehr wohl bemerkt hatte, daß der Major mehr auf ihn als auf die Leute geachtet; und: „Es muß anders werden!* hauchte er in seinen Zug hinein, daß den Nächsten die Helme auf die Nase rutschten. Dann schluckte er ein paarmal heftig und erklärte mit fürchterlicher Ruhe: „Wer mir jetzt noch bummelt und seine Knochen nicht zusammenreißt, der fliegt ins Loch, so wahr ich Rennkamp heiße! Also Achtung!* Das war das Signal, daß die Gemütlichkeit nun wirklich aufhörte, und der Sergeant Futzke mußte handeln, wenn er Unheil verhüten wollte. Der Major hatte bereits eine Anzahl Mannschaftsstuben revidiert und der „Mutter" der dritten Kompagnie auch schon mit aller Liebenswürdigkeit verschiedene zärtliche Aufträge an den abwesenden Hauptmann zu Buch gegeben, als plötzlich vom Kasernenhof her ein Orkan der ungesuchtesten Schelt worte heraustönte. „Ochs", „Esel*, „Rindvieh* usw. jagten einander, daß der alte Kasernenbau in seinen Grundfesten erzitterte. Der ästhetische Major stand einen Augenblick starr. Dann strich er mit dem Ringfinger der Rechten den Schnurrbart zurecht und befahl: „Sehen Sie mal nach, Feldwebel, wer da so schilt und wer gescholten wird!" Nach kaum zwei Minuten kehrte der Feldwebel zurück. Es zuckte ganz eigen um seinen Mund und es klang auch etwas drucksend, als er meldete: „Zu Befehl, Herr Major — schimpfen tut der Herr Leutnant von Renn kamp, aber — — es sind auch wirklich Ochsen." — „Herrrrr!" brüllte der Major auf, „wie können Sie sich unterstehen! Trotz meines Verbots! Und mir ins Ge sicht —! Wir sprechen uns weiter!" Mit klingenden Sporen eilte der Empörte auf den Kasernenhof. Er hatte die drei Tage Stubenarrest für den obstinaten Leutnant sozusagen bereits im Munde, als er diesen staunend öffnete — Hinter dem Zuge des Leutnants von Rennkamp, dicht an dem Staketenzaun, der den Kasernenhof' von dem benachbarten Bauerngrundstück trennte, war eine Galerie verschiedenartigster Haustiere aufmarschiert, welche der Leutnant sämtlich bei Namen „anredete". — „Herrrr Leutnant von Rennkamp, was soll das heißen!!" — „Zu Befehl, Herr Major — ich werde von einigen Ochsen und Eseln in der Ausbildung meiner Mannschaft gestört, — und ich suche ihnen bas begreiflich zu machen." Major Kaßner wandte sich ab, und seine Achselstücke zuckten verräterisch. Gleich darauf drehte er sich um. „Ich habe auch daS Wort „Kamel* gehört. Darf ich fragen, wie sich das erklärt, Herr Leutnant? Sie schweigen —! Flügelmann, sagen Sie mir mal rund heraus, wer hier mit Kamel bezeichnet wurde!" — „Herr Major — dat dat hat de Bu'r eben wechhalt!*