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»Ist baS recht, Nebes KmdNZch Meine, wünscht Leine Mutter nicht, daß du bleibst?" „Mutter hat nichts davon gesagt. Sollte sie es be sonders wünschen, so werde ich mir die Sache über legen; aber — es wird mir schwer fallen. Sie wissen, wie ungeheuer verschieden Mutter und ich alles be trachten." „Nach meiner Ansicht ist dieser Grund unzureichend. Dein Platz ist bei deiner Mutter daheim, besonders weil sie nun allein ist. Ja, du weißt wohl, ich bin altmodisch, und sage alles, wie ich es meine." „Und dafür danke ich Ihnen von ganzem Herzen. Ich möchte so gerne mit Ihnen darüber und manches andere sprechen." In diesem Augenblick trat Sophus ein. Er kam von draußen herein und wußte nicht, daß Iris da war. Aber obschon sie halb abgewendet stand und zum Fenster binaussah, so bemerkte doch Frau Hilmar, daß eine Freudenröte ihr Gesicht überzog. Und als Iris sich gegen ihn umwandte, lag eine warme Glut in ihren Augen. Dies war, was Frau Hilmar zu sehen erwartet hatte. „Sie sind gut nach Hause gekommen, hoffe ich?" fragte Sophus. „Ausgezeichnet, und Sie?" — „Danke, gut." „Ah, ihr habt euch auf der Station getroffen?" fragte Frau Hilmar. „Ja, ganz unerwartet draußen im Wald!" antwortete Iris. „Im Wald? Ich meinte auf der Station", fragte die Frau mit lebhaft flatternden Haubenbändern. Wenn etwas Besonderes sie interessierte oder ärgerte, so zeigte sie stets eine eigentümliche Lebhaftigkeit. „Die Station liegt im Wald", antwortete Sophus schnell. — Es entstand eine kleine Pause. Dann wurde von der bevorstehenden Leichenfeier ge sprochen, die Iris bereits überstanden gewünscht hätte, von ihrem kürzeren oder längeren Daheimbleiben, ihrem Auf enthalt in der Schweiz usw. Sophus nahm lebhaften Anteil am Gespräch. Als Iris sich erhob, um zu gehen, fragte Frau Hilmar sie, ob sie wisse, daß ihr Sohn in den nächsten Tagen ein paar Meilen von der Hauptstadt entfernt in einer schönen, etwas stillen Gegend zum Pastor gewählt werden würde? Hätte die alte Frau den geringsten Zweifel an Iris Gefühlen gehegt — was nicht der Fall war — so würde der Zweifel bei dieser Gelegenheit verschwunden sein. So gewiß, als Sophus nichts mehr als gewöhnliches, fröhliches Interesse an Iris bemerkte, so gewiß sah Frau Hilmar, daß ihre Augen dunkler wurden und daß sie gleichsam nmerlich bebte. Als Iris bemerkte: „Ich verstehe, daß dies eine große Freude für Sie ist", da klang ihre Stimme ganz natür lich; aber fast gleichzeitig wandte sie sich schnell ab, um j den Rock mit ihrer behandschuhten Hand zusammen- - zuraffen. ! Weil es Heller Tag war, so konnte keine Rede davon s fein, sie zu begleiten. Aber kaum war sie zur Türe i hinaus, als Frau Hilmar au-srief: „Der arme Hermann! ' Was soll aus ihm werden; wenn er sie nur jetzt nicht trifft! l — Ich finde sie schöner und angenehmer als je! Nichl j wahr?" f Die Haubenbänder flatterten in wildem Flug, so hastig ! ging fie im Zimmer hin und her und machte mit den ! Lippen eine blasende Bewegung, als wenn sie ungeheuer ! erhitzt wäre. „Ja, sie ist sehr schön", war die lakonische Antwort ' des Sohnes. * Das Leichengeleite füllte die große Kirche. Alle Rangklassen waren vertreten. Da waren Börsenherren mit und ohne Orden und Titel, Offiziere mit vielen Orden, dreieckigen Hüten und wehenden Federn. Da waren Grafen und Barone mit alten und neuen Namen, eine Menge Spitzen des Landes, Leute ohne Unterschied durcheinander und zuletzt eine große Menge von trauergekleideten Damen, alte und junge, mit langen, schwarzen Schleiern und weißen Taschentüchern, die kamen und schwanden wie Schneeböen im Frühling. Als Ler Sarg langsam von Freunden fortgetragen wurde, sang ein Chor ein Lebewohl, aus dem eine klare, weiche Frauenstimme den Raum durchwogte und sich in das Ohr eines jeden Musikalischen unter dem Leichen geleite einschmeichelte. Und zahlreiche Köpfe wandten sich herum, um, wenn möglich, einen Schein der Sängerin zu entdecken. Unter dem Geleite befanden sich Hermann und Sophus; der letztere im Ornat, der ihm vortrefflich stand. Viele Damenaugen waren auf seine schöne Gestalt gerichtet. Noch hatte Hermann Iris nicht gesehen. Am Aus gang der Kirche war sie nicht; am Grabe konnte er sie nicht erblicken. Die Damen entfernten sich gruppenweise und er hatte die verschiedenen Gruppen nicht scharf genug beobachtet. Überdies war er so nervös, daß es kein Wunder war, wenn er nur die Hälfte von dem sah und hörte, was um ihn her vorging. Sophus sah ihn forteilen, ehe die Handlung voll ständig abgeschlossen war; es war unmöglich, ihn zu er reichen, so schnell eilte er weiter. Ehe das Trauergefolge auseinanderging, zog Sophus sich zurück, und um nicht in den Schwarm zu geraten, betrat er einige abseits liegende außerordentlich schöne, dunkle Gänge mit lebenden Hecken von Tannen, die auf beiden Seiten hohe Spaliere bildeten. Hier war es wunderbar. Man hatte nicht das geringste Gefühl davon, auf einem Kirchhof zu sein. Ein paar Nachtigallen sangen dicht neben ihm in dem Hellen Tageslicht. — Hier war es so still. (Fortsetzung folgt.) f>eimkekr. Novellette von Paul Hermann. (Nachdruck verboten.» Die laue Luft einer linden Juninacht erzitterte in einem leichten Windstoß, dem Vorboten des kommenden Morgens. Die Sterne verblaßten mählich an dem stahl blauen Himmel, der metallisch grüne Töne annahm. Die Bäume des Waldes, die sich eben einen leisen Morgengruß gesäuselt hatten, schwiegen wieder, und nur die Quelle, die aus moosigem Grund hervorsprudelte und über Felsgestein hüpfend, talabwärts floß, murmelte ein geheimnisvolles Lied, und ab und zu zirpte ein traum selig Vöglein. Der Schritt des einsamen Wanderers, der gerade den Bergrücken erklommen hatte, gab auf dem elastischen Wald boden keinen Widerhall, hier und da krachte unter seinem Fuß ein trockner Ast, der von den Tannen oder Buchen herabgeweht war. Er war schon stundenlang durch bie Nacht über die Berge gestiegen. Ein Eisenbahnzug führte noch nicht in das stille Thüringer Dorf, dem Ziel seiner Wanderung, und da er von der letzten Bahnstation aus keinen Anschluß hatte, zog er es vor, den weiten Weg über die Berge unter hochragenden Bäumen zu Fuß zu machen. Der Heimat zu! — Gerade war er bis zu dem Punkt gekommen, wo der enge Pfad wieder ins enge Tal Hinabführte, als der erste Sonnenstrahl über die höhere, sich nach Osten hin ziehende Bergkette herüberblitzte. Wie der das morgend liche Bild durchwärmte! In Glanz gebadet die Welt ringsum, so schön, so schön. — Und auf den Bäumen er wachten die Vögel und sangen und zwitscherten, wie sie es gerade konnten. Vor ihm breitete sich am Waldrand und der anstoßenden Wiese ein Blumenteppich aus. Die Blüten hoben gerade ihre vom Nachttau beschwerten Häupter dem jungen Sonnenlicht entgegen und entsendeten würzigen Duft. Der Wanderer achtete der spitzigen Dornen nicht und brach einen großen, blühenden Zweig, dem er einige junge Triebe rötlichen Eichenlaubes hinzufügte. Er mußte ein Stück der Heiniat in der Hand haben, die er so lange ent behrt hatte. Aus freiem Willen allerdings, und das Gefühl der Entbehrung war noch frisch, nur eine un bestimmte Sehnsucht hatte immer in ihm gelebt. Als das Unbestimmte festere Gestalt annahm, folgte er einfach, jedes Hemmnis beiseite räumend, seinem Sehnen, , ------ Er sah auf die Uhr, der Zeiger zeigte auf die ! Vierte Morgenstunde, ungefähr dreißig Minuten hatte er s noch zu gehen; halb fünf, da würde noch niemand auf- 1 gestanden sein im Dörfchen, denn es war Sonntag. Eben machte der enge Pfad, der sich, sanft abfallend, um den 1 Bergkegel herumschlängelte, eine Biegung. Hier stand , unter einem knorrigen Apfelbaum eine rohgezimmerte I Bank, die gar nicht fo leicht zu finden war, denn dichtes - Gesträuch von wilden Haseln und Schlehen faßte fie rechts ! und links ein. Eine glückliche Hand mußte sie angelegt 1 haben, denn man genoß von ihr aus den reizvollsten j Rundblick auf das an Naturichönheiten so reiche Land. , Der Wanderer kannte die alte Bank gut, sie gehörte auch zu dem Raum seiner Kinderspiele. Er schritt auf sie zu und suchte eine Weile. Richtig, da fanden sich noch die - auf unebener Rückenlehne eingegrabenen Initialen seines ' Namens ll>. 8., Leonhard Seebach, und dicht daneben noch einmal D. 8., das hieß aber nicht Leonhard Seebach, sondern Susanne Luzius; sie war die muntere Gespielin, die alle Kinderstreiche geteilt hatte, obgleich sie fünf Jahre ! jünger war. ' Er setzte sich einen Augenblick, ins Dorf kam er ja < immer noch frühzeitig genug. Und als sein Blick nach unten schweifte, da flog über seine männlichen, etwas - blaffen Züge ein froher, lichter Schein, und in seine Augen - stieg ein feuchter Glanz, er hatte den alten Kirchturm er- i blickt, der über die Obstbäume, Tannen und Linden hinweg ragte. ! Es war ein häßlicher, alter Turm, eigentlich nur ein Notbehelf, aber als solcher hatte er schon so lange be- standen, daß er das Beiwort „alt" wohl verdiente. Ehedem war die im Stile herber Gotik von irgendeinem thüringischen Grafen erbaute Kirche mit einem ent sprechenden Turm geschmückt gewesen; als dieser aber vor mehr als hundertfünfzig Jahren infolge eines Natur ereignisses vernichtet wurde, hatten die durch Krieg und teure Zeiten nieift verarmten Bauern kein Geld, ihn in gleicher Weise zu erneuern. Eine alte Linde, die selbst den Fall des gotischen Turms überdauert batte, stand hart am Eingang zur Kirche. In ihren hochragenden Asten und Zweigen nisteten Sommervögel, und in den Flieder- und Holunder büschen an der Friedhofsmauer jauchzten und klagten Nachtigallen. Da war es schon berechtigt, wenn die Bauern in den schönen Frühlingstagen meinten, ihr Fried hof sei eigentlich ein lustiger Ort, weil dort alleweil, musiziert würde. Dieser friedvolle Raum voll heimlicher, traulicher Poesie gehörte der Erinnerung Leonhards, hier war er,, der einzige Sohn des Pfarrhauses, aufgewachsen, das war einst seine Welt. Es hielt ihn nicht mehr da oben; be- ! flügelten Schritts eilte er den Pfad hinunter, um wieder i den Fuß auf den Boden zu setzen, den er einst, Trotz und j Herbheit im Herzen, verlassen hatte. i Das Dörfchen lag noch in sonntäglicher Morgenruhe, j aus den Ställen tönte ab und zu das dumpfe, behagliche i Brummen der Kühe, die gewiß eben das erste Futter von i den Mägden vorgeschüttet bekamen, die Hühner scharrten i ga,ernd im Sande, und die Hofhunde stürzten beim i Erblicken des Fremden mit wütendem Gebell hervor, be ruhigten sich aber auf ein paar beschwichtigende Zurufe. I Da war alles noch jo, wie er es einst verlassen hatte. * nur er selbst — er war ein anderer geworden. . / Im Pfarrhause schließ noch alles, er wollte, so früh nicht stören. Es — die Sehnsucht — war ja so plötzlich ; über ihn gekommen, daß er niemanden von seiner Heim kehr unterrichtet hatte; der Mutter konnte das überraschende / Wiedersehen vielleicht schaden, und wie ihn der Vater nach den langen Jahren aufnehmen würde, das wußte er nicht. Er ging über die Dorfstrafe dem Friedhöfe zu, der dem s Pfarrhause gegenüber lag. Die Pforte, die oben an dem > Rundbogen den frommen Spruch trug: „Kommt her zu ' mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euck erquicken", stand offen. — Eine weiche, wehmutsvolle Stimmung überkam ihn, auch hier alles wie einst, um> das hatte er so lange entbehren können! Er wanderte durch die schmalen Stege zwischen d Gräbern und las die Namen auf den schlichten Stell. - platten und einfachen Holzkreuzen. Er kannte sie noch alle, - denn an ihnen batte er seine ersten Leseversuche gemacht^ Neue Namm waren nur fünf oder sechs tu den Jahren seiner Abwesenheit dazugekommen, und ihre Träger waren meist ganz alte Leute. Die Leute lebten lange hier. Die reine klare Luft, die lind von den Bergen herüberwehte, die machte basier sog sie mit vollen Zügen ein. Dann stand er vor der Linde, die gerade mit zier lichen, süßduftenden Blüten überdeckt war. Er schaute zu ihrem lichten, grünen Blätterdach hinauf, und da über kam es ihn plötzlich wie Jugendlust und Jugendmut. Er steckte den Hagedornzweig an seinen Hut, hing den Ruck sack über ein Grabgitter und begann dann den Stamm zu erklettern. Ganz so leicht wie früher ging das wohl nicht, die Glieder waren der Übung ungewohnt, aber er erreichte seinen Königsthron von einst, einen von der Natur zum Sitz wie geschaffenen gabelförmigen Ast, der auch den Mann tragen konnte. Nun war er wieder jung, wieder ein Knabe. — Durch der Blätter Gewirr blaute der Himmel hin durch, und den Durchblick konnte man ungefähr für ein großes lateinisches 8 kalten. Das hatte er als Kind schon entdeckt und er freute sich, daß die Natur nichts daran ge ändert hatte. Die Schwalben, die in dein alten Turm ihre Nester hatten, schossen durch die von glanzvollem Licht erfüllte Luft und zwitscherten. Was wußten sie? — Was zwitscherten sie dem Heimgekehrten? Sie kannten ihn wohl; ihr freier Flug und freier Sang waren es ja gewesen, die in die Seele des Jünglings das Sehnen gelegt hatten, aus der Enge heraus in dis Welt zu streben. Die Känipfe, die ihm als Folge des Sehnens ent standen, lagen weit hinter ibm und waren verklungen unter dem lauten Getön der Welt. Aber heute unter der grünen Linde, die so ost der Zufluchtsort des trauernden Jünglings gewesen war, wurden sie ihm wieder lebendig. Der Vater hatte es gewiß gut mi^ seinem einzigen Kinde gemeint, als er es zu einem Studium zwingen wollte, das sein «genes geistiges und materielles Glück ausmachte; aber die Seele des Sohnes war für ihn eines Fremden Seele, in der er nicht zu lesen verstand. Besser verstand das wohl die Mutter, eine schwache, zarte Frau, die sich in ihrer Ehe nie gegen den strengen Willen ihres Gatten aufgelehnt hatte. Ihre fortgnetz.e, sanfte Vermittelung nützte auch nur vorübergehend. — Bernhard wäre noch eher den Weg gegangen, den ihm sein Vater oorzeichnen wollte, wenn ihm die Natur nicht ein Geschenk mit in die Wiege gelegt hätte, eine wunder bare, voll und süß tönende Stimme und ein außerordent lich feines Gehör. Er konnte schon als kleiner Junge mit täuschender Treue eine Vogelstimme nachahmen, und die Melodie, die er einmal gehört hatte, vergaß er nicht wieder. Anfangs batte sich der Pfarrer über die schöne Begabung seines Sohnes gefreut und sie nach Kräften gefördert, aber als eines Tages Leonhard vor ihn trat und seinen festen Entschluß aussprach, eiu Künstler, ein Sänger werden zu wollen, da verstummte die Freude. Alles, was mit der Kunst zusammenbing, war dem Pfarrer namenlos un sympathisch, sobald es nicht der Kirche und dem Glauben diente. — Hätte er es richtig angefangen, so würde er >as im Grunde lenksame Herz seines Kindes für sich gewonnen haben, aber sein Schelten und seine Strenge nachten in ihm die kindlichen Gefühle zu Nichte und ichürten den Trotz, der ihn letzt gerade seinen eigenen Weg gehen ließ. Die Verwandten der Mutter, die ihn zuerst auf den Gedanken gebracht hatten, seine herrliche Stimme in den Dienst der Kunst zu stellen, sorgten für ihn, und diese Fürsorge belohnte sich reichlich. Leonhard wurde ein echter, großer Künstler — er hatte einmal das Zeug dazu in sich, — dessen Name als Konzertsänger über die Grenzen seines Vaterlandes genannt wurde. Der Vater hatte sich damals von ihm losgesagt, für >hn sollte der Sohn, der nach seiner Ansicht den Weg der Freude, statt den der Pflicht beschritt, so gut wie tot lein. . . (Schluß solgt.)