Volltext Seite (XML)
rnstitut, daS zur Wiege der bei unS noch wenig gepflegten dramatischen Kleinkunst werden soll, wo Lyriker und Komponisten sich in eigener Person mit ihren Werken dem Publikum oorstellen werden, könnte dem Variete leicht eine wirksame und erfreuliche Konkurrenz machen, indem es diese ost seichte und geschmacklose Kunstgattung ver edelt und vertieft. Es ist daher begreiflich, daß man der Premiere des „Lyrischen Theaters* — so nennt Herr von Gandersheim sein neues Institut — mit Spannung entgegensieht . . .* > „Hältst du was davon?* fragte Frau Frieda. Er zuckte die Achseln, „das kommt drauf an! . i i In einer Stadt wie Bertin stnd die Leute für neue Sachen immer empfänglich ... 'ne andere Frage ist es, ob sich solche Idee durchführen läßt . . .* „Du meinst wegen der Schauspieler?* sagte sie und mutzte lachen, da sie auf seinem Gesicht ein Lächeln be merkte. Sie kam an seinen Stuhl heran und fatzte ihn um. „Warum willst du es blotz nicht erlauben, Robert?... Das wäre doch eine so wundervolle Gelegenheit, mein Können zu verwerten . . .* Sie zog einen Brief aus ihrer Kleidertasche, „hier sieh mal. . . wieder ein Brief von Agenten ... Ich zeige dir die Briefe schon gar nicht mehr . . .*; Und während er fast mechanisch den Brief des Agenten las, plauderte sie weiter und suchte ihm die Er laubnis abzuschmeicheln, wieder zum Theater zu gehen. Es wäre doch so ein schöner Verdienst, und sie könnten das Geld doch so sehr gut gebrauchen ... Ob er ihr etwa nicht traute? .... Sie sei doch früher auch Soubrette gewesen, und eS sei ihr niemand zu nahe ge treten . . . Er unterbrach sie mit einer energischen Handbewegung, er dächte gar nicht daran, sie von sich fortzulassen! . . . Und noch dazu nach der Provinz! . . . Plötzlich fiel ihm alles wieder ein. Und sein hübsches, männliches Gesicht, das so sehr der Spiegel seiner innersten Gedanken war, konnte vor der Frau, welche ihn liebte, diesen plötzlichen Austausch der Empfindungen nicht verbergen. „Was ist dir, Robert?* sagte sie nochmals, ihn umschlingend. Und da er schwieg und traurig vor sich hinsah, küßte sie ihm die Augen und sagte eindringlich: „Ich will es wissen... Ich habe auch ein Anrecht darauf, Hatz du mir nichts verheimlichst.* Da sagte er es ihr. Erst war sie sehr erschrocken. Wie sie aber merkte, datz das seinen Kummer noch ver mehrte, faßte sie sich schnell und meinte halb lachend: „Und darum regst du dich so auf?! . . . Bei deinem Talente! — Die Leute schneiden sich in ihr eigenes Fleisch, wenn sie dich gehen lassen! Du bekommst jeden Tag wieder 'ne neue Stellung, aber ob die wieder solchen Redakteur bekommen, das fragt sich noch sehr!* Daß sie selbst in diesem Augenblick mehr als je daran dachte, ihre Theaterlaufbahn wieder aufzunehmen, das verschwieg sie ihm weislich. Aber er selbst dachte in d eseni Augenblick auch daran und empfand, datz er jetzt nicht mehr das Recht hätte, ihr diesen Herzenswunsch zu verjagen. Der Ruf der Kunst. Für Frieda Brandt begann jetzt eine schlimme Zeit. Sticht allein, datz sie, die aus den geordnetsten bürger lichen Verhältnissen kervorgegangen war, es schwer empfand, wenn sie Leute, die von ihr etwas zu bekommen hatten, wieder und wieder abweisen mutzte, sie sorgte sich vor allen Dingen um ihren Mann, zu dessen stillem, nach denklichem und setzhaftem Wesen der Reporterberuf, den er jetzt notgedrungen hatte ergreifen müssen, absolut nicht passen wollte. Früher war sie nicht aus dem Lachen hsraus- gekommen, wenn er, aus feiner Redaktion heimkshrenb, ihr, in seiner stillen Weise Menschen und Dinge geistreich persistierend, von den Ereignissen des Tages erzählte. Jetzt war er wie ausgewechselt, immer ernst, das kleine Ungemach, an dem das Leben des Unbemittelten so reich ist, über Gebühr tragisch nehmend. Dabei verfiel er zu sehends. — — — Mit der munteren Liebenswürdigkeit und Bonhomie verschwand auch die frische Farbe seines Gesichts und der Glanz seiner dunklen, interessanten Augen, er nahm ab und schien in wenigen Wochen um ebenso viel Jahre gealtert. Frieda selbst wurde dagegen mit jedem Tage blühender. Und es schien, als habe die Geburt nur dazu beigetragen, ihre Reize zu erhöhen. Ohne eitel zu sein, bemerkte sie dies recht wohl selber, als sie, beim Toilettemachen, jetzt eben vor dem Spiegel ihr glänzend blondes Haar kämmte, dieses Haar, das in einer breiten Welle über ihre runden, wunderbar weitzen Schultern flotz und bis zu den Hüften hinabreichte, und wie sie jetzt mit ihren Augen, die in der Tat die Farbe der Vergißmeinnicht besaßen, träumerisch vor sich hinblickte, da war die Scheu ihres Gatten, sie wieder zum Theater gehen zu lasten, wohl verständlich. Und doch war es gerade dieser Gedanke, mit dem sie sich momentan beschäftigte. Sie hatte Theaterblut in sich, und der Glanz und der rauschende Erfolg des Bühnen lebens waren ihr nicht gleichgültig. Aber als sie sich ver heiratet, hatte sie all diesen äußeren Schimmer mit vollem Bewußtsein für das tiefinnerliche Glück ihrer Liebe hin gegeben. Erst die langsam ins Haus tretende Not und das offenbare Leiden des geliebten Mannes bestärkten sie in der Idee, den ihr allezeit treuen Erfolg auf den Brettern wieder zu suchen. Es kam nur darauf an, in Berlin selbst ein Engage ment zu finden; daß sie in die Provinz gehe, das würde ihr Robert ja doch unter keinen Bedingungen zugegeben haben. So machte sie denn mit großer Sorgfalt Toilette, zog ein blaues, mit Biberpelz besetztes Kostüm an — das beste Kleid, das sie noch besaß — und machte sich, nachdem sie dem Dienstmädchen immer wieder die Sorge für ihr Kind ans Herz gelegt hatte, auf den Weg zu einem Theateragenten, durch dessen Vermittlung sie früher mehrfach Engagements bekommen hatte. Wie merkwürdig! Schon als sie die breite Treppe, die zu dem Bureau des Agenten führte, Hinaufstieg, wurde etwas wieder in ihr lebendig, das lange geschlummert hatte. Wie eine Art Rausch kam es über sie. Als kehrte sie in ihre Heimat zurück. Und jene wilde Lust, die den Bühnenmenschen nicht loslätzt, die ihn immer wieder hin zieht in das trügerische Reich der Bretter und Lampen, die ihn alle Enttäuschungen und Bitternisse des bunten Scheins vergessen läßt, überkam auch sie jetzt plötzlich wieder so stark, daß sie sich zusammennehmen mutzte, um nicht allzu schnell hinaufzueilen und ihre Würde und ihren Gleichmut zu bewahren. Trotzdem war sie ein bißchen echauffiert, als sie in das große Gemach trat, in dem noch dieselben beiden Schreiber saßen, die sie vor Jahren hier gesehen hatte. Es wartete schon eine ganze Anzahl von Personen auf den Agenten, der nebenan in seinem Privatkontor mit jemand konferierte. In diesem Augenblick öffnete sich die Tür des Privatkontors und der Agent geleitete einen großen, schlanken Herrn hinaus: „Ich hoffe sicher, lieber Herr Baron", sagte der kleine, etwas zum Embonpoint neigende Herr mit der goldenen Brille und dem schon ergrauenden Haar, indem er die Hand seines Gastes noch in der seinen hielt, „ich hoffe sicher, daß ich Ihren Wunsch erfüllen kann ... ob gleich . . . Aber mein Gott! ... Da haben wir ja, was wir brauchen! . . ." Und seinen Gast loslassend, eilte er auf Frau Frieda zu und hätte sie fast in seine Arme geschlossen. Frieda Brandt, einesteils sehr erfreut über dieses buchstäbliche Entgegenkommen, war doch auch wieder ein wenig perplex, wie sie anfing: „Ich komme, lieber Herr Krautner, um Sie zu bitten . . ." Er ließ sie gar nicht zu Worte kommen. „Sie suchen doch Engagement, nicht wahr, liebste Hindersin?" „So heiße ich nicht mehr, Herr Krautner", lächelte sie, „ich bin verheiratet und heiße jetzt Brandt!" ,Verheiratet?" staunte er. „Solche Geschichten machen Sie? . . . Kommen Sie doch, bitte, mit herein! . . . Und Sie auch, lieber Herr Baron!" Er faßte den schönen vollen Arm der jungen Frau und zog sie stürmisch wie ein Jüngling in sein Arbeits kabinett. Der Baron folgte ihnen lächelnd, während die draußen auf den Agenten wartenden mrt neidischen Blicken nachschauten. _ . - - In dem kleinen, etwas altväterlich ausgestatteten Raume, von dessen Wänden ganze Generationen von Schauspielern in Photographie und Lichtdruckbildern herabsahen, stellte der Agent vor: „Frau Frieda . . .?" Er hatte ihren Namen wieder vergessen. „Brandt", nickte sie ihm zu. „Frau Frieda Brandt — Herr Baron von Ganders heim, Direktor vom „Lyrischen Theater". Sie haben gewiß schon davon gehört, liebste Brandt" — er nannte seine Klienten vom Theater immer einfach beim Namen — „das ist die neue Bühne, das Überbrettl, von dem jetzt alle Welt spricht . . . Der Herr Baron sucht eine wirklich schicke, schöne und junge Sängerin. Es ist das ja aller dings ein Fach, das sich mit dem der Soubrette nicht vollkommen deckt, weil da keine durchgehenden Rollen sind ... Es sind mehr einzelne Vorträge, Lieder, Chansons» aber ich bin fest überzeugt, liebe Brandt, daß wir niemand finden werden, der sich besser dafür eignet... Was meinen Sie, Herr Baron?" Herr von Gandersheim, dessen Augen durch die scharf geschliffenen Kneifergläser längst mit Wohlgefallen auf die junge Frau gerichtet waren, nickte beifällig. (Fortsetzung folgt.) ersten Humoreske von E. L. von Zagory. (Nachdruck verboten.) „Wer niemals einen Rausch gehabt, der ist kein braver Mann", heißt unser altes, deutsches Lied; dann müssen meine Jungens aber einmal Muster von braven Männern werden, denn einen Rausch haben sie, wie ich ihn nie, nicht einmal als junger Leutnant nach dem ersten Liebes mahl hatte. Jetzt schlafen dis Schlingels, aber wenn sie aufwachen, soll ihnen mein Rohrstock einmal etwas vor tanzen. Solche Rangen, und meine Frau haben sie mir durch diesen Streich ganz elend gemacht", sagte der Haupt mann Günther halb lachend, halb ärgerlich, und die Herren im Offizierskasino zu Mordorf rückten näher an den Hauptmann heran. Günthers Jungen, wegen ihrer tollen Streiche Max und Moritz genannt, versorgten das Kasino täglich mit Humor, zu dem nur der ernste Vater oft grollend den Kopf schüttelte. „Na, Günther, erzähl doch mal, was haben die Racker denn wieder ausgefressen", erkundigte sich Hauptmann Meßner, Günthers bester Freund. „Meinen Rheinwein haben sie versucht, und einen Spitz haben sie sich zugelegt", erwiderte der Hauptmann lachend. „Erzählen, bitte Herr Hauptmann", tönte es lachend durcheinander, und die Herren rückten erwartungsvoll noch näher. „Wie Sie ja wissen, meine Herren, habe ich lange am Rhein in Garnison gestanden, ehe ich hierher versetzt worden bin", begann Hauptmann Günther. „Den Rhein selbst und seine Bewohner habe ich hier ja bald ver schmerzen gelernt. Was ich aber absolut nicht verschmerzen kann, das ist der Wein vom Rhein. Deshalb lasse ich mir immer direkt von Rauental ein Faß Wein schicken. Jetzt hatte ich wieder ein Fäßchen im Keller liegen und machte mich heute morgen daran, es abzufüllen. Meine beiden Schlingels wimmelten da bei mir herum und verfolgten mit andachtsvollen Augen meine Arbeit. Mitten in der Arbeit werde ich dienstlich abgerufen und ich lasse die Sache stehen und liegen, wie eben alles steht und liegt. Nach zwei Stunden komme ich wieder und finde meine Frau blaß und weinend, die Jungens aber wie ein paar Leichen im Bett liegen, und daneben unsern alten, guten Oberstabsarzt Krause mit einem wahren Kassandragesicht. „Was ist denn los?" rufe ich erschrocken. — „Sie find ver giftet, meine Goldjungen", ruft meine Frau verzweifelt und fliegt mir schluchzend an den Hals. Nun, ich sage Ihnen, ich bin nicht schlecht erschrocken; es sind ja Satans rangen, aber es find doch eben meine Jungen. „Mein Gott", rufe ich entsetzt aus. Da kommt der gute Krause zu mir, drückt mir teilnahmsvoll die Hand und erzählt mir, meine Frau hätte die Jungens besinnungslos auf dem Hausflur gefunden. Es wäre noch ein Wunder, daß sie nicht in den Keller gestürzt wären, denn die Kellertür hätte weit offen gestanden. Meine Frau Hütte die Jungens sofort in die Betten gebracht und nach ihm geschickt. — Er hätte erst wie vor einem Rätsel gestanden, nun aber müßte er seine Diagnose auf Vergiftung stellen." „Aber wo sollen denn die Jungens Gift herbekommen haben", unterbrach ich ihn. „Ich hab' ja im Keller Rattengift gelegt, und die Jungens haben gewiß das Gift für Zucker gehalten und davon genascht", sagte meine Frau weinend. „Richtig, sie waren ja unten bei mir, und ich glaube, ich ließ sie im Keller, als ich gerufen wurde", rief ich er schrocken. „Ja, so wird es wohl zusammenhängen*, bemerkte der Oberstabsarzt. „Und, und" — ich wollte fragen „und können Sie noch helfen", aber wirklich meine Herren, ich brachte keinen Ton heraus. Meine Frau weinte und zitterte, dazwischen rief sie immer wieder: „Lieber Herr Ober stabsarzt, retten Sie mir nur meine Herzensjungen." Na, meine Herren, ich hätte es beinah auch gerufen, denn in der Angst, die Jungens zu verlieren, merkte ich erst, wie sehr ich an ihnen hing. Plötzlich schlug mein Ältester die Augen auf. Der Oberstabsarzt flößte ihm Milch ein, und es gab eine furchtbare Explosion. „Das ist gut, so bekommen wir das Gift heraus", erklärte uns der Doktor, und wollte Georg wieder Milch einflößen, der aber sträubte sich wie rasend dagegen und schrie nach seiner Mama. Meine Frau stürzte an sein Bett und liebkoste ihn. Da schluchzte er plötzlich auf. „Mama, Georg will keine Milch mehr, — Georg will Wein, viel Wein." „Herr Oberstabsarzt, um Himmels willen, der Junge redet ja schon irre", rief meine Frau weinend. Mir kam aber plötzlich ein Gedanke, ich beugte mich über meinen Sprößling, und was ich da roch, klärte mich auf. „Die verdammten Bengels haben von meinem Wein getrunken und sind einfach besoffen", rief ich halb ärgerlich, halb er leichtert. „Erich", fragte meine Frau vorwurfsvoll, „wie kannst du über so etwas scherzen, während mein Herz fast bricht." Dem Oberstabsarzt ging bei meinen Worten denn auch ein Licht auf. Er frug Georg sehr freundlich: „Hast du denn Wein aus Papas Faß getrunken, Georg?" „Nein, aus der Flasche, und Fritz auch, es schmeckte zu fein", beichtete mein Ältester stöhnend. „Verdammter Bengel", platzte ich los, und ich hätte die beiden Schlingels am liebsten verprügelt, so elend wie sie aussahen. „Diese schrecklichen Jungens, nichts wie Sorgen hat man mit ihnen", rief meine Frau empört über ihre Gold jungen. Der Oberstabsarzt aber lachte, wie ich ihn noch nie habe lachen sehen. „Gott sei Dank, daß es nur ein regelrechter Rausch ist", tröstete er uns lachend. „Ja, ja, was ein Häkchen werden will, krümmt sich beizeiten. Die Jungens haben entschieden die Vorliebe ihres Vaters für den Rheinwein geerbt." Und daun ging er lachend davon. Wir aber, in unsern Elternsorgen, sahen uns erst stumm an, und dann lachten wir so, daß die BengelS davon aufwachten. Ich wollte ihnen eine Rede halten, daß der Suff ein Laster wäre und einen handfesten Denkzettel geben, aber meine Frau ist so glücklich, daß sie ihre schrecklichen Gold jungen wieder hat, daß sie mich himmelhoch um Gnade für die Schlingels bat. Mögen sie meinetwegen ihren Rausch jetzt ausschlafen — aber dann — eine ganze Flasche Wein haben mir die Racker ausgetrunken." Ein schallendes Gelächter brauste durch den Saal und Hauptmann Meßner rief lachend: „Laß sie diesmal laufen, Günther, es ist ja das erste Mal, und sie haben an ihrem Kater genug zu leiden." „Na, meinetwegen, weil es das erste Mal ist", er widerte der Hauptmann lachend, „aber meinen Wein werde ich künftig unter Verschluß halten. Denn wer mit fünf oder vier Jahren schon den ersten Kater hat, Ler kann es wett brmgen."