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Frau Frieda verbat sich sofort freundlich, aber mit Energie jede Einmischung. Aber sie sah ein, daß, wenn sie ihr Ansehen bei diesem Theater nicht für alle Fälle einbüßen wollte, sie gezwungen war, sich jetzt sofort mit ihrer Widersacherin auseinanderzusetzen. Sie sah die Koresku mit Ernst an und sagte: „Ich habe nichts getan, was Sie mir zum Vorwurf machen könnten. Und im übrigen steht mein Benehmen über Ihrer Kritik. Wenn Sie sich noch einmal in derartigen Redensarten ergehen, werde ich mich beim Herrn Baron beschweren." Die Koresku lachte wie eine Wahnsinnige: „Ha, ha, ha! . . . Beschweren will sie sich! . . . Beschweren! . . . Bei ihrem Liebsten natürlich! . . . Das wird ja hier eine nette Wirtschaft! . . . Pfui Sie . . .!" Ein Wort war gefallen, so häßlich, daß Frieda Brandt das Blut in die Wangen und die Tränen in die Augen schossen. „Nehmen Sie das zurück!" rief sie, „nehmen Sie das zurück, sag' ich!" „Fällt mir gar nicht ein", höhnte die andere. Wer in der sanften Seele Frieda Brandts erwachte nun auch das wilde Feuer. Sie ging dicht an die große Blonde heran, und mit den Worten: „Sie werden mich deswegen um Verzeihung bitten, sage ich Ihnen!" ergriff sie deren Arm. Und da, hatte die Koresku sie nur zurückgestoßen oder war wirklich ein Schlag gefallen; Frieda Brandt fuhr mit einem Aufschrei zurück und sank auf einen unweit davon stehenden Korbsessel, das Gesicht mit den Händen bedeckend. Alles drängte sich um die Schluchzende. Aus der Herrengarderobe waren die Kollegen, von dem Lärm an gelockt, herbeigeeilt und suchten den Hergang des Streites zu erfahren. Aber die Koresku wies sie barsch zurück und von den andern war auch nichts herauszubringen. Indem schrillte der Ton der elektrischen Klingel. „Sie sind dran, gnädige Frau!" rief Kapellmeister Stern, der-eben eintrat, Frau Hindersin zu. „Ich kann nicht auftreten", klagte Frau Frieda weinend. „Sie müssen, Sie müssen", riefen alle. „Aber ich bin es nicht imstande", meinte sie. Indem sie das sagte, erschien vor ihrem Geiste das Bild der Kollegin, der gewiß nichts Lieberes geschehen konnte, als wenn sie selbst durch ihre Weigerung, jetzt auf zutreten, sich um ihre Stellung brachte. Und unwillkürlich den Kopf erhebend, sah sie in der Tat um die Lippen der Koresku ein so höhnisch-böses Lächeln spielen, daß ihre Vermurung zur Gewißheit wurde. Mit einem Ruck stand sie auf den Füßen, und von beiden Garderobenfrauen bedient, war sie, die ja ohnehin noch im Kostüm und in voller Frisur war, eine Minute später von allen äußeren Spuren dieses peinlichen Vor kommnisses befreit. Ihr Herz schlug noch heftig, und ihre Lippen waren trocken wie von langem Dürsten. Wer trotzdem sah sie blendend schön aus, und das Publikum empfing sie mit begeisrertem Händeklatschen. ' /. ^rn stilles Gemüt. Sobald der Baron Frieda Brandt auf die Bühne geleitet und ihre Vorträge angekündigt hatte, ging er zurück hinter die Kulissen, wo im Schatten eines Versatzstückes eine junge Dame stand, die ihn dort augenscheinlich er wartete. „Und sie haben sich wirklich geschlagen?" fragte der Baron. „Das will ich nicht behaupten", erwiderte das junge Mädchen, „aber jedenfalls hat es eine sehr erregte Szene gegeben, und sowas kann doch nicht gerade förderlich für das Theater sein!" Das Mädchen war etwas vorgetreten, so daß der Schein einer elektrischen Birne auf ihre kleine, ziemlich unscheinbare Figur fiel, die allerdings durch eine sehr gut gewählte Toilette einen Anstrich von Vornehmheit bekam. Das Gesicht, dessen graublasse, fast wimpernlose Augen sich fest auf die Züge des Barons richteten, der verloren über sie hinwegsah, hatte etwas ungeheuer Alltägliches. Aber es lag in diesen Mienen auch eine nicht gewöhnliche Energie, ein Festhalten an der einmal aufgenommenen Idee das ganze Leben hindurch. Und wenn man den Mann, der vor ihr stand, mit ihr verglich, dann war dieser Zug ihres Angesichts im Gegensatz zu dem seinen erst recht deutlich. Denn der Baron hatte alles andere, Bonhomie, Schelmerei, Leichtsinn, etwas Frivolität und doch auch wieder einen gewissen träumerischen Ernst in seinen Zügen. Was ihm vollständig fehlte, war nur Entschlossenheit und nachhaltige Tatkraft. Er war eben ein Dichter, einer von jenen Menschen, die einen so unerschöpflichen Schatz in ihrem Innern bergen, daß es ihnen nicht nötig deucht, die Stunde zu nützen und ihre Pläne ängstlich festzuhalten. „Na, meinen Sie denn, daß ich etwas dazu tun soll?" fragte er. „Ich glaube nicht . . . Vielleicht würden Sie gerade dadurch noch Ol ins Feuer gießen. Warten Sie lieber, bis eine von den Damen Sie darum angeht." Der Baron nickte eifrig. Dieser Rat war ihm außer ordentlich sympathisch, schon deswegen, weil er keine Initiative seinerseits verlangte. „Ja, ja", nickte er, „Sie haben ganz recht wie immer!" setzte er scherzend hinzu. Aber im Grunde genommen war es sein voller Ernst. Dieses kleine Mädchen mit den blassen Augen und dem graublonden Haar, das seit Jahren seine Sekretärin war, hatte den Baron vollständig in der Tasche. Dabei drängte sie ihm ihren Rat niemals auf, sondern wartete ruhig, bis er zu ihr kam und sie fragte. Und er kam immer. Die Schauspieler, dieses leichte, immer ein wenig auf Intrigen und Klatsch gestimmte Völkchen, hatten das bald heraus und gingen, wenn sie etwas von Herrn von Ganders heim wollten, immer zu Fräulein Emilie Lechner. Sie war stets außerordentlich liebenswürdig und ver sicherte lachend, daß der Baron auf sie gar nicht höre. Trotzdem wolle sie gern gefällig sein und es ihm sagen, nur könne sie sich für den Erfolg in keiner Weise ver bürgen. So brachte sie es fertig, sich jedermann zu ver pflichten, ohne viel dafür zu tun; denn wenn das Gesuch des Betreffenden ihrer Ansicht nach keine Befürwortung verdiente, so sagte sie dem Baron einfach nichts davon; ja, sie sprach sogar direkt dagegen, falls dasselbe Anliegen direkt oder von anderer Seite an Herrn von Gandersheim herantrat . . . Frieda Brandt hatte inzwischen ihre Nummer beendet und mußte immer und immer wieder dem Hervorrufe des Publikums Folge leisten. Endlich kam sie mit einem strahlenden Lächeln von der Bühne. Der Baron trat ihr entgegen und umarmte sie und küßte sie auf die Stirn. „Sie haben meiner Sache zum Erfolg verholfen, ich danke Ihnen!" Die Träne, die dabei in seinem Auge schimmerte, war echt. In diesem Augenblicke fühlte er nicht das schöne, begehrenswerte Weib in seinen Armen, sondern einzig und allein die Künstlerin, seine Kampfgenossin, welche seiner Idee zum Siege verhalf. Nun trat auch Fräulein Lechner hinzu und gratulierte Frieda Brandt mit aller Liebenswürdigkeit, deren sie fähig war. Für einen Moment hatte Frau Frieda das Gefühl, daß diese Güte nicht echt sei, aber in dem süßen Taumel dieser wundervollen Stunde, welche all' ihren Sinnen schmeichelte und das junge Weib hoch über sich selbst erhob, achtete sie dieser Empfindung nicht. Sie dankte dem Fräulein und schwebte mehr als sie ging, hinauf in die Garderobe. Auf der Treppe begegnete sie einem jungen Schrift steller, dem Dichter des kleinen Stückes, das man zum Schluß geben wollte. Es war ein nicht großer, unter setzter Mann von vielleicht dreißig Jahren, der auf seiner kurzen Nase einen sogenannten Reitkneifer trug, und dessen geschorenes, hellblondes Haar die großen ab stehenden Ohren noch auffälliger erscheinen ließ. Seine polternde Sprechweise hatte etwas Belustigendes. Er machte den Eindruck eines städtischen Bureaubeamten. „Ich danke Ihnen bestens, Herr Regenpfeifer", sagte Frieda Brandt, dem jungen Mann ihr molliges Händchen, das er immer wieder küssen wollte, entziehend. „Und ich wünsche Ihnen ebensolchen Erfolg mit Ihrem Stück!" „O, da ist mir gar nicht bange!" sagte der Dichter, Ser zu anderen schätzbaren Eigenschaften offenbar ein un erschütterliches Selbstvertrauen besaß. „Das Stück ist gut, und wenn es auch nicht leicht ist, meine Personen zu ver körpern, ich hoffe das Beste von den Schauspielern. . . besonders von Ihnen, gnädige Frau!" „Sehr verbunden!" nickte sie lächelnd und mit einem leichten Anflug von Spott: „Wir werden uns jedenfalls die allergrößte Mühe geben. . ." Als Fsieda Brandt die Garderobe betrat, hörte sie eben den Fabeldichter Hans Hermann Rahnke, dessen schlanke Fechtergestalt ein blonder Kopf mit klugen, stolzen Zügen krönte, sagen: „. . . ganz egal! Auf keinen Fall darf gleich am ersten Abend ein solcher Streit ausbrechen! Die Koresku hat angefangen. Und selbst wenn sie nicht angefangen hätte, um wen sich hier alles drehen wird, das sieht doch jeder! Im übrigen ist die Hindersin doch wirklich ein reizender. . ." Indem öffnete Frieda Brandt die Tür und trat herein. „Ach, da bist du ja!" lachte der Poet, der, kaum daß er einen Fuß aufs Theater gesetzt hatte, sich dessen burschikose Manieren sofort zu eigen machte und jeder mann duzte. „Ja, da bin ich", erwiderte Frieda Brandt, ebenfalls lachend. „Und was soll ich?" „Bor allen Dingen sollst du „du" zu mir sagen!" „Ich bin doch aber verheiratet!" „Das ist sehr traurig! Wer jedenfalls bin ich nicht dafür verantwortlich. Ich hätte dich nicht geheiratet!" Er sagte das mit tödlichem Ernste, während sie vor Lachen kaum sprechen konnte. „Geliebt hätte ich dich", fuhr er fort, abgöttisch, unermeßlich, beinah' so sehr, wie ich mich selbst liebe! . . . Und das übersteigt schon alle mensch lichen Begriffe! Aber geheiratet hätte ich dich nie, niemals! . . . Willst du mir jetzt einen Kuß geben?" „Nein", sagte sie und mußte so lachen, daß sie sich kaum wehren konnte, als er sie mit seinen kräftigen Armen umschlang. Aber den Kuß bekam er doch nicht. (Fortsetzung folgt.) Napoleons Geburtskaud. Plauderei von C. E. (Nachdruck verboten.) Ein leicht bewegtes Meer, am Gestade Dust und Blüte, ein tiefblauer Himmel mit zahlreichen Farben schattierungen . . . Sonnenglanz auf den Palmen und Orangenbäumen, — so liegt Ajaccio, des großen Korsen Geburtsstätte. Die kleine Stadt scheint zu schlafen. An den Türen der Häuser prächtige Fruchtkörbe, an den Fenstern . . . Wäsche, die zum Trocknen aufgehängt ist. An den etwas grell getünchten Häusermauern stehen alte Männer mit knorrigen Stöcken in der Hand. Auf den Schwellen sitzen alte Weiber. Ein junges Mädchen mit malerisch geschlungener Mantille schreitet vorüber, schlank und geschmeidig wie eine Ionierin: sie hat die selbst verständliche Schönheit der Kinder der Sonne ... So sah die Straße wohl auch schon aus, als der kleine Napoleon hier spielte. Sobald man den Läritiaplatz be tritt, erblickt man das Haus, in welchem der große Korse das Licht der Welt erblickte, und man entblößt unwillkürlich das Haupt. Das Haus hat vier Stockwerke. Der An strich ist hellgelb: die Schalterläden an den Fenstern sind heruntergelassen. Über der mit einem Drücker versehenen Haustür sieht man auf einer breiten Marmorplatte die wahrscheinlich erst jüngst wieder übermalte Inschrift: „In diesem Hause wurde am 15. August 1769 Napoleon ge boren." Gegenüber, zwischen zwei sehr alten Häusern, ein kleiner Rasenplatz. In der Mitte des Platzes ein junger Olbaum, auf welchem die Vögel singen. Im Hinter gründe auf einer blaubemalten Stange ein halb verrosteter Adler, derselbe, der einst Napoleons Katafalk schmückte. Ich trete ins Haus. Die Stufen sind aus Schiefer- stein, die Rampe aus Schmiedeeisen. Im ersten Stock rechts ein Salon mit drei Fenstern: Spiegel in dunklem Hotzrahmen. Alles macht den Eindruck hohen Alters. Die Lehnsessel, die Kanapees sind nur noch Fetzen. In der Mitte des Zimmers ein kleiner Tisch und ringsherum Stühle. In einer Ecke ein ganz wurmstichiges Klavier, dem kaum noch ein Ton zu entlocken ist. Und nun in das Arbeitszimmer des alten Charles Bonaparte: eine Truhe, ein altmodischer Schreibtisch; in den Ecken zwei dreieckige Tische, aus welchen man viereckige Tische machen kann. Auf dem Marmorkamin zwei Handleuchter aus Kupfer und eine kleine halbzerbrochene Marmorvase. Unter einem Spiegel eine Konsole, die jeden Augenblick herabfallen kann. Ich gehe in das berühmte Zimmer, in welchem Napoleon geboren wurde. Frau Lätitia war in der Messe, als sie von Wehen befallen wurde. Man brachte sie aus der nahegelegenen Kirche ins Haus und legte sie auf ein verschlissenes grünes Kanapee, das noch da ist. Ein paar Stunden später hielt unter großem Ge schrei der kleine Napoleon seinen Einzug in die Welt. Auf dem Kanapee liegen jetzt zwei verwelkte Blumen sträuße. Das Zimmer der Frau Lätitia enthält ein Bett und einen Tisch, auf welchen Napoleon, als er aus Ägypten zurückkehrte, eine in Palästina eroberte Krippe legte: es ist ein hölzernes Häuschen, in welchem über dem Jesusknaben, der von elfenbeinernen Menschen und Tieren umringt ist, ein Engel schwebt. Auf dem Kamin eine Büste: „Das Kind mit dem Hunde", die Napoleons Vater gehörte; rechts vom Spiegel ein Bildnis der Frau Lätitia. Zwischen dem Bett und einer Konsole eine verschlossene Maueröffnung. Der Kastellan öffnet sie, wie der Priester am Altar das Tabernakel öffnet. In der Öffnung liegt unter Glas auf grünem Kissen ein Kranz aus massivem Golde: er wurde anläßlich des ersten Centenariums des Konsulats gestiftet und dem Marmorstandbild Bonapartes aufs Haupt gesetzt. Von dem Zimmer der Frau Lätitia gelangt man in den Empfangssaal. Ein großes, mit roten Platten belegtes Zimmer; zwölf Fenster, und zwischen den Fenstern Wand leuchter und Wandspiegel. An den Wänden von Motten zerfressene Lehnsessel. Bonaparte pflegte, als er von Ägypten heimkehrte, in diesem Saale Feste zu veranstalten. Von den Fenstern zur Linken fällt der Blick auf eine von Weinlaub umrankte Terrasse. Man steigt nun zwei Stufen hinab und befindet sich im Zimmer des Leutnants Bonaparte. Das Säulenbett ist aus Nußbaumholz. Es ist noch gut erhalten; der Nachttisch aber hält kaum noch zusammen. Am Fußboden an versteckter Stelle eine Falltür: wenn man sie aufhebt, sieht man Stufen, die zu einem finstern Keller führen, und von dort, wie es beißt, in ein Nebenhaus. Durch diesen Keller soll die Familie Bonaparte, als sie von den Parteigängern des für England begeisterten Generals Paoli hart bedrängt wurde, geflohen sein. Vom Nebenhause gelangte sie dann heimlich an den Strand, wo sie ein Segelschiff bestieg, um sich nach Marseille bringen zu lassckn. Man hat erzählt, daß dann die Paolisten das Haus Bonaparte geplündert und an gezündet hätten: das ist aber nicht richtig: die Paolisten begnügten sich vielmehr mit einigen Flüchen und wüsten Schimpfreden. Neben dem Zimmer des jungen Bonaparte sein Arbeitszimmer. Hier steht die Säusle der Frau Lätitia. Nun habe ich nur noch das Speisezimmer und die Küche zu besichtigen. Das Speisezimmer ist sehr ge räumig. Kein Tisch; Stühle; eine Kommode, in welcher Vorhänge liegen, die einst weiß gewesen sein mögen. Auf einem Anrichteschrank, der sehr groß, aber roh geschnitzt und roh bemalt ist, liegt eine Art Fremdenbuch mit zahl reichen Eintragungen. Unter dem Speisesaal befindet sich die Küche. In einer Ecke ein alter lahmer Tisch; an den Wänden einige verrostete Töpfe. Und das ist alles. Die drei andern Stockwerke sind leer: es sieht dort auch nicht ein Möbel. Ich ging an den Strand, um mit dem alten Appieto zu sprechen. Ich fand ihn unter einer Platane, mit dem Rücken gegen das Meer. Der alte Appieto hat noch den Fischer Mussi gekannt, und der Fischer Mussi war ein Jugendfreund Napoleons. Eines Tages kam Mussi, der von dem, was sich in der Welt abspielte, keine Ahnung hatte, auf die Insel Elba. Es war kurz nach Tages anbruch. Napoleon, der ein Frühaufsteher war, ging am Strande spazieren. Der gute Mussi erkannte ihn sofort und rief erfreut aus: „O Mbulto, eomu stai?" (O Napoleon, wie geht es dir?). Der Kaiser war nicht minder erfreut, einen alten Bekannten zu treffen, und gab dem braven Mussi einen schallenden Kuß. Dann schenkte er ihm tausend Frank, mit welchen Mussi sich ein Geschäft be gründete, das ihn zum reichen Manne machte ...