Volltext Seite (XML)
letzten Monat vereinigt waren, und suchte die Notizen heraus, die er während dieser Zeit für das Blatt geschrieben hatte, — eine mühselige und zeitraubende Arbeit, bei der man sich vorsehen mußte, um nichts zu übersehen und so von dem ohnehin geringen Verdienst noch etwas einzu büßen. Den „General-Anzeiger" verlassend, wandte er sich in der Richtung zu seiner Wohnung zu. Aber vlötzlich blieb er stehen. Was sollte er zu Hause? Seine Frau war nicht da. Die ging vormittags zur Probe. Und wenn sie dann um drei, halb vier nach Hause kam und rasch ein wenig gegessen hatte, dann mußte sie zur Schneiderin oder sie hatte einen absolut notwendigen Besuch zu machen, mit dem die drei Stunden, die bis zum Theater übrig blieben, vollständig ausgefüllt wurden . . . Während er umkehrte, um m den „Friedrichshof" zu gehen und seine Kollegen wieder mal aufzusuchen, dachte er daran, wie überflüssig doch eigentlich seine Tätig keit sei. Mit einem ganzen Monat mühevoller und für ihn geradezu widerwärtiger Arbeit hatte er etwa einhundert undzwanzig Mark verdient, und davon gingen sicherlich vierzig Mark Unkosten ab, denn obwohl er, ohnehin sparsam, seine Ausgaben auf das äußerste beschränkte, so brauchte er bei den weiten Wegen doch viel Fahrgeld und mußte hin und wieder schon aus beruflichen Gründen ein Restaurant oder Lass aufsuchen. Dagegen seine Frau Die ihr zuerst zugebilligten sechshundert Mark Gage hatte der Baron gleich nach der Premiere aus freien Stücken auf achthundert Mark erhöht. Damit war die Not, ja sogar die Einschränkung, die sie sich während seiner früheren Stellung hatten auferlegen müssen, aus seinem Hause gewichen. Aber der hübsche und geschmackvolle Komfort, für den Frau Frieda jetzt sorgte, machte ihrem Manne keine Freude. Wenn sie auch noch so zartfühlend war und bei jeder Neuanschaffung seinen Rat, ja gewissermaßen seine Er laubnis einholte, ihn ärgerte das Geld, weil sie es ver diente. Und wenn ex sich es zehnmal nicht eingestand, so empfand er es doch als eine bittere Ungerechtigkeit, daß ein kluger und gebildeter Mann, der sein Geschäft ver steht, nur den achten Teil von dem Einkommen seiner Frau verdienen sollte. Er ging dann fort oder schloß sich ein und war. vor sich hinbrütend, der festen Überzeugung, jetzt, wo er nur noch der Mann seiner Frau war, verachte sie ihn. Dann wollte er fort von ihr, weit fort über den Ozean nach Amerika, wo er vor Jahren schon gewesen und viel Geld verdient hatte. Aber er kam nicht dazu. Die Leidenschaft, die heißer für sie als ie in seinem Herzen brannte, ließ ibn nicht fort. Jeden Tag erhielt seine Eifersucht neue Nahrung, und kein Tag verging, an dem man ihr nicht Sträuße oder Blumenkörbe ins Haus schickte. Sie ließ sie achtlos stehen, aber er verlangte, daß sie sie nicht annehmen solle. Das dürfe sie nicht, solche Aufmerksamkeiten seien bei einer gefeierten Schauspielerin selbstverständlich, und wenn sie die Blumen brüsk zurückweise, so verscherze sie sich die Gunst des Publikums. Noch heute früh war es deswegen zu einer kleinen Szene gekommen, die ja allerdings wie immer bei diesen beiden Ehegatten mit einer desto zärt licheren Versöhnung endete. Aber diese kleinen Zwistigkeiten, von denen das Pärchen früher kaum etwas gewußt hatte, fingen schon an häufiger zu werden. Und Robert Brandt, dem früher eine Untreue seines Weibes wie ein Widerspruch gegen die allwaltenden Gesetze der Logik erschienen wäre, be gann jetzt manchmal darüber nachzudenken, ob das Theater mit seinen endlosen Verlockungen nicht doch endlich für die Reinheit einer so schönen jungen Frau gefährlich werden könne. . . Im Lass „Friedrichshof" fand er den Journalisten tisch voll besetzt. Alle waren erfreut, daß er kam, aber kein Mensch dachte daran, ibn auch nur mit einer Silbe über sein jetziges Tun und Lassen zu befragen. Das interessierte offenbar niemand. Alle wollten etwas von ihm über die Hindersin wissen — das war auch so ein Arger für ihn, daß sie nicht einmal seinen Namen führte auf der Bühne, wenigstens hätte sie doch, wie andere ver heiratete Schauspielerinnen, ihren Namen mit dem ihres Mannes kombinieren können. „Nein, sie ist wirklich anbetungswürdig!" sagte Doktor Weinfeldt, der wie gewöhnlich Kinn- und Knebelbart mit der linken Hand umspannte, und starrte dabei so verzückt in die Luft, daß ihm sein früherer Kollege am liebsten eine Ohrfeige gegeben hätte. Robert Brandt wollte die Unterhaltung auf ein anderes Thema bringen, aber seine Versuche blieben voll ständig erfolglos. Die Kollegen merkten schließlich sogar, daß er ärgerlich und verstimmt war. aber entweder ahnten sie die Ursache nicht, oder sie waren gefühllos genug, das ihnen so sympathische Thema deswegen doch nicht fallen zu lassen. Bis Brandt sie schließlich direkt darauf auf merksam machte und sagte: „Wißt ihr, ihr braucht mir auch nicht fortwährend von den Erfolgen meiner Frau vorzuschwärmen, das ist doch in meiner jetzigen Situation nicht gerade angenehm! . . . Wißt ihr denn gar nichts weiter zu erzählen?!" Die Herren von den „Berliner Nachrichten" lachten und entschuldigten sich, und nun begannen sie zu fach simpeln. erzählten von ihrer Redaktion und schimpften auf die Verleger. Die Unterhaltung begann gerade recht lebhaft zu werden, als zwischen den Scheiben der sich drehenden Luft schleuse Herr Theodor Regenpfeifer, der Uberbrettldichter, sichtbar wurde. Egon Fransecki bemerkte ihn zuerst und sagte in seiner Wiener Mundart: „Schaun's, da kommt an Schenie!" Und Doktor Weinfeldt setzte hinzu: „'n widerlicher Kerl! ... Seitdem er am „Lyrischen Theater" den kleinen Erfolg gehabt hat, ist er vollständig übergeschnappt! . . . Wenn er sich bloß nicht hier an unseren Tisch setzt! . . Und der kleine Scharff, der sich auch verpflichtet hielt, etwas zu sagen, variierte einen nicht mehr ganz neuen Witz auf den Ankömmling und meinte: „Sie wissen doch, meine Herren, der marmorne Goethe von Schaper im Tiergarten ist neulich plötzlich von seinem Postament runtergesprungen. Er litt nämlich an Größenwahn und glaubte, er heiße Theodor Regenpfeifer . . ." „Was ist mit mir?" fragte der Dichter, der die lebten Worte noch gehört hatte, neugierig. „Wir sprachen eben von Ihrem großen Erfolg", meinte Doktor Weinfeldt mit tödlichem Ernst. „Ach so", lächelte Herr Regenpfeifer geschmeichelt, „ja. ich habe mich auch recht gefreut, endlich mal den längst verdienten Lohn für mein Streben zu finden ... Na und ich kann wohl sagen, jetzt bin ich soweit... die „Minute" hat ihren eigenen Spezialphotographen entsandt, um mein Stück im Theater und mich in drei verschiedenen Stellungen typen zu lassen, und gestern war der Photograph von den „Berliner Bilderbogen" bei mir und hat beinah Tränen vergossen, daß er erst das zweite Bild bekommen sollte . . . Wenn einem nur nickt olles immer so in Grund und Boden gespielt würde . . . Diese Schauspieler! Es ist, um an den Wänden hochzugehen . . . Die einzige ist noch die Hindersin . . . Viel kann sie zwar auck nicht, aber bei der kommt dock wenigstens der physische Mensch auf seine Rechnung ... Au Sie!" unterbrach er sich plötzlich und wandte fick an den kleinen Scharff: „Sie haben mich auf den Fuß getreten!" Der aber sah ihn mit einem so bedeutsamen Blick an, daß der Überbrettl-Poet merkte, er habe da eben einen Fehler begangen. Er hatte ja keine Ahnung von dem Zu sammenhang und kannte Robert Brandt nicht, wie ihm denn dessen Frau auch nur unter dem Namen Hindersin bekannt war, aber merkte doch, daß er einen Schwupper gemacht batte, und schwieg. Robert Brandt fühlte sich angewidert durch diesen Vorgang und ging. Die Kollegen sagten ein vaar Worte, um ihn zurückzuhalten, aber man merkte recht wohl, wie wenig ihnen selbst daran gelegen war, und wie sie darauf brannten, die Angelegenheit ohne ibn weiter zu erörtern. lFortsetzung kolgt.) e Oer Clck. Humoreske von Reinbold Ortmann. (Nachdruck verboten.) „Ja. meine Herren." sagte der Forstmeister Rudow mit jener bitterernsten Miene, die er immer oufsetzte, wenn er eine seiner lustigen Geschichten in Bereitschaft batte, „Sie haben ganz recht mit ihren Bedauern, daß wir Jägers leute in Deutschland heutzutage so viel schlechter daran sind als unsere Vorfahren vor so und so viel hundert Jahren. Cs gibt in unsern Wäldern weder Bären, noch Auerochsen oder Elchhirsche mehr. Und das harmlose Kleinzeug, mit dem wir vorlieb nehmen müssen, macht einem rechten Nimrod auf die Dauer nur mäßiges Ver gnügen. Aber gar so lange, wie Sie meinen, ist es doch noch nicht her. daß man bei uns auf Wild von jener edleren Gattung gepürscht hat. Hätte doch vor zwei Jahren hier in unserer unmittelbaren Nähe ein Berliner Rentier beinahe einen kapitalen Eick erlegt, wenn ihn nicht seine Kurzsichtigkeit und einige andere unvorher gesehene Hindernisse im letzten Augenblick um die Beute gebracht hätten." „Wie sagen Sie, Herr Forstmeister?" fragte einer von der Tafelrunde. „Hier in unserer unmittelbaren Nähe? Vielleicht gar in Ihrem Revier?" „Gott bewahre! Da gibt es längst keine Eicke mebr. Es war auf Klein-Perkallen. der Besitzung unseres Freundes Herbert von Santen. Und wenn er hier wäre, könnte er es Ihnen bestätigen." Ein schallendes Gelächter erhob sich ringsum. „Auf Klein-Perkallen? Wo es außer Hasen und Hühnern kaum ein Dutzend armselige Damhirsche gibt? Das mögen Sie anderen aufbinden, Herr Forstmeister!" „Ja, meine Herren, wenn Sie mir nicht glauben, brauche ich ihnen die Geschichte ja nicht erst zu erzählen." Dagegen wurde nun freilich von allen Seiten lebhaft protestiert. Denn die Geschichten des Forstmeisters waren immer amüsant, auch wenn man an ihre Glaubwürdigkeit nicht gerade den strengsten Maßstab anlegen durfte. Man wollte durchaus wissen, welche Bewandtnis es mit dem Elch von Klein-Perkallen gehabt habe, und der alte Herr, dem trotz seiner ernsthaften Miene die Schelmerei aus den Augen leuchtete, ließ sich denn auch erbitten. „War da in Berlin ein Rentier Wilhelm Kollandt," begann er, „ein Herr, den ich allerdings nicht persönlich gekannt habe, von dem mir aber unser Freund Santen glaubwürdig versichert hat, daß er ein sehr braver und ehrenwerter Mann gewesen sei. Übrigens rede ich durch aus nicht von einem Gestorbenen, sondern von einem Herrn, der sich meines Wissens noch heute der besten Ge sundheit erfreut. Ich möchte mir also ausbitten, daß mich keiner von Ihnen an ihn verrät." Er sah sich im Kreise um, als lege er wirklich großes Gewicht auf die Verschwiegenheit seiner Zuhörer. „Besagter Kollandt nun hatte noch nie in seinem Leben ein Jagdgewehr in der Hand gehabt, schon mit Rücksicht auf seine ziemlich hochgradige Kurzsichtigkeit, die wahr scheinlich irgendein Unglück herbeigeführt hätte. Eines Tages aber muß ihn der Teufel reiten, eine höchst un sinnige Wette einzugehen. An seinem Stammtisch war nämlich davon die Rede gewesen, daß Seine Majestät dem Minister Soundso Erlaubnis erteilt habe, in dem einzigen königlichen Forstrevier, wo noch eine kleine Anzahl von Elchen gehegt wird, eines dieser Tiere abzuschießen. Wilhelm Kolland fand, daß man von diesem Gunstbeweis des Landesherrn viel zu viel Aufhebens mache, indem man in den Zeitungen darüber berichte. Und als ihm entgegengehalten wurde, daß es in der Tot keine Kleinig keit sei, heutzutage auf deutschem Boden einen Elch zu schießen, erklärte er in einer plötzlichen Anwandlung von Großmannssucht, wenn ihm nur ernstlich daran gelegen sei. würde auch er einen Elch schießen können. Mit Energie und etwas Geld sei eben alles zu machen. Die andern nahmen ihm beim Wort und der Disput endete wie gesagt mit einer Wette, wonach Wilhelm Kollandt sich verpflichtete, dem Stammtische innerhalb sechs Monaten das Geweih eines von ihm auf deutschem Boden erlegten Elchhirsches zu präsentieren oder ein solennes Champagner frühstück für die ganze Tafelrunde zu bezahlen. Wenn ich Ihnen nun erzählen soll, wie er schließlich - nach Klein-Perkallen zu unserem Freunde Santen geriet, so muß ich indiskreterweise einer kleinen Liebesgeschichte Erwähnung tun. die sich nun einmal nicht mit Still schwelgen übergehen läßt. Aber ich bin kein Romandichter und Sie dürfen deshalb von mir keine feurigen Schilderungen erwarten. Die Sache war im Grunde auch gar nicht sehr romantisch. Wilhelm Kollandt hatte ein Töchterchen Lissy, das eines Tages beim Tennisspielen oder bei sonst einer Gelegenheit sein achtzehnjähriges Herz an einen jungen Rechtsanwalt, er hieß, glaube ich. Doktor Harrius, verlor. Es war ein reputierlicher junger Mann, gegen den sich als Bewerber kaum etwas Ernsthaftes einwenden ließ. Aber Wilhelm Kollandt batte eine unüberwindliche Ab neigung gegen die Advokaten. Seitdem er einen Prozeß, an dessen Ausgang ihm sehr viel gelegen war, in sämt lichen Instanzen verloren hatte, teilte er nach seiner per sönlichen Erfahrung die Rechtsanwälte nur noch in zwei große Kategorien ein. Sie waren entweder wie die, die seine Sache geführt hatten, blöde Dummköpfe, oder, wie der Vertreter seiner siegreichen Gegenpartei, Spitzbuben und Gauner. Als nun eines Tages der tückische Zufall wollte, daß Wilhelm Kollandt seine Tochter bei einem melancholischen Stelldichein mit dem Doktor Harrius überraschte, ver fielen die Liebesleutchen zur Abwendung des drohenden Ungewitters auf die verzweifelte Ausrede, der Doktor habe nur wegen des so eifrig von Wilhelm Kollandt ge suchten Elckes eine Annäherung an seine Tochter gewagt. Er wisse nämlich, wo sich noch eines dieser seltenen Ge schöpfe leibhaftig und lebendig in einem deutschen Walde befinde, und der Umstand, daß er am nämlichen Vormittag seinem zufällig besuchsweise in Berlin anwesenden Studien freunde Herbert von Santen begegnet war. verführte den erfindungsreichen Rechtsanwalt dazu, den ahnungslosen Gutsherrn von Klein-Perkallen als den glücklichen Besitzer besagten Elches namhaft zu machen. Natürlich rechnete er darauf, sich auf irgendeine Weise wieder aus der Affäre zu ziehen. Und nachdem er Herrn Kollandt versprochen hatte, sich bei seinem Freunde für die Bewilligung hes Abschusses zu verwenden, beeilte er sich, Herrn von Santen aufzusuchen, und ihm die von der Not erpreßte Lüge zu beichten. Dabei machte er, während er die Geschichte seiner hoffnungslosen Liebe zu Fräulein Lissy erzählte, ein so jämmerliches Gesicht, daß den guten Santen, den Sie ja alle als einen prächtigen Burschen kennen, ein mensch liches Rühren anwandelte. Er faßte den Entschluß, ben beiden betrübten Leutchen, wenn irgendmöglich, zu ihrem Glücke zu verhelfen. Und statt, wie es der Doktor von ihm erbeten batte, dem Rentier mitzuteilen, daß sein Elch inzwischen ebenso wie seine längst ausgestorbenen Vor fahren das Zeitliche gesegnet habe, ließ er ihn wissen, daß er auf die dringende Fürsprache seines liehen und hoch geschätzten Freundes Harrius bin nicht abgeneigt sei. wegen des Abschusses mit Herrn Kollandt in Verbindung zu treten. Von diesen Verhandlungen hatte der Rechtsanwalt keine Ahnung, und er war nicht wenig überrascht, als er bald danach von seinem Freunde die dringende Einladung erhielt, sich am übernächsten Tage in Klein-Perkallen ein zufinden, wo auck Herr Wilhelm Kollandt zum Abschuß des Elches eintreffen würde. Scheinbar ganz beiläufig war noch die Bemerkung hinzugefügt, daß Fräulein Lissy und ihr jüngerer Bruder ebenfalls von der Partie sein würden. An der gemeinschaftlichen Mittagstafel im Herren- Hause,der mit dem Eintritt der Dämmerung, wenn der Elch über eine kleine Waldblöße zur gewohnten Tränke hinüberwechselte, das große Ereignis des Abschusses folgen sollte, herrschte eine eigentümlich schwüle Stimmung. Lissy und der Doktor, die so etwas wie eine Katastrophe ahnten, sahen mit Bangen den kommenden Dingen ent gegen, und Herr Wilhelm Kollandt befand sich merk würdigerweise durchaus nicht in der fröhlichen und hoffnungsvollen Gemütsverfassung eines Mannes, der sich der Erfüllung eines sehnlichen Herzenswunsches nahe sieht... Er aß und trank beinahe gar nichts, trocknete sich sehr oft die Stirn und gab auf die liebenswürdigen Bemerkungen des Hausherrn meist nur einsilbige und zer streute Antworten. (Schluß folgt.)