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diskreten Lächeln hinzu, „Sie täten alle recht wohl daran, es nicht mit ihr zu verderben . . . was übrigens die Ge schichte mit Herrn Rabener betrifft, so war Fräulein Hindersin ganz in ihrem Recht. Herr Rabener scheint manchmal nicht zu wissen, wie er sich einer Dame gegen über zu benehmen hat. . . Na, und sehen Sie", das viel deutige Lächeln erschien wieder auf ihrem blassen, reiz losen Angesicht. „An wen sollte sich denn eine Schauspielerin anders wenden, als an den guten Herrn Baron ... Er ist doch sozusagen unser aller Vater!" „Na, wissen Sie. Lechnerchen, nun halten Sie aber die Luft an", sagte Otto Schaller. „Das nennen Sie 'nen Vater, der 'nem armen Menschen wie ich, der sogar schon Familienvater sein könnte, 'nen kleinen Vorschuß von sechzig Mark ver weigert, das nennen Sie 'nen Vater? ... 'n Raben vater ist es, und was für einer . . . und übrigens die Hmdersin, die würd' ich auch ganz gerne 'n bißchen be- vatern! . . ." Darauf entfernte er sich. Kaum hatte der Letztere das Theaterbureau verlaffen, so erschien Herr Friedrich Terras auf der Bildfläche und sragte nach seinem Intimus Schaller. „Im übrigen habe ich hier ein paar sehr feine Ge dichte", sagte er, „die möchte ich gerne dem Herrn Baron selber geben ... sie können komponiert werden, aber es ginge auch so, zum Rezitieren." „Der Herr Baron ist jetzt nicht zu sprechen", sagte Wally Fehr, „da müssen Sie 'n bißchen warten." „Na, dann werd' ich erst mal nach Schaller sehen", meinte der Lyriker. „Ich kann ja nachher noch mal wiederkommen." Wie er hinaus war, sagte Willibald Most, der in zwischen in ein Theaterblatt hineingesehen hatte: „Das dauert aber wirklich ein bißchen lange heute . . . ver- sleh'n Sie das?" Doch ehe noch jemand etwas erwidern konnte, öffnete sich die Tür, und Frieda Brandt trat hinaus, mit ernstem Gesicht und verweinten Augen. Sie ging mit stummem Gruß an ihren Kollegen vor über und war eben im Begriff, das Theaterbureau zu verlassen, als Otto Schaller, den der Dichter verfehlt haben mußte, wieder eintrat. Er breitete seine Arme aus, und ehe sich Frieda Brandt noch versah, hatte sie ihren Kuß weg. Nachher, als sie böse werden wollte, bat er so inständig um Ver zeihung und erklärte ihr, daß diese Zärtlichkeit aus einem io demütigen und treuen Herzen gekommen wäre, und var dabei so witzig und geistreich, daß sie nicht anders konnie, als ihm verzeihen. Aber schon auf der Treppe traten ihr wieder die Tränen ins Auge: Was tat sie nur, daß die Männer alle so wild hinter ihr her waren, sie gab doch wahrlich keine Veranlassung dazu, und es lag ihr auch nichts daran, im Gegenteil, sie wünschte sich nichts, als ruhig ihren Weg gehen zu dürfen, und sie hatte ja einen Mann, einen anderen wollte sie gar nicht. — Manchmal, wenn sie an all das dachte, was ihr in der kurzen Zeit, seitdem sie wieder Schauspielerin, schon passiert war, daun konnte sie sich des Gefühls nicht erwehren, daß es besser gewesen wäre, sie hätte diesen Weg nie wieder betreten. Was wollten sie denn nur alle von ihr . . . Warum ließ man sie denn nicht in Ruhe? . . . Und sie dachte an ihren Robert, dem sie nichts von all den Zudringlichkeiten, welchen sie ausgesetzt war, erzählte, und der trotzdem so eifersüchtig war. Wie würde er erst getobt haben, wenn er das alles erfahren hätte, zum Beispiel die Geschichte mit Rabener. Und hatte er nicht, als sie es dem Baron mitteilte, und dieser den Frechen sofort zur Rede stellte, noch oben drein behauptet, sie hätte ihm dazu durch ihre Koketterie Veranlassung gegeben. Aber auch der Schutz des Barons mußte ihr, das fühlte sie wohl, auf die Dauer gefährlich werden. Heute war sie bei ihm gewesen, um für ihren Mann etwas zu erreichen — hätte sie es doch lieber nicht getan! Ohne daß sie es wollte, war sie dazu gekommen, sich über ihren Gatten zu beklagen. Denn Robert, der in der letzten Zeit unter einer sich fortwährend steigemden Nervosität litt, machte ihr das Leben recht schwer. Und trotzdem war sie wütend über sich selber, daß sie sich batte Hinreißen lassen, einen Dritten in die Wirmsse ihres Ehe lebens einzuweihen. Der Baron hatte es mit feinem Takt vermieden, direkt gegen Robert Partei zu nehmen, aber schon dadurch, daß er sie anhörte, hin und wieder mit einem zu stimmenden Nicken seine teilnahmsvollen Blicke auf sie richtend, schon das hätte sie vermeiden müssen. Vielleicht war sie zu unglücklich und zu müde durch die jetzt fast ununterbrochenen Zwistigkeiten mit ihrem Mann. Und jedenfalls tat ihr diese freundschaftliche Be schäftigung mit ihren Angelegenheiten seitens des Barons wohl; sie brauchte geradezu jemand, dem sie sich an- vertrauen konnte. Und was sie gesagt hatte, war ja auch kaum mehr als eine Anspielung auf das gewesen, was sie jetzt täglich und stündlich leiden mußte. Dann hatten sie miteinander über die Stellungs losigkeit ihres Mannes gesprochen, und Herr von Ganders heim war sofort bereit gewesen, Robert als Theater sekretär anzustellen. Aber davon wollte dieser selbst nichts wissen; ihm war das überhaupt peinlich, dem Baron oder sonst irgendeinem der Theaterleute sein Brot zu verdanken. Und jedenfalls wollte er in seinem Fach bleiben. Herr von Gandersheim hatte das auch ganz begreiflich gefunden und versprochen, sich nach dieser Richtung hin für Frieda Brandts Gatten zu bemühen. Aber für Frau Frieda batte aus all diesen Ver sicherungen und Versprechungen so etwas wie Gering schätzung und halb verächtliches Mitleid herausgellungen. Das empfand sie jetzt, wo sie auf der Straße daran zurückdachte, noch mehr als vorher in der Gegenwart des Barons. Und wie sie so in heiß aufwallender Empörung an den Leiter des „Lyrischen Theaters" dachte, merkte sie plötzlich, daß sie die Rolle für das Stück, das neu ein studiert wurde, dort vergessen hatte — wahrscheinlich im Bureau des Direktors. Die Rolle mußte sie haben, und so peinlich ihr düs auch war, sie mußte umkehren und wieder ins Theater zurück. Als sie in das Bureau trat, war nur der Bote Franz zugegen, ein junger Mensch von sechzehn Jahren, der sich durch seine seltene Naivität den Spitznamen „der Idiot" erworben hatte. Der begrüßte die junge Frau mit dem dummen, gutmütigen Lachen, mit dem er seine Auftraggeber zur Verzweiflung brachte, und verfügte sich auf Frieda Brandts Bitte, er möchte doch die Rolle aus dem Zimmer des Direktors holen, hinein mit den Worten: „Wenn Sie ihr man nich uff de Straße verloren haben... Na, ick wer' gleich mal nachsehen." Nach kurzer Zeit kam er wieder heraus und sagte mit einem urdummen Grinsen: „Der Herr Baron läßt sagen, Se möchten man selber rinkommen und se sich raus holen!" Dabei griente und lachte er, daß Frieda Brandt nicht anders konnte, als ihm einen „Dummkopf" an den Kopf zu werfen. Daun ging sie aber doch hinein. Und die Tür, welche mit ihrer dicken Friespolsterung das, was in Herrn von Ganderheims Zimmer gesprochen wurde, für die draußen Befindlichen absolut unhörbar machte, hatte sich noch kaum hinter der Schauspielerin geschlossen, als Fräulein Emilie Lechner, die zufällig einen Augenblick abwesend war, wieder ins Bureau trat und den Boten fragte, ob jemand gekommen wäre. „Ja, se ist drin", erwiderte Franz, dessen Mundwinkel mit den Ohren in Konnex traten. „Wer denn, Franz?" fragte die Lechner, „wer?" „Na, die scheene Blonde! . . . Wer denn sonst?" Fräulein Lechner verzog höhnisch den Mund: „Schön nennen Sie die, schön? . . . Das ist Geschmackssache!" „Na, scheener wie Sie is se doch, Fräulein!" „So", sagte die Lechner, „na, denn nehmen Sie man hier die Briefe und tragen Sie sie zur Post!" Sobald der Bote das Bureau verlassen hatte, stützte das junge Mädchen die Hände in den Kopf und dachte nach. Was war sie an diesem Theater? . . . Dasselbe, was sie schon seit Jahren bei dem Baron gewesen war, seine Sekretärin. Sie war in sein Haus gekommen, als die Baronin noch lebte, eine feine, gütevolle Dame, deren Mesen einen milden Glanz um sich verbreitete und deren Nähe Lie Herzen der Menschen reiner und edler fühlen ließ. Der Tod dieser Frau war ein unersetzlicher Verlust für den Gatten, dessen biegsamer und fremdem Einfluß so außerordentlich leicht zugänglicher Charakter einer Stütze nicht entbehren konnte. (Fortsetzung folgt.) Am Abgrunä. Skizze von Paul Blitz. (Nachdruck verboten.) Seit nahezu zwei Jahren kannte er nun Fräulein Else schon, und seit ebenso langer Zeit liebte er sie auch. Das war etwas Sonderbares mit ihm! Er fühlte es ganz deutlich, daß ec sie gern batte, daß sie ihm alles im Leben war, und trotzdem vermochte er es nicht, ihr dies mit einem Mori zu tagen: stumm und mit scheuen Blicken ging er neben ihr hin, war freundlich und zuvorkommend, und verriet doch mit keinem Blick, was in seiner Brust tobte und wühlte. Er wagte es noch nicht, sich zu er klären, weil er seine Zeit noch nicht für gekommen er achtete, — nur ein Jährchen noch, dann niußte er fest angestellt werden, dann war sein Einkommen derart, daß er einen Hausstand gründen konnte, dann wollte er sich erklären. Und indessen lief die kleine flotte Else von einem Ball zum andern, ließ sich tapfer Len Hof machen, flirtete mit manch stattlichem Mann herum und dachte bei sich: Der gute Lebrecht ist ja ein ganz netter Mensch; wenn er aber denkt, daß ich an dem ewigen Anschwärmen eine wirkliche Freude finde, dann hat er sich eben geirrt, der gute Junge! Und so wich sie dem stillen, oft sogar scheuen Lebrecht mehr und mehr aus, um seinen stumm fragenden Blicken zu entgehen. Elses Mutter aber war eine praktische Frau. Die sagte: Ein junges Mädchen darf den Anschluß nicht ver passen! So ging die Mutter und suchte einen Mann für die Tochter. Und dann kam Elschen eines Tages zu Herrn Leb recht und sagte mit verschämten Blicken: „Sie dürfen mir deshalb nicht böse sein, lieber Herr Lebrecht, — wir waren jo. rech: gute Freunde, aber sehen Sie, die Mutter meint, wir Mädchen dürfen den rechten Augenblick nicht verpaffen, — na, und jetzt ist ein reicher Freier da, — Sie dürfen mir auch wirklich nicht böse sein, lieber Herr Lebrecht!" Dann drückte sie ihm die Hand und lief ! davon. Lebrecht aber, der gute dumme Junge, sah ihr mit i großen erstaunten Augen nach, denn das alles war so schnell über ihn gekommen, daß er selbst noch gar nicht recht begriff, was sie denn eigentlich von ihm gewollt hatte. Und erst als er ihr rotes Kleid da ganz drüben flattern sah, da erst kam's ihm leise dämmernd zum Be wußtsein, daß nun auch das Letzte von ihm gegangen war, daß ec nun ganz allein dastand, ganz allein in diesem sonnenlosen öden Dasein. Langsam ging er weiter. Er sah nicht um sich und nickst über sich, langsam, mit irren Augen, schleppte er sich weiter. Rings um ihn her gedieh der junge Frühling. Alles prangte im sonnigen Grün. Auf den Wiesen sah es ganz bunt aus, soviel kleine Blumen waren schon da. Und von allen Zweigen sangen und zirpten die lustigen Vögel. Er ivar aber taub und blind für alles das, er tappte gleichgültig weiter und weiter, ohne zu wissen, wohin er kam und wohin er wollte. — Als er wohl eine Stunde io gegangen war, stand er plötzlich still, sah sich um, preßte dann beide Hände ans Gesicht, warf sich nieder in das junge Grün, und nun endlich fand er das erlösende Schluchzen, nun weinte er sich frei von seinem herben Wrh, w:mte und schluchzte, wie ein ganz dummer Junge. Und als dann der Schmerz ausgetobt hatte, da richtete der arme Kerl sich hoch, stützte seinen Kopf in die Hände und sah in die Helle, blaue Frühlingsluft. Sein ganzes verfehltes Leben, sein vereinsamtes Dasein stand nun vor ihm, und seine Zukunft lag vor ihm wie ein glaner schnurgrader Pfad, lichtleer und sonnenlos. Was Haire nun sein Leben nach für einen Wert? Keinen! Einsam, verlaffen stand er da. Niemand, der nach ihm fragte, keine Eltern, keine Geschwister, keine Verwandten — und plötzlich stand seine ganze traurige Jugendzeit wieder vor ihm, — als man ihn, den verwaisten scheuen Knaben, herumgestoßen hatte, von einer Familie zur andern — und nirgends ein freundliches Wort, und nirgends ein Lächeln der Liebe, und nirgends eine Hand, die Schmerzen lindert; — war es denn ein Wunder, daß da aus ihm der scheue, stille, tapsige Kerl geworden war? Plötzlich traf ihn ein kühler Windhauch. Erstaunt richtete er sich auf und sah um sich. Und da gewahrte er, daß er an einem Abgrund lag. Dicht neben ihm fiel der Berg steil ab, und unten war ein stilles Wasser, auf dem weiße und gelbe Seerosen schwammen. Mit einem Male war seine ohnmächtige Wut ver schwunden. Er richtete sich auf, setzte sich auf den Rand des Abhangs und sah in die Tiefe. Wohl minutenlang saß er so, ohne sich zu rühren. „Guten Tag", sagte da plötzlich jemand. Der einsame Mann fubr erschrocken zusammen, drehte sich um und sah eine alte Frau vor sich stehen, die ihm freundlich zunickte. Er erwiderte ihren Gruß. „Das ist hier 'ne schlimme Stelle", sagte die Alte nickend weiter, „der Weg führt steil an, und wenn man nicht ganz sicher auftritt, kann man leicht runterrutschen!* Er sagte nichts, sondern sah nur immer auf das falten reiche Gesicht der Alten, aus dem zwei so liebe milde Augen hervorleuchteten, daß es ihm innerlich ordentlich warm wurde. , „Ich hab' hier meinen Einzigen auch verloren", sprach sie nickend weiter, „meinen lieben Jungen, — ja, zwanzig war er damals, heut wär' er sechsundzwanzig — der gute Junge." Starr sah er hinunter in die Tiefe, — ach, wer doch auch den Frieden hätte! Und die Alte: „Ja, ja, wenn damals auch jemand gekommen wäre und meinen Jungen angesprochen hätte, wer weiß, das hätte ihn wohl auf andere Gedanken gebracht." „Er hat sich ertränkt?" fragte Lebrecht zitternd. Die Alte nickte und weinte leise. „Natürlich um so'n dummes Frauenzimmer!" Zitternd stand Lebrecht auf und ging zu der alten Frau heran. „Weiß denn so'n junger Mensch, was er seiner alten Mutter antut, wenn er sich so schlechtweg gleich das Leben nimmt!" rief sie mit tränendurchzitterter Stimme, „und die Weibsbilder siud's doch wirklich nicht wert, daß man ihretwegen so was tut!" Lebrecht steht da, wie von einem Schlage getroffen, alles schwindelt vor seinen Augen. Er möchte der alten Frau ein teilnehmendes Wort sagen, er kann es nicht, denn seine Zunge ist wie gelähmt. Und die Alte klagt weiter: „Nun steh ich allein da in der Welt, — ich bin 'ne alte Frau, — er war meine Stütze, — nun hab' ich keinen Menschen mehr!" Die Knie sinken zusammen und die Alte hat keinen Halt mehr. Im Augenblick hat Lebrecht sie aufgefangen. „Nur fort, nur schnell fort von diesem entsetzlichen Platz hier", flüstert sie, „ich hab' ja nie wieder hier ent lang gehen wollen, aber ich kann ja nicht anders, ich muß ja!" Langsam führt er die Alte fort. Er hat sie im Arm, fast trägt er sie; und es ist ihm so wonnevoll wohl dabei, denn es ist ihm, als sei er nun berufen, an Stelle des toten Sohnes die alte Frau weiter zu geleiten, — er, der elternlose Sohn und sie, die kinderlose Alte, — zwei Ein same, die sich gefunden haben, gefunden am Abgrund! So geleitet er sie nach Hause. Dann nimmt er Ab schied, aber auf Wiedersehen. Und wie er nun allein ist und wild dahinstürmt durch den frühlingsfrischen jungen Wald, da kommt mit einemmal eine so unbändige Lebens lust über ihn, daß er beide Hände in die Lüft streckt und einen jubelnden Jauchzer, der Lerche gleich, in die Luft schickt, — so wohl, so froh ist ihm rumut, daß er nun jemand hat, für den er arbeiten und sorgen kann, — so wohl und so froh, daß er nun weiß, er ist nicht mehr allein und sein Leben hat einen Zweck! Jubelnd stürmte er dann weiter.