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Wann könnte ich ihn denn sonst treffen? Um Seme Hocbter. Humoristische Novellette von Anna Treickel. (Nachdruck verboten.) Krause, der Portier des Stadtmuseums in D., welcher noch nicht lange im Amt und daher noch sehr diensteifrig war, kam auf das Glockenzeichen, das einen Einlatz suchenden meldete, schleunigst herbei und entriegelte die schwere Tür, denn es war heute kein allgemeiner Besuchs tag. An Stelle irgendeines gelehrten Hauptes aber, das zu sehen Krause eigentlich erwartet hatte, stand drautzen ein hübsches, junges Mädchen von etwa 18 Jahren, zierlich gekleidet und im Besitze eines gewitz schon oft bewunderten oder beneideten liebreizenden Gesichtchens. Sie fragte mit sicherer Stimme: „Ist der Herr Museumsdirektor Dr. Scherow zu sprechen?" — „Be- daure, nein, Herr Direktor sind augenblicklich nicht da." Iris wurde zu Bett gebracht, der Arzt verordnete Eis auf den Kopf und vor allem vollständige Ruhe; er befürchtete eine Nervenerschütterung. Aber nach ein wöchiger stiller Ruhe befand sie sich wieder so wohl, daß sie über Tag ein wenig aufstehen konnte. Unter den vielen, die sich nach ihrem Befinden er kundigt hatten, war auch Sophus. Sie bat, mit ihm sprechen zu dürfen, wenn er wiederkammen sollte. Von Hermann hatte niemand gesprochen, und sie fragte auch nicht nach ihm. Mit Schaudern dachte sie an das letzte Zusammentreffen mit ihm und die Furcht vor einer Wiederholung bestärkte sie noch mehr in der Absicht, sich wieder nach der Schweiz zurückzuziehen. Es war schrecklich, Sophus nicht mehr sehen zu können, es würde besser gewesen sein, wenn sie nicht wieder mit ihm zusammengetroffen wäre. Mitten in ihrer Sehnsucht hatte sie doch früher mit Ergebung an ihn gedacht. Wie würde es ihr nun ergehen? Aber wie sollte sie weitere solche Begegnungen mit Hermann aushalten? Uber eins mutzte sie klar werden, bevor sie wieder in ihr freiwilliges Asyl ging. Sie mußte ihr Verhältnis zu Hermann, wahr und ohne Schonung gegen sich selber, Sophus oder seiner Mutter erklären, damit sie wenigstens mit Teilnahme ihrer gedenken möchten. Die eisige Kälte, mit der Sophus ibr immer begegnet war, mutzte, wie sie erkannte, von ihrem Verhältnis zu seinem Bruder herrühren. Konnte sie seine Liebe nicht erringen, so wollte sie sich doch wenigstens seine Achtung und sein gutes Urteil erwerben. Vielleicht würde er einmal — wenn die Jugendfahre verstrichen waren — ihrer in Freundschaft gedenken. Sie weinte. — Wie würde sie einnial mit Verachtung den Gedanken an bloße Freundschaft von sich gewiesen haben, während sie nach Liebe seufzte. Wiederholt hatte sie an Frau Hilmar und Sophus schreiben wollen; aber nichts befriedigte sie. Jetzt hatte sie beschlossen, so bald als möglich mit ihnen zu sprechen — sie mutzte ihnen auch etwas von der letzten Begegnung mit Hermann erzählen. Ihre Mutter hatte so viel mit dem Empfang von Kondolenzbesuchen zu tun, sogar einen von allerhöchster Serte, daß sie sie verhältnismäßig wenig sah. Aber sie erhielt viele Berichte, wie man sich in schmeichelhaften Woclen nach ihrem Befinden erkundigt habe. Sie sehnte sich nur nach einem einzigen Besuch. — Und er kam. Pastor Hilmar, der nun zum Pfarrer daheim ernannt worden war, wurde gemeldet. Iris hatte keine Ahnung davon, wie schön sie wirk lich war, als er eintrat — die Freude, ihn wiederzusehen, verlieh ihr einen erhöhten Glanz —, und man hätte fast darauf schwören mögen, daß er dies nicht eher gewußt hatte, als bis in diesem Augenblick, als er vor ihr stand. Es war, als wenn er die Sprache verlöre; vielleicht suchte er noch passenden Worten. Der eine und andere schnellfüßige Junge rannte dem Wagen nach. Ein paar Polizisten kamen herbei, die Menge zer streute sich und bald hatte der Platz wieder sein gewöhn liches Aussehen, bis auf einige Gruppen, die An heftiges Verlangen nach weiteren Ergüssen und Vermutungen über Las Drama fühlten, das sich hier vor ihren Augen ab gespielt hatte. Ein junger gutgekleideter Mann war dahergelaufen, hatte sich vor ein Tor gestellt, Rock und Weste aus gezogen, als er im gleichen Augenblick einen Herrn er blickte, der aus einer Tür trat und auf ihn zuging. „Ah, endlich!" rief der erstere, ergriff einen Revolver, den er bei sich trug, und zielte auf den nichtsahnenden jungen Mann. Ein Herr, der gleichzeitig oorüberging, schlug mit seinem Stock nach dem Revolver, der Schuß ging los und traf den Unglücklichen selber, der von seiner eigenen Waffe in die Schulter getroffen, zusammensank. Aber wer war er? Hatte er mit Absicht auf den andern gezielt? Und warum hatte er Rock und Weste ausgezogen? 12 Uhr wollten Herr Direktor zurück sein, wenn Fräulem wiederkommen möchten —". Das junge Mädchen schaute auf die an ihrem Armband angebrachte Uhr, welche dis elfte Stunde zeigte, und bestimmte ruhig: „Gut, ich komme dann nach zwölf wieder." „Und soll ich vielleicht etwas ausrichten?" erkundigte sich Krause. Es war ihm streng anbefohlen worden, sich stets über die Wünsche der in Herrn Direktors Abwesen heit oorsprechenden Personen zu erkundigen, aber gerade „Entschuldigen Sie, ich hatte gar nicht die Absicht,, mich bei Ihnen einzudrängen. Ich bin auf Len Wunsch meiner Mutter gekommen, um mich nach Ihnen zu er kundigen, aber es wurde mir gesagt, daß Sie mich zu sprechen wünschten." „Immer der Gleiche, so fern und so kalt!" dachte Iris; aber als sie aufsah, wurde sie betroffen von dem Ernst, ja, der Trauer, die auf seinem Gesicht zu lesen war. „Ja, das ist wahr — ich wollte gern mit Ihnen sprechen — aber — mir scheint, daß Sie selber schlecht aussehen, ist Ihnen etwas widerfahren?" Sie empfand einen Augenblick so tiefe Angst, daß sie den steten Gedanken vergab, der sie besonders seit dem Wiedersehen beschäftigt hatte. Mit einem wunderlichen Blick betrachtete er sie, als ob er ihr Innerstes ergründen wollte, oder vielleicht tauchte in ihm wieder die Erinnerung auf, was sie alle bereits um ihretwillen gelitten hatten: und dort saß sie nun selber, so blühend, so schön — wunderbar schön — als ob sie von nichts betroffen werden könnte. Wußte sie nichts von den Ereignissen der letzten Tage? Im entgegengesetzten Falle war sie ebenso herzlos als schön. Es kochte in ihm, so daß er zu ersticken drohte. War es möglich, daß er Haß fühlte! „Dann möge mir Gott vergeben!" dachte er und wandte die Augen von ihr ab. War er vielleicht hergekommen, um ihr Richter zu sein? Noch nie hatte er eine solche Verzweiflung gefühlt. Er wußte nicht, was er sagen sollte und was nicht. — Sie erwartete in größter Spannung seine Antwort. „Ja", sagte er, „gut haben wir es natürlich nicht nach den Sorgen der letzten Tage." „Den Sorgen der letzten Tage? — Haben Sie —" „Entschuldigen Sie! Ich meinte, Sie wüßten es — die Zeitungen haben ja alles berichtet, ausgenommen die Namen —" „Ich ahne nicht, was Sie meinen; ich habe keine Zeitungen gelesen in diesen Tagen, sagen Sie mir doch endlich, was geschehen ist. Ist Ihre Mutter krank? — O, sagen Sie mir alles!" Ihr Eifer, ihre Unruhe und Angst waren nicht miß- zuverstehen. Aber es nützte nichts, sich Stimmungen hinzugeben. Er richtete die Äugen fest auf sie — „o, welch großen Kummer sie über uns gebracht hat!" dachteer noch einmal. Ein paar große Tränen fielen von ihren Wimpern auf den Teppich vor ihr. „Hat mein Bruder Sie gesehen? Haben Sie am Begräbnistag mit ihm gesprochen?" fragte er — aber seine Stimme war weicher, als sie sonst zu sein pflegte. (Schluß folgt.) H ZK K M HL 86 H Z L HS L « Z Z-tv S 8 R Z Z L-H- S p " I baS war Krauses schwache Seite und das „Ausrichten* eine heikle Sache für ihn! Aber er gab sich alle Mühe damit. „Ach ja, bitte, wenn Sie dem Herrn Direktor be stellen wollten, es wäre eine Dame dagewesen, die sich mit ihm wegen Anfertigung einer Gemäldekopie aus der hiesigen Sammlung habe unterreden wollen, — es handelt sich um „Die goldene Hochzeit" von Werner Kirn. Sagen Sie dem Herrn Direktor nur, ich wäre seine Tochter, dann wird er mich schon anuehmenl" Die Tür fiel ins Schloß, elastisch schritt das junge Mädchen von dannen und ahnte nicht, daß im Museumsvorplatz der gute Krause ganz verblüfft dastand und sich eine geraume Zeitlang gar nicht wiederfinden konnte vor lauter Verwunderung. Was hatte das Fräulein gesagt? Hatte er sich auch nicht verhört? Doch nein, ganz deutlich war es ja an sein Ohr gedrungen, dieses: „Sagen Sie dem Herrn Direktor nur, ich wäre seine Tochter!" Sia, so etwas — das Fräulein nannte sich des Direktors Tochter und das mit einer solchen Sicherheit und — Ungeniertheit, als wäre weiter nichts dabei! Der Herr Direktor waren nämlich nicht verheiratet und es auch niemals gewesen, wie Krause ganz bestimmt wußte. Hm, — so, so — nun ja, — aber daß der Herr Direktor mit seinen 36 Jahren schon solche erwachsene Tochter hatte, das wunderte Krause denn doch am meisten! Ein hübsches, feines Mädchen übrigens, diese Tochter, und wie sicher sie auftrat! Wer konnte nur wissen, wie die ganze Sache zusammenhing, — das mit dem Bilde aber war denn doch wohl nur ein Vorwand! Jedenfalls mußte Krause die Geschichte ausrichten, — bei diesem Gedanken überkam ihn ein gelindes Gruseln, — wer weiß, was der Direktor sagen würde! — er konnte manchmal recht „schneidig" sein! — Denn angenehm mußte ihn eins der artige Meldung von seinem Untergebenen doch nicht be rühren, — aber was half's, — wenn es ein Donnerwetter setzte, duckte er sich eben! Um 12 Uhr betrat Herr Direktor Dr. Georg Scherow das Museum und fragte den Portier: „Nun ist was Neues passiert?" — „Das schon, — aber was —" Krause kraute sich hinter den Ohren. — „Nun, was denn, heraus damit!" befahl Scherow ungeduldig. „Herr Direktor, — ich dachte, es könnte Ihnen viel leicht unangenehm sein, — aber ich muß es doch bestellen; — vorhin war eine Dame da, ein junges Fräulein, — sie wollte mit Herrn Direktor reden wegen der Kopie des Werner Kirnschen Bildes „Die goldene Hochzeit" — und sie sagte, sie wäre die Tochter des Herrn Direktors —" „Sind Sie betrunken, Krause, oder träumen Sie? Meine Tochter? — Sie wissen doch, ich bin unverheiratet — wo sollte ich die denn plötzlich herhaben —" — „Ver zeihen, Herr Direktor, — aber so wahr ich hier stehe, hat die Dame behauptet, sie wäre Ihre Tochter, — ich dachte auch, ich hätte nicht recht gehört, aber diesmal bin ich ganz sicher!" beteuerte Krause. „Aber ich habe keine Tochter, — wie sollte jemand auf so einen albernen Streich verfallen!" — „Wenn Herr Direktor wirklich keine Tochter haben, so hat das Fräulein sich vielleicht nur unter diesem Vorwand reindrängen wollen, —" — „Hören Sie, Krause, — Sie sind sicher wieder allein der Schuldige. — wenn Sie noch öfters Dummheiten machen, dann " „Bei Gott, Herr Direktor, — ich hab' die Wahrheit gesagt — und Sie werden es sehen, wenn das Fräulein wiederkommt." „Was, sie kommt wieder?" — „Ach, das vergaß ich auszurichten, — ja, nach zwölf wollte sie wiederkommen, sie sprach so sicher und bestimmt —" „Ich muß Ihnen wohl glauben, Krause, — nun, dann weisen Sie die Unverschämte ab, ich bin für derartige Scherze nicht zu haben!" Damit wollte Georg Scherow gerade die Unterredung beendigen und die Treppe zu seinem Bureau emporsteigen, als im selben Momente wieder die Türschelle gezogen ward. Krause stürzte eilig auf die Tür zu, indem er dem Direktor flehentlich zurief: „Das wird sie sein, Herr Direktor!" Noch ehe Scherow etwas erwidern konnte, öffnete sich bereits die Pforte und der Direktor beschloß, die Sache ein- für allemal gründlich zu erledigen. — Mit einem Lächeln auf Lem frischen Gesicht trat nun auch wirklich U-G AHNS - LaS junge Mädchen von vorhin herein, bestätigt durch Krauses lautes: „Das ist sie!" — „Der Herr Direktor!" setzte er mit einer Handbewegung hinzu, worauf sich die Dame diesem näherte und, sich verbeugend, in sicherem Tone zu reden begann: „Verzeihen Sie, Herr Direktor, daß ich es wage, Sie zu überfallen, — aber im Vertrauen auf Ihre Liebenswürdigkeit " „Schon gut, Fräulein, kurz zur Sache", antwortete Scherow mit finsterem Gesicht, „Sie waren bereits hier, nicht wahr?" — „Allerdings und komme, da ich Sie nicht antraf, hartnäckig wieder —" „Sie machten jedoch dem Portier schon eine Bestellung an mich, — eine etwas sehr — sonderbare Bestellung, die ich dem Manne kaum glauben wollte, ist dem so?" Das Fräulein sah den Frager erstaunt an. „Sonderbar nennen Sie meine Bestellung? Finden Sie es denn sonderbar, wenn eine Tochter —" „Also doch!" dachte Scherow, dem Krause einen Triumphesblick zuwarf, und unterbrach die Sprecherin scharf: „Was, Sie erdreisten sich also im Ernst, zu be haupten, Sie wären die Tochter von — von —" „Von mir!" wollte er ergänzen, aber Arger und Scham er stickten das Wort. Erschrocken prallte das junge, dunkel errötete Mädchen zurück. „Herr Direktor", sagte sie dann kurz und ent schlossen, mit gerunzelten Brauen, „Sie führen eine sehr seltsame Sprache, ich muß gestehen, daß ich eine solche nicht gewöhnt bin, besonders in Gegenwart von — von Unterbeamten, — man hatte Sie mir als einen entgegen kommenden Herrn geschildert —" „So? Nun, Sie wollen ein Bild kopieren, aber was soll der Töchter-Vorwand? Ich kenne eine solche Tochter nicht, hören Sie?" „Ah, — jetzt verstehe ich, — Sie mißtrauen mir! Aber ich kann mich ausweisen, ich werde Ihnen das Nötige überreichen, auch einen Brief von meiner Mutter." „Bleiben Sie mir gefälligst damit vom Halse", rief Dr. Scherow grob, jetzt zum Höchsten aufgebracht, „ich habe mit dieser Angelegenheit absolut nichts zu schaffen, ver stehen Sie?" „Ich merke jetzt schon selber, daß es Zeit ist, mich zu empfehlen, — wahrlich, ich bin bisher weit und viel in der Welt herumgereist mit meinem Vater, aber einen der artigen Museumsbeamten wie Sie habe ich doch noch nirgends angetroffenl" sagte das Fräulein mit kaltem Spott, „ich empfehle mich!" „Halt!" rief Scherow, „mit Ihrem Vater sagten Sie? Nun sprechen Sie endlich einmal deutlich — was ist denn nun das für ein Vater?" Das Fräulein sah von einem zum andern, die Sache wurde ihr unheimlich, dann sagte sie kurz: „Ich heiße Mathilde Kirn und bin die Tochter des Malers Werner Kirn, von dem ich das Bild „Die goldene Hochzeit" gern bei meinem besuchsweisen Aufenthalt hier für mich kopieren möchte. Einen Geleitsbrief meiner Mama, die Ihnen von Heidelberg her bekannt ist, habe ich Ihnen auch noch ab zugeben." Dr. Scherow faßte sich an die Stirn und Krause sank fast in die Knie vor Schreck. „Was habe ich an gestellt!" — „Wie habe ich mich benommen!" So dachten die beiden. „Verzeihung, gnädiges Fräulein, Verzeihung, — der Irrtum war allerdings ein etwas starker! Hat mir der Mensch» der Portier, eine Bestellung gemacht —", er wandte sich wütend nach Krause um, — aber der war schleunigst verschwunden. Scherow sagte dem Fräulein Mathilde Kirn jedoch nicht, welcher Art die Bestellung gewesen, er sagte nur, Krause habe eine kolossale Dumm heit gemacht, so daß er sie — Fräulein Kirn — für eine Aufdringliche gehalten! — Hell tönte Mathildes herzliches Lachen, und als sie nun für Krause ein gutes Wort ein legte, da sie sich vorhin gewiß nicht verständlich genug ausgedrückt habe, sah Georg Scherow erst, wie hübsch und lieb sie war. Und als sie nach einigen Monaten seine kleine Frau geworden, wozu die Plauderstunden des Herrn Direktors und Fräulein Kirns bei dem Kopieren des Bildes der Grundstein gelegt hatten, erzählte Georg seiner Mathilde denn auch, wie sie einmal durchaus „seine Tochter" hat!« sein sollen!