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besten Autor ich selber bin. Komponiert ist es von Herrn Karl Blausand, einem jungen Musiker und Komponisten, mit dessen Entdeckung ich mir ein Verdienst erworben zu haben glaube . . Er zögerte eine Sekunde, dann setzte er hinzu: „Ich möchte bei dieser Gelegenheit nicht verfehlen, Ihnen einige Nachsicht, mir und meinen Künstlern gegenüber, ans Herz zu legen ... ich selbst habe zum Beispiel hoch nie auf einem Theater gestanden, wenn ich daher vorläufig noch etwas befangen bin . . Er senkte schämig den Blick. Das Publikum jauchzte vor Vergnügen, und die Stimmung war wieder gerettet. Das Chanson hieß dickste" und Ivar die Geschichte einer kleinen Schreibmaschinendame, die sich, aus der Armseligkeit ihres Lebens heraus, dem Leichtsinn in die Arme wirft und mitten im Wohlleben und Genuß doch immer wieder in schmerzlicher Wehmut au die holden Tage ihrer Müdchenunschuld gemahnt wird. Die Schauspielerin brachte alles für diese Rolle Er forderliche mit, aber sei es, daß sie die vorige Scharte jetzt mit Gewalt auswetzen wollte und daher zu viel gab, oder hatte sie wirtlich die Herrschaft über ihr Talent verloren — mau wurde das beklemmende Gefühl nicht los, sie sei ihrer Aufgabe nicht gewachsen. Mit den ersten drei Versen ging es noch, und selbst die allzu forcierten Gesten der Sängerin konnte man zur Not noch dem hier geschilderten exaltierten Mädchen- charakler zugute halten. Aber den Anfang des vierten Verses fand die Koresku nicht. In sichtbarer Verlegenheit trat sie bis ganz vorne hin an den Souffleurkasten, und die in den ersten Parkettreihen Sitzenden hörten deulich die Anstrengungen der Souffleuse, welche sich alle Mühe gab, der Sängerin zu Hilfe zu kommen. Ohne Erfolg. Es war ein außerordentlich peinlicher Anblick, diesen Kampf mit anzusehen, den die Bedauernswerte da oben auf der Bühne mit ihrem Gedächtnis kämpfte. Dann fiel ihr zwar der Text wieder ein, sie sang weiter, aber ihr ganzes Gebaren erschien so unnatürlich, sie fiel so buch stäblich aus der Rolle, daß sich kaum eine Hand hob, als Daja Koresku abtrat. Sie blieb auch nicht, wie vorher Frieda Brandt, auf der Bühne, sondern sie tat das, was sie am wenigsten hätte tun dürfen: sie, die sich blamiert hatte, brüskierte das Publikum obenein und verließ mit einem verächtlichen Achselzucken die Szene. In diesem Augenblick ertönte ein Pfiff, und als hätten die professionellen Lärmmacher und Radaubrüder darauf nur gewartet, so erhob sich plötzlich ein Zischen und Pfeifen, verschiedene Herren in Frack und Claque holten ihre Hausschlüssel hervor und es schien, als sollte das junge Unternehmen schon bei der ersten Vor stellung Schiffbruch leiden. Die Bühne war einige Minuten leer geblieben, denn der Baron hatte sich, nm die peinliche Niederlage Fräu lein Koreskus durch seine Anwesenheit nicht noch zu ver mehren, von seinem Sessel erhoben und war leise hinaus- gegangen. Jetzt trat er wieder vor — den Vorhang hatte er ab« sichtlich nicht niedergehen lassen — und ging bis vorn an dis Rampe. Sein Gesicht war blaß, und unwillkürlich suchte sein Auge wieder die Loge, in der sich Gertrud Deimichel ängstlich zurücklehnte, während ihr Vater wütend mit gerunzelter Stirn und aufgeblasenen Backen neben ihr saß. Hinter ihnen beiden hielt der Agent Krautner seinen Kopf gesenkt und nickte leise vor sich hin, als wollte er sagen: „Das hab ich kommen sehen . . Der Baron erhob leicht die Hand, wie, um-dieses immer noch brandende und wellenschlagende Meer dort unten zu besänftigen. Und die Wirkung dieser ein fachen Bewegung, welche von keinem Wort begleitet, doch wie eine feine, stolze Bitte aussah, war ganz über raschend. Dieser Mann, welcher in der Tat früher niemals die Bretter betreten hatte, war in einer einzigen Stunde seines Faches Meister geworden. Die Leute lächelten ihm zu und, wiewohl die Ge sichter aus dem Zuschauerraum nur wie schwache Lichter heraufglommen, merkte und empfand er dieses Lächeln dennoch und sagte heiter: „Eine kleine Vergeßlichkeit, meine Herrschaften, die Sie einer so talentvollen und be währten Künstlerin gewiß nicht nachtragen werden . . ." Damit war die Sache für ihn erledigt. Er fing sofort an, seinen Zuhörern einige Gedichte vorzutragen, und das Theaterpublikum, ganz den Eindrücken des Augenblicks hingegeben, hatte den Zwischenfall sogleich vergessen, und der Kontakt zwischen Bühne und Zuschauerraum wurde immer fester und inniger. (Fortsetzung folgtä Oas SMck äcs Klemen WM Von Käthe Lasker. (Nachdruck verboten.) „Willi Richter, bringe mir sofort den Zettel her, den du in der Hand hältst!" Der blonde Junge mit den lachenden, Hellen Augen gehorcht unverzüglich und steht aufrecht und ungezwungen neben dem Katheder. — Mit ernster Miene nimmt ihm Ler Lehrer das oorpns ckellett, eine vielfach gefaltete Seite aus dem „Aufgabeheft", aus der Hand und fragt: „Wer hat dir das gegeben — es wurde dir doch soeben zugesieckt?" Atemlose Pauss — zwanzig kleine Burschen richten ihre Augen aus den Genossen, Ler da im ausgewaschenen Schulanzuge vor ihnen steht, so stramm und steif, und zwanzig wildklopfende Kinderherzen bangen: „Wird Lr fest bleiben — oder wird er den andern verraten?" Willi aber blickt verwundert dem Lehrer ins Gesicht! Sind sie denn nicht beide hier im Klassenzimmer der ersten Vorschulklasse — und kann der Herr Doktor im Ernste glauben, daß ein rechter Junge vop acht Jahren einen Mitschüler „augeben" wird? „Nun, willst du es nicht sagen?" fragt der Lehrer und fügt überredend hinzu: „Du weißt doch, daß ich dich dann bestrafen muß." Willi lächelt tapfer und sagt ruhig: „Ja, Herr Doktor." „Und du beharrst bei deinem Schweigen?! — ich frage jetzt zum letztenmal: Willst du den Namen nennen?" — „Nein, Herr Doktor", klingt es sofort, klar und fest. Ein Aufatmen ging durch die Klasse — der Primus lächelt stolz. „Gut", sagt der Lehrer ruhig, „wie du willst! Du kannst um zwölf Uhr hier in der Klasse bleiben. Ich will dir Zeit geben, über die Pflichten der Freundschaft nachzudenken." Willi macht linksum kehrt und begibt sich mit nicht ganz natürlichem Lächeln auf seinen Platz. Also: Nach sitzen! Seine Hand zittert ein wenig, als er das Geschichten buch aufschlägt — trotzdem erwidert er herzhaft unter dem Tische den anerkennenden Händedruck seines Nachbarn und besten Freundes, des dicken Kurt Lüders. Sein Vorder mann flüstert: „Bravo, Richter!" und Willi nickt ihm heimlich dankend zu. Der vierschrötige Paul Hamann aus der letzten Bank blickt scheu zur Seite und drückt sich in die Ecke, er schämt sich grenzenlos, daß er sich nicht als „schuldig" gemeldet, sondern feige den hochherzigen Mit schüler in der „Patsche" gelassen hat! Die Stunde nimmt ihren Fortgang, und Willi Richter folgt mit ungeteilter Aufmerksamkeit. Er ist ertappt worden — und wird bestraft. Basta! Ob ein anderer schuldiger ist, wie er — nein, eigentlich ganz allein schuldig, denn hat er ihn etwa gebeten, ihm so einen dummen Zettel zuzustecken? — darf ihn nicht kümmern. Wenn der anders eben Glück hat und sich drücken kann ! Ein ordent licher Junge macht Unabänderliches möglichst still und un auffällig ab! So bleibt Willi gelassen auf seinem Platz sitzen, als alle Knaben mit fröhlichem Lärm zum Heimwege rüsten. Kurt Lüders drückt ihm als letzter kräftig die Hand. — „Kriegst Lu Schelte, Willi?" Der Freund antwortet durch eine nicht mißzuverstehende Pantomime: Er macht einen krummen Rücken und zieht den Blondkopf zwischen die Schultern. Da klingen die Schritte des Lehrers auf dem Korridor. „Na, adieu, Willi — ich halte den Daumen! Abends komme ich mal herum zu euch, und sehe nach dir." Kurt ergreift schleunigst seinen Tornister und eilt aus der Tür. — Sowie der Lehrer das Klassenzimmer betritt» springt Willi empor und steht wie eine Kerze. Mit heim lichem Wohlgefallen ruht das Auge des Lehres auf dem frischen, gebräunten Knabengesicht,' und mit milder Stimme diktiert er ihm die leichte Schreibarbeit zu, die höchstens eine halbe Stunde Zeit in Anspruch nimmt. Während Willi eine neue Feder in den Halter klemmt, fragt ihn der Lehrer so nebenher: „Du bist wohl sehr befreundet mit Paul Hamann?" Als echtes Soldatenkind antwortet Willi stets prompt auf jede Frage in der knappen, abgehackten Form, in der er ebenso gut: „Zu Befehl!" zu einem Vorgesetzten sagen könnte. So sagt er jetzt: „Nein, Herr Doktor, gar nicht." „So", klingt es gedehnt zurück, „ich dachte —" Willi sieht dem Doktor grade in dis Augen. „ Hab: ihr denn nicht den gleichen Schulweg?" „Jawohl, Herr Doktor." „Magst du ihn nicht gern?" — „O doch, Herr Doktor." Der junge Lehrer lächelt. Es ist nichts aus ihm herauszubringen, denkt' er — famoser Bengel! Freundlich klopft er dem Kinde auf die Schulter und sagt: „Na, nun beeile dich, Junge, damit du bald nach Hause kommst!" Es ist fast dreiviertel Eins, als Willi sich auf dem Heimwege befindet. Nicht einmal kömmt ihm Ler Gedanke, daß er den Mitschüler hätte verraten und somit der Strafe entgehen können. Aber je mehr er sich der elterlichen Wohnung nähert, desto unruhiger wird der Ausdruck seines Gesichts, desto zögernder sein Schritt. Der Papa, der so lustig mit ihm spielt, so bereitwillig auf alle seine Scherze eingeht — er versteht keinen Spaß, wenn es sich um dis Schule handelt. Und wenn Willi nun sagt, daß er nach sitzen mußte, weil er den Unterricht gestört hat —! Denn den wahren Sachverhalt kann er doch eben nicht sagen — Willi bleibt noch einmal tief atmend vor der Haustür stehen! Dann wirft er den Kopf zurück, gibt sich einen beherzten Ruck und steigt die Treppe hinauf. Noch ehe er auf den Knopf der Klingel gedrückt hat, wird behut sam die Entreetür geöffnet, und das alte Mädchen, das schon bei den Großeltern gedient hat, drückt ihm die Hand auf den Mund. Sie ist ja gewohnt, daß gleich frohes Lachen und Plaudern erklingt, wenn Willi aus der Schule kommt! — Willi fühlt sein Herz hämmern. „Sind dis Eltern sehr böse?" flüstert er atemlos. Sophie schüttelt den Kopf. — „Böse? — Warum denn? Komm nur in dein Zimmer — aber ganz, ganz leise — hörst du?" Sie hilft ihm den Ranzen abschnallen und hängt die Klassenmütze an den Garderobenhalter. — „Was ist denn, Sophie?" fragt Willi beklommsn. Das Mädchen sieht so sonderbar aus — gewiß hat Mama sie ausgezankt — oder sorgt sie sich um ihn, weil die Eltern so böse auf ihn sind? „Lotti ist frank", raunt Sophie ihm zu, „Mama und Papa sind drin bei ihr — und du sollst hübsch artig auf deinem Zimmer bleiben, bis der Großpapa dich holt." Über Willis Gesicht zieht ein glückliches Lächeln. — „Hat Papa nicht nach mir gefragt?" forscht er noch immer ungläubig. „Nein, du hörst es doch", versichert Sophie — und auf den Zeben, damit nur niemand sein spätes Kommen hört, schleicht Willi aus sein Zimmer. Das ging noch einmal gnädig ab! Willi lacht leise vor sich hin und knackt vor Ver gnügen mit dsn Fingern. Das ist das Neueste in der ersten Vorschulklasse. Die Eltern haben nicht nach ihm gefragt, ihn nicht vermißt! Wohl gar nicht nach Ler Uhr gesehen, haben sie — weil doch Lotti krank ist! — Willis strahlendes Gesichtchen wird um keinen Schein ernster in diesem Gedanken! Lotti, das kleine Schwesterchen, ist ja öfter ein bißchen krank! Sie klagt über irgendetwas — und dann wird sie von der Mama ins Bett gebracht, bekommt Himbsrsafi zu trinken und wunderschöne Biskuits zu essen und sieht immer sehr vergnügt und zufrieden aus in ihrem lustigen, schneeweißen Bettchen! Etwas Schlimmes wird's auch heute nicht sein — sie hat zwar gestern schon keinen Flammeri essen wollen und am Abend leise vor sich hin- geweint, aber kleine Mädchen haben sich ja immmer gleich so gefährlich! Morgen ist sie gewiß wieder gesund Dann will Willi sie auch auf seinem Schaukelpferd reiten lassen, denn er ist ja so dankbar, daß sie heute krank ist und ihn vor Schelte bewahrt hat. Keine Schelte und der Großpapa holt ihn ab! Hurra! Dann darf er sicher bsi den Großsllsrn zu Mittag essen — — ob es sein Leib gericht gim? Mit träumerischem Lächeln beginnt Willi eifrig seine schwärzlichen Fingerchen zu waschen, die Großmama hält auf Sauberkeit! Drüben im Kinderzimmer lastet unheimliche Stille. Ein glühendes Kindergesicht wirft sich in den Kissen von einer Seite zur anderen und feuchte Händchen greifen zuckend ins Leere. Heiß und staubig, wie er vom Dienste gekommen, steht Ler Papa am Fußende des Bettchens, seine schlanke Gestalt ist haltlos zusammengesunken und die Finger um klammern krampfhaft den Säbelkorb. Mit brennenden Augen starrt er auf den blonden Lockenkopf, der sich so unruhig hin und her wirft! Kann es denn möglich sein, was der Arzt vorhin angedeutet hat — ist es nicht nur eine Ausgeburt seiner aufgeregten Phantasie — ein grinsendes Gespenst, das ihn narren will, ihn und seine verzweifelte Angst —l Die Mama kniet neben dem Bettchen und preßt ihr Gesicht in die Kissen, um nicht aufzuschreien in namenloser Qual. Nun bewegen sich die glühenden, trockenen Kinder lippen und das schwache Stimmchen haucht leise: „^Rimini" — Das ist die zärtlich geliebte Puppe, die Staatsdame in Samtkleid und Fedsrhut, die steif auf einem Stuhle sitzt und mit ihren starren Glasaugen un verwandt auf die kleine Mama blickt, die beute so eigen tümlich ist Der sonnige Sommertag lacht durch die Scheiben — unbarmherzig klingt das jubelnde Singen Ler Vögel — das Jauchzen der spielenden Kinder dringt gedämpft herein! Ach! Wie mühsam tritt der röchelnde Atem über die armen, spröden Lippen, wie gualvoll ziehen sich die Augenbrauen auf der reinen Kinderflirn zu sammen. „Der Belag hat zugenommen", sagt der Arzt. Wie trocken es klingt, wie sachlich, wie geschäftsmäßig — und es ist doch ihr Kind, ihre Lotti — ihr süßes, kleines Töchterchen! Die unglückliche Mutter fühlt das wahnsinnige Ver langen, sich auf den erbarmungslosen Henker zu stürzen, ihn zu schütteln und zu schreien: „Rette mein Kind, mein Kind!" O, nur irgendwie dieser furchtbaren Verzweiflung Luft machen — — o, nur Tränen finden, erlösende Tränen! Aber tränenlos, mit starren Blicken bricht sie neben dem Sterbelager zusammen Willi gebt artig und sittsam mit blendend sauberen Händen neben dem Großpapa über die Straße. „Weißt Lu, Großchen," bat er wichtig gesagt, „Lotti ist ein bißchen krank, darum komme ich zu euch zu Tisch" und schelmisch lächelnd hat er hinzugefügt: „Ich habe schon mächtigen Hunger." Der Großpapa ist sehr einsilbig heute und sieht viel älter aus als sonst. > Es kommt Willi beinahe so vor, als sei er seit gestern dünner geworden, seine Wangen sehen ganz eingefallen aus. Und was hat der Großpapa mit Sophie geflüstert? Wie heißt doch nur das Wort Diphthsritis — richtig! Uud Sophie hat sich so scheu dabei umgesehen — grade so wie Willi es tnt, wenn er auf dem Schulhofe einen Lehrer bei seinem Spitznamen nennt! „Großchen," sagt Willi, „darf ich 'mal einen Augen blick zu Lüders hinaufgsben? Ich will Kurt nur etwas wegen der Schularbeiten fragen. Ich komme gleich wieder zurück." Der Großpapa nickt stumm Gewährung, und mit einem: „Geh' nur immer langsam weiter," stürmt Willi davon, die Treppen hinauf und gleich ins Zimmer seines Intimus. Der sitzt am Tische und malt behutsam zierliche Buchstaben in sein Schönschreibeheft. „Wie war's — schlimm?" ist sein erstes Wort beim Anblick des Freundes. Der schleicht mit listig zwinkernden Augen Licht an ihn heran und flüstert: „Sie haben es gar nicht gemerkt — unsere Lotti ist nämlich etwas krank — und da hat niemand nach der Uhr gesehen — fein, was?" Der dicke Kurt blickt in Las triumphierende Knaben gesicht mit einer Mischung von Neid nnd Bewunderung und sagt mit einem tiefen Seufzer: „Was du auch unmer für Glück hast, Willi!"