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standes zwilchen ihnen und er litt darunter, ohne den ge ringsten Rat zu wissen. Hermann bemerkte nach und nach, daß Bertel mehr und häufiger interessiert schien, als ihm lieb war; er meinte aber, daß er von Agnes mehr als stark beschäftigt werde. „Fräulein, ich muß Sie ersuchen, meinen Burschen nicht so viel in Anspruch zu nehmen, daß er seine täg lichen Pflichten vernachlässigt", sagte er in einem recht gereizten Ton zu Agnes, als sie ihm seinen Morgenkaffee brachte. „Ich habe Bertel nichts weiter zugemutet, als Brenn holz zu sägen und dieses samt den Kohlen, die wir ge brauchten, heraufzutragen, und dies haben Sie doch selber erlaubt!" antwortete Agnes unangenehm berührt durch den von ihm angeschlagenen Ton. „Gestern sah ich ihn Messer schleifen und neulich polieren; mein Pferd war schlecht gestriegelt und Geschirr und Wagen beschmutzt", war die Antwort. Er stieß die Worte kurz hervor. Agnes fühlte, wie ihr das Blut in die Wangen schoß, antwortete aber in besonnenem Ton: „Ganz richtig, er hat sich ängeboten, diese Arbeiten auszuführen, ich selbst habe seine Mithilfe nicht verlangt — und bin immer in gutem Glauben gewesen, daß er seine eigenen, oder eigentlich Ihre Sachen nicht vernachlässige." „Aber das hat er doch getan, und ich will mir nicht einen so teuren Burschen halten, um zu seinem Vergnügen Ihren Kavalier zu spielen." Mit unterdrückter Heftigkeit schlürfte er seinen Kaffee. Agnes war besonders darüber empört, da in seinen Worten eine Perfidie lag, unangenehmer, als die Sache selbst. Mit einem unruhigen Seitenblick beobachtete er sie, so oft er sich über die große Kontorkasse beugte. Er sah, wie aufgeregt sie war und weidete sich an ihrem Zorn. Die Aufregung stand ihr gut, nie hatte er sich vorgestellt, daß diese sanfte Gestalt so aussehen könnte. „Ich hoffe", sagte sie hastig, „daß Ihr Bursche niemals auf meine Aufforderung mir irgendwelche Hilfe geleistet hat." „Vielleicht keine direkte Aufforderung — wenn Sie es sagen", erwiderte er stachelnd. „Weder direkt, noch indirekt! Ich verlange, daß Sie mir glauben!" antwortete sie mit flammenden Äugen. „Verlangen, verlangen! Man kann nicht immer Fügsamkeit verlangen!" Wenn es sein Leben gekostet hätte, er hätte diese Worte nicht ungesagt lassen können. „Dann ersuche ich um meine Entlassung, am liebsten sofort; nicht einmal eine Bitte Ihrer Mutter könnte noch meinen Entschluß ändern!" Sie wandte sich um, sie wollte gehen, und sie sah nicht die Veränderung, die plötzlich mit ihm oorging. Mit rotem Gesicht flog er vom Stuhl auf. „Sie können nicht so ohne weiteres Ihrer Wege laufen. Ich verbiete es, und meine Mutter soff sich gar nicht in diese Sache mischen, habe ich etwa nicht das Recht, Ihnen zu sagen, daß mein Bursche vor allem meine Arbeit zu besorgen hat?" „Ei, Gott behüte! Aber wenn Sie mich nicht sogleich reisen lassen wollen, so sage ich mit einmonatlicher > Kündigung die Stelle auf, wie es mein Recht ist." Er brummte etwas, das sie nicht verstand. Bertel brachte die Post, darunter einen Brief von Frau Hilmar, daß Sophus zu Besuch nach Hause ge kommen sei. „Ich habe nun die große Freude, daß Sophus sich entschlossen hat, daheim zu bleiben und sich um ein Amt - zu bewerben", schrieb sie u. a. . Nun nahm er die Zeitungen und durchflog sie schnell. Als er die letzte zusammenfaltete, da fiel sein Blick auf folgende Notiz: Nachdem er sich einer Operation — mit günstigem Erfolg — in einer bekannten Klinik unter worfen hatte, ist Herr Großkaufmann Höner gestern abend im Älter von 60 Jahren plötzlich mit Tod abgegangen. Er war Chef des bekannten großen Handelshauses Höper und Söhne, dem er seit 35 Jahren vorgestanden hatte und als tüchtiger und liebenswürdiger Geschäftsmann be kannt war: Er griff sich mtt beiden Händen an den Kops und stöhnte, so überwältigt war er. Sein erster Gedanke war Iris, der nächste — Sophus daheim! In wilder Flucht jagten sich Gedanken verschiedener Beschaffenheit durch seinen Kopf. Aber immer wieder stieß er auf den Namen seines Bruders. Daß er gerade jetzt heimkommen mußte; und mit der Verblendung der Eifersucht sah er, wie die beiden, Sophus und Iris, einander finden mußten. — Da langte die Meldung an, daß die Arbeiter drunten an der Kirche zu zanken begonnen Hütten, weil sie ihn erwarteten und nicht arbeiten wollten, bis er da sei. Er verlangte sein Reitpferd und wie ein Sturmwind kam er über sie, und so groß war der Respekt, den er ihnen einflößte, daß jeder Mann binnen wenigen Minuten auf seinem Posten war. Aber vergebens suchte er zur Ruhe zu kommen, indem er sich selber sagte, daß er tatsächlich nichts davon wußte, ob Iris in näherer Bekanntschaft zu Sophus stand. Tatsache war nur, daß sie sich jetzt in Kopenhagen trafen, und Sophus batte nun einmal die Frauen für sich. Als Pastor konnte er ja so leicht mit ihr in Berührung kommen und unwiderstehlich auf sie wirken. Wie, wenn es Sophus wäre, auf den sie in ihrem Brief angespielt hatte? — Was sind Ahnungen? Wie und woher kommen sie? Gibt es ein unbewußtes, geistiges Sein, das unsere Augen öffnen oder verschließen kann, je nachdem es für das eine oder andere seelische Martyrium am besten paßt? Mag es sein, wie es will. Er konnte diese Ahnung, die ihn dann und wann wie ein Alp marterte, nicht von sich abschütteln. Vielleicht war sie ein letzter Rest des Gemütsleidens, das er nach dem Bruch mit Iris durch gemacht hatte. Nach seiner Krankheit hatte er Kraft genug, diese Ahnung in den Hintergrund zu drängen. Der Blick des Arztes konnte nicht bis zu ihr dringen, und doch marterte sie ihn erst, als er als geheilt erklärt worden war. In Wirklichkeit war es diese Ahnung, die sein ganzes Wesen veränderte. Sie machte ihn mißtrauisch, hart und dann und wann unsicher und raubte ihm mehr als alles andere seine persönliche Liebenswürdigkeit. Ägnes hatte recht, wenn sie sagte, daß sich sein ganzes Wesen in Herrschsucht und Eitelkeit verwandelt habe. Die letztere Eigenschaft war gleichsam eine Rache für die Jugend täuschung, die er erlitten hatte. Er wollte zeigen, was er vermochte. — Erst spät kehrte er nach einem sehr anstrengenden Tag nach Hause zurück; aber sobald er sich der Ruhe bingab, wurde er wieder von den Qualen der Eifersucht befallen. Nein, es nützte gar nichts, was er sich selber auch sagen mochte, er mußte mit eigenen Augen sehen. Er klingelte. — Agnes trat ein. „Meinen Koffer! Wäsche und einen schwarzen Anzug. In einer halben Stunde fahre ich nach Kopenhagen." Wollen Sie Bertel sagen, daß er anspannt!" So waren seine Befehle immer; auf Fragen oder nähere Erklärungen ließ er sich nicht ein. Noch ehe sie sich umgewandt hatte, war er hinaus geeilt, um einen jungen Menschen, eine Art Substitut bei ihm, zu instruieren. Als der Koffer gepackt und der Wagen längst bespannt war. kam er gelaufen und fuhr dann fort. (Fortsetzung folgt.) Der 6ren2ftem. Skizze von Wilhelm Bube. (Nachdruck verboten.» Bauer Hansen hielt die dampfenden Pferde an. Pustend lehnte er sich auf den Pflugsterz und wischte sich mit dem Hemdärmel den Schweiß von der Stirn. Jen seits des Grenzrains schritt, den Pflugstock mit lautem „Hüh" schwingend, Bauer Peters hinter dem Pfluge her. Mit einem Ruck brachte er die Pferde beim Nachbar zum Stehen, scheuerte den Pflug mit einem Grasbüschel blank, hob den hochroten Kopf und räusperte sich. „Auf ein Wort, Nachbar Hansen", hob Peters an, „der Grenzstein hier ist nicht richtig gesetzt." Hänsen fuhr aus seiner gemächlichen Ruhe empor. „Was? Nicht richtig gesetzt? Du bist wohl nicht richtig im Kopf, Nachbar. Hast schon ganz vergessen, daß unsere Väter um den Stein viele Jahre nutzlos prozessiert haben? Was vom Gericht als Recht erkannt ist, das wird auch Recht bleiben müssen, Nachbar." — „Das Gericht Hai sich geirrt, muß sich geirrt haben. Für Geld läßt sich viel machen, und dein Vater hatte es ja." „Du wolltest doch wohl nicht sagen —" „Gar nichts weiter, als daß mein Hof um wenigstens zwei Ruten zu kurz gekommen ist. Die Grenze läuft nicht recht. Der Grenzstein muß weiter links stehen." — „So, du möchtest wohl gleich die ganze Koppel haben!" — „Nein, mein Recht nur, und da das Gericht mir's nicht erteilt, so muß ich es mir nehmen. Einmal muß der An fang gemacht werden." „Was willst du?" — „Ich will den Stein versetzen." — „Ich setze ihn wieder zurück." „Gleichviel, ich pflüge doch bis zur richtigen Grenze." — „Dann verklage ich dich." — „Ich weiß, was ich tue." — „Ich auch." Peters erhob wie drohend den Pflugstock, trat in die Furche zurück und trieb die Pferde an. Gleich darauf rief Hansen: „Hüh!" und etwas lauter: „Hansnarr)" Peters sah sich um. „Wen meinst, Halunke?" Gleichmütig gab Hansen zurück: „Meine Pferde! Wenn du's noch nicht weißt, sie heißen jetzt Hans und Narr, wie deine Hall und Unke!" „Hast sie umgetauft, Halunke?" — „Ja, Hansnarr!" Die anziehenden Pferde trennten die streitenden Nachbarn. Äber wenn sie sich begegneten, rief jeder in seiner Weise sein „Hüh" und die Pferdenamen hinter drein. — In den beiden Nachbarhöfen gab es denselben Abend erregte Auftritte. Peters fluchte über die Geometer, die den Grenzstein zu seinem Schaden gesetzt hätten, schalt seinen Sohn Fritz, der ihn zu besänftigen suchte, einen Einfaltspinsel und seine Frau, die zu weinen anhob, eine dumme Gans, ließ das Abendbrot stehen, ergriff auf der Diele einen Spaten und ging mit dröhnenden Schritten hinaus. Hansen war eine mehr phlegmatische Natur. Er schalt auch wohl, daß der erregte Nachbar ihm solchen Arger bereite, aber er nahm die Angelegenheit leichter, weil er das Recht auf seiner Seite wußte. „Ich glaube", sagte er, nachdem das Essen abgetragen war und die Dienst boten sich entfernt hatten, zu seiner Tochter Berta, „ich glaube, der Peters bringt's in seiner maßlosen Wut fertig, den Grenzstein noch heute Abend zu versetzen. Ich könnt' ihn ins Zuchthaus bringen, wenn er's täte." Berta zuckte zusammen. „Vater, was redest du? Einige dich doch gütlich mit ihm, gib ihm die paar Ruten Land, damit die alte Streitgeschichte ihr Ende finde." — „Das fehlte auch noch." „Vater, lieber Vater, du machst uns durch deine Hart näckigkeit alle unglücklich." — „Nein, Mädchen, höchstens den alten Peters, wenn er sich an dem Grenzstein ver greist." „Vater, bedenke, Peters hat auch einen Sohn, den ' einzigen Erben des Hofes. Soll dieser der Sohn eines ! Zuchthäuslers werden? Vater, ich bitte dich —" Hansen sah seine Tochter mit einem langen, warmen Blick an, und es entging ihm nicht, wie das gute Mädchen errötete. Dann sagte er ruhiger: „Soweit wird's nicht kommen, Berta. Nachbar Peters wird Vernunft ge brauchen und mich nicht zur Klage zwingen. Gute Nacht, f Kind, ich habe noch einen Gang vor." Er drückte die Tür ins Schloß und trat in die laue Frühlingsnacht. , Berta ergriff eine furchtbare Angst. Wenn der Vater ' nach dem Grenzstein ginge, wenn er dort Peters anträfe, , wenn die beiden Männer abermals in Streit gerieten, ' wenn — nein, sie mochte nicht an die Folgen denken, j Schnell entschlossen warf sie ein Tuch über und schlich ! durch den Garten. Beim Nußbaum überkletterte sie den Zaunsteg und < stand nun auf dem Petersschen Hofe. In der Stube - brannte düster die Lampe, und am Tische hockte, den Kopf 's auf beide Hände gestützt, Mutter Peters, allein mit ihrer > Sorge. Berta lehnte sich ins offene Fenster und fragte: „Ist Fritz zu Hause?" . Die Frau hob den Kopf, man sah, sie hatte geweint. ! „Fritz? Den schlag dir nur aus dem Kopf, Mädchen. Daraus wird nie etwas. O Gott! Weißt du nicht, daß sich dein und Fritzens Vater erzürnt, bis aufs Blut erzürnt haben? Das nimmt nimmer ein gutes Ende." „Ihr erschreckt mich, Mutter Peters. Aber sagt mir: wo ist Fritz?" — „Dem Vater nachgelaufen." — „Und wo ist Vater Peters?" — „Zum Grenzstein, hat er gesagt, und böse Flüche hat er dazu ausgestoßen. O Gott!" Berta hörte nicht mehr den letzten schluchzenden Auf schrei der Frau, sie sprang über den Zaun und eilte aufs Feld. Der Mond warf sein fahles Licht über die knospenden Hecken und Büsche und malte lange, ge spenstische Schatten. Die Nachtigall, die durch den hastenden Lauf des Mädchens gestört ward, brach in der Melodie jäh ab; die Frösche platschten schwerfällig in die Gräben zurück, und ein Reh, aus seiner Lagerstatt auf gescheucht, suchte irrend das Weite. Endlich holte Berta den Geliebten ein und umschlang ihn leidenschaftlich. Fritz machte dem atemlosen Mädchen Vorwürfe; aber er sagte sich auch, daß der sanfte Charakter Bertas auf die erhitzten Gemüter der feindlichen Väter beruhigend wirken würde. Er kannte den väterlichen Starrsinn, den eine fixe Idee beherrschte, nur zu gut und wußte den Ernst der Lage gar wohl zu ermessen. So faßte er die Geliebte fest bei der Hand und eilte mit ihr querfeldein. Bald hörten sie den erregten Wortwechsel der streitenden Männer. Ein Spaten blitzte auf, gleich darauf begann ein heftiger Ringkampf. Mich rechtzeitig ge langten die Liebenden beim Grenzstein an. Betroffen ließen die Ringenden voneinander ab, und Fritz trat zwischen sie. „Vater", sprach er ruhig, „besinne dich darüber, was du tust. Ich bitt' dich, laß den alten Hader ruhen, den die Großväter mit ins Grab genommen haben. Du kannst nicht eigenmächtig ändern, was vom Gericht als Recht erkannt ist." „Die Geometer sind bestochen .worden", brauste Peters auf. „Beweise", brüllte Hansen, „Beweise, sag' ich! Der Tote kann sich nicht rechtfertigen, aber er hört deine Anklage im Grabe, und ich verlange Beweise in seinem Namen." Berta umklammerte angstvoll den Vater. Fritz ab r nahm das Wort: „Vater, ich will die ganze Koppe! an deinen Hof bringen, wenn du mich anhören willst." Der Alte horchte auf. „Ja, die ganze Koppel", fuhr Fritz mit erhobener Stimme fort, „den ganzen Hansenschen Hof dazu." Und zu Hansen und seiner Tochter sich wendend, sprach er: „Lieber Vater Hansen, ich habe Eure Tochter gern, so gern wie mein eigen Fleisch und Blut. Jst's nicht wahr, Berta?" — „Es ist wahr, gewiß wahr, Herzensvaier." „Ich bin einziger Sohn und Erbe und Ihr habt nur dieses eine Kind, die Erbin Eures Hofes. Wollt Ihr mir Eure Tochter fürs Leben anvertrauen?" Hansen holte einige Male tief Atem, als suche er nach Worten. Dann sprach er: „Ein bißchen unerwartet kommt mir deine Bitte, Fritz, das heißt, ich hab's wohl gemerkt, daß ihr euch immer gern hattet, aber nun — so plötzlich — unter diesen Umständen — auf freiem Felde —" „Ja, Herzensvaier, ja?" schmeichelte Berta. Hierauf trat sie zum alten Peters, legte ihre Hand auf feinen Arm und sagte: „Vater Peters, ich habe Euren Fritz doch so lieb, und Ihr sollt's in Euren alten Tagen wirklich gut hasten und Euch niemals wieder ärgern, und Recht sollt Ihr auch haben von wegen dem Grenzstein, der soll ganz weg. „Rackermädel", brummte Hansen. Sodann ging er auf Peters zu, hielt ihm die Hand hin und sprach mit vor Bewegung zitternder Stimme: „Da, Nachbar, schlag ein! Schlag ein auf das Wohlergehen unserer Kinder und das Blühen des Peters-Hansenschen Doppelhofes. Du hast recht: der Grenzstein muß weg!" Noch eine Weile zögerte der alte Bauer. Plötzlich ließ er den Spaten sinken, hob die Hand und schlug wuchtig in die Largebotene Rechte seines Nachbars. Fritz aber zog das errötende Mädchen an sich und sprach feierlich: „Die Liebe besiegt alle Schwierigkeiten, sie bedarf keiner Grenzsteine, sie ist grenzenlos."