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LL« eLLti LS ZLL « schmack des großen Napoleon gewesen sein würde, schwarzen Vollbart, Ler einen beweglichen Mund freilieb. Wenn er lächelte, sah man eine Reihe gerader, aber goldpunktierter Zähne, doch nicht niehr dekoriert, als daß sie einen gut erhaltenen Eindruck machten. Seine Stimme hatte einen etwas singenden Ton, der dämpfend auf seine meist sehr kurzen Sätze wirkte und in Verbindung mit einem gewissen Schwung des Kopfes etwas abweisend erscheinen konnte. Im Verhältnis zu seiner Größe waren seine Hände groß; aber er hatte einen guten Griff und arbeitete schnell und geschickt damit. Er spielte mehr als nur mittelmäßig Geige und Klavier, geübt, wie er seit frühester Jugend war, sang schön und war selbst recht zufrieden mit seinen kleinen Talenten, von denen er bei Zeit und Gelegenheit fleißigen Gebrauch machte. Er war Architekt und hatte mit recht gewöhnlichem Resultat die beiden silbernen Medaillen der Akademie ge wonnen, darauf ein Stipendium erlangt und eine Reise nach Deutschland und Italien gemacht. Größere Arbeiten hatte er bisher noch wenige er halten; jetzt aber hatte er teilweise durch den Schwieger vater selbständige Beschäftigung an einer Kirche in Jüt land und einem Rathaus in einem Städtchen einer unserer unzähligen Inseln, dem Geburtsort seiner Frau Schwieger mama, gefunden. „Ich weiß nicht, wie ich mich nach deiner Ansicht ausdrücken soll — ich bin froh, wenn du es bist, ant wortete Frau Hilmar und nähte weiter. „Wenn ich es bin!" wiederholte der Sohn. „Ich glaube, daß du Iris nicht leiden magst, und das ist un gerecht, da du sie ja nicht näher kennst." Er wußte wohl, was es bedeutete, wenn seine Mama sich so vor sichtig aussprach. „Nun höre auf, Hermann, mit allen deinen Einwänden, sie sind langweilig und entbehren jedes vernünftigen Grundes." Sie nähte weiter. Man hörte nur das Schnarchen Bellos. Bello war ein schwarzer Dachshund — das fünfte Glied der Familie — er war etwas ergraut um die Schnauze, be jahrt, und zeigte bereits einige wenig angenehme Greisen gewohnheiten. Hermann schüttelte ihn etwas unsanft. „Er wird alt! — Da ist man leicht langweilig und zuweilen ganz überflüssig", bemerkte die Frau. „Ich mag es nicht leiden, wenn du so sprichst, Mutter. Ich denke, du hast keinen Grund dazu." Sein Ton war mehr derjenige eines großen, guten, etwas verzogenen Jungen, der sich entweder getroffen oder beleidigt fühlt. „Nein, mein Junge! Ich persönlich habe keinen Grund; aber wenn ich die heutige Jugend betrachte, so denke ich mir meist meinen Teil dabei." „Hörtest du, als du jung warst, so viel von dir und deinesgleichen, so wie man es uns jetzt so häufig vor trägt?" „Nein! — Es waren, man sage, was man wilh. — andere Zeiten; vor allem aber herrschte ein anderer Ton —" — „Ton, Ton! Gewiß ein gutes Wort, um sich darin zu verbeißen. Es.liegen darin so viel Möglichkeiten in diesem Wort; aber der Begriff ist unendlich elastisch, ausgezeichn et, um sich dahinter zu verschanzen, weil er alles und — nichts sagt, wenigstens nicht Positives!" antwortete er :mit einem Schwung des Kopfes. „Du hättest mich nicht dazu einladen sollen, Ler Auf führung von Gustav Esmanns Stück: „Die liebe Famili e" beizuwohnen; der junge Herr „Möglicherweise" ist gewiß gut aufs Korn genommen, und wenn ich zum Beispiel auf ihn verweise, so hat man sogleich einen Begrijff, der nicht so uneben ist und mir viele Beweise erspare n kann!" „Ja, er ist gut genug, aber in hohem Grckde über trieben!" „Wenn es nur so wäre! Doch — wir woillen nicht davon sprechen. Wann kommt Iris Höyer hierher?" Es läutete. — Er sprang auf, eilte hin und umarmte seine Mutter und schmiegte zärtlich den Kopf an sie. „Du mußt gut gegen sie sein. Oder willst Lu nicht?'" „Natürlich!" Er lief hinaus. — „Wenn nur sie auch sw ist!"? sagt« sie und erhob sich, just, als er mit Iris an der Hand zur Tür herein kam. Frau Hilmar, die mehr als etwas anderes Mutter in der besten Bedeutung des Wortes war, ging ihrer zu künftigen Schwiegertochter mit offenen Armen entgegen, und sie fühlte tief und warm, als sie sie als Braut des Sohnes willkommen hieß. Frau Hilmar kannte s ehr wenig und war just keine Liebhaberin ihrer selbn oüer ihres stark entwickelten Geldgeschlechts. Iris war jung und schön und gerade 16 Jahre. Sie war blond, schlank, ein wenig größer als Hermann. Ihr Teint war von einer blendenden Klarheit, vielleicht war sie dann und wann ein wenig zu bleich, was ihr einen Anstrich von Zartheit gab. Die Augen waren blau, mit langen Wimpern und fein gezeichneten Augenbrauen. Die Nase war schön, leicht gebogen, mit sehr beweglichen Nüstern, der Mund klein nnd fein. Die Zähne waren nicht vollständig regelmäßig, was besonders sichtbar wurde, wenn sie lachte. Ihr dunkelblondes Haar hatte einen ungewöhnlichen Glanz und war der Mode zum Trotz auf eine fast glatte Weise geordnet. Ihre voll ständig moderne Tracht, vom Hut bis zu den weißen Stiefelchen, war hellrot und weiß, so harmonisch und ge schmackvoll, daß man hätte blinb sein müssen, um nicht ihren Anblrck zu genießen. Überdies lag ein gewisser kühler Reiz in ihrem Wesen, so daß sie meist in höherem Grade die Empfängerin als die Geberin war. Frau Hilmar, eine genaue Beobachterin, fühlte dies vielleicht schon bei der ersten Umarmung; doch konnte dies seinen Grund zum Beispiel in Verlegenheit, unterdrücktem Gefühl haben, oder — nun ja, die Jugend kann so viele Empfindungen haben, die man nicht zu brutal auf nehmen darf. Iris war wortkarg; so sind junge Mädchen öfters in den ersten Jug^ndjahren. Die verliebten Augen, mit denen Hermann sie beobachtete, brachten sie wohl mit der Zeit zum Auftauen. Das Gespräch wurde dadurch immer mehr von Frau Hilmars Geistesgegenwart oder eher ihrem Unterhaltungs talent abhängig, wÄch letzteres nicht gering war. „Das ist wahr, meine Eltern lassen Sie bitten, Frau Hilmar —" „Du kannst nicht so förmlich zu Mutter sprechen, Iris! — oder nicht, Mutter?" „Unter allen Umständen bitte ich dich, liebe Iris, du zu mir zu sagen — dagegen begreife ich die Schwierig keit, mich Mutter zu nennen, weil diese Anrede eigentlich nur einer einzigen zuckommt, und Schwiegermutter ist ein so langweiliger, vielen Ohren fast mißliebiger Titel!" Die Worte klangen so warm, daß sie Halbwegs einen bittenden Charakter hatten — vielleicht hoffte sie, daß das junge Geschöpf ihr um den Hals fallen würde. „Nun, Iris, sprich etwas!" Es dauerte wirklich allzu lange, so daß er in Ver bindung mit dieser Aufforderung mahnend seinen Arm um sie schlang. „Mir wird es so schwer, „du" zu — Fremden zu sagen!" ertönte es recht gezwungen. (Fortsetzung folgt.) Anäere ^änäer, anäere Sitten. Nach einer französischen Gerichtsverhandlung von A. G. (Nachdruck verboten.) „Mister Smithson", begann der Gerichtspräsident, zu dem Amerikaner Smithson gewendet, nachdem dieser die üblichen Personalfragen beantwortet. — „Sie sind an geklagt, eine schwere Körperverletzung begangen zu haben, die Arbeitsunfähigkeit von fünfzehn Tagen zur Folge hatte. Sie befanden sich am 23. Februar im Schnellzug nach Marseille, der von Paris 11 Uhr 55 abends abfährt. In Moret, wo der Zug hält, ließ der Schaffner Brune von außen die Fensterscheibe des Wagenabteils erster Klasse herunter, in dem Sie Platz genommen batten, und ver langte äußerst höflich, wie Ihre Mitreisenden einstimmig bekundet haben, Ihr Billett. Sie erhoben sich von der Bank, auf der Sie ausgestreckt lagen —" „Ich schlief", warf Smithson ein, Der Präsident fuhr fort: „. .. Und ohne ein Wort zu sagen, versetzten Sie dem Schaffner in einer übrigens ganz unverständlichen brutalen Aufwallung mit der Faust einen Schlag ins Gesicht, der einen Ochsen hätte betäuben können. Brune verlor das Bewußtsein und wurde, während der Sicherheitskommissar zu ihrer Verhaftung schritt, blutüberströmt hinweggetragen. Nach seiner Ge- nesung klagt er nunmehr gegen Sie beim Zioilgericht auf 200 Frank Schadenersatz . . ." „Sehr bescheiden", unterbrach Edgard Smithson den Präsidenten. „Wahrhaftig, ich wollte nicht so derb zu hauen und bedauere, eine so unglückliche Hand gehabt zu haben. Gleichwohl will ich, da die Sache nun einmal so steht, den Herrn Brune entsprechend entschädigen. Ich erkläre mich bereit, in die Hände seines Anwalts die Summe von 200 Dollars niederzulegen, das ist nach französischem Geld etwas mehr als 1000 Frank." Brunes Anwalt erhob sich und erklärte, das Barett lüftend: „Ich nehme das Anerbieten des Angeklagten für meinen Klienten an und ziehe die Klage zurück." Schon hielt Smithson die Verhandlung für geschloffen und langte mit der Hand in die Tasche, als ihn zu seinem Erstaunen der Präsident durch eine Gebärde daran verhinderte. „Behalten Sie Ihr Geld, Herr Smithson. Der Gerichtshof wird Ihrer gutmütigen Bereitwilligkeit möglichst Rechnung tragen und auch die Zurücknahme der Klage gebührend würdigen, das Delikt jedoch bleibt be stehen, und das Gesetz, das die Vergehung vorgesehen und mit Strafe bedroht, muß seinen Lauf nehmen. Die über Sie eingezogenen Erkundigungen lauten sämtlich für Sie günstig. Die amerikanische Kolonie verlangt dringend Ihre Auslieferung und schildert Sie als einen vollendeten Gentleman, voll Erziehung und feiner Lebens form. Man forscht daher vergebens, welcher Regung Sie folgten, als Sie an der Person eines armen Bediensteten einen Akt unqualifizierbarer Roheit begingen, die Sie heut auf die Anklagebank geführt hat. Wollen Sie uns darüber Aufklärung geben?" „Es war ein Gefühl der Ungeduld", erwiderte Smithson, „das mich Hinriß; es war das fünfzehnte Mal, daß man mein Billett verlangte! ... Ich hatte geglaubt, das Geld, das ich an die Eisenbahngesellschaft gezahlt, sichere mir nicht allein den Transport, sondern auch eine unbedingt behagliche und ruhige Fahrt. Ich fühlte mich ganz entschieden in meinem Recht auf Schlaf beeinträchtigt und nahm diese Störung auf, wie sie an meiner Stelle jeder Landsmann von mir ausgenommen hätte. Das war im Grunde ein Irrtum. Andere Länder, andere Sitten." Da der Präsident ihn mit der Miene eines Menschen ansah, der nicht recht versteht, entwarf Smithson zur Er klärung des Gesagten und um seinen guten Glauben zu beweisen, folgende hübsche Zeichnung amerikanischer Sitten, die bewundernswert und der Aufzeichnung würdig er scheint, weil sie das Geheimnis jener Vereinfachung der Lebensführung enthüllt, die in den Vereinigten Staaten den leidigen Bureaukratismus anderer Länder über flüssig macht. Leider läßt sich hierbei der seltsam an- mutende Akzent des Nankees ebensowenig wiedergeben, wie der unerschütterliche Ernst und der Brustton der Überzeugung, mit denen er zum größten Ergötzen des Auditoriums seine Auseinandersetzung zn würzen verstand. „Was seid ihr für Menschen!" begann er. „Wie um ständlich und schwierig gestaltet ihr eine so einfache Sache wie die Benutzung eines Eisenbahnzuges l Wozu dieses ewige Kommen und Gehen von Beamten, diese immer währenden Kontrollen? Das ist absurd. Bei uns kennt man das gar nicht! Ein Beispiel. Ich nehme die Bahn von Doyton nach der Mündung des Mississippi. Das ist die gute Hälfte von Amerika im vertikalen Durchschnitt von Norden, eine Reise von etwa sechs Tagen. In Doyton liegt der Bahn hof vor dem Stadttor, eine Art von Schuppen, der allen Winden und jedem, der kommt, offen steht. Man kommt und geht dort, wie man will, über schreitet nach Belieben die Wege und geht zwischen den Zügen hin und her. Erfaßt euch beim Rangieren eine Maschine von hinten und reißt euch um, um so schlimmer, ein bedauernswerter Unfall, doch es war eure Sache, acht zu geben. Das Leben ist doch nicht so wertlos, daß eH nicht lohnte, einen Blick hinter sich zu werfen. Also ihr wollt dahin reisen, oder dorthin, oder wo anders hin, gleichviel. Nichts einfacher als das. Ein Zug ist da, der auf euch wartet. Ob ihr ein Billet habt oder nicht — kein Mensch fragt danach — ihr nehmt einfach Platz in einer Wagenecke, wo es euch beliebt. Neben euch hört der gute Freund, der euch das Geleit gab, die Beine in der Luft, aufmerksam eure letzten Abschiedsworte. Plötzlich bemerkt ihr, daß der Zug sich in Bewegung setzt. Ihr ruft dem Freunde zu: „Beeile dich!" und reicht ihm zum Abschied die Hand. Er springt auf das Tritt brett und schwingt sich von da auf den Erdboden, wo er sich den Hals bricht. Was soll man dazu sagen? Es war seine Sache, rascher auszusteigen! Bald hinter der Stadt kommt die Ebene, dann eine großartige Landschaft voll erhabener Wildheit, dann wieder Anfänge von Kulturleben. Im Zuge bilden sich Gruppen, die Unterhaltung kommt in Fluß. Wir sind höfliche und gesellige Menschen trotz unserer Art, Revolver zu tragen und auf Gewehrlänge jeden Störenfried niederzuschießen. Während die einen Whist spielen, folgen die andern, da hinter stehend, dem Spiel mit kritischen Blicken. Andere promenieren, rauchen, spucken aus, pfeifen, gehen auf die äußere Galerie des Wagens hinaus, wo sie Vögel im Fluge schießen, oder klettern aus einem Wagen in den andern, wohlverstanden auf ihre eigene Gefahr. Die Ge sellschaft würde vernünftigerweise für keinen Beinbruch aufkommen und sich hüten, die Ungeschickten schadlos zn halten. Mit einem Wort, man benutzt den Zug, als ge hörte er einem. — So vergehen ein Tag, zwei Tage. Der Zug rollt weiter, strebt mit vollem Dampf vorwärts. Bald begleitet er Flüsse oder führt über sie hinweg, bald schlängelt er sich zwischen zwei Bergriesen hindurch, bald taucht er unter in die verschlungene Wildw^ dichter Wälder. Ja, ihr glaubt nicht, was es dort flir wunder same Lanbschaftsbilder gibt. Die Ebenen der Normandie oder Bretagne vermögen keine abgeblaßte Vorstellung davon zu geben. « Eines Morgens geht plötzlich die Tür auf und der Zugführer erscheint. „Die Billetts, meine Herren, wenn ich bitten darf!" Da sind beispielsweise drei Gentlemen, die sich damit unterhalten, mit dem Federmesser kleine Holzstücke zu zer schneiden. Der erste dieser Herren legt sein Gerät hin, zieht sein Billett heraus unb hält es dem Beamten hin, der es prüft und dankt. Der zweite sagt: „Ich habe kein Billett." „Das ist Ihr gutes Recht", meint der Beamte. „Wo wollen Sie hin?" — „Da und dorthin." „Macht fo und soviel." — „Hier." — „Danke." Die Reihe kommt an den Dritten. „Ihr Billett, mein Herr, wenn ich bitten darf." — „Ich habe kein Billett." „Ist Ihr gutes Recht. Wohin wollen Sie?" „Macht so und soviel." — „Ich habe nicht soviel." „Bitte, mein Herr, das macht nichts." — Der Beamte hebt den Arm und setzt die Alarmglocke in Bewegung. Der Zug hält. „Haben Sie die Güte auszusteigen." Der Gerichtspräsident ist starr vor Erstaunen. „Wie, aussteigen? Und wo?" „Auf der Stelle. Wo es auch sein mag." „In den Pampas?" — „Oder wo man gerade ist, je nach den Umständen." „Aber das ist ja haarsträubend!" ruft der Präsident, der mit wachsendem Staunen zugehört. „Das ist ja das klon plus ultra von Wildheit, Grau samkeit und Verrücktheit!" „Verrücktheit? Grausamkeit? Wildheit?" wiederholt Smithson. „Wieso?" Und ruhig, mit verwunderten Augen sich umsehend, spricht er die große Wahrheit aus, die den Richter mund tot macht: „Wenn man kein Geld hat, die Eisenbahn zu benutzen, läßt man es eben sein. Das ist doch sehr einfach." Da der Staatsanwalt nur eine milde Anwendung des Gesetzes beantragt, wird Smithson zu fünfzig Frank Geld buße verurteilt. ab zu»