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ihn selbst unglücklich sähe. Sie liebte nicht ihn, sondern den Doktor Werner; aber auch dessen Weib würde sie, wie er zu fühlen glaubte, trotz aller Umwerbungen nicht werden, solange sie vermuten konnte, daß ihr Lebensretter immer noch auf ihre Gegenliebe wartete. — Was war da su tun? Sollte er ruhig zusehen, wie das geliebte Mädchen etwa unglücklich dahinsiechte? Oder wollte er so lange warten, bis ihm vielleicht trotzdem eines Tages mitgeteilt würde, Charlotte wäre die Braut eines anderen geworden? Er glaubte nicht daran, soviel Gleichgültigkeit gegen ib«. traute er ihr nicht zu; aber ersparen wollte er ihr ^ie patzten man . sie gehörte in ein Schloß, er in die Hütte. Alles gönnte er ihr ja auch und würde sich freuen, wenn er sie nur glücklich wüßte. Aber wie konnte das wohl geschehen, und wer konnte ihr zum Glücke verhelfen? Helfen? Ja, das konnte doch nur er! — Aber wie? Wenn er offen zeigte, daß er sie zu seinem eigenen Glück nicht begehrte. > Nicht begehrte? Was? Tat er das nicht? Alle seine Pulse schlugen ja nur für sie, alle seine Gedanken waren Tag und Nacht bei ihr, sein ganzes Simien und Denken drehte sich um sie und ihre Liebe. Ach, ohne sie war das Leben nichts'Mehr für ihn. Was sollte er sich hier noch weiter quälen? „Mach' ein Ende damit!" «ief es in ihm. Auf sprang er zum Sturz in die Tiefe — Wie leblos sank er in den Sand zurück. Allmählich kam er wieder zu sich selbst und fand auch wieder Kraft zum Denken. Die Schande, wenn ein Fersen, die seit einem Jahr hundert und länger am Dünenhügel wohnten, sich selbst das Leben nahm! Und seine alte Mutter! Sie verkannte ihn zwar in letzter Zeit wie alle andern, aber seit des Vaters Tode war er doch nun einmal der Ernährer der Famiüe. Er mußte also weiter leben und sich darein zu finden suchen. Ja, das wollte er denn auch! Er wollte weiterleben und seine Sohnespflicht erfüllen, mochte über ihn Herein brechen, was das Schicksal auch verhängte. Aber Charlotte? Was sollte aus ihr werden? Durfte er es ruhig mit ansehen,, daß sie allmählich dahinsiechte, sie, die er doch mehr liebte als sein elendes Leben? Wie konnte er da helfen? — Wie? Er konnte es doch allein und mußte es tun! — Ja, wie aber? Plötzlich schnellte er von seiner liegenden Stellung auf und schaute starr in die schwarze Nacht hinein, als sähe er eine ungeahnte, unbegreifliche und dennoch rettende Erscheinung. Ja, wenn er sich selbst eine andere als Weib er wählte, dann wurde Charlotte frei! So ging es, und dies war der einzige Ausweg. Mochte sie dann von ihm denken was sie wollte; sie war ja dann frei. — Denken, was sie wollte? — Schlimmes? Ihn verachten? — Er sann nach. Nein, das tat sie sicher nicht! Sie würde ihn viel mehr verstehen, ihm dankbar sein und ihre Freiheit nach seinem L>inn als seine Freundin fürs ganze Leben ge nießen. Er mußte es also tun, und dies war sogar der einzige Ausweg. Aber er zuckte doch gewaltig zusammen, als er soweit gekommen war, und immer schwerer kam ihm das Leben vor. Welches Mädchen konnte das wohl sein, das er außer Charlotten noch begehren könnte oder jemals be gehrt hätte? Jetzt begehrte? Außer Charlotten? — Keine! — Begehrt hatte? Er sann nach. Ja, welches waren denn die Landes- töchter, die ihn jemals angezogen hätten? Doris! Seine richtige Basel Für sie hatte er in jungen Jahren geschwärmt, bevor er Steuermann wurde, und das wußten ja auch alle hier am Strande. Bei ihr blieb er stehen, und allmählich wurde es ihm klar. Doris, seine Jugendliebe, sie sollte seine Braut und dann sein Weib werden. Jetzt liebte er sie zwar nicht mehr, aber das wußte Dorrs ja nicht, und sie jchien ihm ja immer noch gewogen zu sein, soweit er so etwas aus jener nächt lichen Begegnung im Doktorhaus wenigstens erkennen konnte. Er sprang auf und schaute träumversunken nach der Stelle hin, wo das Wrack jüngst gestrandet und ver sunken war. „Slap' in Rauh!" sagte er endlich wie ein ins größte Unglück Gestoßener, langsam und verzweifelnd. „Slap' in Rauh, ik will nich mihr an di denken, an di un an de söte Deern!" Wie vom Schlage getroffen, taumelte er besinnungslos zur Erde nieder. Die Wellen schlugen wie seit Jahrtausenden gefühllos an den Dünensand, aber Peter hörte nicht ihr Locken und Mahnen. Morgen näher als die Mitternachr. Lvir der ganzen Leibe bebend, wankte er dem Fischerhause zu und suchte sein dürftiges Lager auf. Am nächsten Tage fühlte er zum erstenmal in seinem Leben den störenden Einfluß der schmeichelnden Wellen. Alle Glieder waren ihm steif, und er ging wie im Traum umher. Alle bedauerten ihn wegen seiner starken Ver kühlung; nur Mutter Fersen ick,^ >lles auf Thiesens schlechten Grog. 13. Doris als Ehestifterin. Der Herbst war gekommen und Stina Fersen war Frau Oldmann geworden. Wegen der größeren Räum lichkeiten hatte die Hochzeit im Hause des Bräutigams stattgefunden, und unter den Hochzeitsgästen waren auch die sämtlichen Bewohner des Doktorhauses in Gardig gewesen, natürlich auch Peters Base Doris, das lustige Hausmädchen. Charlotte war eine der Brautjungfern gewesen- und Peter ihr Partner. Stina hatte es so angeordnet, und das galt beiden als Befehl; aber leider konnte die glück liche Braut gerade diesen beiden nicht auch eine fröhliche Hochzeitsstimmung anbefehlen. Peter ging wie ein Stock einher, und Charlotte zeigte den Ernst einer Konfirmaudeu- stimmung, aber nicht die Fröhlichkeit, die zur Hochzeit paßt. Diese Stimmung hatten beide vom Kirchgang an über das Hochzeitsmahl hinaus Lis zum Beginn des fröhlichen Tanzes. Diese Kunst verstand Charlotte außerdem gar nicht. Als daher der Tanz begann, flüchtete sie sich schüchtern und doch wie erlöst von der Pein des öden Tischgesprächs zu ihrer verehrten Pflegemutter Trinius, und Peter war damit auch ganz verlassen. Auch Peter aber kam sich jetzt wie befreit vor, befreit von einem ihm sonst unbekannten Zwang im Kreise dieser Menschen, unter denen er aufgewachsen war. Selbst wenn er noch eine leise Hoffnung gehegt haben sollte, daß sein vor fast zwei Monaten auf dem Dünenberg gefaßter Ent- sagungsentschluß vielleicht doch nicht nötig wäre, so hatten ihn die Erfahrungen in diesen eben verlebten Stunden eines besseren belehrt. Sie beide paßten wirklich nicht zusammen, und deshalb mußte er ein Ende machen mit dem Zweifel. Das traurige Gesicht Charlottens, das ihn wie eine beständige Mahnung verfolgte, konn.te er nicht mehr ohne Selbstanklage betrachten. Er mußte ihr helfen. Da erblickte er Doris, die munter im Tanz dahin flog, und schnell war sein Entschluß gefaßt. Schon der nächste Tanz fand ihn an ihrer Seite, und was nun etwa sein eigener Wille nicht sogleich vermochte, dazu verhalf ihm die lustige Doris. Sie schien es ja gerade darauf angelegt zu haben, ihn für sich zu gewinnen trotz dem alten Trinius und seiner hübschen Pflegetochter, und schließlich kam's auch hier so weit, daß man im guten Sinn sagen konnte: Gleich und gleich, gesellt sich gern. Endlich brachen die Stadtgäste auf. Der Doktor wagen hielt vor der Tür, das junge Ehepaar begleitete die vornehmen Gäste bis an den Wagen, Charlotte fiel der jungen Frau noch einmal schluchzend um den Hals und gleich darauf rollte der Wagen mit ihr und den Pflegeeltern der Stadt zu. — Nur Doris war zurück geblieben und benutzte die fröhliche Hochzeitsstimmung so ausgiebig, ihren Peter für sich zu gewinnen, daß die sämtlichen Hochzeitsgäste hätten blind sein müssen, wenn ihnen die beiden nicht ausgefallen wären. Sie prophezeiten daher auch alle ein fröhliches Ende. Selbst der junge Ehemann, der seine schmucke Stina kaum aus den Angen ließ, hatte soviel gemerkt, daß er schließlich mit seinem Weibchen vor die beiden gravitätisch hintrat, sich verneigte und mit Pathos deklamierte: „Keine Hochzeit vergeht, Wo nicht eine andere entsteht." Wie alles Schöne im Leben, hatte auch diese Hochzeit für die Beteiligten ein allzu schnelles Ende, obwohl die Fröhlichkeit im Hause bis in den frühen Morgen hinein währte. Als aber Doris am folgenden Nachmittag beim- kehrte, machte sie ein so lustiges und vielsagendes Gesicht, daß'die kluge Frau Doktorin sofort wußte, woran sie war. Auch Charlotte ahnte so etwas wie eine bevor stehende Verlobung, und nur der gutmütige Dr. Trinius merkte gar nichts. Bei der Hochzeit hatte er zunächst mit Sn,muuw>n...Leuten gescherzt und war dann nach dem Reine in ein so anziehendes^Mv''kSnsrkohrenpu. Pastor die Stellung der dänischen und deutschen Bevölkerung in Schleswig-Holstein geraten, daß er alles um sich herum vergessen und daher auch von Peters Eroberungszug gegen die freundliche Feste Doris gar nichts gesehen hatte. Ahnungslos war er nach Hause gefahren, und da seine Frau es nicht für angebracht hielt, ihm ihre Beobachtungen mitzuteilen, so bedauerte er den armen Peter nach wie vor. Denn daß Charlotte für ihn verloren war, wußte er genau; in die elenden Verhältnisse am Deich gab er seine geliebte Pflegetochter nicht her, selbst wenn Dr. Werner gar nicht existiert hätte. An eine Rettung des guten Peter durch seine muntere Doris dachte er aber gar nicht; zu solchen Kombinationen ließ ihm seine große Praxis keine Zeit. (Fortsetzung folgt.) Vie Maus. Humoreske von Fritz Ernst. (Nachdruck verboten.) Es gibt Leute, leider viel zu viel Leute, die gegen Mäuse nicht nur eine Aversion hegen, sondern sogar von einer grenzenlosen Furcht vor diesen.kleinen Grauröcken beseelt sind. Zu diesen Leuten gehört auch meine Frau, das sollte ich schrecklich erfahren. Ich hatte einen alten Freund getroffen, den ich nach seiner Reise um die Welt zum ersten Male wiedersah, so daß wir uns sehr viel zu erzählen hatten. Nicht gerade sonderlich früh kam ich nach Hause und fand meine Frau in Tränen aufgelöst im Bette sitzen. Schuldbewußt fragte ich heuchlerisch teilnehmend nach dem Grunde ihres Schmerzes. Die Antwort bestand in Tränen, und ich stand ratlos dabei. Ich bat um Verzeihung, ich verteidigte mich —, alles vergeblich. Endlich entrang sich ihrer Brust der halb erstickte Schmerzensschrei: „Es ist eine Maus im Zimmer!" — „Eine Maus im Zimmer!" Schreckliches Wort. — Und ich Barbar lachte, lachte, daß meine Seiten schmerzten, ich lachte, während meine Frau mich erst entsetzt, dann verächtlich ansah und schließlich mit einem energischen Ruck aus dem Bett sprang und nach der Küche eilte. Am nächsten Tage befand ich mich in einer nieder trächtigen Katerstimmung, aber noch verstimmter war meine Frau, denn erstens war sie empört über mein Be nehmen und zweitens hatte sie sich durch den Aufenthalt in der erkalteten Küche in höchst mangelhaft bekleidetem Zustande einen tüchtigen Schnupfen zugezogen. Den ganzen Tag über hatte sie etwas auf dem Herzen, aber ihr Stolz ließ es nicht zu, daß sie mich, der ich sie durch mein herzloses Betragen so schwer gekränkt hatte, um etwas anging. — Die Nacht kam, ich Sünder schlief den Schlaf der Gerechten, da wurde ich plötzlich durch den gellenden Ruf geweckt: „Fritz! Da ist sie wieder!" „Gott sei Dank!" sagte ich mit dem Brustton der Überzeugung, denn ich hatte gerade geträumt, unsere vor zügliche Köchin wäre uns plötzlich davongelaufen. — Meine Frau machte mir die heftigsten Vorwürfe über meine Dickfelligkeit, der es ganz gleichgültig sei, ob wir in unseren Betten von Ratten und anderen wilden Tieren aufgefressen würden» und flüchtete wiederum nach der Küche, diesmal aber gefolgt von mir. Meine Versuche,' sie zur Vernunft zu bringen, blieben leider erfolglos, so daß ich mich mit dem Bewußtsein der guten Absicht trösten mußte. Am andern Morgen kam meine Frau mit ihrem An liegen, das sie schon tags zuvor gequält hatte, zum Vor schein: Ich sollte das Mauseloch aufsuchen und verstopfen. Von besagter Maus hatte ich bisher noch nicht das Geringste bemerkt und glaubte einfach gar nicht an ihre Existenz. Trotzdem ging ich auf den Wunsch meiner Frau ein. Zunächst wurden die Betten fortgerückt, wobei ein Bein abbrach. Das schwerste Möbel war ein von meinen Großeltern stammender breiter Schrank, der ein ganz immenses Gewicht hatte. Ich wollte den Portier als Hilfskraft requirieren, doch wünschte meine Frau nicht, daß „jeder unsere Wohnung inspiziere". — Auf den: Schrank stand eine uralte Stutzuhr, ebenfalls ein Familien- mir als solches und seiner originellen Form herabnehnienFL^ Sicherheitshalber wollte ich die Uhr nur fallen lassen, und'ILMsU erklärte, ich würde sie doch aber nach Überwindung der HinMhckt^. Kaum hatte ich Frau durch ihre „Hilfeleistung" entgegensetzte, veü'Smeine an einer Seite emporgehoben, da kam die Uhr in» Rutschen, und im nächsten Augenblick lag sie, in tausend Stücke zerschellt, auf dem Fußboden. Von Schmerz und Trauer erfüllt, aber doch gefaßt, starrte ich auf die Trümmer vergangener Herrlichkeit. Und meine Frau? — Sie lachte schrill auf: „Ich habe dir ja gleich gesagt, du läßt die Uhr fallen!" — Alle Möbel waren nun abgerückt, die Ecke hinter dem Ofen genau untersucht, aber nichts fand sich, als in regel mäßigen Abständen wiederkehrende viereckige Einschnitle in der Scheuerleiste. Ich behauptete, diese Einschnitle seien gemacht, um zwecks Fäulnisverhinderung hinter der Leiste eine Ventilation herzustellen. Meine Frau dagegen erklärte die Öffnungen kategorisch für Mauselöcher und verlangte, ich solle alle mit Glasscherben zustopfen. Nun, hatte es schon ein Bettbein und eine Stutzuhr gekostet, so kam es auf ein paar alte Flaschen nicht an. In meinem Leidenskelch war aber noch ein Rest zurückgeblieben, und auch der sollte mir nicht geschenkt werden. Meine teure Gattin führte strenge Aufsicht bei der Arbeit der Mäuse vertilgung und bestand energisch darauf, daß die Glas scherben recht tief eingedrückt würden. Das war mein Verhängnis. Beim Verstopfen des dritten Loches fuhr ich plötzlich zurück, und von meiner rechten Hand sprang ein Blutstrahl fontänenartig empor. — Meine Frau fiel in Ohnmacht. Ich ließ den Arzt rufen, der sich angesichts meiner Verletzung zunächst gar nicht um meine Frau kümmerte, sondern mir zuwandte, eine Rücksichtslosigkeit, die selbst meine Frau aus ihrer Ohnmacht erweckte. — Meine Wunde war lang und tief und hatte ein Blutgefäß durchschnitten; die Geschichte mußte vernäht werden. — Ich kann versichern, daß ich verstimmt war, ernstlich verstimmt, und in der Nacht konnte ich nicht schlafen, da ich in der Hand ganz fatale Schmerzen hatte. — Da hörte ich plötzlich ein Geräusch, kratzend, schabend, knarrend. — Sollte das die Maus sein? Aber nein, das hörte sich denn doch anders an. Ich stand auf und ging dem Schall nach. Hier war es. Das Ohr an die Wand gelegt, lauschte ich — und nun wurde mir des Rätsels Lösung plötzlich klar. — Wir wohnen in einem modernen Miets palast, und nach der üblichen Konstruktion ist die Nachbar wohnung von der unsrigen durch eine Wand in der Stärke guten Kanzleipapiers getrennt. Nebenan hatte aber der dicke Rentier Huber sein Schlafzimmer und Huber — schnarchte. Bei meiner Frau wäre ich mit dieser Be weisführung wohl kaum durchgedrungen, wenn nicht in dem Augenblick, da auch sie ihr Ohr an die Wand legte, es drüben ganz deutlich ertönte: „Aber Huber, schnarche doch nicht so furchtbar, ich kann ja gar nicht schlafen!" — Meine Frau war zunächst starr, dann brach sie in Tränen aus und fiel mir um den Hals, Abbitte leistend. — Und heute, da meine Hand wieder geheilt, das Bett bein angeleimt, habe ich ihr längst verziehen^ ,