Suche löschen...
Wochenblatt für Wilsdruff und Umgegend : 18.06.1912
- Erscheinungsdatum
- 1912-06-18
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782024719-191206186
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782024719-19120618
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782024719-19120618
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Wochenblatt für Wilsdruff und Umgegend
-
Jahr
1912
-
Monat
1912-06
- Tag 1912-06-18
-
Monat
1912-06
-
Jahr
1912
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Minister beS Innern, Freiherr v. Soden, der im Finanz- ! »usschuß von Sozialdemokraten und Liberalen über die Feuerbestattung befragt wnrde. erklärte dazu, daß, solange er Minister sei, er gegen die Feuerbestattung sein würde, da er als Christ und braver Deutscher an den Lehren der Kirche und den guten alten Sitten festhalten würde. X Endlich haben die NegierungStrubPen einen Erfolg errungen. Sie haben die Rebellen bei Jarahueca ge schlagen. Die Aufständischen ließen ihr gesamtes Kriegs- gerät im Stich, und eine große Menge Gegenstände stet den Regierungstruppen in die Hände; es wurden mehr als hundert Pferde erbeutet, ferner Waffen, Kleidung, mit Proviant und Munition beladene Maultiere und endlich persönliche, den Anführern Estenoz und Jbonnet gehörige Gegenstände. Die Verluste der Rebellen sind sehr be deutend. Sie flohen ganz aufgelöst und wurden von den Regierungstruppen verfolgt. piorckamerlkL. X Roosevelt Md Taft streiten weiter heftig um die Präsidentschaft. Die Erbitterung zwischen den Anhängern der beiden Republikaner wächst. DaS Nationalkomitee hat Tast weitere Delegierte zugesprochen. Es kam bei diesen Verhandlungen sogar zu einem Faustkampf zwischen den Anhängern Tafts und Roosevelts. Tast erklärte, es gäbe keinen Kompromiß. Nach seiner Annahme werde er im ersten Wahlgange ernannt werden. Die Maschine des Luges, in dem Roosevelt mit seiner Gattin nach Chicago reiste, stieß auf einen groben Stein, der auf die Schienen gewälzt worden war. Personen wurden nicht verletzt, die Maschine wmde beschädigt. Kus In- uncl Kuslanck. Berlin, 14. Juni. Der Kaiser wird am Sonntag in Hamburg etntreffen, wo er bis Dienstag zu verbleiben gedenkt. Berlin, 14. Juni. Freiherr Marschall v. Bieberstein ist ru kurzem Aufenthalt hier eingetroffen; er begibt sich in einigen Tagen rum Antritt seines neuen Botschafterpostens nach London. Berlin, 14. Juni. Der Landeseisenbahnrat trat hier ru seiner S4. Sitzung zusammen. Berlin, 14. Juni. Das Reichsmilitärgericht als letzte Instanz hat nun ebenfalls die Klage des Pfarrers Kraatz gegen die beiden Offiziere, die während seiner freireligiösen Predigt mit den Mannschaften den Gottesdienst in der Luisenktrche verlaffen hatten, abgewiesen. Schwerin, 14. Juni. In Grambow bei Schwerin traf die Königin Wilhelmina der Niederlande zum Besuch der grohherzoglichen Familie ein. Stuttgart, 14. Juni. Die Reichspostverwaltung hat sich auch mit Württemberg ins Einvernehmen gesetzt, damit den Luftposten der deutschen Luftschiffahrts A.-G. in Friedrichs hafen auch der Verkehr auf württembergischem Gebiete gestattet werde. Die Zustimmung ist mit Sicherheit zu erwarten. Trier, 14. Juni. Bei den Wahlmännerersatzwahlen für die am 21. Juni stattfindende Landtagsersatzwahl in Trier wurden 77 Wahlmänner gewählt, die bis auf wenige der Zentrumsvartei angehören. In der Stadt Trier wurden zwei liberale Wahlmänner gewählt. Konstantinopel, 14. Juni. Nach Gallipoli ist ein Artillerie-Regiment abgegangen, weil angeblich von feiten her Italiener ein Angriff gegen die nördlich von Gallipoli befindlichen Befestigungen von Plagiari geplant wird. In Gallipoli sollen sich etwa 80 000 Mann türkische Truppen befinden. Dublin, 14. Juni. Irische Anhängerinnen des Frauen stimmrechts haben öffentliche Gebäude angegriffen und das Zollhaus, das Postamt, das Gebäude der Lanö- kommtssion, das Polizeigebäude und Kasernen umzingelt und zahlreiche Fensterscheiben eingeworfen. Acht Personen wurden verhaftet. Newyork, 14. Juni. Der Nationalausschuh fährt fort, gegen Roosevelt zu entscheiden, jedoch sind die Anhänger Tafts schwankend geworden, sie sprechen von Senator Cummins (Jowai als Kompromißkcmdidaien. Berlin, 18. Juni. Der „Reichsanzeiger" veröffentlicht den Rücktritt des deutschen Botschafters in London Grafen Wolff-Metternich. Dresden, 18. Juni. In einem Disziplinarverfahren ist der seit vielen Jahren hier wirkende besoldete Stadtrat Dr. Dietrich, der sich auch um den Zittauer Bürgermeister posten beworben batte, zu der höchst zulässigen Geldstrafe verurteilt worden. Dr. Dietrich wird sich nunmehr tn den Privatdienst zurückziehen. Pari-, 13. Juni. Der russische Botschafter Iswolski hat dem Ministerpräsidenten Poincare den Zeitpunkt mitgeteilt, zu dem der Zar von Rußland ihn in Petersburg in Audienz empfangen könne. Die Audienz ist endgültig auf den 10. August festgesetzt worden. Petersburg, 15. Juni. Der Zar und die Zarin sind mit ihren Kindern von Moskau nach Zarskoje Selo über gesiedelt. Kanton, 15. Juni. Chinesische Soldaten, die Aufrührer verfolgten, unterhielten im Angesichte der Fremdennieder lassung während etwa 10 Minuten ein regelloses Gewehr feuer, wodurch mehrere Paffanten getötet oder verwundet wurden, darunter ein chinesischer Arzt. Neun fremde Kanonenboote ankern bei der Vorstadt Schämten. Swakopmnnd, 15. Juni. Staatssekretär Dr. Solf wird am 1S. Juni tn Lüderitzbucht eintreffen, Er wird die Diamantenfelder besichtigen, einer Sitzung der Minen- kommtssion beiwohnen, die Felder der kolonialen Bergbau- aesellschaft, Prinzenbucht und das Pomonagebiet besuchen. Am 23. reist er nach Ketmanshoop weiter. Mas gibt es fleuss? kTelegraphtsche und Korrespondenz-Meldungen.) Die Frauen wehren sich. Berlin, 14. Juni. Der »Bund zur Bekämpfung der Fcauenemanzipation" hatte von der deutschen Frauen bewegung ein Bild gegeben, das die Anhänger dieser Be wegung in Helle Aufregung versetzte und sie jetzt behaupten läßt, jenes Bild sei eine vollkommene Entstellung. Der Bund deutscher Frauenvereine erläßt jetzt einen ge harnischten Protest, in dem u. a. erklärt wird, ein sehr wichtiger Teil der Frauenbewegung sei der Kampf für die Reinheit der Ehe und der sexuellen Sittlichkeit, und von niemandem werde dieser Kampf unablässiger und konsequenter geführt. Allgemeines Wahlrecht in England. London, 14. Juni. Bei den Befürwortern der Wahl rechtsreform ist grobe Freude eingekehrt. Der lang ver- sprochene Gesetzentwurf für die Wahlreform ist fertiggestellt und wird am nächsten Montag dem Parlament vorgelegt werden. Jeder erwachsene Mann im Älter von 21 Jahren soll zukünftig wahlberechtigt sein, wenn er nicht Verbrecher, Geisteskranker oder Almosenempfänger ist. Alle bisher üblichen Pluralstimmen fallen fort, sechsmonatiger Aufent- halt an einem Ort genügt, für das Recht zum Wählen. Wenig zufrieden sind einstweilen die Suffragetten, denn vom FeauenMrnmreckt laat Ker Entwurf nickt». Vorläufig wollen die .wilden Weiber* keine'Fensterscheiben elnwerfen, denn sie hoffen auf Zusätze bei der parlamentarischen Beratung, die ihren Wünschen entgegenkommen. Die Schuldfrage de» „Tttanic"-Ungkü«ks. London, 14. Juni. In der heutigen Sitzung der eng lischen Untersuchungskommission der .Titanic" - Katastrophe erklärte der Vorsitzende Lord Mersey, daß die .Californian" auf die Notsignale der .Titanic" unbedingt zu Hilfe eilen mußte, wenn sie sie gesehen habe. Weiter sagte er, wenn die .Titanic" so viel Rettungsboote gehabt hätte, wie die deutschen Vorschriften verlangen, so wären alle Paffagiere und Mannschaften gerettet worden. Ruthenische Dauerredner. Wien, 14. Juni. Kaum ist die Obstruktion im ungarischen Abgeordnetenhause beendet, so beginnt sie im Wehrausschuffe des österreichischen Landtages. Hier sind es die Ruthenen, die zwar gegen das Wehrgesetz, das zur Verhandlung steht, nichts einzuwenden haben, die die Beratung aber so lange verhindern wollen, bis ihnen endlich Gararantien bezüglich der Errichtung einer ruthenischen Universität in Lem berg geboten werden, Die arbeitsamen ordnungsliebenden Ruthenen werden in Galizien, wo die Polen die Oberhand haben, auf das schmählichste unterdrückt, besonders gegen die Errichtung ruthenischer Schulen sträuben sich die Polen. Alle Ruthenen müssen in polnische Schulen gehen. Da die Polen im österreichischen Landtage ein ausschlag gebender Faktor sind, so kann auch die Regierung wenig gegen den Willen der Polen ausrichten. Die Ruthenen führen ihre Obstruktion nun allerdings nicht durch ohren betäubenden Lärm, sondern durch Dauerreden. Der erste ruthenische Redner sprach nur vier Stunden, daraus folgte aber Baczynsky, welcher die ganze Nacht hindurch sprach und erst am folgenden Mittag aufhörte. Volle 13 Stunden hatte er geredet. Dann aber griff der Kultusminister ein der den ruthenischen Führern Vorschläge über die Universitäts frage machte, die von diesen angenommen wurden. Damii dürfte die Obstruktion beendet und die Annahme des Wehr- gesetzes gesichert sein. Die Fra« Abgeordnete . . . Prag, 14. Juni. Das fast Unmögliche ist also Ereigni? worden: Frau Vvck-Kuneticki ist als Abgeordnete in der böhmischen Landtag gewählt worden. In der gestriger Stichwahl im Kreise Jungbunzlau hat sie von 1248 ab gegebenen Stimmen 1161 erhalten. Nicht allein die Jung tschechen, auch die Sozialdemokraten stimmten für sie. Zwm verlautet, daß der Statthalter der Frau Abgeordneten die Legitimation verweigern werde, weil er der Ansicht ist, daf in den Landtag nur Männer gewählt werden dürften trotzdem die böhmische Wahlordnung keine dahinzielendk Bestimmung enthält. Danach wird man gut tun, sich der Namen der Gewählten — die beiläufig bemerkt Schrift stellerin ist — und die Tatsache ihrer Wahl zu merken. Opfermut siamesischer Offiziere Bangkok, 14. Juni. Auch im Reiche des weißm Elefanu n in Siam, wird gerüstet. Allerdings soll erst die Artillerie des Landheeres verstärkt werden. Das dafür nötige Geld bat man aber nicht durch Gesetz bewilligt, sondern man mach' das ganz anders. Die aktiven Offiziere der siamesischer Armee sind freiwillig übereingekommen, während zwölf Monaten auf einen Teil ihres Gehalts zu verzichten um einen Fonds für den Erwerb schwerer Geschütze zu schaffen. Bemerkt sei dazu, daß das stehende Heer etwa 12 000 Mann zählt. Diplomatische Konferenzen beim Kaiser. Berlin, 15. Juni. Lebhaft besprochen wird hier der heutige Empfang des neuen Londoner Botschafters Fret- berrn v. Marschall durch den Kaiser. Der Kaller konferierte eine Stunde lang mit dem Botschafter. Der Unterredung wohnte auch der Staatssekretär ces Reichs marineamts Großadmiral v. Tirpitz bei. Der Kaiser be glückwünschte bei der Gelegenheit Herrn v. Tirpitz, der heute 15 Jahre lang dos Staatssekretariat der Marine verwaltet. Später wurden die Herren zur Frühstückstafel gezogen. — Wenn selbstverständlich auch über den Inhalt der Unter redung nichts Offizielles bekannt wurde, ist man doch über zeugt. daß wichtige Fragen der äußeren Politik behandelt wurden. Ob's wahr ist? London, 15. Juni. Hier sind heute an einige Zeitungen Meldungen von einem großen Sieg der Türken bei Lebda eingetroffen. Sie sollen die Italiener nach einem siebenstündigen heißen Kampf derart zurückgeworfen haben, daß die Italiener tn solcher Eile flüchten mußten, daß sie mehrere grobe Geschütze, viele Gewehre, eine Unmenge Munition und große Mafien von Lebensmitteln auf dem Schlachtfeld zurücklafien mußten. Die Italiener sollen über 1600 Tote gehabt haben, darunter einen Hauptmann und 17 Leutnants. Man wird, da weder von türkischer noch italienischer Seite eine Mitteilung über diese große Schlacht vorliegt, stark an der Wahrheit der Meldungen zweifeln dürfen. . Widerwärtige Weiber. London, 15. Juni. Seit dem lebten großen Fenster scheibeneinwerfen haben die englischen Frauenstimmrecht lerinnen sich ziemlich ruhig verhalten. Daß ihnen das recht schwer fällt, beweist der Fall, der soeben bei dem offiziellen Empfang passierte, den der Premierminister Asquith aus Anlaß des Geburtstages des Königs gab. Als der Premierminister die Ankommenden empfing, versuchte plötz lich eine Suffragette, die man für eine anständige Dame hielt, dem Premierminister die Epauletten seiner Uniform Herunterzureißen. Den Bedienten und Polizisten, die herbei« eilten, leistete sie den heftigsten Widerstand, so daß sie aus dem Saale getragen werden mußte. Der Premier minister verlor die Ruhe nicht, sondern begrüßte die übrigen Erschienenen freundlich und ruhig. Aber wenige Minuten nach der Attacke auf seine Epauletten schrie ihn ein dürrer bleicher Jüngling an „Stimmrecht für Weiber". Die Diener setzten das unreife Bürschchen schnell vor die Tür. Später wurde Asquith noch ein drittes Mal von einer elegant gekleideten jungen Dame angegriffen. Sie entblödete sich nicht, den Minister mit dem Fächer über den Kopf zu schlagen. Daß Minister Asquith über diese Brutalität sehr erregt war, wird man ihm nicht verdenken können. Ein verkehrter Mensch. Parts, 15. Juni. Der Arzt Dr. Taguet stellte heute bet der Untersuchung eines Patienten mit Röntgenstrahlen fest, daß der Mann den Magen auf der rechten Körperseite und auch die Eingeweide mit genau entgegen- gesetzten Windungen hatte. Fast sämtliche inneren Organe waren verkehrt. Derartige Fälle sind, wie Doktor Taguet erklärte, nicht gar so selten, und in manchen Fällen können die Leute ganz gut ohne ernstere Beschwerden leben. Drei Monate Gefängnis für Weinberger. Oran, 15. Juni. Alle Bemühungen des deutschen Konsuls um die Gebrüder Weinberger aus München sind resultatlos geblieben. Rechtsanwalt Adolf Weinberger aus München war Mitte Mai nach Sidi bel Abbas gereist, um seinen Bruder aus der französischen Fremdenlegion zu befreien. In Parts hatte man ihm angedeutet, daß man leinen Bruder wokl entlasten würde, wenn er bei den Militärbehörden in Algier vorstellig würbe. DaS war aber nicht der Fall. Er versuchte daher seinen Bruder wenigsten» aus dem GarnisonSorte Sidi bel AbbaS fortzubringen Dabei wurden jedoch beide gefangengenommen. Heute ist Rechtsanwalt Weinberger aus München wegen Beihilfe zur Desertion zu drei Monaten Gefängnis verurteilt worden. Wie sein bedauernswerter Bruder in der Fremden legion bestraft wurde, ist nicht bekannt. Man wird sich wohl auch hüten, dies mitzuteilen, da die Strafe wohl jeder Menschlichkeit Hohn sprechen wird. Pekinger Staub. Ortginal-Reisebries aus dem fernen Osten. Peking, Anfang Juni. Peking hat sein Rennen. In der Europäerstadt, die sich um das Gesandtschastsviertel gruppiert, ist es wie ausgestorben, weil draußen wett vor den Toren ein paar Sportsleute darum wetten, welche ihrer neugekausten Mongolenponies die schnellsten Beine haben. Das zu ent scheiden, zieht ganz Peking hinaus. Ein besonderer Genuß gerade dieses Jahr, wo ver spätete Staubstürme ein nicht gerade ideales Wetter schaffen. Zwar brennt die Sonne lachend und warm vom Himmel, aber ihre Strahlen werden verdunkelt von den gewaltigen Staubmafien, die ein strenger Nordwind heran- wirbelt. Wenn man droben auf der Mauer steht, sieht man die dicken weißlich-gelben Wolken durch die langen Straßen fegen wie die Windsbräute, die ganze Stadt in einen dichten Schleier hüllend. Fein legt sich der Staub in Nasen und Ohren und durchdringt selbst die schützende Hülle der Staubbrille, mit der jedermann bis zur Un kenntlichkeit entstellt durch die Straßen gebt. Das ist hie Frühlingsgabe Hierl Droben auf der großen Mauer ist es etwas besser, weil der Staub nicht so heraufdringt. Lachend stehen da droben die alten Bannerwächter, die da immer noch Ausschau nach dem Feinde halten, seit ein paar hundert Jahren schon wenig zu tun haben und dafür prompt ihren Monatslohn einstecken. Beim uralten Observatorium treffe ich zwei von ihnen, und sie erzählen nur, wie schade es sei, daß die Deutschen im Jahre IWO fünf der schönsten alten optischen Instrumente nach Berlin entführt hätten. Ich erzähle ihnen, daß im Jahre dieser Unruhen noch sehr viel verschwunden sei, daß alle Nationen eben ihr Teil genommen hätten. Die philosophischen Wächter auf der großen Mauer haben einen idealen Dienst hier. Diese Pekinger Stadtmauer ist wie eine Insel im brandenden Meere, leise und abgedämpft klingt von unten das Hasten und Tönen der Arbeit herauf. Die Glocken der Kamel züge klingen, die heiseren Schreie der Maultiere, die wie das Geräusch eines rostigen Pumpenschwengels ins Ohr gellen, tönen herauf, die Eseltreiber rufen ihren Tieren zu, die Rikscha-Kulis mahnen sich zum Ausweichen. Bunt und abwechslungsreich flutet das Leben der asiatischen Riesenstadt durch die großen Tore. Moderne Töne kommen dazwischen, gellende Pfiffe der Eisenbahnern die da in lebhafter Rangiertätigkeit sich groß tun und doch wie ein Spielzeug erscheinen, wenn sie an der großen Stadtmauer hin und her fahren, Trompetensignale der zahlreichen fremden Truppen, die zum Schube ihrer Gesandtschaften da unten stationiert sind. Ganz un harmonisch erscheinen uns diese Töne zum Bilde der absolut friedlichen Stadt, deren äußerer Erscheinung man weder politische Kämpfe, noch nächtliche Feuerbrände und Plündereien aufs erste ansieht. Wie ein großer Garten sieht sie von hier oben aus. Denn wo nicht gerade die Hauptverkehrsadern laufen, da sind überall eine Anzahl Bäume vor die Häuser und in die ersten Vorhöfe gepflanzt, und sie sind so groß und schön geworden, daß jetzt die Häuser selbst nur noch wie kleine Gartenhäuschen daraus hervorlugen. Weit in dunstiger Ferne liegen die Berge, der Blick zum Sommerpalast ist heute verschleiert, und der mächtige Paukenturm, wo der Wächter nachts in Feuersgesahr die große Pauke schlägt, und der riesige Glockenturm, wo er viele hundert Zentner schwere Glocken anstößt, sind halb in Nebelhüllen gedeckt. Leise klingt die Glocke, vom brausenden Sturm angetrieben. Das Volk sagt, des Glockengießers Töchterlein rufe auS ihr, das sich auf des Sterndeuters Rat in die flüssige Masse stürzte, um den Vater zu retten, dem der Guß zweimal mißlang, und den der Kaiser Dungloh töten lassen wollte, falls auch der dritte Guß fehlschlage. Ganz in der Ferne glänzen die blauen Tempeldächer des Himmels tempels mitten aus dem saftigen Grün der riesigen Lebens bäume heraus. Riesenhaft ist die Anlage, die eine sieben Kilometer lange Mauer umspannt, und die jetzt in den Frühlingstagen mit ihren weiten Grasflächen und treibenden Bäumen ein wundervolles Spaziergelände bietet. Im Ackerbautempel gegenüber wäre eS ja jetzt an der Zeit, daß der Kaiser mit den drei Prinzen und 9 Großen de» Landes herauskäme, daß sie fasteten und opferten und dann mit gelbangestrichenen heiligen Geräten die vor geschriebenen Furchen pflügten und die Saat ausstreuten. Aber kein Kaiser kommt, wenn auch die Tempelwächter die Hoffnung noch nicht verloren haben. Daß es keinen Kaiser mehr gebe, lasten sie nicht gelten. Der habe nur während der unruhigen Zeiten sich nicht selbst die Hände mit dem Gesindel beschmutzen wollen und den Soldaten Vuanschikai beauftragt, die Leute ein bißchen zu be ruhigen, erzählen sie mir. Kommen werde er gewiß, und wenn er dieses Jahr da» Pflügen und Säen auch unterlassen müsse, so werde das Volk die Folgen dieser un heiligen Unterlassung schon zu spüren bekommen. Der Kaiser sollte ja jetzt auch im Himmelstempel für Regen und gute Ernte bitten. Auch da» hat er nicht getan. Wer weiß, ob diese verspäteten Staubstürme.... da kommt gerade einer mit Macht an und füllt dem gelehrten Philo sophen den Mund bis zum Rande mit schönem wohl schmeckenden weißen Staub. Hustend und pustend lästert er noch die Republik, die daran schuld sei, daß dieses Jahr im Frühjahr nicht viele Fremden gekommen seien, um die Tempel zu sehen, und überhaupt sei es jetzt endlich Zeit zum Trinkgeld. Ja, ja, das Trinkgeld. Diese Tempel- und Torwächter, von denen jede Anlage ein paar Dutzend birgt, sind ge borene Diebe, und ohne ein paar Zentstücke öffnet keiner sein schweres Tor. Desto mehr aber den Mund, der so gastfrei die Scheltworte heraussprudelt. Und so regel mäßig kommen die Staubstürme jetzt doch nicht mehr, daß jeden Herzenserguß eines edlen Wärters eine Staubsalve beschlösse. Or. //. Soriales uncl Volkgvlptfckaftlickes. * Der Londoner Streik gebt seinem Ende entgegen. Da eine Anzahl der gröberen Städte Englands dem Streikbefehl nicht Folge leistete, außerdem die Hungersnot unter den Angehörigen der Londoner Streikenden wächst, so stellen sich alle Tage mehr Arbeitswillige wieder ein. Die Streikführer sind angesichts des Fiaskos des nationalen Streiks gern bereit, jetzt Frieden m schließen, wenn ihnen die Wieder einsetzung der Streikenden unter den Bedingungen de» Übereinkommen» vom vorigen August und eine Untersuchung über di« industrielle Unzumedenheu versprochen wird. -
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)