Volltext Seite (XML)
Nachdem Scheune und Stall untersucht, auch tn die Dunggrube gestochen und die vor dem Hofe aufgestellten Schafdungsoden, die im Winter in dieser Gegend fast all gemein als entsetzlich stinkender Torf gebrannt werden, auseinandergeworfen und auch die um daS Gehöft führenden Gräben ohne Erfolg abgesucht waren, kam das Wohnhaus daran. — Bis dahin war Peter noch so ziemlich ruhig geblieben, ja es war ihm sogar spaßhaft vorgekommen, daß so viele Menschen alle die Örtlichkeiten so gründlich untersuchten. Als sie aber in das Haus ein drangen, schwand diese Gelassenheit. Jeder mußte seine Erregung bemerken und in dem Verdacht dadurch noch bestärkt werden. Und dafür wurde auch die Bestätigung nur zu bald geliefert. Ein Kommisfar öffnete die nächste Tür am Eingang. Es war Peters Kammer. Einfach, ja dürftig war die ganze Einrichtung: ein schlichtes Bett, Tisch, Stuhl, Fischergeräte, ein Rechen an der Wand mit derbem Zeug. Aber neben dem Tisch lagen zwei Koffer, ein gefüllter Sack und Frauenkleider. Da hatte man's ja; denn diese Dinge paßten offenbar nicht zu der Einrichtung und stammten wahrscheinlich von dem Wrack her. Auffallend war nur die Sorglosigkeit, mit welcher diese Dinge so offen dahingelegt waren. Indessen setzte man sich darüber bald hinweg. „Gehören Ihnen diese Sachen?" fragte, auf die Koffer zeigend, der Kommissar den an der Tür stehenden Peter. — „Nein", erwiderte dieser gelassen. „Wem gehören sie?" — „Weiß ich nicht genau." „Wie sind sie hierhergekommen?" — „Ich habe sie hierhergebracht." „Woher stammen sie?" — „Vom Wrack." Wie elektrisiert fuhren alle auf; denn damit gab er den Strandraub ja selber zu. Aber die Angst, die sie nach diesem Geständnis bei ihm erwartet hatten, bemerkten sie doch nicht. Zeigte sich darin seine Unschuld oder bodenlose Frechheit? Wer konnte das wissen? „Sie sagten", begann der Kommissar nach einer Pause wieder, „Sie hätten die Sachen vom Wrack hierher gebracht. Sie haben sich dieselben also angeeignet. Wie können Sie da noch leugnen, Strandraub getrieben zu haben?" „Was?" entgegnete Peter sichtlich erschrocken. „Ich soll Strandraub begangen, also gestohlen haben? Wie soll ich denn das gemacht haben?" „Sie haben sich doch diese Sachen angeeignetl" — „Nein, das habe ich nicht getan!" „Ach was! Sie haben die Sachen vom Wrack geholt und hierhergebracht, also haben Sie sich fremdes Gut an geeignet und damit Strandraub begangen!" „Nein, ich habe die Sachen nicht für mich geborgen und daher auch keinen Strandraub getrieben!" „Für wen haben Sie sie denn geborgen?" — „Das weiß ich nicht." Ein allgemeines Gelächter erscholl auf die scheinbar naive Antwort ohne Ausrede. „Aus dem Gelächter können Sie sehen, welchen Glauben Ihre Ausrede verdient", erwiderte der Kommissar, sehr zufrieden mit sich selbst, diesen gemeingefährlichen Menschen endlich gefangen zu haben. „Was ist denn hier für ein Lärm im Hause, wo ein Mensch mit dem Tode ringt!" Mit diesen Worten trat Stina unerwartet in die Tür. Sie war mit der im Fieberwahn um sich schlagenden Kranken beschäftigt ge wesen, hatte von der Ankunft der ganzen Kommission nichts gemerkt, und war erst durch das Gelächter darauf aufmerksam geworden, daß etwas Ungewöhnliches im Hause vorgehen mußte. „Peter, was wollen alle diese Menschen hier?" „Sei will'n mi bewiesen, dat ik en Strandröwer bün", erwiderte Peter ganz belustigt. „Dummen Snack!" rief Stina in verächtlichem Tone. „Wecker Däskopp is denn so klauk?" Der höchste Zorn nur konnte sie veranlassen, platt zu sprechen. „De Harr Kommissar dor", antwortete Peter mit einer bezeichnenden Handbewegung. „Sie haben also in meinem ehrlichen, aber etwas ungeschickten Bruder einen Strandräuber entdeckt?" rief Stina dem Kommissar zu, und in der Betonung zeigte sich ihr ganzer Hohn. „Welcher Schafskopf oder hinter listige Verleumder hat Ihnen denn das weisgemacht?" Der Kommissar kam dadurch ganz außer Fassung, denn dieses energische Mädchen war in seinem Programm nicht vorgesehen. Die plattdeutsche Wechselrede zwischen Bruder und Schwester hatte er zwar nicht verstanden; aus den Mienen der Anwesenden aber hatte er doch herausgefühlt, daß von ihm in keineswegs schmeichelhafter Weise gesprochen worden war. Daher glaubte er es seiner Ehre schuldig zu sein, die unbequeme Störerin gründlich abzufertigen. „Was hast du überhaupt hier zu suchen und mich in meiner Amtshandlung zu stören?" donnerte er Stina an. Wenn er aber gehofft hatte, sie schon damit aus seinem Gesichtskreise zu verbannen, so irrte er sich gänzlich; denn Stina verstand sich in jeder Lage zu wehren. „Zuerst eins", erwiderte sie, in die Kammer tretend. „Wenn Sie es noch einmal wagen, mich mit „du" an zureden, dann nenne ich Sie wieder „du". Und was ich hier zu suchen habe? Ich bin Peters Schwester, Christine Fersen ist mein Name, und das Haus hier gehört mir ebenso gut wie meinen beiden Brüdern. Also habe ich hier , wohl etwas zu suchen. Wer aber sind Sie denn eigentlich, und was haben Sie hier zu suchen?" „Ich bin königlicher Kommissar", erwiderte der Mann fast eingeschüchtert und leidlich höflich, „und bin mit der Untersuchung wegen des Strandraubes beauftragt." — „Welches Strandranbes?" „Ihr Bruder hat selbst eingestanden, diese Sachen vom Wrack hiechergeholt zu haben. Aber außerdem hat er in der letzten Nacht, wie wir erfahren haben, schon einen ganzen Wagen mit gestohlenem Gut fortgeschafft, nach Tasig zu einem Bauer Oldmann oder anders wohin." Stina war sprachlos über diese ungeheuerliche An schuldigung; Peter aber stand wie gebrochen und völlig hilflos da, kümmerte sich gar nicht um das „Gedrähn", wie er es bei sich nannte, und überließ nun alles seiner redegewandten Schwester. Diese schaute bald ihn, bald den Kommissar an, als hörte sie eine Räubergeschichte aus einer unbegreiflichen Welt, und zuletzt packte sie Petern beim Arm, schüttelte ihn und rief: „Minsch, Peter, Heft du dat dahn, un begriepst du dat?" „Ach, Stiningswester", sagte Peter, ganz trübselig den Kopf schüttelnd, „dat is jo all' dumm Tüg, un bei is säker heil un deil nahr'sch word'n." „Wie kommen Sie zu dieser Behauptung?" wandte sich Stina wieder zu dem Kommissar. „Mein Bruder hat vom Wrack nichts weiter geborgen, als dieses hier, und wir haben ja auch gar kein Gespann, um etwas fort zuschaffen." (Fortsetzung folgt.) Der Gememäea^t. Von Dr. Hans Liesal. (Nachdruck verboten.) Einem Unfall verdanke ich seine Bekanntschaft. Und das kam so. Ich wollte einen mehrtägigen Aufenthalt in Mailand mit dem Besuch der Certosa — meist (lortosa cki ttavla genannt — abschließen und benutzte zu diesem Zweck die sogenannte korrovia eeonomiou. Ich war so begierig, die prächtige Kirche wieder zusehen, daß ich nicht rasch genug aus dem Wagen kommen konnte. Aber diese unbequemen Kästen sind für solche Eile nicht geeignet, ich tat einen Fehltritt und dann saß ich fest. Das heißt, ich stand noch; aber ein Versuch, weiter zu gehen, belehrte mich sofort, daß dies unmöglich sei. Auf einen hilfsbereiten Mitreisenden gestützt, hüpfte ich auf einem Fuß die paar Schritte zum Gasthaus und nachdem ich in einem einfachen aber freundlichen Zimmerchen untergebracht war, wurde trotz meines anfäng lichen Widerstrebens der Doktor, der sogenannte wsckioo eonckotto geholt. Ich muß gestehen, daß mich der Gedanke, meine kost baren Knochen solch ländlichem Nskulapsjünger an zuvertrauen, nicht sehr erfreut hatte; aber was war zu tun? Ich wurde aufs angenehmste enttäuscht. Der „Banern- doktor" entpuppte sich als netter, gebildeter Mann und nachdem er den schmerzenden Fuß untersucht und erklärt hatte, daß nichts gebrochen sei und ich nach einigen Tagen Schonung wieder aufsiehen könne, entspann sich bald eine lebhafte Unterhaltung zwischen uns, und zwar in deutscher Sprache. Denn das war das Merkwürdigste an diesem Landarzt, er sprach deutsch und war sogar einige Zeit an einer deutschen Klinik gewesen. Ich fragte ihn, wie er dazu gekommen sei, in diesem Nest den Gemeindearzt zu machen. „Was wollen Sie, irgendwo muß man doch leben, und hier ist wenigstens durch die Certosa immer Verkehr. Da drinnen in den Reisfeldern ist's noch schlimmer. Ich kenne einen Kollegen, dessen Wohnort aus zwei Gutshöfen und etlichen Bauernhäusern besteht." „Aber um so eine Condotta zu finden, braucht man doch nicht Deutsch zu sprechen und eine deutsche Klinik besucht zu haben", erwiderte ich ihm. „Allerdings nicht; wenigstens ist bis jetzt noch keine Gemeinde auf den Gedanken gekommen, derartige Be dingungen zu stellen, obwohl die Bauern in der Erfindung neuer Bedingungen eigentlich grob sind." Ich bat ihn, mir noch mehr über die Art der Stellung eines Gemeindearztes zu sagen, was er auch gern und ausführlich tat. Einige Einzelheiten erfuhr ich allerdings erst später, denn an jenem Nachmittag wurde mein Doktor plötzlich abberufen. Er mußte mir aber versprechen, mir am Abend noch ein wenig Gesellschaft zu leisten. Er kam auch, aber sehr spät und sehr ermüdet aussehend. „Nun, haben Sie heute nachmittag jemanden vom Tode erretten müssen?" fragte ich ihn scherzend. Er lachte bitter. „Als ob man den wsäwo oonckotto nur riefe, wenn's wirklich not tut. Ich war zweimal fort, seit ich Sie verließ. Das erstemal im Nachbardorf, das zu meinem Bezirk gehört, und am Abend noch in der Casina, die eine schwache Stunde von hier inmitten der Reisfelder liegt. Beide Male bandelte es sich um Nichtig keiten, für welche die Leute Oe den Arzt rufen würden, wenn sie ihn bezahlen müßten. Aber unsere Bauern sind anspruchsvoll. O, es ist wirklich ein Vergnügen, moäioo oonckotto zu sein!" „Aber warum sind Sie dies geworden?" fragte ich unwillkürlich. „Ich denke, Ihnen hätten noch andre Wege offengestanden." s „Ja, gewiß. Ich könnte heute ein andrer Mann sein. Aber wissen Sie nicht, was meistens die Ursache ist, wenn ein sonst leidlich vernünftiger Mann eine große Dumm heit macht?" „Die Liebe", antwortete ich prompt. „Ja, die Liebe. Aber das ist eine Geschichte, die ich Ihnen vielleicht besser ein andres Mal erzähle, wenn es Ihnen Spaß macht. Heute ist's für uns beide besser zu schlafen. Aber vor Mittag kann ich Sie morgen nicht besuchen; ich muß erst noch meine Tour machen." „Aber nun müssen Sie schlafen, das verschreibe ich Ihnen als Medizin." Damit ging er. Erst im Laufe der nächsten Tage gab er meinem Drängen nach und erzählte mir seine Geschichte: „Sie wunderten sich gleich am ersten Tage, daß ich als einfacher Landarzt eine berühmte deutsche Klinik be sucht hatte", begann er. „Aber ich tat dies, um mich für die akademische Laufbahn oorzubereiten. Ich hatte schon vorher ein Jahr in einer italienischen Klinik zugebracht und durfte hoffen, nach meiner Rückkehr bei dem be treffenden Professor die Stelle eines Assistenten zu er halten. Es war auch Zeit, daß ich eine bezahlte Stellung bekam, denn mein kleines Erbteil war nahezu aufgezehrt. Ich hatte so eifrig gearbeitet, daß ich für nichts anderes Zeit hatte; ja, ich hatte mich sogar ein wenig über anstrengt und beschloß daher, die Ferien zur Erholung bei meiner Schwester zu verbringen, welche in einem schönen Landstädtchen der Brianza verheiratet ist. Erst dort lernte ich das Mädchen kennen. Ich will Sie nicht mit meiner Liebesgeschichte langweilen, sondern nur erzählen, was Sie zuni Verständnis der weiteren Vorgänge wissen müssen. Sie war die einzige Tochter eines ziemlich wohl habenden Kaufmanns in jenem Städtchen und dieser reelle Hintergrund war mir sehr lieb, denn wenn mir auch jede Berechnung fernlag, so hatte ich doch noch Vernunft genug behalten, um mir zu sagen, daß ich nicht in der Lage war, ein armes Mädchen zu heiraten. So jedoch schien alles in schönster Ordnung, und nachdem ich die Gewißheit erlangt hatte, haß meine Liehe erwidert werde, war es meiner Ansicht nach eine reine Formsache, auch die Zustimmung des Vaters zu erhalten. Aber zu meiner Überraschung empfing mich der Alte sehr kühl und ant wortete mir, ich solle mir doch erst eine feste Position gründen, ehe ich ans Heiraten dächte. Ich verwies mit einem gewissen Stolz auf meine Assistentenstelle, aber er lachte mich einfach aus. Ob ich von den paar hundert Liren jährlich meine Familie er nähren wollte, fragte er mich. Ihm fiele es jedenfalls nicht ein, dies zu tun, seine Tochter bekäme eine kleine Rente, aber dies sei höchstens genug für ihre Kleider. Überhaupt habe er kein Vertrauen zu dieser akademischen Laufbahn, bei der ich vielleicht mit grauen Haaren einmal Professor würde, da sei ein meckleo oonckotto noch bester daran, der habe wenigstens gleich ein sicheres Einkommen. Wenn ich statt mein bißchen Vermögen zu oerstudieren, gleich in Llonckotta gegangen wäre und nun eine sichere Stellung hätte, dann ließe sich darüber reden, aber auf schöne Aussichten hin gäbe er seine Tochter nicht." „Donnerwetter,, der Alte hatte wenig Achtung vor der Wissenschaft", bemerkte ich. „Na, misten Sie, die Sache hatte einen tieferen Grund", fuhr der Doktor fort. „Er hoffte mich auf diese Weise los zu werden, denn er wollte einen reichen Fabrikanten, der sich auch um Angelika bemühte, zum Schwiegersohn. Aber ich war zu verliebt, um mein Mädchen so leicht aufzugeben, und da sie mich natürlich auch bat, dem Vater nachzugeben, nahiy: ich den Alten beim Wort und erklärte, mich um eine Oonckotta be werben zu wollen, die gerade in der Nähe frei war. Ich erhielt sie auch wirklich; nicht so die Braut. Der Alte war eigensinnig und so viel wir ihn auch bestürmten, er erklärte, daß nicht eher Hochzeit sei, als bis ich nach Ablauf der Probezeit die Oonckotta auf Lebensdauer er halten habe. Angelika könne mit ihren achtzehn Jahren wohl noch so lange warten. Was wollten wir tun? Wir mußten uns fügen. Zum Glück lag ja mein Wohnort auch so nahe, daß ich jede Woche meine Braut besuchen konnte, wenn ein gefälliger Kollege die Vertretung übernahm." „Wie, für solch kurze Abwesenheit braucht man auch Vertretung?" „Gewiß, wenn ich meinen Bezirk nur auf ein paar Stunden verlassen will, muß ich meinen benachbarten Kollegen bitten, bei unvorhergesehenen Fällen für mich zu gehen. Natürlich helfen wir uns gegenseitig gern aus, schlimm wird die Sache nur, wenn man mit dem Nachbar arzt nicht gut steht, wie es mir im dritten Jahre meines Brautstandes ging. Die beiden ersten Jahre waren ziem lich gut verlaufen, aber dann begannen Unannehmlich keiten. Erst mit dem Kollegen, der sich, ich weiß nicht warum, üder mich geärgert hatte und mich nicht mehr vertreten wollte. Der andere Nachbar aber, der mir gern ausgeholfen hätte, war meiner Gemeinde nicht recht an genehm, und die übrigen waren zu weit weg. Ich kam daher jetzt viel seltener zu meiner Braut, denn ich mußte mir die paar Stunden dazu förmlich stehlen. Das m^r natürlich für uns beide unangmvLm, noch unangenehmer, weil mir meine Braut manchmal oeshalb Vorwürfe machte und es nicht zu glauben schien, daß ich mich nicht frei machen konnte. Doch tröstete ich mich mit dem Gedanken, daß wir ja nun bald vereint seien. Allem Anschein nach war meine Gemeinde mit mir ebenso zufrieden wie ich mit ihr, und ich konnte also nach Ablauf der drei Jahre meine Be stätigung erwarten. Da beging ich die Unklugheit, in meiner Eigenschaft als Sanitätsbeamter dem Bürgermeister ein wenig auf die Finger zu sehen. Der gute Mann be schäftigte nämlich in seiner Fabrik Kinder unter dem ge setzlichen Alter, die ich infolgedessen immer unter meinen Kranken hatte. Ich ermahnte ihn erst ganz freundschaft lich, diese Kinder zu entlassen, aber er gab mir lachend den Rat, ich solle fortfahren, ein guter Gemeindearzt zu sein und den Sanitätsbeamten nicht zu sehr heraus zukehren, dann kämen wir sicher gut zusammen aus. Ich erwiderte ihm, daß ich stets meine Pflicht als Gemeinde arzt tue, aber auch diejenige als Sanitätsbeamter nicht vernachlässigen werde." (Schluß folgt.,-