Volltext Seite (XML)
geschickte. Wenn du das nicht tust, dann fahre'ich nicht mit." Ganz traurig und nachdenklich stand Peter da, kam aber zuletzt mit einem tiefen Seufzer zu einem festen Entschluß. „Wenn't nödig is, um datt lütt' Mäten tau rett'n, denn will ik Sei verteilen, woans dat all' so kanien is." Und nun erzählte er dem aufhorchenden Arzt alle Er eignisse der letzten Tage, mehr als dieser zu wissen be gehrte, zwar mit Stocken und Herzbeklemmungen, aber wahrheitsgetreu. Er schilderte die Strandung der Brigg, ftine Fahrt nach dem Wrack, als wäre das eine Kleinigkeit gewesen, d e Rettung der Fremden, den Beginn der Krankheit, die Betrübnis von Mutter und Schwester, und seine eigene klang aus seinen Worten heraus. Zuletzt erwähnte er die Bergung der Habseligkeiten des jungen Mädchens und sogar die Mitnahme der Schiffsmatrahe, beschrieb die zarte Gestalt mit dem schmalen, hübschen Gesicht und vergaß sogar den kleinen Schuh nicht. Nur der Kuß auf dem Wrack schien seinem Gedächtnis ganz entfallen zu sein. „Maken Sei dat lütt' Mäten wedder gesund, Harr Dokter", so schloß er, „un wat dat kost', dat will ik all' betablen." Mit immer steigender Teilnahme hatte der alte Arzt zugehört und dabei zugleich einen tiefen Blick in die Seele eines zwar einfachen, in seiner Art aber von den ge wöhnlichen Durchschnittsmenschen auf dem Lande doch ganz verschiedenen und diesen allen überlegenen Mannes getan, wie er eben nur am Strand zu finden war, gleichsam ein Produkt seines einsamen Lebens und seiner gefahrvollen Beschäftigung. Zugleich aber hatte er auch das entdeckt, was Peter sein Geheimnis nannte, was ihm seine ruhige Besonnenheit raubte und ihn doch so glücklich machte. „Schön", sagte er zutraulich, als Peter schwieg, „nu weit ik Bescheid, mihr as ik hiertau bruk'. Du bist 'n braven Kierl, Peter Fersen, un wenn du richtens mal in Not kümmst, denn kam tau mi, ik Help' di ungefragt. Aber eins bitte ich mir aus. Wenn es uns beiden in dieser Sache glückt, dir mit dem Herzen und mir mit dein tranken Leib des Mädchens, dann will ich auch bei eurer Hochzeit zugegen sein." — Als hätte ein Blitz vor ihm eingeschlagen, so taumelte Peter bei den letzten Worten des Arztes zurück, so daß dieser selber erschrak, denn das hatte er doch nicht beabsichtigt. „Harr Dokter", brachte er endlich stotternd heraus, „känen Sei Gedanken lesen, orre hew' ik dat verplappert? O, nu is min Hartensgeheimnis herut, un ik wull dät doch für mi behollen! Wat hew' ik mi dorgegen stemmt, un nu is 't all' vergews west't!" Traurig blickte er vor sich hin, und schlaff hingen seine Arme herab, als gehörten sie ihm gar nicht. Das jammerte auch den alten Arzt, und deshalb suchte er ihn zu trösten. „Min Sähn, dat wull ik jo ok nicht anrichten", sagte er mitleidig und ergriff seine Hand. „Awer du hest jo doch nix Böses dahn. Denn dat di en hübsch Mäten gefüllt, is doch nix Arges. Du leiwe Gott, 'ne hübsche Deern süht jedwerein giern, un sogar ik ohlen Knasteri — Aber da ist Doris. Mache dir einen Grog zurecht, und währenddessen will ich mich anziehen." Doris stellte den Topf mit heißem Wasser, Zucker, Rum, Gläser und Löffel auf den Tisch und nötigte auch in ihrer Weise den armen Peter, der ihr jetzt auf einmal krank vorkam, was sie vorhin gar nicht bemerkt hatte. „Verkühlt?" fragte sie beim Hinausgehen. „Jo, bi dem Storm von 'n Diek her un denn up'n Buck. „Na, Peter, böt' man wedder in!" und dabei zeigte sie auf Rum und Wasser. Peter antwortete nicht. Verwundert trat sie zurück und schaute den Vetter an. „Wat schad't di?" fragte sie. „Hest du bin Sprak verlur'n, un wer is bi jug krank?" Da fuhr er auf: „Nu hew' ik de ewige Fragerie äwer satt! Jrst Andreas, denn de ohl Doktor un nu noch du! Hol' di der Deixel! Min' Fru is krank, UN nu lat mi taufreden!" Ganz verblüfft stand Doris da, wußte nicht, was sie dazu sagen sollte, und war doch sonst nicht auf den Kopf gefallen. Endlich blitzte es tn ihren Äugen auf, sü machte aber gleich wieder ein mitleidiges Gesicht unt sagte bedauernd: „Ik hew' mi immer dacht, wi beid süll'n noch eens en Poor ward'n, äwer dat geiht jo nu nich mihr; denn du bist nahrisch word'n. Vielleicht Help! de Grog, lang tau!" Damit verließ sie das Zimmer. Peter schaute ihr nach und grübelte eine Weile. „Hm", murmelte er endlich, „so äwel is de Diern nich, un ik harr' mit dat vör bissen ok so dacht. Awer nu? Peier, wat is in de letzte Tid ut di word'n!" Wieder guckte er vor sich hin. Endlich sah er den Wasserdampf vom Topf aufsteigen, hörte den Sturm draußen heulen, dachte an die lange Fahrt gegen den Wind und fühlte dabei eine unbehagliche Kälte und Steifheit in seinen Gliedern. Da vor ihm standen all die schönen Dinge, die er nur zu mischen brauchte, um sich das beliebte Heilmittel zu verschaffen. Kurz, er vergaß seine Betrübnis, setzte sich au den Tisch und braute fick einen steifen Grog. Als aber erst der aromatische Duft desselben in seine Nase zog, da schlürfte er mit Behaglich keit das heiße Getränk und empfand auch bald seine an genehme Wirkung. Vergessen war der Streit mit Doris sowie die Kranke in seinem Hause. Währenddessen suchte der alte Trinius in der Schlaf stube seinen Leib gegen Sturm und Regen gut zu ver wahren. Aber seine Ehehälfte schmollte: „Du denkst nie an dich und wirst in deinem Beruf gewiß noch zugrunde gehen. Bei diesem Wetter und deinem Alter —" „Beruhige dich nur, Linchen", fiel er ihr ordentlich vergnügt ins Wort. „Erstens ist der Arzt ja für die Kranken da, und wenn er bei der Ausübung seines Berufes sein Leben läßt, so ist das doch für ihn die ehrenhafteste Todesart. Zweitens aber erhalte ich durch den heutigen Krankenbesuch, wenn mich nicht alles trügt, einen Einblick in einen Roman, wie man ihn nicht oft erlebt. Vielleicht kann ich dir bald etwas davon er zählen." — Er ging die Treppe hinab in den Hausflur, wo Doris schon mit dem dicken Reisepelz wartete. Erst aber trat er noch in seine Studierstube. Peter hatte eben den letzten Schluck aus dem Glase getrunken und sprang auf. „Na, geht's jetzt wieder?" fragte Trinius, ihn listig ansehend. „Harr Dokter", entgegnete Peter, „de Grog is dat best' und dat erbärmlichst' Getränk tauglik. Denn de Grog bringt Lewen in de Knaken, äwer hei leit 'n ok de ganze Welt vergüten. Un ik hew' dorbi min' Mähren dor buten vergüten." Er eilt? hinaus, der alte Trinius aber braute sich ganz gelassen eine ähnliche Lebensstärkung, wie sie Peter soeben genossen hat-e. „So", sagte er, als er das Glas langsam geleert hatte, „jetzt mag es wohl gehen. Aber Linchen bat im Grunde recht wie imnier; denn bei solchem Wetter ist es für einen alten Mann, wie ich bin, ein unverzeihliches Wagnis." Nachdem er aus einem verschlossenen Fack seines Schreibtisches ein Kästchen mit einigen Medikamenten genommen und zu sich gesteckt hatte, öffnete er die Tür, ließ sich von Doris den Pelz anziehen und trat ins Freie. Vor seiner Tür war's noch erträglich, denn sein Haus fing den Wind auf, und deshalb hatten die Pferde auch nicht allzuviel gelitten; aber an der gegenüberliegenden Häuserreihe klapperten Fensterladen und Dachlukentüren um so lustiger, und das konnte ihm als ein kleines Vor spiel von da draußen gelten. „Herr Doktor", redete ihn Peter fast feierlich an, „das Wetter ist noch schlimmer geworden. Nu habe ich mir aber aus Eigennutz, damit mir das nämlich nicht so teuer wird, von meinem zukünftigen Schwager in Tasig Wagen und Pferde geliehen. Die Pferde sind wohl gut und bei diesem Wetter besser als die Ihrigen, aber der Wagen ist nur ein offener Stuhlwagen. Sie sind alt und könnten sich verkühlen. Wenn Sie wollen, nehmen wir Ihren Kutfchwagen. Den stoße ich bald heraus und spanne die Mähren um." Aber der Doktor wollte nicht, und zwar aus viel facher Erfahrung. „Danke, min Jung'", antwortete er, an den Wagen tretend, „ich habe auch nur eine Halbckaise. Der Wind aber kommt von vorn, und da säße ich in einem Windfang, deshalb fahre ich fieber tm offenen Wagen." „Na", meinte Peter, „ik hew' mi dat ok all so dackt, un deretwegen hew ik Sei hier 'ne lütte Stuw' taurecht makt." Der Arzt blickte in den Wagen und bemerkte eine sonderbare Vorkehrung. Der Hintere Polstersitz war ab gehoben und mit Stricken an die Rücklehne des Kutscher bockes gebunden. Darunter lag auf dem Wagenboden ein Bund Stroh. „Verzeihen S'", sagte Peter, auf das Stroh weisend, „Sei sind man lütt, un dorob hew ik rekent. Wenn Sei sik up dat Stroh fetten, dann sitten Sei niedrig un mit dem Rücken gegen den Wind^.D de Storm jagt äwer Sei weg, as wir'n Sei in 'ne^Z-üw. Denn verkühlen dörpen Sei sik hüt' nich." ^7-" „Das ist ja präunig!" rief der Alte aus. „Doris, bloß noch eine Decke!" — Doris brachte sie, und fort ging es in die Nacht hinein dem Deiche zu. Es mochte die fünfte Morgenstunde sein, als Peter mit dem Arzt vor dem Fischerhaus am Dünenberge hielt. Schlimm war die Nacht gewesen, sowohl für Peter auf dem Bock als auch für die Frauen daheim. Denn die Kranke hatte sich im Fieber hin und her geworfen, ge schrien und gerast und war kaum zu halten gewesen. Wie ein Retter in höchster Not wurde der Arzt daher begrüßt. Er trat ans Bett, und da er aus Peters Erzählung wußte, was die Kranke ausgestanden hatte, so war ihm nach kurzer Untersuchung schon klar, daß hier ein Nerven fieber mit einer Gewalt ausgebrochen war, wie es selten vorkommt. Er flößte ihr sofort ein Beruhigungsmittel ein, gab Verhaltungsmaßregeln zur weiteren Behandlung, besprach einige Erscheinungen, die eintreten könnten oder müßten, und fand namentlick bei der klugen Stina weit mehr Verständnis für seine Worte, als er erwartet hatte. Außerdem versprach er, jeden dritten Tag wiederzukommen, da er in der Nähe einige Kranke behandelte. Als er nach etwa einer Stunde wieder heimfuhr, wußte er erstens, daß das fremde Mädchen wirklick in guten Händen war, und zweitens, daß jeder Kenner von Frauenschönheit Peters an Anbetung grenzende Liebe verstehen mußte. „Herr Doktor", sagte Peter zu ihm beim Abschied in Gardig, „Sie sind mein Trost. Retten Sie das junge Mädchen, und ich will Ihnen mein Leben lang dankbar sein. Alle Kosten will ich tragen, und wenn ich den ganzen Ertrag aus dem Störfang in diesem Sommer bergeben sollte. Im vorigen Jahr waren das mehr als hundert Taler." — „Ich will tun, was ich vermag", er widerte der Alte lächelnd, „aber wegen der Kosten sei unbesorgt, das wird sich alles finden." Langsam fuhr Peter nach Tasig zurück, wo er zu seiner Freude nur den Knecht auf dem Hof traf. Er lieferte das Gefährt ab und trat auf dem Fußweg über Lie Fennen (Weide) den Heimweg an. (Fortsetzung folgt.) Das 6lück. Skizze von R. Hand. (Nachdruck verboten.) Auf der breiten Terrasfe des hochgelegenen, von Palmen und Lorbeerbäumen umgebenen Riviera-Hotels stand ein zartes, schlankes Mädchen. Märchenhaft schön war sie, die fremdländische Blütenpracht rings umher, aber das blonde deutsche Mädchen blickte über sie hinweg und ließ die Blicke weit hinaus aufs ferne Meer schweifen . . . Während sie die betäubend duftenden Jasminblüten, an denen sie sich eine Weile erfreut hatte, zerpflückte, träumte sie von der Heimat . . . Es nahen Schritte. Eine ältere Dame tritt herzu und legt leise die Hand auf des Mädchens Schulter. „Nun, mein liebes Kind, meine Elisabeth, ganz in Gedanken versunken? Träumst du von deinem zukünftigen Schloß am Bosporus oder von deiner Winterwohnung in Kairo?" „Nein, Tante, — von einem Pfarrhaus im Norden träumte ick." „Wie? — Kind, scherze nicht! — Laß Vergangenes > vergangen sein! — Du weißt so gut wie ick, daß eS nur eine Frage der Zeit ist, daß er um deine Hand anhält, der schöne Armenier." „Nein, nein, es soll, es darf nicht so weit kommen! Ich wollte es dir schon heute morgen sagen! — Ich bin jetzt aus dem Traum erwacht, habe mich auf mich selbst besonnen! Ich kann die Frau dieses fremden Mannes nicht werden! Alle Liebe, alle Kostbarkeiten der Welt können mir Lie Heimat nicht ersetzend Sie kamen nrchr weiter. Ein fremdländisch ausfehender Mann von großer Schönheit trat zu ihnen, das junge Mädchen fuhr zu sammen, faßte sich aber schnell. „Nun, mein gnädiges Fräulein, wie haben Sie bis jetzt den Tag verbracht?" fragte er sie in gebrochenem Deutsch. Das Mädchen antwortete nicht gleich. Dann begann sie, wie mit Mühe sprechend: „Seltsam ist's mir ergangen . . . Die ganze Nacht habe ich von der Heimat geträumt — und ich träume noch. Das Heimweh ist über mich gekommen, mit einem Male und mit unwider stehlicher Macht." „Das Heimweh? . . . Erzählen Sie mir von den Schönheiten Ihres Landes, nach denen Sie sich sehnen." Sie hatten Platz genommen in den bequemen, zier- licken Sesseln, die zwischen den Palmen standen. — „Ich will Ihnen den Ort schildern, an dem mein ferneres Leben sich abspielen wird." Die alte Dame wurde unruhig. Die großen, dunklen Augen des Fremden blickten fragend und erstaunt. Das Mädchen fuhr fort, und ihre Stimme gewann, während sie sprach, an Festigkeit: „Nickt weit von der Mündung eines mächtigen deutschen Stromes liegt das Dorf, so tief liegt es, daß Überschwemmungen dort nichts Seltenes sind. Die Schule und die Wohnung des Pfarrers können nur im Sommer und Frühling auf Landwegen erreicht werden; im Herbst, wenn alles unter Wasser ist, fährt man mit dem Boot. Schlimm ist es, wenn der Frost ein tritt, so daß man die Kähne nicht benutzen kann. Dann ruht aller Verkehr. So ist es in dem Ort beschaffen, nach dem ein namenloses Sehnen mein Herz ergriffen hat. Als Pfarrfrau in dem kleinen Haus zu walten, das ist's, was mir begehrenswerter erscheint, als Rang und Reich tum und alle Schätze der Welt. Ein kleines weißes Haus, von hohen Linden umstanden, — das wird mein Schloß sein! Eine grüne Bank steht vor dem Hause. Auf der kann man ausruhen nach des Tages Arbeit und Mühe. Davon träume ich inmitten all dieser fremden, betäu benden Pracht. Und eine liebe, starke Hand sehe ich, die sich liebend nach mir ausstreckt. Der will ich mich anvertrauen für den Rest meines Lebens!" Das Mädchen schwieg. Ein fast verklärter Ausdruck hatte sich über die feinen Züge gebreitet. Eine leichte Röte war in die Wangen gestiegen. — „Verzeihen Sie mir", rief sie mit plötzlich heroorbrechender Leidenschaft und reichte dem Fremden die Hand. „Verzeihen Sie mir! Sie sind gut und edel, glauben Sie mir, daß ich erst heute den Weg, den ich zu gehen habe, erkannte." Damit ging sie schnell daooü. Die alte Dame war ganz bleich geworden und keines Wortes mächtig. Es war also dock alles vergebens gewesen! Der Fremde war seltsam bewegt. „Jetzt erst erkenne ich, was ich verloren habe", sagte er wehmütig. „Ick will es Ihnen ganz offen gestehen, gnädige Frau: Keine starke Leidenschaft, auch keine aus stiller Freundschaft emporgeblühte Liebe war es, die mir das schöne, hoch begabte Mädchen begehrenswert erscheinen ließ. Ehrgeiz und Eitelkeit regten den Wunsch in mir an, sie zur Herrin meines Hauses machen zu wollen. Ihr hätte kein Glück an meiner Seite geblüht!" Wenige Monate später hielten der Pfarrer und sein junges Weib ihren Einzug in dem bescheidenen, von Linden umstandenen Hause. Kalter Herbstwind fegte über die Felder. Von Blumen war nichts mehr zu sehen, die große Über schwemmung hatte alles zerstört. Aber in den Herzen blühte die blaue Blume, nach der so viele suchen und die so wenige finden — die Blume Les Glückes, die kein Sturm zerstören kann!