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deutenden chemischen Fabrik gestattete ihm sogar in einem gewissen Luxus zu leben. Er trug sein kleines Weibchen wie auf Händen, und nie hätte ich geglaubt, daß aus dem Flirter ersten Ranges ein so fürsorglicher Ehegatte werden konnte, hätte ich mich nicht mit eigenen Augen und Ohren davon überzeugt. Er war wie umgewandelt, und deshalb hütete ich mich auch, ihm gegenüber eine Bemerkung über den alten Don Juan, den er ausgezogen hatte, zu machen. Um so eifriger schienen gute Freunde oder wohl richtiger Freundinnen bemüht zu sein, der kleinen Frau Mit teilungen über das Vorleben ihres Mannes zugehen zu lassen — Reptilien dieser Art gibt es ja immer und überall. Ich entnahm das aus manchen Fragen Frau Tronjes an mich, durch die sie auf geschickte Weise auch mich veranlassen wollte, „aus der Schule zu plaudern". Ich blieb aber auf meiner Hut und erntete als Dank dafür kleine Bosheiten wie „eine Krähe hackt der andern die Augen nicht aus" usw." .Sehr richtig!" bemerkte jemand halblaut. Der Doktor schien das zu überhören und fuhr in seiner Erzählung sort: „Von Natur schon ein wenig dazu veranlagt und durch die lieben Freunde noch scharf gemacht, wurde also Klara Tronje eifersüchtig: mit Argus- äugen bewachte sie jeden Schritt ihres Mannes, und wenn die Ehe nach wie vor eine glückliche blieb, so war das der unendlichen Nachsicht des Mannes und der im Grunde doch tiefen und reinen Liebe Frau Klaras zu danken. Wie tief aber die Eifersucht in dem Herzen der jungen Gattin Wurzeln geschlagen hatte, davon wurde ich durch einen Vorfall überzeugt, der sich etwa ein Jahr nach der Verheiratung zutrug und bei dem ich als Arzt zu Rate gezogen wurde. — Wie alle verliebten jungen Ehemänner erwies auch Tronje seiner Frau kleine Aufmerksamkeiten, indem er ihr bei seiner Rückkehr aus dem Geschäft — ihre kleine Villa lag vor den Toren der Stadt — bald eine Rose, bald eine Bijouterie oder eine Süßigkeit mitbrachte. Argwöhnisch achtete Frau Klara darauf, daß jedes dieser Geschenke ihr auch pünktlich ausgeliefert wurde, und keine Ruhe kannte sie, wenn einmal die Übergabe nicht so prompt erfolgte, wie sie gedacht hatte. Ängstlich beob achtete sie dann ihre Freundinnen und sogar ihre Dienst boten, immer von der Möglichkeit gefoltert, der Gatte könnte vielleicht ihnen die ihr zugedachte Aufmerksamkeit erwiesen haben. So hatte Siegfried Tronje auch eines Abends ein kleines elegantes Päckchen unterm Arm, in dem Klara un schwer eine mit Pralines gefüllte Kassette erkennen zu können glaubte; Klara freute sich über die Aufmerksamkeit ihres Gatten und eilte ihm in bester Laune entgegen. Wie war sie aber erstaunt, als er beim Eintreten in ihr Boudoir mit leeren Händen kam. Die zur Umarmung ausgebreiteten Arme fielen schlaff an ihr herab, und auf die besorgten Fragen des Gatten hatte sie nur verwirrte, unzusammenhängende Antworten. Sobald sie es nur irgend unauffällig konnte, begab sich Klara in das Arbeitszimmer ihres Gatten: auch hier war der Karton nirgends zu finden. Der Treulose hatte also entweder die Pralines schon verschenkt oder sie eingeschlossen, um sie in einem günstigen Augenblick seiner Dulcinea zu überreichen. Aber wer konnte das nur sein? Die kleine Frau grübelte tief und lange, sie war sehr unglücklich. Darüber vergingen wieder einige Tage. An einem Morgen wurde Tronje infolge eines Unfalles, der sich in seiner Fabrik ereignet hatte, plötzlich abgerufen, und in der Eile ließ er seinen Schreibtisch offen stehen. Kaum hatte Frau Klara das mahrgenommen, als sie — so weit hatte die Eifersucht sie schon gebracht — schleunigst daran ging, um nach Dokumenten von Siegfrieds Untreue zu fahnden. Sie suchte und suchte, — es fand sich nichts! Endlich aber glaubte sie etwas gefunden zu haben; unter Seifenkartons, die aus ihres Gatten Fabrik herrühren mochten, fand sich das Päckchen mit den Pralines. Klara riß es heraus — es war noch unberührt, aber Pralines waren doch drin. Für wen konnten die bestimmt sein, wenn nicht für Klara?! „Warte!" dachte die kleine Frau und drohte nach dem Bild ihres Gatten hin, das auf dem Schreibtisch stand, „du sollst dich täuschen, wenn du jemand hier hinter meinem Rücken mit Pralines füttern willst!" Vorsichtig schüttete Klara den Inhalt des Kartons auf den Schreibtisch, packte dann das leere Päckchen genau so wieder ein, wie sie es vorgefunden hatte, und legte eS wieder in das Fach zwischen die Seifenproben. Dann begann sie mit Todesverachtung bie Bonbons zu verzehren; daran, sie einfach ins Feuer zu werfen und so ihrem verführerischen Zweck zu entziehen, dachte sie gar nicht. Mit dem oft kleinlichen Sparsamkeitssinn der Frauen wollte sie wenigstens „etwas davon haben". In ihrem Eifer achtete Frau Klara auch gar nicht so sehr darauf, daß die Pralines eigentümlich schmeckten, und als sie es merkte, schob sie es darauf, daß sie etwas lange mit Seife zusammen in einem Fache gelegen hatten. Plötzlich wurde ihr aber doch ganz schlecht, sie packte den Rest zusammen und wollte sich in ihr Zimmer hin über begeben; auf dem Korridor — es war merkwürdig — fingen alle Möbel um sie herum einen Tanz an, der Zylinder ihres Gatten blinzelte sie von der Garderobe herab bohnlachend an, und der Türdrücker ihres Zimmers schien sich in immer weitere Ferne zu verziehen. Endlich hatte sie ihn aber doch gefaßt, und das kalte Metall schien ihr für einen Augenblick wieder die schwindende Be sinnung zurückzugeben. Schnell eilte sie auf den Tisch zu, klingelte laut und vernehmlich, und dann sank sie ohn mächtig nieder . . . In diesem Stadium der Sache wurde ich als Haus arzt der Familie Tronje gerufen; ich fand Frau Klara blaß und elend auf ihrem Bette liegend und mußte bald Vergiftungssymptome konstatieren. Ich traf meine An ordnungen und hatte die Freude, das blasse kleine Ge sichtchen sich bald wieder rot färben zu sehen. „Was haben wir denn aufgestellt?" fragte ich die Patientin. Sie wurde ganz rot. — „Ich — ich weiß nicht", stotterte sie, „ich wurde mit einem Male übel, konnte kaum noch über den Korridor kommen und brach in meinem Zimmer zusammen..." „So, so — hm, hm", machte ich „und genossen haben Sie heute Morgen nichts weiter als den üblichen Kakao, nicht wahr?" — „Ja, Kakao", sagte Klara hastig. „Das ist aber doch merkwürdig", inquirierte ich weiter, „in den Tassen, die ich mir zwecks Feststellung des von Ihnen genossenen Giftes — denn eine kleine Vergiftung haben Sie gehabt — geben ließ, befanden sich Reste von Kaffee, und nicht von Kakao ..." Nun wurde die kleine Frau ganz verlegen, sie suchte meinen Blicken zu entgehen, und schließlich kamen die bei allen Frauen mit Recht so beliebten Tränen. „Nur keine Alterationen!" sagte ich rind legte die Hand auf das heiße Köpfchen, „wie wäre es dagegen mit einem kleinen Geständnis?" — „Muß das sein?" „Ja, wenn ich Sie heilen soll. . ." Und nun kam das Geständnis der kleinen eifer süchtigen Frau zu meinen Obren. Als sie geendigt hatte, wünschte ich auch eins von diesen merkwürdigen Pralines zu sehen; das Dienstmädchen brachte aus der Lasche eines Morgenrocks ein zusammengeknülltes Päckchen hervor, das den Rest der „vergifteten" Bonbons enthielt. Kaum hatte ich die Pralines einer näheren Besichtigung unterzogen, so brach ich in ein unhöfliches Lachen aus, das man nur dem Arzt und der wirklich sich jetzt komisch gestaltenden Situation verzeihen konnte. Mit Spannung war Frau Klara meine« Bewegungen gefolgt, als ich aber zu lachen begann, meinte sie, so komisch wäre ihre Krankheit doch nicht, daß man wie in einer Posse brüllte vor Lachen. — „Ja, liebe Frau Tronje", antwortete ich, „sie ist sehr komisch, und wenn Sie das nächste Mal wieder eifersüchtig sind, so lassen Sie Ihren Zorn an einem würdigeren Objekt auS als an diesen Pralines." Am Abend aber hatte ich eine Unterredung mit meinem Freund Siegfried Tronje, in der ich ihm zweierlei anempfahl: erstens seinen Schreibtisch nicht wieder offen stehen zu lassen, zweitens aber ihm zur Untersuchung über gebene . . . Wurmkuchen lieber im Geschäft aufzubewahren als zu Hause, da sonst seine Frau wieder auf die Idee kommen könnte, sie als Pralines zu verzehren. Tronje versprach mir das, und von seiner gründlich kurierten kleinen Frau hörte man nie wieh-, daß sie unter eifersüchtigen Anwandlungen litt." § N « A t-L e-s -2 s s . OS s S VG /VS-E LVtS Ls einen Topf mit Wasser auf und begab sich an den Strand. Geschäftig trugen die Brüder die geborgenen Sachen ins Haus, und zwar in Peters Kammer. Dann hoben sie den Mast aus und schafften das nasse Segel in die Werkstatt. Nach kurzer Zeit trat Peter schüchtern wieder in die Stube. „Peter, was iS dat 'ne söte Diern!" rief ihm seine Mutter halblaut zu und zeigte dabei auf Stinas Bett in dem Wandkasten. Denn in den Fijcherhäusern an der Nordsee findet man noch jetzt oft Schlafschränke, die den Schiffskojen nachgeahmt sind und durch Türen, die bis zur niedrigen Decke reichen, ganz geschlossen werden können, so daß man einen Schrank vor sich zu haben glaubt. „Stina", sagte er zur Schwester, die sich eben über das Mädchen beugte, „sei is ganz verklamt. Legg' ehr de Warmsteen bi, sei liggen all in 'n Aben, und riew' ehr de Fäut, süs geiht dat arme Worm noch hüt' verlurn. Sei möt in Sweit kamen, un du, Mudding, bru 'en Grog; dat Water kakt all buten." Mutter Fersen kannte ihren Ältesten und wunderte sich daher über seine Befehle und Vorbereitungen nicht weiter, -sie ging in die Küche. Stina wickelte die heißen Mauersteine in alte Lappen und legte sie ins Bett. Darauf legte sie wollene Tücher in die Ofenröhre und begann der Bewußtlosen die Füße zu reiben. Da erschien auch Mutter Fersen schon mit dem Grog, dem Nationalgetränk der Küstenbewohner. Beim Eintritt der Mutter richtete sich Stina auf. Sie war ein frisches Kind von zwanzig Jahren, die Braut eines jungen Bauern im nächsten Dorfe Tasig und bekannt wegen ihrer Schlagfertigkeit. Seit ihrer Schulzeit hatte sie sich daran gewöhnt, nur hochdeutsch zu sprechen, wo durch sie sich von allen unterschied. „Peter", begann sie leise, „wie soll sie wohl Grog trinken? Sie schläft ja und weiß überall nichts von der Welt." „Sei möt", erwiderte er bestimmt, „süß geiht dal scheiw. Holl' er den Kopp in de Höcht!" Stina legte den Arm unter den Kopf der Fremden, Peter öffnete den schlaffen Mund und goß mit einem zinnernen Teelöffel Grog hinein. Anfangs schien dies Experiment wirkungslos zu verlaufen, denn der Grog floß an den Mundwinkeln wieder heraus; plötzlich aber bekam die Bewußtlose einen solchen Hustenanfall, daß der ganze Körper zitterte. Stina fuhr erschrocken zurück, Peter aber lächelte ganz vergnügt und sagte: „So is't recht, man witer!" Er lieb sie sich beruhigen und füllte ihr dann all mählich ein halbes Glas Grog ein, das sie geduldig, ja begierig trank. „So, nu is't naug!" sagte er dann befriedigt. „Mudding kakt nu woll noch 'ne Supp', dat sei nich ver hungert." Den Rest im Glase trank er selber aus und ging dann an den Strand, wo Hinnerk nach seiner An weisung auf ihn wartete. „Hinnerk", redete er ihn an, „hest du de Zoll von dat Wrack nich driewen seihn?" „Jo", war seine etwas mürrische Antwort, „de driwt an' anner Äuwer. Grad vör uns hew' ik's jüst noch seihn, nu is sei äwer weg." „Hinnerk" sagte er bestimmt, „wi möten's Halen. T's twors all schummrig, äwer du weitst jo de Stell'. Kumm fix, süs driwt's af." Hinnerk folgte willig wie immer. Sie ruderten der von ihm angegebenen Richtung nach und erreichten das kieloben treibende Boot wirklich fast am andern Ende der Bucht. Peter suchte nach einem Tau am Bug der Jolle, fand es auch und befestigte sie damit an seinem eigenen Boote. Indessen hatte er sich das Ende des Taues ganz genau besehen und befühlt. Als sie zurückfuhren, sagte er zu Hinnerk: „Dat Tau is afsnäden, nicht afräten. De Minschen sind so unklauk west, sik bi den Storm dorup tau wagen un sind verdrunken. Blot dat lüt Mäten is dörch de tauslate Kajütendöhr dovör bewohrt wor'n." Sie kamen am Strands an und zogen die Jolle aufs Land. Peter untersuchte den Achterstewen, an dem man den helleren Schein eines Wortes noch erkennen konnte, aber um es zu lesen, war es dunkel. „Hinnerk", sagte er endlich, „gah int't Hus un Hal' 'ne Latern'." „Wotau?" rief Hinnerk aber unwillig. „T'is Nacht, mi friert, un ik bin mäud', un ik kann di nich mihr be- griepen." Darauf ging er trotzig fort, und Peter schaute ihm ganz erstaunt nach. „'Tis möglich, dat em dat tau veel wor'n is", sagte er endlich vor sich hin. „Hei is noch tau jung und sine Knaken noch nich fast naug. Un dat hei mi hüt nich be- griepen kann? Jo, Hinnerk, dat glöw ik di woll; denn ik begrip mi sülwst nich mihr. Äwer weiten möt ik doch, woans dat Schipp heilen deht." Er begab sich in seine Werkstatt, zündete eine Laterne an und ging damit wieder an den Strand. Das Boot lag auf Kiel, und deshalb konnte er den Namen nicht lesen. Da drehte er es um und nun buchstabierte er: La Fortune. „Snurrig, wat's all för Namens giwt", murmelte er vor sich hin. „Wat is dat nu? Is dat dütsch orre ruß'sch, holländisch, französch orre wat? Na, nu bin ik noch jüst so klauk als oörhen, un Hinnerk is dei kläukst von uns." Darauf ging er derw-Sause zu; es war völlig dunkel geworden. Er trat leise in die Stube. — „Na?" Damit sah er Stina fragend an. „O", erwiderte diese, „sie ist ganz warm geworden, stöhnt aber oft, als ginge es ihr nicht gut." „Nich gaut?" wiederholte er. „Jrsi recht! Wenn sei stähnt, is't all gaud. Äwer sei kann verhungern, denn sei hett woll lang' nix äten." „Sie schlug vorhin die Augen auf, und da haben wir ihr ein paar Löffel Milchsupve jgegeben. Geschluckt hat sie, aber gesagt hat sie nichts und ist dann wieder ein- geschlafen." „I. dat geiht so beter, as ik dacht hew", sagte Peter vergnügt darauf; „äwer du möst nu hüt' nacht up de Deelen liggen." „Laß das nur gut sein", antwortete sie und zeigte auf die vor dem Bette liegende Schiffsmatratze, „du hast mir ja dazu ihr Bett gleich mitgebracht. Ich lege mich darauf und kann dann zugleich bei ihr wachen." „Schön", sagte er gut gelaunt, „du bist doch 'ne gaude Diern." — Damit wollte er die Stube verlassen, blieb aber plötzlich an der Tür stehen. Denn auf der Ofenbank bemerkte er etwas, was ihn mächtig zu interessieren schien. Da stand ein Paar Halbschuhe, so klein und niedlich, wie er solche noch nie gesehen hatte. (Fortsetzung folgt.) Oie Pralines. Humoreske von Artur Obst. (Nachdruck verboten.) „Die Geschichte ist ja jetzt so lange her", Hub der lustige Doktor an zu erzählen, „daß man sie erzählen kann, ohne irgend jemand damit weh zu tun, und dabei liegt sie doch noch nicht lange genug hinter uns, um nicht mehr wahr zu sein . . ." „Na, na, Doktorchen", ließen sich einige zweifelnde Stimmen vernehmen, während der Erzähler sein Glas leerte und von dem Besitzer der „Gift-Bude" neue Labung forderte. „Berehrteste, diesmal referiere ich lautere Wahrheit, und ich werde Ihnen vielleicht, wenn Sie schweigen können, auch Andeutungen über die Dame machen, von der die Geschichte handelt, denn Sie kennen sie alle . . ." Ein allgemeines „Ahl" folgte und dann kuschte man gespannt. „Also!" begann der Doktor abermals, „mein alter Korpsbruder Siegfried Tronje hatte geheiratet, zwar nach meiner Ansicht eine Torheit von ihm, aber sie ließ sich damit einigermaßen entschuldigen, daß er sich ein Exemplar des Keons kewininum auserkoren hatte, das nicht nur durch äußeren Liebreiz, sondern auch durch ein süßes Plaudermündchen ihre Umgebung zu bezaubern wußte. Noch heute ist ihr diese letztere Eigenschaft geblieben, ob gleich sie schon Großmutter sein könnte. Mein guter Siegfried lebte wie im Himmel, äußere Sorgen kannte er nicht, sein glänzendes Geschäft als Affocis einer be-