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„Aha!" sagte der deutsche Detektiv und nickte bedächtig tmt seinem Rabenkopf, „das ist wahrscheinlich der Herr, der bei Behrens u. Co. in Hamburg telephoniert hat! ... Meine Herren!" wandte er sich dann an seine Begleiter und Herrn de Batenier, „ich bedauere, daß mich diese Ent deckung sofort abzureisen zwingt — für welche ich übrigens meinem lieben Kollegen, Mr. Snofles" — ein Händedruck und eine Verbeugung — „sehr, sehr dankbar bin! ... Es hat auch wohl keinen großen Zweck, hinter dem Vallabosti herzulaufen. Ich hoffe wenigstens noch den Spießgesellen von ihm zu fassen, und fahre deshalb sofort nach Ham burg." „Dahin werden wir Sie zwar nicht begleiten", meinte Kommissar Felgentreff, „aber hier zu bleiben unL Herrn de Batenier noch weiter zu bemühen, hat auch keinen Zweck . . . Dieser Monsieur Vallabostri oder wie er sonst heißt, hat ja leider genug Zeit gehabt, sich zu drücken . . Ich für mein Teil möchte Herrn de Batenier nur bitten, der Behörde doch sofort Nachricht zu geben, wenn ihm noch irgend etwas Wichtiges über den Entflohenen zur Kenntnis kommen sollte!" . . . Damit verabschiedeten sich die Detektivs, und Herr de Batenier ging mit schweren Gedanken zur Gesellschaft zurück. . . . Was sollte er den Leuten sagen? . . . Wie sollte er Marie ihr Mißgeschick klar machen? Denn der Mann hatte auf die bisher noch ganz unberührte Phantasie des jungen Mädchens offenbar einen sehr tiefen Eindruck ge macht. Ja, er selbst mußte sich immer wieder die Frage vor legen, ob es denn möglich sei, daß ein Mensch von so be stechendem Äußern, mit so vielen Kenntnissen, die sich mit den tadellosen Manieren des wirklichen Gentlemans ver banden — wirklich ein Gauner, ein Betrüger und Hoch stapler wäre? So trat Herr de Batenier in das Gewächshaus und vernahm mit Erleichterung das fröhliche Geräusch der Gäste; seine und des Bräutigams Abwesenheit war also noch gar nicht aufgefallen. Das tat dem Millionär, den in diesem Augenblick der ärmste seiner Angestellten nicht beneidet hätte, wohl. Er war auch der festen Absicht, die im Saal Versammelten heute noch nichts von dem Unglück, das seine Familie betroffen, wissen zu lassen. Mochten sie denken, der Bräutigam sei in einer absolut unaufschiebbaren Sache plötzlich daoongefahren ... Er hätte sich nicht erst verabschiedet, um die kleine Marie nicht zu beunruhigen, und seine Empfehlung dem Vater auf- getragen! . . . Das war Entschuldigung genug . . . Nur seinen ältesten Sohn, Clement, wollte er nach der Tafel in das peinliche Geheimnis einweihen! . . . Langsam trat er um das Azaleenboskett herum in den Saal und blieb plötzlich wie in den Boden gewurzelt stehen. Was? . . . Narrte ihn ein Traum? . . . Oder war all das, was sich da in der letzten Stunde abgespielt hatte, nur ein blöder Spuk seiner überreizten Nerven? . . . Da, neben seiner Tochter Marie, die hold wie eine junge Rose, glückselig lächelnd, seine Hand hielt, saß der Fürst! Eine furchtbare Aufregung bemächtigte sich des Braut vaters. Sein erster Impuls war: hineinzustürzen und diesen Schurken wegzureißen von der Seite seines Kindes! Aber da kam die Überzeugung: auf wen fiel dieser ganze furchtbare Skandal am meisten zurück? — Auf die arme Marie, die sich nirgends mehr hätte sehen lassen können, die vielleicht totkrank von dem Schreck, der ihr junges Herz bei dieser unfaßbaren Eröffnung ergreifen mußte, und auf ihn selber, den Vater — trotz aller Erkundigungen, aller Auskünfte, die er über den zukünftigen Eidam ein gezogen hatte! Nein, vorläufig wollte er schweigen, wollte abwarten, wie sich die Dinge gestalten werden . . . Und ganz im Winkel seines kühl berechnenden Verstandes keimte wieder die Hoffnung, die Beamten könnten vielleicht doch geirrt und der Fürst sich nur zufällig aus dem Festsaal entfernt haben. Herr de Batenier setzte sich ruhig wieder auf seinen Platz und bemühte sich, die Frage dieses rätselhaften Menschen nach seinem langen Ausbleiben, ohne Erregung zu beantworten. Auf dessen schönem Gesicht war keine Spur von Auf regung zu sehen. War dieser Mann wirklich der gesuchte Hochstapler, so verfügte er jedenfalls über ein ungewöhn liches Maß von Verstellungskunst und Berechnung. „Ich hatte eine Unterredung mit drei Herren, ddk Ihretwegen hier waren", sagte Herr de Batenier leise, aber mit einer Schärfe, die keinen Zweifel über seine Ge fühle zuließ. „Meinetwegen?" lächelte der Fürst, „aber da wäre es doch am richtigsten gewesen, diese Gentlemen hätten mich persönlich aufgesucht. Ich war nur hinausgegangen weil —" er dämpfte seine Stimme noch ein wenig mehr, „weil im Vertrauen gesagt, mein Magen nicht ganz in Ordnung ist..." Herr de Batenier war ganz perplex... „Und Ihr sich entfernen, lieber Papa", fuhr Valla bosti fort, „Hot mir den besten Vorwand dazu, auch zu gehen . . ." „Also dort waren Sie?" sagte der Millionär — und sah mit stillem Lächeln vor sich auf den Teller . . . Daran hatte niemand gedacht . . . Vielleicht taten die Polizisten dem Manne, der da mit einer so sicheren Vornehmheit neben ihm saß und eben den Sektkelch zum Munde führte, wirklich unrecht . . . jetzt fühlte er sich beruhigt . . . Nach aufgehobener Tafel wollte er mit ihm reden. Und erwies er sich dann nicht als vollkommen taktfest, dann würde er, Batenier, seine Pflicht als Vater Mariens und Staats bürger tun und diesen gefährlichen Eindringling aus seinem Hause weisen und ihn der Polizei in die Hände liefern. . Das Mahl nahm seinen Fortgang. In der allgemeinen sich steigernden Festlaune glänzte Fürst Vallabostri durch seinen sprudelnden Humor, ferne brillante Unterhaltungs gabe. Und wenn der Herr des Hauses auf die Braut blickte, wie sie mit trunkenem Auge an den Zügen ihres Verlobten hing, hoffte er wieder und wieder, sein eigener Argwohn und die drei mißtrauischen Besucher von vornhin würden unrecht behalten. Als später die Gratulationscour begann, gab es Herrn de Batenier freilich einen Stich in sein Vaterherz, diese Feier, die vielleicht nur eine verbrecherische Farce war, mit ansehen zu müssen; aber so sehr es ihn auch innerlich drängte, dem Treiben Einhalt zu tun, die Angst vor Skandal und die Liebe zu seiner Tochter hinderten ihn immer wieder, heroorzutreten und den Verdächtigen um Aufklärung zu ersuchen. Er erwartete mit Spannung den Moment, da die Gäste sich in den Wintergarten und in den zur rechten Hand liegenden Tanzsaal begeben würden. Endlich! Jetzt war es soweit! Er sah das Brautpaar in den Winter garten eintreten. Sofort eilte er ihnen nach. Da kam ihm der Geheime Regierungsrat von Kottwitz entgegen, eine sehr einflußreiche Persönlichkeit bei Hofe, und verwickelte ihn in ein längeres Gespräch über das neue Berggesetz. So wenig ihm in diesem Augenblick daran gelegen war, diesem Manne mußte er Rede stehen, da gab es keinen Grund, den man angeben konnte, ohne zu brüskieren. Be sonders für Herrn Batenier nicht, dem die Höflichkeit gegen seine Gäste, die Rücksicht auf seine weitreichenden Beziehungen höher standen als alles andere. Und schließlich hatte er mit dieser keineswegs sehr an genehmen Unterredung so lange gewartet, da konnte es jetzt auf eine Viertelstunde auch nicht mehr ankommen. Als es aber soweit war, als er endlich mit hastigen Schritten dem Brautpaar nacheilte, da fand er seine Tochter allein. Marie bat sofort um Entschuldigung für ihren Bräutigam, der sich wegen eines ganz unaufschiebbaren Geschäftes, ohne Abschied von der Familie zu nehmen, hätte entfernen müssen. Erst viel später kamen Herrn de Batenier der fremde Ton und die verschlossene Miene, die feine Tochter in diesem Moment gezeigt hatte, ins Gedächtnis. Augenblicklich war er eigentlich froh, die Sache so er ledigt zu sehen. Das Hinundher seiner Vermutungen, Wünsche und Befürchtungen hatte ihn unentschlossen gemacht, und er hoffte, daß Vallabosti, wenn der Verdacht gegen ihn sich wirklich rechtfertigte, selbst so klug sein würde, diesen Abschied zu einem dauernden zu machen. 4. Kapitel. Der Chef des Detektiv-Bureaus „Prudentia" hatte den nächsten Schnellzug nach Hamburg benutzt und war, kaum angekommen, sofort nach Düsternbrook 19 gegangen. Dort erfuhr er von der Vermieterim daß ein Herr Jacson etwa vierzehn Tage bei ihr gewohnt habe, gestern vormittag aber abgereist sei, Sie konnte den Mann auch sehr genau beschreiben: ein kleiner, etwas korpulenter Herr, der immer angezogen ge wesen war wie ein Geistlicher. Über dem langen schwarzen Rock, ohne Ausschnitt, bis an den Hals hinauf geschlossen, habe ein stets sauberer, schmaler Halskragen heroorgesehen. Dazu habe er einen niedrigen Zylinder aus mattem Tuch und vorn sehr breite Stiefel getragen. Das Gesicht war glatt rasiert und hatte, trotz des fast kahlen Schädels, ein blühendes Aussehen. Sein Wesen sei stets sehr wohl anständig, auch ein bißchen salbungsvoll gewesen, dabei aber habe der Herr einen kleinen Scherz gut verstanden. Er habe deutsch mit englischem Akzent gesprochen. Die Frau, die offenbar nicht unintelligent war, ließ sich all das um so lieber abfragen, als ihr der Geheim agent erzählte, dieser Jacson würde eines kürzlich be gangenen Bankdiebstahls wegen gesucht und ihr sei eine anständige Belohnung sicher, falls es gelänge, ihn zu fassen. Herr Weinmeister begab sich in gehobener Stimmung nach dem Bankhaus Behrens u. Co. Für ihn unterlag es jetzt keinem Zweifel mehr, daß der sogenannte Reverend Jacson mit dem einen Verbrecher, der den in Hamburg agierten Teil des Bankbetruges in Szene gesetzt hatte, identisch sei. Aber gewohnt, sehr diplomatisch vorzugehen und das Licht seiner Bemühungen nicht unter den Scheffel zu stellen, dachte er gar nicht daran, sofort mit der Tür ins Haus zu fallen. Im Gegenteil, er forderte den Inhaber des Geschäfts, Herrn Alwin Behrens auf, ihm den ganzen Hergang der verteufelten Geschichte noch einmal genau und ausführlich zu berichten. „Was ist da viel zu erzählen", sagte der Hamburger, der sich von seinem Schreck noch immer nicht recht erholt hatte. „Der Kerl hat sich hier richtig bei uns eingeniftet. Zuerst ließ er kleinere Beträge englisches Geld bei uns wechseln; dann hatte er ein paar Wertpapiere, die er ver kaufte, und von da an kam er beinahe jeden Tag mit irgend einem Anliegen! . . ." (Fortsetzung folgt.) fifi als EkeMfter. Humoreske von Walter Bormann , (Nachdruck verboten.) Es war ein allerliebstes Hündchen, der kleine Fifi. Alle, die ihn kannten, mochten ihn sehr gut leiden; er konnte aber auch zu drollig sein. Wenn er mit seinen klugen, glänzenden Augen so verständig umherschaute, den Kopf mit den senkrecht aufstehenden Ohren ein wenig schief gehalten, sah er recht putzig aus. Oder wenn er unter wütendem Gekläff seines dünnen Stimmchens Attentate auf die Hosenbeine der männlichen und die Kleiderschleppen der weiblichen Besucher bezw. Familienmitglieder verübte, mußte selbst der sauertöpfischste Griesgram lachen, so ge lungen wußte der kleine Bursche, der kaum 15 Zentimeter hoch war, sich anzustellen. Wie er zu dem Namen kam? Je nun, gar so selten ist der Name „Fifi" wohl nicht; er hatte ihn von dem dreijährigen Karlchen der Nachbarsfrau. Dieses Karlchen sagte jedem, der das kleine Hunderl anschaute, mit alt klugem Gesicht: „is Fist". So gewöhnte man sich daran, den bisher Namenlosen „Fist" zu heißen. Es war so ge kommen. Als Karlchen eines Tages mit dem Hündchen spielte, kam Trudel, des Nachbars 18jährige Tochter, mit einer Freundin dazu. Fifi hob sein schwarzes Köpfchen und blinzelte — er hatte kurz vorher an Trudels Photographie- album geknabbert — ihr schlau entgegen. „Sieh nur, wie der Schlingel so pfiffig dreinschaut", sagte sie. „Na warte!" Er aber entzog sich dem ihm zugedachten Klapse durch einen schnellen Sprung zur offenen Tür hinaus. „Is Fifi", jubelte Karlchen und trottete schnell hinter drein. Von da an war „is Fifi" seine ständige Bezeichnung fürs Hündchen. Von diesem pfiffigen Fifi will ich ein hübsches Ge- schichtchen erzählen. Eine recht schnurrige Geschichte, wie meine Frau sagt. Ja, eine Frau habe ich, ein bildhübsches, herzliebeS Weibchen. Und verliebt bin ich in sie noch, wie in den ersten Tagen unserer Ehe, trotzdem wir schon drei Jahre verheiratet find. Wie ich sie kennen lernte? Das ist schnell erzählt." Im Mai war's. An einem wunderschönen Tag im Wonnemonat. Ich saß auf einer Bank an der städtischen Promenade und ließ meinen Blick auf die Wellen des Stadtgrabens ruhen. Mich rührte nicht die schöne Umgebung. An einem Bleistift kauend, starrte ich bald auf ein weißes Stück Papier in meiner Linken, bald geistesabwesend in die leuchtenden Wasser. Ich schlechter Mensch dichtete, dichtete Lyrik. In meinem Gedächtnis stehen sie eingegraben die Verse, die mich mein Genius ersinnen ließ. Nie habe ich sie bis her losgelassen; doch jetzt will ich sie abwälzen von meiner schuldbeladenen Seele. Am Baume knospen die Triebe, Geweckt von der Sonne Licht; Mich dürstet, mich dürstet nach Liebe. Doch ach, ich finde sie nicht. So weit war ich, da fühlte ich etwas an meiner Rock tasche zerren. Ein Taschendieb! Schnell griff ich zu. Da entwandte sich ein schwarzes lebendes Etwas meiner Hand, und ich sah ein kleines Hündchen schnell den Weg entlang springen, im Maule ein graues Stück Papier und . . Entsetzt sprang ich auf. Meine Hand griff in die nun leere Tasche. Das Stück piekfeine Sardellenleberwurst, das ich für 30 Reichspfennige gekauft, war fort. „Aber Fifi! Was hast du denn da wieder gemacht!" hörte ich eine glockenhelle Mädchenstimme, und schon stand mit züchtigen, verschämten Wangen ein holdes Jungfräulein vor mir. In der mir entgegengestreckten kleinen, weißen Hand sah ich meine Sardellenleberwurst, die das Hündchen ver gebens springend zu erreichen sich bemühte. Einen heroischen Entschluß fassend — mir trieb die Verlegenheit brennende Röte ins Gesicht — ergriff ich das vom Wurstzipfel herabbaumelnde Endchen und schleuderte mein Abendbrot (man schrieb an jenem Tage just den 28.) dem vierbeinigen Spitzbuben zu, der ohne Zögern seine scharfen, spitzen Zähnchen in die schmackhafte Masse schlug. Seine junge, schöne Herrin mußte lachen. Doch so gleich wandte sie sich wieder ernst zu mir. „Verzeihen Sie, mein Herr! Dem kleinen Übeltäter soll seine Strafe noch werden. Den Schaden, den Sie er litten, werde ich Ihnen selbstredend ersetzen und " „Aber ich bitte Sie, mein Fräulein", unterbrach ich sie schnell, „das hat ja gar nichts zu bedeuten." Frech log ich, ohne ein erneutes Erröten meines inzwischen wieder normalgefärbten Gesichts verhindern zu können. „Ich hatte das Stückchen dort" — ich wies auf die Sardellen leberwurst, von der her mich im selben Augenblicke Fifi triumphierend anschaute — „mitgebracht, um den Karpfen eine kleine Mahlzeit zu spendieren. Ob nun dieses Land tier, das den Vorzug besitzt, eine solche liebreizende Herrin zu besitzen, im Genüsse schwelgt, statt der breitmäuligen Karpfen, das spielt doch schließlich keine Rolle. — Jedoch wenn Sie mir unbedingt ein Aguivalent bieten wollen", fuhr ich fort, „so gestatten Sie mir, Ihnen meine Be gleitung anzubieten, um weitere Diebes- oder Naschgelüste des übrigens wirklich niedlichen Rangen zu verhüten. Darf ich?" Die Herrin Fifis nickte, und gemeinsam wandelten wir drei voran. Nachdem ich mich daran gewöhnt, beim Niedersetzen meiner Füße jedesmal erst nach Fifi zu sehen, gestaltete sich unsere Promenade ganz angenehm. Wie es dann weiter kam? Mehrere Rendezvous — ein Besuch bei ihren Eltern in Frack und Klack — Verlobung — Trauung — Hochzeit. Wem habe ich mein herziges Weibchen zu danken? Dem pfiffigen, Sardellenleberwurst stehlenden Fifi. Jetzt ist er lange tot. Er hätte sich überfressen, sagt meine Frau. Seine Photographie hängt über meinem Schreibtisch. Von ihr aus schaut er mich gerade so schlau an, wie er es zu seinen Lebzeiten getan. Ab und zu scheint er mir sogar, während ich schreibe, verständnisvoll zuzublinzeln. Aber das muß doch wohl eine Täuschung sein. Die schnurrige Geschichte von ihm erzähle ich ein andermal. ,