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Wochenblatt für Wilsdruff und Umgegend : 09.05.1912
- Erscheinungsdatum
- 1912-05-09
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782024719-191205098
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782024719-19120509
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782024719-19120509
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Wochenblatt für Wilsdruff und Umgegend
-
Jahr
1912
-
Monat
1912-05
- Tag 1912-05-09
-
Monat
1912-05
-
Jahr
1912
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? Schnecken. X Die freiwillige Landessammlung für den Ban eines Panzerschiffes hat in hundert Tagen die als notwendig berechnete Summe von 12 Millionen Kronen ergeben. Diese Summe ist dem Könige als Gabe für den Staat von einer Deputation überreicht worden. Der König drückte seinen Dank und seine Freude über die Opfer willigkeit des Volkes aus. — Es sind durch andere Samm lungen noch weitere fünf Millionen für die schwedische Marine zusammengebracht worden. ^llrkei. X Mit der Beseitigung der schwimmenden Minen in den Dardanellen ist nun endlich begonnen worden, so daß die Durchfahrt alsbald wieder frei wird. Vorausgesetzt ist dabei allerdings, daß die italienisI^n Kriegsschiffe nicht wieder vor dem Eingang zu den Dardanellen erscheinen oder eine der in der Nähe liegenden Inseln bet-»— Marokko. X In dem Kampfe bei Elmaris sollen die Franzosen, die die aufständischen Marokkaner mit größter Mütze zurückschlugen, 17 Tote und 27 Verwundete gehabt haben. Außer den aufständischen Zemurs sollen auch andere Stämme sich erhoben haben. Ihre Krieger machen die Gegend um Fes unsicher. Daher wird auch die Abreise des französischen Gesandten Regnaul und des Sultans Mulay Hafid von Fes nach Rabat nur unter starker militärischer Bedeckung möglich sein. Der Sultan soll aufs neue seine Abdankung in Aussicht genommen und dem französischen Gesandten schon den Thronerben, einen zwölfjährigen Knaben, genannt haben. Kus In- unck Kuslanck. Berlin, 6. Mai. Die Kommission, welche die offizielle Einladung zur Eröffnung des Panamakanals und der ,u gleicher Zeit stattfindenden Eröffnung der Welt ausstellung in San Franzisko überbringt, ist hier ein getroffen. Sie wird in einigen Tagen von hier nach Peters burg Weiterreisen. Posen, 6. Mai. Der Plan, die Posener Akademie in naher Zeit zu einer Universität auszubauen, soll nach einer Meldung aus Berlin nunmehr aufgegeben worden sein. Trier. S. Mai. Das Zentrum nominierte als Nach folger Roerens im Reichstagswahlkreis Saarburg-Merzig- Saarlouis den Amtsrichter Dr. Werr aus Merzig. Smyrna, 8. Mai. Der Dampfer „Lhasas" der Khedivial- Compagnie wurde vor Rhodus von den Italienern be schlagnahmt. Mexiko, 8. Mai. General Emilio Vasquez Gomez ist in Juarez von den mexikanischen Aufständischen zum provisorischen Präsidenten von Mexiko proklamiert worden. Berlin, 7. Mai. Der Reichskanzler hat zu einem parlamentarischen Abend am Donnerstag Einladungen er geben lassen. Berlin, 7. Mat. Der Reichsanzeiger veröffentlicht die Bestimmungen für den Wettbewerb um den von dem Kaiser ausgesetzten Preis für den besten deutschen Flugzeug motor. Danzig, 7. Mai. Der Kaiser wird Mitte Juni in Danzig erwartet. Der Kaiser wünscht den diesmaligen Regimentsbesichtigungen der Leibhusarenbrigade und be sonders des Ersten Leibhusarenregiments persönlich bei zuwohnen. Die Besichtigungen sind mit Rücksicht hieraus auf Mitte Juni verlegt morden. Alas gibt es jVeues? ^Telegraphische und Korrespondenz-Meldungen.) Der kanrler beim Kaiser. Berlin, 6. V. Dem Kaiser, der nach längerer Aw Wesenheit in Korfu wieder nach Deutschland zurückkehri und zunächst einen Besuch am badischen Hofe macht, wir! der Reichskanzler v. Bethmann Hollweg bis Karls ruhe entgegenfahren, um ihm eine Reihe wichtiger Fragen zur Entscheidung zu unterbreiten. Darunter dürste sich auch die in Aussicht genommene Abberufung des deutschen Botschafters in Konstantinopel, des Frhrn. o. Marschall, befinden. Ob auch der Botschafter nach Karlsruhe kommen wird, steht noch dahin, doch ist wohl anzunehmen, daß ihm der Kaiser eine Audienz gewähren wird, wenn er wirklich den Botschafterposten in London übernimmt. für ckie Sicherheit run 8e«. Berlin, 6. V. Der Anregung des Kaisers, Maß nahmen für eine größere Sicherheit der Passagiere zur See zu treffen, ist durch den heute hier erfolgten Zu sammentritt der deutschen Konferenz zur Sicherheit der Seeschiffahrt schnell Folge geleistet worden. An der Konferenz nehmen Vertreter des Reichsmarineamtes und anderer interessierter Reichsbehörden, der großen Schiffahrts gesellschaften und der Seeberufsgenossenschaft teil. Die Beratungen sollen als Vorarbeit für die auf Anregung Deutschlands im Herbst d. I. zusammentretende inter nationale Konferenz zur Sicherung der Seeschiffahrt dienen. Gekäbräung unserer krieqssckifsbauten. Hamburg, 6. V. Als schlimme Nebenwirkung des sich ausdehnenden Werftarbeiterstreiks tritt eine Stockung im Ausbau der deutschen Flotte zutage. Zurzeit befinden sich gleichzeitig fünf große Panzer auf den hiesigen Werften in Arbeit, was bisher noch nie der Fall war. Blohm u. Voß können wahrscheinlich den „Goeben" nicht, wie abgemacht, am 16. Mai liefern, da die erforderlichen Arbeiter streiken. Die Firma hat ferner noch den „Seydlitz" und einen dritten Panzerkreuzer „Neubau ll" auf der Werft. Die Werft „Vulkan" hat Schwierigkeiten mit der Fertig stellung des Riesenpassagierschiffes „Imperator" und soll ferner in den nächsten Monaten die Linienschlachtschiffe „Friedrich der Große" und „Ersatz Kurfürst Friedrich Wilhelm" liefern. Alle diese Bauten sind jetzt durch den Streik in Frage gestellt. dm Klbert Onagers 6rbe. Oldenburg i. Gr., 6. V. Der Reichstagsmahlkreis des verstorbenen Fortfchrittsmannes Albert Träger, Varel- Jever, wird vermutlich an die Sozialdemokratie verloren gehen. Am 9. d. M. findet dort Stichwahl zwischen dem Fortschrittler Dr. Wiemer und dem Sozialdemokraten Hug statt. Den Ausschlag geben die nationalliberalen Wähler, die fast restlos zur Urne gehen müßten, soll der Vorsprung des Sozialisten eingeholt und um das vorgeschriebene Minimum überholt werden. Nun hat aber der Vorstand der national-liberalen Organisation in Varel-Jever abgelehnt, eine Parole zugunsten Wiemers auszugeben. Dieser Beschluß hat den Vorsitzenden der Organisation Dr. Bartikowski zur Amtsniederlegung veranlaßt, allein sein Rücktritt wird nicht hindern, daß am Donnerstag der 111. Sozialdemokrat in den Reichstag gewählt wird. Mas cker „Oarpathia"-Kapitan Uber cki« „Oitanic"- kataktropke erräblt. Newhork, 6. V. Hier wird jetzt der Bericht des Kapitäns Roströn der „Carpathia" veröffentlicht, dessen Umsicht bekanntlich die Rettung der 700 „Titanic"-Passagiere zu verdanken ist. Daraus ergibt sich, daß Kapitän Roströn vorsichtiger war als sein Kollege Smith. Dieser hatte sich bekanntlich damit begnügt, zwei Leute ohne Ferngläser an den Ausguck zu schicken, Kapitän Roströn dagegen hatte, als er Nachricht von der Nähe der Eisfelder, erhielt, acht Mann im Ausguck, und nach deren Signalen mußte er fortwährend seinen Kurs ändem, um nicht mit Eisbergen zusammenzustoßen. Kapitän Rosttön bleibt in seinem Be richt dabei, am Morgen des Unglücks um 3 Uhr Lichter von zwei Schiffen gesehen zu haben, die dem Ort des Untergangs viel näher gewesep sein mußten wie sein Schiff. Gerettete erzählten dem Kckpitän, daß auch Kapitän Smith zur Zeit der Katastrophe Lichter eines anderen Schiffes nahebei gesehen haben muß, denn sein Befehl an die Mannschaften der Rettungsboote lautete: „Auf diese Lichter steuert zu, und wenn ihr das Schiff erreicht habt, gebt eure Passagiere ab und kommt zurück, um andere auf zunehmen!" Sckreckenskrenen clurck einen Wahnsinnigen. Mailand, 6. V. In dem hiesigen von Deutschen gern besuchten Cafe „Gambrinus" wurde der Kaplan della Valle plötzlich von einem etwa 30 jährigen Unbekannten, der Verwünschungen gegen die katholische Kirche ausstieß, an gegriffen und niedergestochen. Der Kaplan war sofort tot. Dessen Freunde und Angestellte des Cafes verfolgten den Täter, der aus der Flucht noch drei Schüsse abfeuerte und dadurch zwei Frauen und einen gewissen Brunk ver letzte. Der Flüchtling wurde eingehott und festgenommen. Beim Verhör weigerte er sich, seinen Namen zu nennen und auch sonst irgendwelche Angaben zu machen. Es wird sich die Vermutung bestätigen, daß es sich um einen an Versolgungswahn leidenden Menschen handelt. Deutsche in hüarokko Überfällen! Tanger, 7. V. Die im Innern und besonders im Süden Marokkos ausgebrochene Empörung gegen das französische Protektorat hat auch einigen Deutschen schweren Schaden zugefügt. Die der deutschen Firma Renschhausen gehörende große Ansiedlung in Ulad Bessam wurde von marokkanischen Reitern überfallen und in Brand gesetzt. 20 Feldarbeiter wurden gefangen genommen. Die marokkanischen Reiter sollen von französischen Offizieren befehligt worden sein. — Die Ansiedlung liegt 2Vz Stunden von Elksar und etwa 3V- Stunden von Larrasch entfernt. Der Besitzer Renschhausen, der in Nieder-Lößnitz bei Dresden wohnt, hält die Meldung vor läufig für übertrieben. Serum gegen typhöses fieber. Paris, 7. V. In der hiesigen Akademie der Wissen schaften berichtete heute der bekannte Batteriologe Professor Metschnikoff über Experimente mit seinem neuen Serum gegen typhöses Fieber. Mit den von ihm präparierten Bazillen hat Metschnikoff zuerst Versuche an Schimpansen und dann an zwei kranken Menschen mit deren Ein- wrlligung gemacht. Eserzielte gute Erfolge. Es wurden alsdann 44 Personen mit dem Serum geimpft, bei denen »ine kaum merkliche Reaktion einttat. Die Methode ist nach Metschnikoffs Behauptung für den Organismus absolut unschädlich, und sie käme hauptsächlich für Truppen im Manöver und im Felde in Bettacht. R.au<Pen Im Speisewagen. Berlin, 7. V. Nun soll, wie Eingeweihte wissen wollen, der Eisenbahnminister v. Breitenbach endlich seinen Widerstand gegen das absolute Rauchverbot in den Speisewagen auf deck preußisch-hessischen Staatsbahnen aufgegeben haben: Von acht Uhr abends an wird man in einem Abteil des Speisewagens rauchen dürfen; ein dementsprechender Erlaß des Ministers wird in nächster Zeit erscheinen. Somit haben die Vorstellungen der Speisewagen-Gesellschaften, die durch das Rauchverbot minderen Verkehr in ihren Wagen hatten, einen Erfolg gehabt. Das rerklatterte IVlillionen-sVlärchen. Berlin, 7. V. Hiesige Blätter kommen heute mit Ent hüllungen, die eigentlich keine sind, und dennoch werden sie die aufhorchende Welt in staunendes Lachen und schaden frohes Vergnügtsein versetzen: das ganze schöne Märchen von dem pompösen Kteinodienschatz des Pfarrers Liebe, von dessen Reisefieber und Liebesdurst, alles ist . . . eben nur ein Märchen. Die riesigen Werte des goldenen Kelches, der Rubinen, Opale und Smaragde schrumpfen zu kleinen Sümmchen zusammen. Keine echten Steine! Kein echtes Gold! Eine Steinsammlung, die den guten Pfarrer als eifrigen Mineralogen kennzeichnet, fand man, und die Perlen ließen sich zu Staub zerdrücken. Wer die aufgebauschten Gerüchte von Lem Juwelenschatz in die Welt setzte, weiß man nicht, das ist auch nicht von Belang, bedauerlich ist nur, daß mit diesen Gerüchten auch solche über die Persönlichkeit des Verstorbenen verbreitet wurden, die sich jetzt als falsch erkennen lassen. Pfarrer Liebe hat als Mensch wie als Geistlicher nie Eigenschasten an sich gehabt, die ihn in den Augen anderer irgendwie herabsetzen könnten. In äer Stern enbuckt. (Original-Retsebrief aus dem fernen Osten.) » Hoshiga-Ura, im April. Es ist erstaunlich, wie geschickt sich die Japaner modernen Wünschen und Anforderungen anzupassen wissen, und wie sie leise und unmerklich durch ihre peinliche Berücksichtigung der Wünsche fremder Reisender sich deren Sympathien zu verschaffen wissen. Selbst in der Man dschurei, wo doch für sie selbst Neuland liegt, das sie erst zu gewinnen haben, arbeiten sie schon mit solchen kleinen Mittelchen, ohne nach den Kosten zu fragen, ohne Arbeit zu scheuen. Niemand weiß, woher die vielen Gelder kommen, und jedermann weiß, daß doch in Japan selbst Las Geld nicht allzusehr aus den Straßen liegt. Aber gemacht wird doch alles. So ist zwischen der Stätte blutiger Kämpfe, der Ruinenstadt Port Arthur, und dem jetzigen Haupthafen der Japaner in der Südmandschurei, Dairen, ein Bade ort im Entstehen begriffen, der bald weit über den fernen Osten hinaus einen Ruf erlangen wird und auch unserem deutschen Badestrand Tsingtau, der heute noch der schönste an der ganzen ostasiatischen Küste ist, ernste Konkurrenz machen dürfte. Da liegt zwischen mächtigen Felsen, die nach den Seiten zu oorspringen, eine stille, geschützte Bucht direkt am Fuße eines Berges, den man den Dairen Fuji nennt. Ein paar felsige Inseln find ihr vorgelagert und hatten Stürme und Seen ab. Der Strand ist seicht, und Badestrand wechselt malerisch mit Klippen und Felsen. Dort bauen die Japaner eine Gartenstadt. Auf den Felsen hoch oben sind starke Festungsforts, die noch zu dem Hafenschutze von Port Arthur gehören, aber unten sink die abfallenden Hügel mit Kiefern ringsum bepflanzt, Gärten und Blumenbeete sind angelegt, und einige zwanzig kleine Sommerhäuschen verschiedenen Charakters und Stiles sind als Sommerwohnungen für Japaner und Fremde ge baut. Mitten im Ganzen steht eins der modernen Hotels, wie sie in der ganzen Mandschurei von der Eisenbahn verwaltung errichtet worden sind, gut und fest äußerlich gebaut, wohl imstande, den Sandstürmen und Orkanen der herbstlichen und winterlichen Mandschurei zu trotzen, Eis und Schnee auszuhalten, aber im Innern behaglich und wohnlich eingerichtet, mit Dampfheizung und fließendem Wasser und mit jenen guten Hölzern innen ausgestattet, die auch der Stolz einer japanischen Inneneinrichtung sind. Zwar verschlingen alle diese Hotels eine Unsumme Verwaltungskosten und können sich unmöglich rentieren, zumal da ja eine japanische Verwaltung mit einer Unzahl von überflüssigem Personal arbeitet. Aber das Ganze ist großzügig auf LieZukunft eingestellt, auf eine kommende große Entwicklung, für die man gerüstet sein will. Vor unserm Hotel dehnt sich in immer wechselnden Farben und Beleuchtungen das weite, unendliche Meer, an den kleinen Inseln spritzt der weiße Gischt der Brandung auf, Fischerboote und wohl auch hier und da ein Kriegsschiff oder ein Handelsdampfer ziehen vorbei. Auf dem wohlangelegten Grunde gibt e8 ein großes Bootshaus und schöne kleine offene Tempelchen mit Ruhebänken, kühlen Grotten und Brunnen, das Ganze ist in Lem System eines japanischen Parkes angelegt, wobei aber der Badestrand nicht fehlt. Alles ist überaus reichlich mit elektrischem Licht versehen, und selbst jetzt, da ich im Vorfrühling der einzige Gast hier bin, der, um ein paar Arbeitstage zu haben, hinausgezogen ist, bleibt in der Nacht noch die ganze kleine Anlage beleuchtet, spielt abends das ausgezeichnete amerikanische Grammophon oder das ebenso gute deutsche Phonola führt Caruso und die Schumann-Heinck vor, es gibt eine gute englische Bibliothek und Meyers Konversationslexikon, auf den Tischen stehen hübsch gezogene japanische kleine Bäumchen und blühende Kirschbaumzweige. An den Klippen rauscht murmelnd die Flut, und in den Hellen Nächten strahlt jetzt der Silberglanz des Mondes über die einsame Ruhe von Hoshiga-Ura, der Sternen bucht, die in wenigen Jahren, wenn erst einmal die An lagen hier groß geworden sein werden, einen guten Namen in Ostasien haben wird. Sensationen an äer Spree. Berlin, 6. Mai. Unsere deutsche Reichshauptstadt, die sonst in der Lieferung von Kriminalsensationen verhältnismäßig zurück haltend ist, bietet nun plötzlich mehrere Vorgänge, die geeignet sind, nicht nur im Großberliner Weichbilde, sondern weit, wett darüber hinaus den Gesprächsstoff zu liefern. Zunächst handelt es sich um zwei prozessuale Vorgänge, die als natürliche Folgeerscheinungen zweier vor einigen Monaten viel Aufsehen machenden Verbrechen jetzt die all gemeine Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen. Im Gebäude des hiesigen Landgerichts I begannen am heutigen Montag zugleich die Prozesse gegen die Berliner Post räuber Cavello und Wendt und gegen den Raubmörder Trenckler. Die Verhandlung gegen die ersteren steht vor der 1. Strafkammer des erwähnten Gerichts an. In einer Novembernacht des vorigen Jahres hatten der Postillon Max Wendt und der ehemalige Gastwirt Eduard Cavello einen Postwagen vor einem Postamt im Zentrum der Stadt so geschickt um einen höchst wertvolle Briefe bergenden Postsack erleichtert, daß wohl niemand auf die Spur der Täter gekommen wäre, wenn Cavello sich nicht bei der Fortschaffimg der für die beiden Entwender nicht zu realisierenden Papiere hätte Massen lassen. Für diese Ungeschicklichkeit Cavellos stehen nun beide vor dem Straf richter. Schon die Eröffnung der Verhandlung brachte den Beweis dafür, daß die Ausführung des Raubes eine ebenso raffinierte wie geschickte gewesen sein muß, denn auf Anttag des Staatsanwalts wird für die ganze Dauer der Verhandlung die Öffentlichkeit ausgeschlossen, weil bei den Erörterungen über die Öffnung des Wagens Leute, denen daran liegt, zuviel lernen könnten. So wird der Prozeß also erst mit dem Urteil wieder für uns in Bettacht kommen. In dem Schwurgericht sitzt em Halbtoter auf der Anklagebank, der an sehr weit vorgeschrittener Lungen tuberkulose leidende Schlosser Otto Trenckler, dem im Januar die ganze Familie des Juweliers Schulz zum Opfer fiel. Es muß wirklich jedem rätselhaft scheinen, wie die drei erwachsenen gesunden Menschen diesem vom Tode längst gekennzeichneten jugendlichen Schwächling unterliegen konnten, und man kann nur zu dem Schluß kommen, daß Trenckler mit unglaublicher Kaltblütigkeit und Roheit vorgegangen ist. Da er nach jeder Richtung geständig ist, wird der Prozeß nicht lange währen und Trenckler nicht lange zu harren brauchen, bis er erfährt, was er nach menschlichem Recht und Gesetz zu erwarten hat, wenn es einem Höheren nicht gefällt, ihn zuvor irdischer Gerechtigkeit zu entziehen. * Eine Sensation im recht eigentlichen Sinne ist der rätselhafte Tod des ehemaligen Pfarrers Liebe mit allen seinen Begleitumständen nicht, aber er wird es dadurch, daß die Person des Verstorbenen jetzt gewisser maßen als eine legendäre Erscheinung anmutet. Nach den vorliegenden Meldungen weiß niemand recht, was der Pfarrer Liebe eigentlich gewesen ist vor und nach einer kurzen Spanne Zeit, während welcher er als Divisions geistlicher der Armee angehörte. Hier heißt es, er sei Missionar „ gewesen und in dieser Eigenschaft viel in fremde Länder gekommen, andere meinen, diese Reisen habe er als Privatgelehrter, als Mineraloge gemacht, dann sagt man, er sei Marineingenieur gewesen und da durch viel in fernen Weltteilen gewesen. Ebensoviel Gerüchte schwirren in der Luft über die Herkunft der großen Edelsteinsammlung, von der jetzt sogar die ge schwätzige Frau Fama behauptet, sie stamme aus dem russischen Paulanerkloster in Czenstochau. Wenn nun noch erwähnt wird, daß auch eine große Meinungsverschieden heit darüber herrschte, ob Pfarrer Liebe auf Freiersfüßen ging oder nicht, so ist wohl zur Genüge dargetan, daß die ganze Liebe-Angelegenheit daran ist, sich zur Sensation auszuwachsen. Es wäre zu wünschen, daß die behördliche Untersuchung bald Klärung schafft unL damit Ruhe in daS sensationslüsterne Publikum bringt, das auch bald über das Schicksal der drei andern Sensationsmacher, die vor den Schranken stehen, im klaren sein wird.
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