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Steinweg Iden se dotschaten Hebden." Der VMM schüttelte den Kopf. „Keine Ahnung! . . . Wann war denn das?" Und er tat, als besänne er sich auf die Geschichte, die ihm übrigens ganz geläufig war. Endlich sagte er, an die Stirn schlagend, „ah, jetzt erinnere ich mich, das ist ja der Kommissar Oppermann gewesen, nicht wahr? . . . Oder war der damals nicht dabei?" Der andere nickte eifrig. „Woll, woll, der is dat west! Dä hat den Zitterwirt dotschaten! . . . Und ich glöw, die Guschi will den ant Liw ut Rache." „Na, so was!" sagte der Vigilant, „hat se denn schon einen, der ihr dabei helfen will, das is doch 'ne sehr ge fährliche Sache! . . ." „Je! . . . jefährlich hin, jefährlich her. . . Du weet doch, de Liebe, dä makt veel! ..." „So, und was hat sie dir gesagt, die Guschi?" — Indem Heinrich Badewitz das sagte, trafen die Augen des Verbrechers die seinen, die allzu fragend und intensiv auf jenen gerichtet waren. Der Verbrecher wurde stutzig. „Do!" meinte er in unterdrücktem Ton, „wull du mi uthorchen?" Und als erinnerte er sich jetzt erst an so manches Ungünstige, was er über den langen Hein gehört hatte, wurde er plötzlich immer mißtrauischer und fing laut an zu schreien. „Du Lattjer, du Swinkerl! Di slage ick ant Mul, dat'n Heven forn Dudelsack ansähst!" Dabei ließ er den Worten die Tat folgen, von einem Fausthieb mitten ins Gesicht getroffen, taumelte der lange Heinrich zurück. Er wollte sich wehren, aber Seidenteddi war nicht umsonst viele Jahre lang Jollenführer gewesen und hatte Tausende von Zentnern aus seinem runden, die Wasserläufe der Stadt durchquerenden Boot in die Speicher und Magazine hinaufgeschleppt. Wie wild schlug er auf den am Boden Liegenden ein, der, die Arme über dem Kopf verschränkt, röchelte und unter jedem neuen Schlag auf brüllte. Und der Warnruf, „ein Vigilant!" durcheilte den ganzen Saal. Wie eine dicke Mauer standen die Tanz gäste um die Weiden herum und feuerten den Johlegänger noch an. „Feste, Teddi, daß dem Schlamassel das Mul stopp wart' . . . giv's em düchtig! . . . tritt ihm doch die Zähne in den Rachen! . . . immer feste! . . ." Und der Kollidieb, der schon nachlassen wollte, fing wutentbrannt von neuem an, auf den Liegenden los zuschlagen, der schon bewußtlos schien und keinen Ton mehr von sich gab. - Die Kellner des Lokals hatten vergeblich versucht, sich Bahn zu brechen durch die Menschenmauer, die den Platz, auf dem die beiden sich schlugen, absichtlich eng umdrängt hielten. Erst als der Wirt nach einem Konstabler geschickt hatte und dieser kam, gelangte man zu dem wie tot Da liegenden. Seidenteddi war verduftet und die Umstehenden wußten angeblich nicht inal seinen Namen. Heinrich Badewitz aber, den man zur Sanitätswache hinfuhr, mußte noch am selben Tage ins Krankenhaus ge bracht werden, wo er wochenlang an seinen Verletzungen darniederlag. So kam es, daß, als Kommissar Oppermann abends um halb elf Uhr seine Wohnung verließ, er vor sich hin brummte: „Verdammt! . . . Der Kerl ist doch zu un zuverlässig." 13. Kapitel. - In einer der vielen Winkelgassen von Altona, inmitten baufälliger Häuser lag das Tanzlokal die „Rote Grütt". Man konnte es von der Straße aus nicht erreichen sondern mußte einen zwischen den Mauern zweier Häuser hindurchführenden schmalen Gang passieren, in dem es selbst mitten im Sommer nach Moder und Feuchtigkeit roch. Dann kam man auf einen der sogenannten „Höfe", um den eine Anzahl von kleinen Hütten, die über und über bewohnt waren, herumlag: ihr rückwärtiger Teil lehnte sich an das hier ziemlich ansteigende Terrain. Zwischendurch lief wieder ein kaum meterbreiter Gang, in eine Art von Garten hinausführend; dieser, aus ein paar kümmerlichen Bäumen, einer halb verfaulten Kegelbahn und kleinen Bude bestehend, deren Zweck nicht zu ent rätseln war, gehörte zum Tanrlokal. Dieses war allerdings nur ein etwas größeres und geräumigeres einstöckiges Haus, das zu ebener Erde ein paar Gaststuben hatte; außerdem hielt der Wirt, ein mehrfach vorbestrafter Mensch, eine Herberge für Leute, die sich, wie er selber, schon auf Kosten des Senats hatten verpflegen lassen. Der Tanzsaal lag im Souterrain. Die Polizei kannte dieses Lokal sehr wohl. Sie ließ es bestehen, weil sie dort fast stets Gelegenheit fand, einen guten Griff zu machen; denn die „Note Grütze" erfreute sich unter den Verbrechern einer internationalen Berühmt heit, und der Gauner, der immer einen andern treffen wollte, ohne zu wissen, wo der sich aufhielt, ging in diesen merkwürdigen Keller und fand seinen Freund dort — oder erfuhr wenigstens, wohin er sich zu wenden hatte. Es war erst zehn Uhr abends, der Besuch daher noch nicht stark. Da heute eine „italienische Nacht" angekündigt war, waren die ohne Schirm und Glocke brermenden Gas flammen ausgelöscht, bis auf die Lampe vor dem Schank raum. In dem Nebel des Rauches, der in dicken Schwaden unter der Decke lag, schwankten, von dem leisen Luftzug bewegt, eine Anzahl bunter Lampions, die ein flackerndes Licht über die Szene warfen. Ein sehr Großer mußte sich vorsehen, wollte er nickt mit dem Kopfe an diese merkwürdige Beleuchtung stoßen. Nings an den Wänden standen Tische und Stühle, und dort saßen alle, die Hamburg an üblen Elementen auf zuweisen hatte. Bor allen Dingen stellte die edle Talfer- zunft (Bettlergewerbe) ein reiches Kontingent. Vater Brösicke, der auf blinde Fahrt (beim Bektelr. Blindheit heucheln) ging und nebenbei als Senior der Hamburger Bettlergilde galt, saß mit seiner jungen Frau, die er kirchlich geheiratet hatte, dort unten und verfehlte nie, einen Menuettwalzer oder einen Schottischen mit zutanzen. Gewissermaßen als Courmacher von Frau Brösicke — sie hatte längere Zeit als Tippelschickse (Stromerin) mit ihm zusammen im Hamburger Arbeits haus gesessen — saß am selben Tische neben Krummbein und dem lahmen Alfred, zwei prominenten Schmalmachern, der kleine Hutzelfutzel. Dieser kleine Jude verstand dadurch, daß er Seifenstückchen in den M«w nahm und sie zum Schäumen brachte, Krämpfe zu heucheln. Er fiel auf der Straße mitten zwischen den Passanten nieder, bekam einen regulären Krampfanfall und wußte die fick daraus ergebende Wohltätigkeit mit allen ihren Kon sequenzen auszunutzen. Er hatte eine ganze Anzahl Leute, hei denen er sich monatlich eine feste Unterstützung holte, und der Kleiderhandel, den er mit erbettelten Sachen betrieb, war so umfangreich, daß ihn nur eines abhielt, einen Laden auf der Elbstraße zu mieten: er hätte dann sein Bettlergewerbe aufgeben oder doch sehr einschränken müssen. Er ging eben an die Tonbank, um für die, von ihm offenbar sehr verehrte Frau Brösicke eine „Brause" zu holen, da trat ein untersetzter Mensch in den Saal, der ohne sich umzusehen, ebenfalls bis an den Schanktisch kam und fragte: „Ist die Guschi hier, Jochen?" Jochen Bölsch, der Wirt, ein stiernackiger Mensch, ziemlich groß, der den un angenehmen Kopf stets nach vorn trug, als fürchte er irgendwo anzustoßen, sah den Ankömmling scharf an, dann beugte er sich, ohne auf den kleinen Israeliten zu ackten, über den Schanktisch und sagte flüsternd: -Sieh dich vor, Georg ... die Greifers schwuchten draußen rum!" Der kleine Untersetzte machte eine ab wehrende Handbewegung. „Weiß ich alles, mich kriegen sie nicht . . . hier rein werden sie nich kommen, und zurück ... da hab' ich meinen eigenen Weg!" „Na, ich wollt's dir bloß sagen", meinte der Wirt, „vorsehen is immer besser wie nachsehen." „Also die Guschi is noch nich hier?" fragte er abermals. Indes war von einem der Tische ein Mädchen auf gestanden, ein schlankes, behendes Geschöpf, dessen fein geformter Kopf eine schwere schwarze Flechtenkrone trug. Das Gesicht, das ehemals vielleicht zart und reizvoll gewesen, war jetzt durch Schminke und den Lebenswandel, der ihm seinen Stempel deutlich aufprägte, unschön und gemein geworden. „Ach", sagte der Mann, sich umdrehend, „da bist du ja ... du wolltest mich sprechen, kleine Maus, und weiß o Q § -52 Gott, jeder andern hätte ich's abgeschlagen, hierher zu kommen. Aber dir, nee, dir gegenüber konnte ich nich „nein" sagen, und wenn zehn Jreifer hinter mir her wären! . . ." Die Schwarzhaarige nickte ihm zu, sie gingen von der Lonbank fort und flüsterten am Tische mit einander. Nach einiger Zeit sagte er zu ihr: „'s is ja schon alles recht, und ich wäre auch dafür, daß wir ihm eins auf'n Kopf geben würden, aber warum hast du so lange damit gewartet, he? Jetzt, wo Jahr und Tag darüber hin gegangen sind? . . . „Grade deshalb! . . Wenn wir uns damals schon an ihn rangemacht hätten, da hätte jeder gleich gewußt, wer's gewesen ist, aber heute, heute denkt kein Mensch mehr daran.... Was meinste, wie oft ich um ihn rumgeschlichen bin! . . . Hundertmal habe ich ihm schon das Messer ins Herz rennen wollen, aber immer habe ich mir gesagt: Nein, das tuste nich! Der Stob kann fehlgehen, das muß einer machen, der's versteht, bei dem er auf der Stelle bleibt! . . . Aber du, Georg, du kannst es! Du mußt es tun! Denn es ist doch dein Bruder gewesen, den er nieder geschossen hat. . . . Und wenn ich selbst dabei krepieren sollte, ich muß den Hund vor meinen Füßen liegen sehen!" Sie sah ihn mit ihren finstern rachedurstigen Augen an und sagte: „Ich hab 'n hierher bestellt, he,ute abend.... Du bist hier, hab' ich gesagt! . . ." Der Mann war sehr überrascht: „Hierher bestellt hast'n? . . . Hör mal Guschi, du willst mich doch nich auf die faule Fahrt nehmen (verraten)?" Sie lachte nur. „Ich habe ihm geschrieben, er muß allein Herkommen, sowie er rock einen mitbringt, kriegt er d'ck nicht. . . ." „Also da heißt's aufpassen", sagte der kleine untersetzte Menich, i nd dann dämpfte er seine Stimme noch mehr zum Flln ern, und obwohl die beiden eifrig mit einander weiter ndeten, sah es selbst für den, der sie nur zwei Tische von ihnen entfernt eifrig beobachtete, so aus, als schwiegen sie. Der dort saß, war offenbar auch ein Bettler, ein Mensch, der die Krücken, mit denen er seinen hüftenlahmen Körper fortbewegte, an die Wand gestellt hatte und mit stumpfsinnigem Gesichtsausdruck den Tanzenden zusah. Die Musik, bestehend aus einem traurigen Klavier und einer kratzenden Geige, spielte gerade den Hamburger Walzer: „In Hamburg up'n Jungfernstieg, Da fleiht 'ne Flieg, da fleiht 'ne Flieg .. .* und die Besucher des Kellers mit in den Nacken geschobenen Mützen und dem Zigarrenstummel im Mundwinkel schoben zu den Takten der Musik durch den Saal, daß die Zipfel ihrer roten Halsbinde nur so flogen. Wie der ganze Tauzraum gefüllt war, so daß man sich knapp an den Tischen entlang durchdrücken konnte, nahm der hüfllahme Bettler seine Krücken und zwängte sich an den schiebenden und drängenden Paaren vorbei dem Ausgang zu. Er ging über den Gang durch die Höfe hindurch und gelangte humpelnd und ächzend auf die Straße, die er sich hinabquälte. In einer der nächsten Querstraßen war eine Kellerwirtschaft, die ein gewisser Polizei- Offiziant dielt. In seinem Lokal verkehrten nur Handwerker, solide Arbeiter, überhaupt ordentliche Menschen. Und in seinem Hinterstübchen versammelten sich meist auch die Polizei beamten der benachbarten Reviere. In diese Wirtschaft begab sich der Bettler mit den Krücken, doch kaum hatte er die Gaststube durchhumpelt und das Hinterstübchen betreten, so stellte er die Krücken beiseite, und man sah, daß er so gesunde Füße wie nur irgend einer batte. „Na, Krampe?!" rief ihm Kommissar Oppermann momentan als einziger Gast hier, entgegen, „wie war's denn? . . - Hat mich natürlich auf'n Schmutz genommen, die dumme Trine, was?" Der Kriminalschutzmann, der sich so geschickt in der Maske des Bettlers verborgen hatte, schüttelte den Kopf, „ne, ne, Herr Kommisfar! . . . Der Kerl ist wirklich da. Ich sage Ihnen, mir hat's in allen Fingern gezuckt, ihn gleich festzunehmen. Aber was sollte ich machen? .... ein Mensch gegen solchen Haufen Banditen, da kriegt man eins übern Kopf und dann is s aus." Ganz recht haben Sie, lieber Krampe, nur keine Übereilung, wir angeln uns den Jungen schon! Also sagen Sie mal, wer war nu eigentlich das Mädchen?" „Ja, das möchte ich auch wissen, Herr Kommissar. Ick kenn sie nicht. Aber nach ihrem Aussehen scheint nicht viel dran zu sein." „Ich weiß nicht", der Kommissar legte die Hand an den Kopf und blickte sinnend vor sich nieder, „mir ist immer so, als wenn ich diese Person schon irgend mal wo gesehen hätte, ich kann mich aber nicht bestimmt erinnern, wo . .. Ist am Ende nur eins von den Gesichtern, die man irgendwo auf der Stratze sieht und die einem als ganz besonders verdächtig auffsllen. . . ." „Kann schon sein, Herr Kommissar", meinte der Kriminalschutzmann, „aber das ist ja auch schließlich gleich gültig, an dem Mädel liegt uns doch nichts, nicht wahr? Wir wollen doch hauptsächlich den Kerl." Der Kommissar war immer noch nicht mit sich im reinen: „Wenn ich sie nur von vorn gesehen hätte, dann, wüßte ich's gleich." (Fortsetzung folgt.) Oer Uebe Vetter. Humoreske von Egon Nosca. (Nachdruck verbaten.) „Na, schöne Mädels da?" ruft Oskar Fritzen dein Betreten des Tanzsaales seinem Vetter Richard Velten zu „Famose, Oskar!" erwidert der, „ganz allerliebst! kleine Dinger! Aber weißt du, Tante Dorette ist da mst ihrer Agathe. Schrecklich, diese zuckersüße Agathe! Bei der wird man immer hängen bleiben! Tanzen tut sst fürchterlich, häßlich ist sie auch, langweilig erst recht! Unk wenn sie sitzen bleibt, müssen wir 'ran!" „Ich denke nicht daran; ich bin zu meinem Vergnüger hier, nicht zu Agathens!" erwidert Oskar. „Du, da kennst du Tante Dorette schlecht. Die lotß dich heran und läßt dich nicht aus den Fingern. Siehst du, wie sie schon immer herguckt!" „Laß mich nur machen, Agathchen wird so viel tanzen, daß sie uns einen Korb gibt, wenn wir sie auffordern!" antwortet Oskar, und begrüßt sich gleichzeitig mit einem Bekannten: „Guten Abend, Förstemann! Kennen Sic eigentlich meine Cousine Agathe? Brillante Partie, Vater Kommerzienrat! Nein? Da drüben! Wissen Sie, sie ist etwas schüchtern, erscheint anfangs etwas langweilig. Aber nachher ist sie entzückend. Natürlich will ich Sic vorstellen! Kommen Sie! Oder nein, warten Sie mal! Ich muß noch da erst jemanden begrüßen! Richaro, stell du Herrn Förstemann vor!" „Guten Abend, Herr Umbmeyer! Haben Sie schon gesehen, meine Corrsine Agathe ist da!" „Na, wenn schon, Herr Fritzen!" „Gute Partie! Schwerreich! Kennen Sie nicht meinen Onkel, den Kommerzienrat Oldenstadt?" „Ihre Cousine ist 'ne Tochter von einem Kommerzien rat? Das sieht man ihr freilich nicht an!" — „Das ist's doch eben! Bescheiden erzogen! 'ne glänzende Partie!" Und während Herr Umbmeyer Frau Dorette Olden stadt und ihre Tochter Agathe begrüßen geht, tritt Oskar Fritzen in den: Augenblick auf einen Kreis von jungen Leuten zu, als Richard Velten, zurückgekehrt von der Tante, ebenfalls die jungen Leute begrüßt. „Na, du bist ein unpraktischer Mensch, Richard", ruft ihm Oskar lachend zu, „kannst wohl nicht genug Herren Cousinchen Agathe vorstellen. Wenn man solchen Goldfisch als Cousine hat, muß man ihn für sich behalten, 'ne Kommerzienratstochter, und dazu so liebenswürdig und bescheiden! Ick hätte dich auch für schlauer gehalten!" Dann schlendert der liebe Vetter weiter durch den Saal und begrüßt alle Welt. Nach einer Viertelstunde stößt er wieder auf Richard. „Na, nun ist sie wohl lanciert, was? Nun, werde ich Tante Dorette begrüßen. Onkel Oldenstadt zum Kommer zienrat avanciert! Guter Witz von mir? Was?" Als er Tante Dorette und Cousine Agathe begrüßt, sagt die Tante spitz: „Kommst du auch begrüßen? Jetzt hat meine Agathe keinen Tanz mehr für dich!" „Ach, das ist aber schade!" „Ja, du denkst wohl, sie muß auf Lich warten! Bist ja ein lieber Vetter!" i - -- ' - - — —