Volltext Seite (XML)
Hai doä kJ „Na, wo ist er denn aber?' wiederholte der Kommissar immer ungeduldiger seine Frage. Das Mädchen schüttelte den Kopf, als wollte sie an« deuten, daß das nicht so schnell ginge. Dann blickte sie sich vorsichtig um, als wenn sie fürchtete, unter der Menge der längst wieder im Tanz und in bester Stimmung befindlichen Gäste einen Lauscher oder Spion zu entdecken, und sagte leise: „Hei wär eben noch hi . . . aber 's nu is Zei all fortgohn. Und weet Ji, wo hei is? . . . Nich tein Schritt, hier vorn, in ersten Hof, da wobn ick. . . .' „Also bei dir, in deiner Stube ist er?' fragte der Polizeibeamte begierig. Und in demselben Augenblick, wo er das sagte, dachte er: ginge er jetzt mit dem Mädchen zusammen hinaus über den Hof in eins der kleinen Häuser hinein, in dem sie zu wohnen vorgab, so könnte er dann auf dem Wege dahin den ja ganz in der Nähe postierten Kra^V« durch einen leisen Pfiff verständigen, damit dieser ihm nachschlich und ihn bei einem sich etwa entspinnenden Kampfe unterstütze. Sie batte seine Frage inzwischen beantwortet, er aber in seinen Gedanken nicht darauf acht gegeben, was sie sagte, und fragte nun noch einmal: „Also bei dir ist er?' Sie nickte. Ja, er hielte sich schon eine ganze Zeit bei ihr ver steckt, aber sie wolle Gott danken, würde sie diesen Wütrich endlich los. Kein Tag verginge, an dem er sie nicht braun und blau schlüge. . . Und zum Beweis dessen zog sie vom Halsausschnitt das Zeug ihrer blauen Stoffbluse etwas zurück und zeigte dem Kommissar einen großen blauen Fleck an der Schulter. . . . Daß sie, um sich diesen bei zubringen, absichtlich gegen eine Schrankecke gerannt war, konnte der Beamte ja nicht ahnen. „Also denn wollen wir gehn!' drängte Oppermann. „Aber gohn Sä erst! ... Dä cmnern brüten dal io nich to weeten! ..." Er hatte wieder die Empfindung, daß sie ein falsches Spiel mit ihm trieb, und sah sie durchdringend an. „Mädel, Mädell' sagte er, mit dem Finger drohend, „ich kann bannig falsch werden, wenn mich einer zum besten halten will! Sie zuckte die Achseln: „Denn laten Sä't doch, Herr Kommissar, mi is recht. . . Denn goh ick eben nach's StadthuS un verteil da mine Geschichte, de wärn dat schon maken, wenn Sä nich wulln!" „Rede nich so dumm', erwiderte Oppermann, „was heißt da nich wollen! Das ist einfach meine Pflicht. Und deine Pflicht ist es mir zu helfen . . . Denn du weißt doch, daß du dich sonst der Begünstigung schuldig machst und daß ich dich jeden Augenblick einstecken kann." Die Dirne grinste. „Drohen bruke Ji mi nich! . . . Ick dau schon, wat ick kann.' Damit erhob sie sich und ging dem Saalausgang zu, dem Kommissar überlassend, ihr zu folgen. Oppermann zögerte, es war, als riefe ihm eine innere Stimme zu: „Laß sie gehen! Geh nicht nach . . .' Aber das war nicht etwa Furcht vor irgend einer bösen Eventualität, die ihn treffen könnte, aber er hatte das Gefühl, all sein Tun sei in diesem Falle überflüssig, er würde doch nichts erreichen. Und trotzdem ging er. sich, daß das Parlamentteren letzt eigentlich reiner Zweck habe. Hatte sie wirklich die Absicht, ihm das „Opossum' in die Hände zu spielen, so konnte es chma^^ Beamten ja schließlich ziemlich gleich sein, tat, und wollte sie ihm etwa eine FallefieMW^^ . 7 auch keine Zeit mehr sich A ihn vielleich! entspringende Gefahr zu ubeMM^ Jetzt hieß es handeln! is er denu^^sfjd' sagte her Kommissar eben, als das Madchemd^Ma seine vorherige Unart scheinbar leid geworden war^H^fon selbst anfing, die Gründe für seine HandsiMmMweise klarzulegen. Sie mal, Herr Kommissar', meinte sie, ihre Ed wie schmeichelnd auf die seinige legend: „Dat is M so eenfach: der Paul Lüdecke, der ist min Schatz Rest, und wenn de verdammtige Kirl, der Georg, nich ^mmen wär, denn lewte min Paul hüdtgen Tags noch. . . Aber das is noch nich allens! . . . Der andere, der Georg, de is schuld dran, dat's so mit mit mi kamen ist, dat ick up die Straat bin. . . . Der hat mich dazu ge bracht. . . . Ohne den wär ick hüt noch Kellnerin. . . . Jetzt, jetzt sleiht hei mi obendrin.. . . Und darüm soll hei Hochgahn! . . .' erlaubt wegzulaufen! Das Haus ist umstellt, und wer etwa den Drückeberger machen will, zeigt damit nur, daß er verdächtig ist!" Es befanden sich vielleicht neunzig bis hundert Menschen in dem Keller. Und ebenso viele Augenpaare richteten sich furcht- und haßerfüllt auf den Kommissar. Aber Oppermann hatte nicht umsonst den Ruf des besten Diedesfängers in seiner Vaterstadt. Er war einer von denjenigen, der fast nie die Waffe aus der Tasche ziehen brauchte, nicht einmal den Gummiknüttel benutzte er. Er besaß eben eine merkwürdige Eigenschaft, welche das Geheimnis der Tierbändiger ist. Seine starke und faszinierende Persönlichkeit lähmte in dem Verbrecher die Kraft zur Flucht und zum Widerstande. Auch jetzt war er seiner Sache vollkommen sicher. Fest überzeugt, daß jener Pseudo-Amerikaner, den er schon einmal im wilden Kampf ergriffen hatte, sich hier im Tanzsaal aufhalte, streckte er die Hand nach einer von . Männern und Weibern dicht zusammengedrängten Gruppe^ aus und sagte: „Na, wird'^ bald, Lüdecke?! . . . JLlMhe dich ja da hinten! . . . Du weißt doch, das ^rü-ckrr^prelen mit mir bat doch keinen Zweck!" Er wartete bekunden, aber inzige Resultat WvE war, daß der MenschenknMmel dort in der Ecke sich etwas lockerte; hervor kam w land. »vXWt. ging der mmissar, der mit seiner über^u en Persönlichkeit alle im Saal Ann,.! !ske, nach der Ecke hin, stieß einen Menschen m z , , Seemannskleidung, der ihm offen- bar "ui Abstch Rücken drehte und so den Weg ver- sperrie, derb zu^ eite, er rief: „Platz da, wenn ich komme! uno uchte die Menschen durch, die da standen, wlLtz^e alle zusammen nichts weiter wie ein Bündel alter, schmutziger und überflüssiger Lumpen. Ein Murren ward hörbar, das sich durch den ganzen Saal fortpflanzte und das ein Echo fand in ein paar gellenden Pfiffen, die von der andern Seite des Saales hertvnren. Der Kommissar machte ein paar Schritte zurück, zog den Revolver aus der Hosentasche und sagte in gleich- gültigem Tone: „Ihr wißt doch, wer sich widersetzt, liegt einfach um! Ihr kennt ja den alle, den ich hier suche und der sich auch ganz sicher hier aufhält. . . . Der Mann beißt Lüdecke, der seinerzeit den Zitherkeller auf dem alten Steinweg besessen hat und den ich mit diesem selben Revolver hier* ... Er dielt die Waffe so hoch, daß jeder im Saal sie sehen konnte. „Hier mit diesem Revolver habe ich den Mann nieder« geschossen, weil er mich daran hindern wollte, seinen Bruder festzunehmen.' Drese ruhige leidenschaftslose Stimme, die solchen ernsten Worten einen um so größeren Nachdruck gab, ließ jeden Lärm im Saal verstummen. Und ein paar aus der Menge kamen heran und sagten „Laten Se det man, Herr Kommissär, uns brukt jei nich dot scherten ... Wi hebbt jo gar nix dhon! . . . Wat wulln Sä denn von uns?" Und nun kam Vater Brösicke nni einem wundervollen Aufschlag seiner gottlob noch so Hellen Augen an den Beamten heran und meinte: „Säbn Hebb ick 'n och, Herr Kommissär, aberst nu iS hei nich mehr dor . . . bloß die Guschi, die sitt noch da drüwen! . . .' Der Kiminalbeamte, wütend, daß ihm der Gesuchte entgangen war, ging raschen Schritts an den Tisch des Mädchens, wo dieses mit ein paar Männern, scheinbar ganz gleichgültig plaudernd, saß und Punsch trank. „Kommen Sie doch mal her!" winkte ihr der Kommissar, und sofort erhob sich Guschi, um ihm tn eine Ecke zu folgen, aus der Oppermann die dort sitzenden Gäste fortwies. „Also Sie sind die, die mir geschrieben hat?' fragte er leise, und indem Guschi nickte, setzte er hinzu: „Sie sind doch auch dieselbe, die damals unten in dem Zitherkeller war, nicht?" „Jawoll, Herr Kommissär, dat bün ick!" „Na und jetzt woll'n Sie mir den Mann in die Hände spielen, für den Sie sich damals beinahe in Lebensgefahr gebracht haben?' Das Mädchen nickte. „Na, erklären Sie mir das doch mal!' fuhr der Kommissar fort, „das muß doch seinen Grund haben!" „Den bätt et och!" erwiderte sie patzig. „Aber 's ick glöw dat is all mag, wenn ick Sä den Mann utliefere.' Einen Augenblick schwieg OpperMNn. Er dachte, bei sich fast, als das ehemalige Schank mädchen vor der Tür auf ihn wartete. Und er wollte ihr noch etwas sagen, aber sie legte die Hand auf den Mund, als wenn sie ihm bedeuten wollte, daß selbst der leiseste Laut gehört werden und den Erfolg des Unternehmens zunichte machen könne. So verhinderte sie ihn, ohne es selbst zu wissen und zu wollen, auch daran, daß er seinen, Untergebenen das Zeichen gab, damit dieser ihm folgte. Denn jetzt war der Kommissar nur noch der Jäger, der niit einer leidenschaftlichen Liebe für seinen Beruf, der Spur dieses gefährlichen Wildes folgte und der, ohne eine Ahnung von Furcht, in der Aufregung des Augenblicks auch das Mißtrauen gegen das Mädchen, das ihn führte, wieder vergaß. Der Nachthimmel war bewölkt, kein Stern leuchtete in die schwarze Finsternis, die wie ein ungeheurer Eisen klumpen in dem von Gebäuden umgebenen Hofe lag. „Faten Sä mi doch an!" flüsterte das Mädchen. Der Kommissar legte die Hand an ihr Kleid, und wie zwei Katzen schlichen sie über das holperige Pflaster des Hofes dahin bis an eines der Häuser, wo ein kaum mannsbreiter und niedriger Eingang dem Kommissar, der derartige Gebäude zur Genüge kannte, zwang, sich zu bücken. Es ging jetzt eine Stiege hinauf, ganz steil, an deren Seite statt des fehlenden Geländers ein dicker, sich feucht anfühlender Strick hing. Der Kommissar, der seines schweren und ungefügen Körvers trotzdem in jeder Situation Meister war, stieß beim Hinaufklimmen noch nicht einmal mit dem Fuß an das morsche, leise knarrende Holz. Jetzt war man oben und er überlegte, ob es nicht ge ratener wäre, seine elektrische Laterne aufflammen zu lassen. Er hatte den Revolver in der rechten und das dem leisesten Fingerdruck gehorchende Blendlicht in der linken Hand. So fühlte er sich ganz sicher, umsomehr, als er sich dicht an das Mädchen hielt. Stand hier wirklich jemand im Hinterhalte und wollte einen Stoß oder Schlag nach ihm führen, so konnte dieser das Mädchen mindestens ebenso gut treffen wie ihn. Der Kommissar ließ also den Finger noch vom Drücker der Laterne und fragte in leisestem Flüsterton: „Js's hier?" Sie schüttelte den Kopf, und ovwohl er das doch nicht sehen konnte, fühlte er es gewissermaßen und schlich weiter hinter ihr her; sie huschte einen Gang hinauf, um dann mit den hmgehauchten Warten: „Noch 'ne Treppe!" weiter emporzusteigen. Als sie auch diese Treppe hinauf waren, hörte Opper mann das Mädchen auf einmal ganz laut sagen: „Hier!' Und indem er instinktiv beide Hände ausstreckte, fühlte er, wie sie davonsprang . . . Fast blitzartig kam dem Kommissar der Gedanke: du bist in eine Falle gelockt! Und so schnell, wie er sich das überlegte, so schnell drückte auch der Daumen seiner Linken auf den Jnduktur der kleinen Taschenlaterne. Aber in dem selben Augenblick, wo der Lichtschein aufblitzte, sah er dicht neben sich, wie aus der Erde gewachsen, einen Mann stehen, der seine mit dem Revolver bewaffnete Hand erhob, um loszudrücken; in demselben Bruchteil einer Sekunde fuhr etwas Glänzendes durch die Luft und drang in die Brust des Beamten. Martin Oppermann hatte eine Empfindung, als sage jemand, der in ihm, aber der er doch nicht selber war: „Das ist das Ende!' Er wollte schießen, aber die Kraft, sein Vorhaben aus zuführen, fehlte dem Arm, der schlaff heruntersank. Noch stand der Beamte, da traf ihn der zweite Stoß des Mörders, Oppermanns Knie knickten ein, und wie ein Baum, den der Sturm entwurzelt hat, sank er langsam zur Seite. Seine Linke drückte in einer Art krampfender Zu sammenziehung der Muskeln noch immer den Knopf der Taschenlaterne. Und das Bewußtsein, das klar und fest blieb, lieb ihn selbst genau erkennen, wie sein Leben ver loren war und wie der Tod kam. Als er aber auf dem Boden lag, aufs linke Knie und auf den Ellbogen gestützt, fand er die schon verloren geglaubte Kraft noch einmal wieder. Den Kopf erhebend, der ihm wie in übergroßer Müdigkeit auf die Brust zu sinken drohte, sah er unweit von sich den Mann stehen, der ihn verwundet hatte. er (Fortsetzung folgt.) Da seufzte Martin Oppermann tief auf, dann streckte sich aus und war tot. Nur das Weib lebte noch, als die Beamten die drei am Boden Liegenden auffanden. Sie hatte zwei Schüsse in den Arm und in die Schulter bekommen, einer hatte ihr das rechte Ohr weggeriffen, und die letzte Kugel des toten Kommissars hatte sie mitten in den Bauch getroffen. Unter großen Schmerzen rang sie bis in die Nacht hinein mit dem Tode. Und als das Ende kam und ihr die Augen brachen, da war ihr letztes Wort ein Fluch und eine Verwünschung für den Mörder ihres Geliebten. Es war jener kleine, gedrungen gebaute Mensäs, den er damals im Zitherkeller verhaftet und dessen Bruder er dabei erschaffen hatte. Heute hatte ihn nun die Rache ereilt. Und nun sah er den Mörder stehen, der darauf zu warten schien, bis der Tod seine schwarzen Schwingen über den Beamten breitete. Der Kommissar war ganz furchtlos. Er fühlte, daß rS nur noch Minuten seien, die ihm beschieden. Und er war bereit zu gehen. Aber nicht allein. Seine letzte Leidenschaft, all das, was noch von Kraft, Mut und Ent schlossenheit in seiner Seele loderte, das drang wie ein starker Strom in die rechte Hand und gab ihr die Kraft und die Sicherheit des ruhigsten Augenblicks wieder. Sich auf die linke Seite stützend, ohne Schmerzen zu empfinden, nur von einer unendlichen Dumpfheit uni- rungen, und das, was er bei dem gelben Licht seiner Laterne sah, wie in Trauerflor gehüllt empfindend, hob er mit einem Ruck den Revolver und schoß. Der Verbrecher wollte auf ihn zustürzen, aber in der Vorwärtsbewegung fiel er und schlug mit dem Gesicht hart neben Oppermann auf den Boden. Und da, angefeuert von diesem groben Erfolg, den er errungen, raffte sich der sterbende Kommissar noch einmal auf. Seine Linke, die schon nachließ, brachte noch einmal Helligkeit in den schmalen Gang, an dessen letztem Ende er das Weib stehen sah. Er sah sie stehen, und wiewohl schwarze Schatten vor seinen Augen auf- und niederwogten, brachte er mit un säglicher Anstrengung die Waffe nochmals in die Höhe und gab Feuer. Das Weib sprang zur Seite wie ein Hase. Dieser Korridor mußte nach hinten keinen Ausgang haben, sonst wäre sie wohl davongelaufen. Er schoß das zweite Mal, und offenbar gestützt in seinem Ziel durch die Enge des Weges schien 'er sie getroffen zu haben — sie kreischte laut auf. Er aber, während sein Herz in langen schweren Stößen das Blut heraufpumpte, das in «strömen aus seinen Wunden rann, schoß wieder und wieder, bis der achtlänfige, schwere Revolver, den nur die Hand dieses Riesen noch im Tode führen konnte, abgeschossen war und seinen Fingern entsank. Dreimal hatte das Mädchen laut aufgeschrieen. Ebe er das letzte Mal abdrückte, kam sie ihm entgegengelaufen, wohl um über ihn sortzuspringen und so zu entkommen. Aber zwei Schritt von dem Sterbenden streckte das Mantel geschoß sie zu Boden. Im Verscheiden hörte Martin Oppermann die Tritte seiner Leute, die, dem Hall der Schüsse folgend, endlich diese versteckte Treppe gefunden hatten. Es war dunkel um ihn her, und er fühlte, daß die Finsternis immer starrer und schweigsamer wurde. Er hätte gern jemand gehabt, der ihm die Hand reichte, gerade als bemühe er sich, über einen schwankenden und gefahrvollen Steg hin weg ein anderes, schöneres Ufer zu erreichen. Da wurde ihm auch noch dieser Wunsch gewährt. Er empfand schwach, wie seine Hand, die schon empfindungslos zu werden anfing, von einer andern ergriffen wurde. Und ganz fern, wie einer, der in der Tiefe des Berg werkes das Taglicht nur wie den Schimmer einer Ahnung Hereinbrechen sieht, ganz schwach, kam noch ein Glanz in seine Augen.