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Well Im 6 na Sie in der Wasserleitung gesehen haben?" fährt sie fort, da der Hauptmann schweigt. Alle wenden sich ihm zu. Er sieht auf fallend blaß und betreten aus, die etwas kurzsichtigen Augen in dem scharf ge schnittenen Gesicht irren unruhig umher und die schmalen Lippen, die der kleine Schnurr- bart fast völlig freilätzt, zucken. „Ist der Mann wirklich erst sechsund dreißig Jahre alt, wie man behauptet?" denkt Lona. Unter den Bewohnern der Villa ist ein junger Mann, dessen Vater ein großes Antiquitätengeschäft in Wien besitzt. Arpad Kramer heißt er. Er hat den Ring in die Hand genommen und ihn von dem ihm anhaftenden Schlamm befreit. „Das ist ein antiker Ring, ägyptischer l Herkunft," sagte er. „In ihm versinnbild licht sich der Ewigkeits- und Versterblich- keitsgedanke. Den Aegyptern galt die sich in den Schwanz beißende Schlange — der ! Ring ohne Ende — als Symbol der Ewig- keit. In diesem Ring aber sind zwei Symbole enthalten, die den gleichen Ge danken ausdrücken und das zweite ist der Käfer, der Scarabäus. Scarabäen wer den in Mengen aus dem Schutt der Pyra miden ausgegraben, aber diese Ringe mit dem doppelten Symbol sind sehr selten. Ich weiß das, da mein Vater große Mühe hat, sie sich zu verschaffen. Und dies —" fügt der Sprecher hinzu — „ist ein ganz be- sonders schönes Exemplar." „Wünschen Sie, daß ich den Installa teur bezahlen soll?" erkundigt Lona sich bei Frau Skonitzky mit spöttischer Höflichkeit. „Wenn der Ning Ihnen nicht gehört —" i meint diese gedehnt. „Ich bedauere lebhaft, diese Frage ver neinen zu müssen," entgegnete das junge Mädchen, „denn der Besitz dieses Ringes würde mich sehr freuen." Ja, wem aber gehörte der Ring? Und wie kam er hierher? Es war doch eine rätselhafte Sache. Erst am heutigen. Tage hatte es sich gezeigt, daß die Wasserleitung verstopft war! Aller Wahrscheinlichkeit nach aber mußte der Ring schon seit langem in dem Rohr stecken, denn hätte ihn einer von den jetzigen Gästen der Villa ver loren, so würde sr doch davon gesprochen ! haben. Daß ihn aber jemand absichtlich darin versteckt haben könnte, war doch eine etwas wunderliche Vorstellung. „Das ist ja Fräulein Darjas Ring," sagt plötzlich der achtjährige Egon, eines der Skodnitzkyschen Kinder. „Ja, wahrhaftig, es ist Fräulein Darjas Ring," rufen nun auch die andern Kinder und 'elbst Frau Skodn'tzkv kann nicht umhin, zu gestehen, daß sie liefen oder einen ähnlichen Ring an Fräulein Darjas Hand gesehen zu haben meint. „Wenn dem so ist, muß ich den Ring ; auf die Polizei bringen," meint Herr- Skodnitzky, ein dicker Mann, Ende der! Vierziger, aus dessen breitem, gemüt lichem Gesicht ebensoviel Gutmütigkeit und Friedfertigkeit spricht, als die Züge seiner Gattin das Gegenteil von alledem aus drücken. „Das müßten Sic in jedem Fall tun," versetzt Apard Kramer trocken. „Denn dieser Ring ist in Anbetracht seiner Seltenheit sehr kostbar." Wer war Fräulein Darja, an deren Hand man gemeint hatte, den Ning gesehen zu haben, der in dem Wasserleitungsrohr in der Skodnitzkyschen Villa gesunden wor den war? Vor nunmehr ungefähr fechszehn Monaten waren ein junger Mann und zwei junge Mädchen — Geschwister Leslie nannten sie sich — in der Villa erschienen, um bis zu Beginn der Sommersaison die erste Etage, bestehend aus zwei großen Zimmern und einer Küche, nebst ge räumigen Flur zu mieten. Niemand von der Familie vermochte je den seltsamen Eindruck zu vergessen, den sie beim Eintritt der drei jungen Menschen empfingen. Es war im Frühling und selbst im Skodnitzky- fchen Garten, in dem es sonst keine Blumen gab, blüten Akazien und Flieder. Die Familie saß gerade in ihrem etwas düsteren Wohnzimmer beim Mittagstisch, als leise, schüchtern an die Tür geklopft wurde. Auf Herrn Skodnitzkys „herein" öffnete sie sich, und von einer ganzen Welle von Blumen dust begleitet, zeigten sich drei Gestalten in ihrem Rahmen, die wie die Verkörperung des Frühlings selbst aussahen. Der junge Mensch mochte etwa vierund zwanzig Jahre zählen und war über mittel- groß, schlank, feingliedrig und doch sehnig — in seinen Bewegungen war etwas von der stählernen Elastizität einer Damaszener klinge, während sich in seiner Haltung eine unvergleichlich leichte, stolze Anmut aus drückte. Aus dem länglichen, regelmäßigen Antlitz, das krauses braunes Haar umgab, leuchteten voller Uebermut und Frohsinn ein Paar dunkelblaue Augen mit schier edelsteinartigem Glanz. Die beiden Mäd chen, die das zwanzigste Jahr wohl kaum erreicht hatten, waren offenbar Zwillings schwestern, zum mindestens glichen sie ein ander so sehr, daß man nicht den geringsten Unterschied zwischen ihnen zu entdecken vermochte, mit dem Bruder hatten sie da gegen nur die wunderbare Grazie und Sicherheit in Haltung - und Bewegungen, sowie die Helle Gesichtsfarbe gemeinsam. Ihre Haare waren auffällig hell, Heller fast, als Flachs, die Augen dagegen sammetschwarz, sehr groß und von langen seidigen Wimpern verschleiert. Alle drei trugen Anzüge aus weißem Lawn Tennis stoff und dazu kleine weiche Weiße Filz hüte, auch hatten sich alle drei große frische Veilchensträuße angesteckt. Die Skodnitzkys mußten sich gestehen, schönere Menschen noch nie gesehen zu haben, und was sie noch ganz besonders anziehend machte, das war der Ausdruck von kindlich sorglosem Frohsinn in den jungen Gesichtern. Als sie die Tür öffneten, fiel von draußen eine Flut von Sonnenschein herein, der die ent zückenden Köpfe wie mit einer goldigen Aureole umgab. Die drei wirkten in ihrer strahlenden Schönheit und Jugendfrische so verblüffend, daß die Skodnitzkys sie zurzeit stumm, keines Wortes mächtig anstarrten. Doch auch die Fremden schienen ein wenig ver legen zu sein. Sie hatten artig gegrüßt, aber dann standen sie da, wechselten un entschlossene Blicke, lächelten und tuschelten leise miteinander. Endlich ergriff der Bruder als der Aelteste, sozusagen daS Haupt der Familie, das Wort. Er stellte sich als Fred Leslie und die Mädchen als seine, Schwestern Daria und Nama Leslie vor, und fragte, ob er Wohl hier für einige Wochen ein paar Zimmer mieten könnte. Sein Benehmen war das eines Menschen von tadelloser Erziehung, aber doch lag etwas Fremdartiges, Ungewöhnliches dar- in, von dem sich schwer sagen ließ, worin s es bestand — vielleicht war es die seltsame Mischung von Weltläufigkeit und knaben hafter Befangenheit. Er sprach ein korrektes Deutsch, aber mit unverkennbar englischem Akzent. Als Frau Skodnitzky den Geschwistern die Zimmer zeigte, wurde man sofort han delseinig. Mr. Fred Leslie bezahlte, ohne mit einem Wort an dem Preise zu mäkeln, was man forderte, und ließ dann die Zim mer für sich und die Schwestern Herrichten. Die Mädchen schliefen in dem einen großen Zimmer, das andere wollten sie als gemein schaftlichen Wohnraum benutzen, während Fred Leslie die Küche als Schlafraum für sich in Anspruch nahm. In den Zetteln für die polizeiliche Anmeldung hatten die drei Boston als ihren Wohnort angege ben, als Geburtsstätte dagegen war fiir Fred Leslie Philadelphia und für die Schwestern Cairo genannt. Neber ihre Stellung und ihre Beschäftigung war nichts . gesagt. Noch am selben Tage zogen die Ge schwister ein. Sie brachten eine Unmenge ! riesiger eleganter Koffer mit, denen sie allerhand entnahmen, um ihrer Wohnung ! ein gefälliges Aussehen zu geben — schöne i persische Teppiche, prächtige orientalische Stickereien und einige kostbare Waffen, vor nehmlich verschiedene krumme Säbel, die sie malerisch gruppiert, an die Wand hingen. Alsdann kauften die Mädchen fo- j viel Blumen, als sie nur irgend in dem - großstädtischen Vorort auszutreiben ver- ! mochten und stellten sie auf Tischen und in den Winkeln der Zimmer, ja selbst im Flur auf. Als die Skodnitzkyschen Damen die Wohung am folgenden Tage wieder sahen, konnten sie gar nicht genug über den poetischen Eindruck, den sie nunmehr ge währte, staunen. Das Schönste darin waren freilich ihre. Bewohner, diese froh- ' sinnigen anmutsvollen jungen Menschen, die gleich leichtbeschwingten Vögeln darin um- herhuschten, beständig in Bewegung, be ständige lachend und plaudernd. Die Skodnitzkys hätten gern gewußt, was sie immer miteinander zu schwatzen hatten, aber da sie englisch redeten, verstanden sie es leider nicht. Ihr Lachen und Plaudern aber klang förmlich wie liebliches Vogel- gezwitscher. So unbefangen die Geschwister sich im Verkehr auch gaben, so kamen die Eigen tümer der Villa doch auf keinen vertrauten Fuß mit ihnen. Emmy und Frieda, die beiden ältesten Töchter der Familie, gabcr sich zwar alle Mühe, mit den Zwillings- schwestern Freundschaft zu schließen, doch gelang es ihnen schlecht. Die letztern blieben stets höflich und liebenswürdig, aber über ihre Lebensverhältnisse verrieten sie nichts. Dabei benahmen sie sich keines wegs, als ob sie etwas zu verbergen hätten, im Gegenteil war ihr Wesen so unbefangen und natürlich, wie nur möglich, nur er zählten sie eben nichts Unnötiges und direkt über dies und jenes Fragen stellen, konnte man doch nicht. Die fünfzehnjährige Lisi Skodnitzky, ein wahrlich nicht schüchterner Backfisch, der, wenn eS nur irgend anqing, sich in die Wohnung der Leslies drängte, hatte die Gewohnheit, die hübschen Sachen, die sie dort herumliegen sah, zu bewundern und im Anschluß daran, sich zu-erkundigen, wo daS eine oder andere Stück herkäme, aber auch damit gelangte sie nicht weit.