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nach seinem Metteur eher für einen Engländer als für einen Pariser hätte halten können. Die beiden begrüßten sich, der, der vor dem Cafe gesessen hatte, zahlte und stand aus, und dann gingen sie beide den Boulevard hinauf nach der inneren Stadt hin. Nachdem sie einige Zeit im leise geführten Gespräch Nebeneinander hergegangen waren, rief der Schlanke im weißen Zylinder einen Fiaker, und sie fuhren zu einem Juwelier auf dem Llaoe äe la 6ou6orä8. Im Wagen sagte der Herr im weißen Anzug, der nur durch einige leichte Schminkstriche und eine. Perücke von etwas genial gelocktem dunkelblonden Haar sein Aus sehen so verändert hatte, daß selbst seine besten Bekannten in ihm nicht den so gesuchten Georg Markowicz wieder erkannt hätten: „Die Hauptsache ist, daß Sie, lieber Freund, gut funktionieren. Was das innere Geschäft an langt, das will ich schon auf mich nehmen. Ist die Uniform echt und für Sie passend?" Der andere nickte und sagte englisch: „Es ist nicht das erste derartige Geschäft, Mr. Fellow, das ich mache. Sie können sich fest auf mich verlassen." Der Elegante neben ihm nickte befriedigt. „Unter welchem Vorwande", fragte er, „haben Tie denn das Zimmer im Nebenhause gemietet?" „Ah, ich habe gar nichts gesagt . . . Wer fragt denn in Paris viel danach! ... Ich werde da hinaufgehen, und nach kurzer Zeit wird ein Sergeant de oille die Treppe wieder herunterkommen, der seine Rolle besser spielt, wie die meisten wirklichen Beamten." „Lon, daß Sie sich nur nicht zu lange aufbalten. . . . Ich habe immer gefunden, daß man bei einem neuen Dessin am besten daran tut, genau nach der Uhr zu arbeiten. . . ." „Vsry ^vell, da bin ich ganz Ihrer Ansicht! ... Ich werde 15 Minuten, nachdem Sie den Laden betreten haben, in meiner Eigenschaft a.'s französischer Polizeibeamter dort eintreten." „Und auch dann, das vergessen Sie nicht", sagte Martowicz eindringlich, „bleibt es immer eine Sache der Diskretion, den richtigen Moment zu erfassen. Es können Fälle eintreten, die mich mrhindern . . . mehrere Kunden können da sein, so daß ich warten muß, oder sonst irgend ein Zwischenfall." Der <ndere nickte langsam. „ll unckerstsuck! Sie sollen sehen, mit welcher Grazie ich in die Verhand ungen eingreifen werde." Und mit seinem silberlnopfigen Spazierstock leicht den j Rücken des Kutscher- berührend, rief er ihm zu: „Halten Sie einen Äugend ick!" Dann sprang er aus dem Wagen und trat in ein Haus, während Markowicz weiterfuhr und vor dem Laden des Juweliers ausstieg. 20. Kapitel. Herr Jules Malmetic, ein noch junger Mann, der sich kürzlich verheiratet und das Juweliergeschäft seines Schwiegervaters übernommen hatte, stand hinter dem Ladentisch, dessen blinkende Glaskästen eine Fülle jener kostbaren Gegenstände bargen, welche die Frauen lieben und die Männer bezahlen müssen. Herr Jules hatte sich rückwärts gedreht und sah in den Spiegelscheiben der Schränke, welche die Rückwand des Ladens einnahmen, sein Bild, auf das er nicht wenig stolz war. Dieser semmelblonde, etwas Hyperelezant gekleidete junge Mann hatte von sich selber die höchste Meinung. Er war deshalb auch recht stolz und hochfahrend gegen die kleine Kassiererin, die vorn an der Tür in ihrem Rundtischchen die Zahlungen in Empfang nahm. Als Menschenkenner dünkte sich Herr Jules unüber trefflich; er mußte jedesmal lachen, wenn er in der Zeitung las, daß da oder dort ein Juwelier wieder einmal einem schlauen Betrüger zum Opfer gefallen sei. ... Er kannte seine Pappenheimer und hielt die Augen offen! . . . So kam ihm der Fremde, der jetzt eben in den Laden trat, trotz seiner wirklich gewählten Kleidung sofort ver dächtig om. Dieser Mann batte eine Art vorbei zu zucken, wenn man ibn cmsah, sich nach der Kassiererin um zudrehen, als befürchte er, von dort aus beobachtet zu werden, und dann wieder den Unbefangenen zu spielen, das heißt eben rmr — zu spielen—, daß ein so gewiegter KeschÄtsmaml, wie Jules Malmetic seine ganze Aufmerk' keit aufbot, um die Bewegungen der Hände dieses Merlschell genau zu beobachten. Er ließ sich Brillanten oorlegen — angeblich zum Geschenk für ein Danie! . . . Natürlich! mit geringeren Edelsteinen fangen ja solche Herrschaften gar nicht an . . . Übrigens, man konnte sich doch vielleicht irren, vielleicht war dieses auffallende Wesen des Mannes nur wirkliche Nervosität aus Schüchternheit! ... Er durfte auch diesem Kunden gegenüber die Artigkeit keinen Augenblick außer acht lassen! . . . Und dazu gehörte eben der feine Takt, den gerade Malmetic in hohem Grade besaß. . . Der Kunde wählte und wählte. Er hatte sich Kolliers zeigen lassen — zuerst! Dann ging er zu Diademen über, sah sich auch Perlenketten an und wünschte schließlich Broschen und Ringe zu sehen. Mit der Geduld, die der Juwelenhandel beim Ver» käufer ein für alle Mal voraussetzt, breitete der Händler nach und nach sein ganzes Lager aus, dabei erlaubte er sich nur die Bemerkung: „Mein Herr! Sie finden bei mir alles, vom Billigsten bis zum Teuersten! Aber ich nehme an, daß es Ihnen auf den Preis nicht ankommt. . . . Ihr Geschmack scheint die kostbarsten Gegenstände zu bevor zugen! . . ." Dabei zählte der Juwelier ruhig mit den Augen die Ringe auf der schwarzen Samtplatte nach und schob sie ganz zwanglos erst wieder in die Glasvitrine, ehe er eine neue Kollektion vorlegte. Schließlich entschied sich der Käufer für einen Brillant ring im Werte von 600 Francs, den er zur Seite legte. „Sie wünschen den Ring mitzunehmen, oder soll ich ihn irgendwo hinschicken?" fragt der Juwelier voller Spannung, denn mußte es sich jetzt seiner Ansicht nach zeigen, ob der Kunde einZ fauler oder ernstzunehmender Käufer sei. Hätte er gesagt, „Bitte nach meinem Hotel!" so hätte Herr Malmetic schon gewußt, was er davon zu denkeu hatte. Der Fremde aber, dessen ganz Heller, sicher von einem ersten Schneider gefertigter Rockanzug den Mann von Welt verriet, stellte den weißen Zylinder bei Seite, nahm seine Brieftasche heraus und wollte sie eben öffnen, als sein Blick auf eine aus antiken Gemmen gebildete Kette fiel, die durch kleine, aber wunderschöne Topase verbunden, in der Tat eine Seltenheit allerersten Ranges darstellte. „Was haben Sie da, das ist ja entzückend!" meinte er und lieb sich die Kette geben, mit der er zur Ladentür hinging. Der Juwelier folgte ihm, wieder argwöhnisch geworden, sofort, denn es schien ihm, als seien die Bewegungen des Fremden auf einmal rascher, als gerade notwendig ge worden. . . . Wer weiß, dieser Mensch konnte ja plötzlich die Tür aufreißen und davonlaufen! . . . Nein, nein, mit derartigen Schlichen war Jules Malmetic nicht beizu kommen! Während der Fremde die Arbeit der Gemmenkette pries und der Juwelenhlmdler nicht umhin konnte, das Hohe Verständnis des Kunden anzuerkennen, stieg ein Herr die Steinstufen der Ladrntreppe hinauf und öffnete die Glastür, so daß der Juwelier und der Fremde, der ein wenig bestürzt schien, zurücktreten mußte. Der Eintretende griff leicht an seinen Hut und sagte: „Ich bin Beamter der Kriminalpolizei." Dabei zog er aus seiner Brusttasche eine am schwarzen Bande hängende Blechmarke und wies sie dem Juwelier vor. Mit einer Kopfbewegung nach dem Fremden hin fuhr er fort: „Ich komme wegen dieses Herrn da . . . den ich schon seit einiger Zeit aufmerksam beobachte, und möchte Sie, Herr Malmetic, bitten, Ihre Waren nachzusehen, ob Ihnen etwas fehlt." Einige Sekunden waren alle drei Herren still. Dann aber, der Juwelier wollte gerade den Mund aufmachen, sagte der im Hellen Rockanzug voller Empörung, indem er sich an den Juwelier wandte: „Ich bitte Sie, mein Herr, mich gegen diese Insulten in Schutz zu nehmen. Ich habe bei Ihnen einen Ring gekauft, der noch dort auf dem Tisch liegt, und werde ihn bezahlen. Im übrigen habe ich nie und nirgends Veranlassung gegeben, mich in einer so un gehörigen Weise zu behandeln. Der Beamte lächelte ironisch. „Nun, das wird sich dadurch sehr leicht feststelle! lassen, daß wir zuerst einmal die Vorräte des Hern Malmetic nachsehen, und sodann, da ein Irrtum ja immei Noch nicht ausgeschlossen wäre, den noblen Herrn da" — er zeigte auf den Beschuldigten — „einer eingehenden Leibesvisitation unterwerfen!" Den Kopf in den Nacken werfend und mit einer Miene der tiefsten Entrüstung sagte der hell Gekleidete: „Machen Sie, was Sie wollen, ich habe jedenfalls keine Lust, mich an diesen Fadheiten weiter zu beteiligen. Adieu!" „Oho!" rief der Beamte und faßte den Eleganten, der mit schnellem Schritt bereits die Ladentür geöffnet hatte, bei der Schulter. „So haben wir nicht gewettet! Die Eile macht Sie doppelt verdächtig!" Und sich an den Geschäftsinhaber wendend, bat er: „Wollen Sie die Güte haben, und Ihre Ladentür für einen Augenblick verschließen, damit wir nicht gestört werden und dieser Herr nicht abermals eine Anwandlung bekommt, uns seiner Gesellschaft vorschnell zu berauben!" Der Juwelier nickte und ging wichtig zur Tür, die er doppelt verschloß, um dann den Schlüssel in seine Tasche zu stecken. „Ich habe es mir ja gleich gedacht", sagte er, mit den Händen in den Hosentaschen in affektierter Pose zurück kehrend, „schon als dieser Herr in den Laden trat, sagte ich mir, daß da irgend etwas nicht richtig sei. . . . Aber freilich, daß sich meine Vermutung in dieser Weise be stätigen würde. . . . Nun, jedenfalls gestatten Sie, daß wir erst einmal nachsehen!" Und er holte wieder aus Schränken und Kästen die Broschen und Kolliers, die Halsketten und Diademe, die Ringe und Döschen und all den nichtigen und doch so kostbaren Tand hervor, den er dem Kunden vorhin vor gelegt hatte. Das Ladenfräulein mußte die Kartons und Etuis und die verschiedenfarbigen Samtvlatten, ans die die einzelnen Stücke gebettet waren, nach der Durchsicht wieder zurück legen. Aber es fand sich nirgends ein Manko. „Was wollen Sie also von mir?" sagte der bearg wöhnte Kunde mit aufeinandergepreßten Zähnen und rollenden Augen. „Ich ersuche Sie, mir den Weg augen blicklich frei zu geben! Oder wissen Sie als Beamter nicht, daß Sie sich mit Jhreni Verfahren einer Freiheits beraubung schuldig machen, welche Sie Ihre Stelle kosten kann!" Und mit einem Tone, der fast verzweifelt klang, setzte er hinzu: „Ich habe nie in meinem Leben jemandem etwas genommen, und ich verstehe nicht, wie Sie dazu kommen, einen Unschuldigen derartig zu mißhandeln!" Dann wandte er sich an den Juwelier und sagte: „Von dem Geschäft mit dem Brillantring trete ich selbst verständlich zurück. Ich habe nicht Lust, meine Bedürfnisse bei einem Kaufmann zu decken, der seine Kunden wie Verbrecher behänden läßt!" Herrn Malmetic war diese Wendung der Sache nicht angenehm. Jetzt wo er einsah, daß er sich doch geirrt hatte, ärgerte er sich, daß ihm das Geschäft verloren ging, unb fing an, sehr böse auf den Polizeibeamten zu werden. „Das sind so Leute, mit denen man sich nicht einlassen muß!" dachte er; „wenn sie nötig sind, ist nie einer zur Stelle, und dann kommen sie wieder ganz überflüssigerweise und verjagen einem die Kunden!" Den Beamten aber schien das negative Resultat der Durchsicht des Warenlagers durchaus kühl zu lassen. „Ich möchte den Herrn trotzdem untersuchen", er wandte sich dabei an den Juwelier, „denn es wäre doch recht wohl möglich, daß Sie, mein Herr, ein oder das andere Stück aus Ihrem Geschäft nicht mehr im Gedächt nis haben." Aber der Juwelier verbat sich diese Prozedur auf das entschiedenste. Wenn der Beamte das wollte, so möchte er das auf dem Polizeiamt oder sonstwo unternehmen. Sein Laden wäre kein Auskleidekabinett und er glaube auch nicht so auszusehen, daß man ihn für einen Polizei spitzel halten könnte. Der Beamte zuckte die Achseln und sagte: „Mein Name ist Lemercier, wenn Sie sich nach mir erkundigen wollen, so wird man Ihnen auf der Polizeiwache des fünften Arrondissements alles Nötige mitteilen. Jetzt möchte ich Sie bitten, die junge Dame da" — er wies auf bie Kassiererin — „nach einem Fiaker zu schicken, damit ich diesen Herrn nach einem Orte bringe, wo man ihm ein wenig schärfer auf die Finger sehen wird. . . . Ihnen aber. Herr Malmetic, möchte ich empfehlen, der Polizei jedem falls dankbar zu sein, wenn sie sich Mühe gibt, Sie vor Schaden und Verlusten zu bewahren!" Der Juwelier sandte das junge Mädchen etwas wider willig fort; dann wandte er sich an den hell Gekleideten mit den Worten: „Mein Herr, ich bitte Sie, mich diese unangenehme Szene nicht entgelten zu lassen! Denn ich denke, Sie werden gerecht genug sein, einzusehen, daß ich keinerlei Schuld an dem häßlichen Vorfall trage, der Sie betroffen hat. Ich habe den Beamten nicht gerufen und, wenn ich ganz offen sein soll, so liebe ich es auch nicht, daß sich die Behörden in meine Angelegenheiten mischen. Ich kann mich selber schützen!" , (Fortsetzung folgt.) Höflichkeit unä Galanterie! Plauderei von Claire Louve. (Nachdruck verboten.) Wenn man von Höflichkeit spricht, so ist man leicht zu Vergleichen geneigt, und nicht in letzter Reihe fällt einem Frankreich ein, das im Rufe steht, an der Spitze derer zu marschieren, die die Galanterie hochhalten. Auch England ist dabei nicht zu vergessen; wer von uns hätte nicht schon Gelegenheit gehabt zu sehen, wie weit der Engländer in dieser Beziehung die äußeren Formen wahrt. Selbstverständlich ist, daß er auch bei einem einfachen Diner in seinem Hause den von uns so geschmähten Smoking anlegt. Wir wollen hier aber nicht so weit greifen, keine anderen Länder bei unserer Besprechung heranzuziehen, sondern im Lande bleiben, dieweil es von uns genug zu sagen gibt. Und nun gar über die Begriffe von Höf lichkeit! Es gibt sehr viele, die es für überflüssige Anstrengung halten, auch im eigenen Hause galant und zuvorkommend zu sein. Es genügt ihnen vollkommen, draußen nicht als Flegel zu gelten. Sie wissen, daß man auf der Straße den Hut ziehen muß, um jemanden zu grüben, daß man einer Dame den Vortritt läßt usw. In seinem eigenen Hause aber, da kann man sich gehen lassen, da macht man's sich bequem, da hat man nicht nötig auf derlei zu achten, man will sich ausruhen von des Tages Last und Mühen! So oder doch ähnlich denkt der Mann? Und die Frau? Je nun, sie kennt es nicht anders; als Bräutigam, da war der Mann außerordentlich höflich, galant, zuvorkommend, — einmal verheiratet, ist es aber selbstverständlich, daß die äußeren Formen fallen und au ihre Stelle die Hausjoppe tritt! Die Kinder unterein ander machen es wie die Eltern; der Vater nimmt bei Tisch seinen Platz ein, bietet selten genug den Seinen eine gesegnete Mahlzeit, hält es für selbstverständlich, daß die Frau ihn, natürlich auch die Kinder, bediene und dann erst an sich denke. So sieht das Bild zu Hause aus; die Jungen wissen, daß man gegen Fremde höflich sein muß, der Bruder weiß sogar, daß man den kleinen Freundinnen auf der Eisbahn die Schlittschuhe anschnallen, die Fallenden aufheben, sich sehr zuvorkommend gegen sie zeigen muß — dort wie im Tanzsaal — aber der Schwester gegenüber braucht mau dies alles nicht . . . Denn: bringt denn der Vater der Mutter einen Stuhl, wenn sie im Zimmer steht? Und ist dies nicht Beweis genug, daß auch die Schwester sich selbst zu bedienen habe. Uzid so legt sich denn der Jüngling oft die unangenehmsten Pflichten draußen auf: für die kleine Cousine, für die Freundin oder Bekannte, aber daheim hat man das nicht nötig. Welch ein falscher Standpunkt! Bist du gewöhnt, daheim einen guten Ton zu führen, daheim auch dem Dienstmädchen gegenüber die Höflichkeit nicht außer Acht zu lassen, so wird es dir auch draußen nicht als Pflicht unangenehmer Art auffallen, und nicht als leere Gesell schaftsform gelten. Wie ost hört man Pensionsinhaberinnen klagen, daß sie den jungen Mädchen nicht nur die nötige Weisheit, sondern selbst Kindern sogenannter besserer Eltern, den nötigen Anstand, die selbstverständliche Höflich keit beizubringen hätten. Aus allen angegebenen Gründen: Seid höflich und galant — auch daheim!