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weißt du, drüben in Sing-sing"(Zuchthau8 in Newyork), da gibt's sowas nicht Da liegen Eisenplatten in den Wänden, man kommt nicht durch! . . . Und dann sind auch die Türen aus Gitterstäben, wie in 'nem Raubtier käfig. Da sieht und hört man alles . . . hier in Germany sind die Leute zu lav (ungeschickt)!" „Freu dich doch!" sagte der andere, ein, soviel der Kleine in der Dunkelheit sehen konnte, langer, hagerer Mensch, „die Hauptsache ist, daß wir rauskommen . . . Wie lange hast du denn?" „Vorläufig noch zwei Jahre! . . „Wieso vorläufig?" — „Na, Mensch, ganz einfach!... Vor zehn Jahren haben sie mir hier geknast wegen Wechsel fälschung, Betrug, Diebstahl und noch so'n ganz hübsches Bukett von schweren Sachen . . . Damals bekam ich sechs Jahre „Z." (Zuchthaus). Dann bin ich, wie ich viere runtergerissen hatte, auf'm Transport, wo ich als Zeuge vernommen werden sollte, entsprungen und rübergegangen übern großen Teich! . . . Drüben hatten sie mich sofort wieder bei'n Wickel . . . Ich hab da 'ne kleine Telephon bestellung gemacht auf'n paar hundert Dollars! . . . Statt dessen kriegt ich zwei Jahr Sing-sing! ... Die mußt ich regelrecht abschieben und ich kann dir man sagen, drüben ist es ckLmneck heiß in der Falle! . . . XVell! ... Ich wurde dadurch bedeutend smarter! Und verschiedene Jahre ist es auch ganz gut gegangen, bis ich Pech hatte im Staate Newyork in der Jllinoisbank, wo dem Bankier zu fällig etwas Pfeffer ins Auge flog und er von irgend einem Mankiller halbtot geschlagen wurde; natürlich mußte ich es gewesen sein! Das heißt, die Amerikaner haben das gar nicht rausgefunden, dazu hätten sie gar keine Zeit. Mit den sechs- oder achthundert Dollars, die mir der Mann in der Jllinoisbank in seiner Gutmütigkeit über ließ, reiste ich Areonbom nach Hamburg und habe hier, wie ich dir schon sagte, gleich bemi ersten Schlag so viel verdient, daß wir beide, wenn wir rauskommen, sehr an ständig davon leben können. . ." „Hat wieder einer daran glauben müssen bei dem Ge schäft?" fragte der andere Gefangene, während sie beide mit der größten Zähigkeit an dem Eisengitter vorm Fenster bogen, das der Lange in vielen Tagen mit einer mühevoll aus einem Stückchen Stahlblech gefertigten Feile durch sägt hatte. „bisver minä!" Der Kleinere spuckte in die Hände, um besser anfassen zu können, „ich bin ganz einfach wieder auf meinen ersten Trick zurückgekommen: telephonische Unterredungen und so . . ." „Und damit hast du dreißigtausend Mark verdient?" „Sechsunddreißigtausend, äear! . . . Genau soviel wie der Fürst!" „Ist er denn wirklich ein Fürst?" — Der Kleinere be dachte sich einen Moment, dann sagte er: „Das ist schwer zu sagen! . . . Wer und was er ist, das weiß keiner, vielleicht er selber nicht! . . . Aber -love, wenn du ihn siehst, du denkst, er ist ein König! . . ." „Na, und der ist nicht Hopps gegangen? . . ." Der Kleinere, der jener Reverend Jacson aus Minne apolis, alias Mr. Sandbac oder Tommy Brown, genannt das „Opossum", wie ihn seine amerikanischen Freunde riefen, in Wirklichkeit aber Georg Lüdicke, der Bruder des von dem Kommissar Oppermann erschossenen Gastwirtes war — lachte leise in sich hinein: „Der geht nicht hoch", sagte er immer in demselben gedämpften Ton: „Ich kenne Leute, die fest daran glauben, dieser Mensch steht mit über natürlichen Kräften im Bunde, die ihn aus jedem Ge fängnis befreien! ..." — „Ach was!" „Ja, aber das braucht's ja auch gar nicht einmal! Ich sage dir, er verkehrt in den höchsten Kreisen! Und ehe wir das Ding zusammen drehten, hatte er sich eben mit der Tochter eines Millionärs verlobt... paß auf, du!" unterbrach er sich flüsternd, „daß du nicht mit dem Arm in die Scheibe kommst . . . so . . . noch ein bißchen . . . jetzt . . . halt fest! . . . halt!" Sie hatten einen Teil des Gitters losgedreht und be festigten es nun wieder, damit der Nachtaufseher nicht zu früh Wind bekäme. Dann kroch der Bankräuber schleunigst wieder durch das Loch in der Wand in seine Zelle zurück, stellte die herausgehobenen Steine an ihren Platz und die Tabaks kiste davor, um so, auf seinem Bett liegend, die Revision abzuwarten. Die Viertelstunde, die noch verging, wurde den beiden Gefangenen zur Ewigkeit. AlS aber die Nachtwache kam, hörten sie wohl, daß es beide Aufseher waren. Während diese sonst auf ihren schlürfenden Filzschuhen vorbei schleichend, nur mit einer leise klappenden Bewegung die Schlösser der übrigen Zellen probierten, machten sie vor 217 Halt. Der Schlüssel rasselte und während der eine draußen mit gespanntem Revolver stehen blieb, kam der zweite, die Blendlaterne in der Rechten, herein und leuchtete die Zelle vorsichtig ab. Voll ohnmächtiger Wut lag der Gefangene auf seinem Bett. Er hatte nur mit einem Aufseher gerechnet und war fest entschlossen gewesen, diesen einen, wenn er wirklich den Durchbruch der Wand entdecken sollte, zu überfallen und niederzumachen. Er hatte es sich alles wohl ausgedacht, wie er dem Beamten, der ihm bei der Entdeckung jeden falls den Rücken drehen mußte, mit einem Satz in den Rücken springen und ihn so lange würgen wollte, bis er genug hatte. Nun waren es ihrer zwei! . . . Und der draußen hatte obendrein eine Schußwaffe! . . . Der Aufseher leuchtete jeden Winkel ab, sogar in die Tabakskiste leuchtete er hinein, und diesen ziemlich großen Behälter, der dicht an der Wand stand, abzurücken, daran dachte er nicht. Georg Lüdicke hatte, als der Strahl der Laterne auf sein Gesicht siel, plinkernd die Augen geöffnet und mit krampfhaften Gähnen sich, auf den Arm gestützt, ein wenig hochgerichtet. „äVat is tko matter?" fragte er den Aufseher naiv. — „Schlaf weiter!" brummte der und ging hinaus. Kaum hörte Lüdicke die beiden Männer weitergehn, so war er auch schon an der Tür und lauschte, bis der Tritt der Aufseher unten im Parterre verklang. Dann war er im Nu wieder bei der Kiste und mit einer Behendigkeit, die man seiner Natur nicht zutraute, durch das Loch in die Nachbarzelle hinein. Als er sich aufrichtete, trat ihm der Lange, ein Mensch, der wegen Raubes zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt war, drohend entgegen. „Mach man, daß du wieder rüberkommst, du! . . . Ich hab' mir das überlegt, ich laß mich nicht vermasseln!" „Wieso denn? . . . Was fällt dir denn ein?!" — „Na, was du mir da vorhin gesagt, das stimmt nicht! Und wenn erst eins nicht stimmt, dann ist das andere auch Falle!" sagte der Lange. „Ich wer' gleich nach dem Auf seher klingeln!" „Was stimmt denn nicht? . . . Und warum willst du klingeln?" ... — „Du hast gesagt, ihr habt das Ding in der Bank erst vor'n paar Tagen verübt ... Na, wenn das wahr ist, wie kommst du denn jetzt schon hierher ins „Z."? ... So schnell geht doch das nicht! . . . Ohne Verhandlung und ohne alles!" „Aber Menschenskind, ich hab' dir doch gesagt, daß die Hamburger mir noch zwei Jahr Verpflegung auf Staatskosten von früher her schuldig sind! ... Na, die haben eben sofort gezahlt, das ist doch furchtbar einfach! Der „ehrsame Kaufmann" läßt sich nichts schenken!" „Ach so . . ." „Na ja, nu bist du doch hoffentlich zufrieden! . . Und mach! mach! die Zeit vergeht! Wir könnten schon draußen sein . . . hast du das Bettlaken zerrissen?" „Ja, bei nahe. . . ." „Also schön, da ist meins auch noch! Ich könnt' es bis jetzt noch nicht klein machen, weil die verdammten Schnüffler erst noch bei mir drin waren . . . halten wird's doch?" Sie zerrissen die Bettlaken in handbreite Streifen und knüpften diese fest aneinander. Dann, ohne auch nur einen Moment zu zögern, quetschte sich der Dicke durch das Gitterloch und vertraute sich diesem so leicht zerreißbaren Seil an, das oben mehrfach um einen der noch festen Gitterstäbe geschlungen war. „Links muß ein Blitzableiter sein", flüsterte sein Ge fährte noch, während Lüdicke sich schon hinablieb, „halt dich dran fest! ... und wenn du unten bist, pfeifst du!" Zoll für Zoll, ohne sich auch nur einen Moment zu beeilen, glitt der Bankräuber hinunter. Auf dem Fenster vorsprung der ersten Etage faßte er einen Moment Posto, weil ihm der Atem kurz wurde. Aber gleich ging's weiter. Jetzt war er im Parterre, da schien es ihm, als ob der Strick risse. . . . Und er machte sich bereits fettig zum Sprung, aber die derbe Hausmacherleinewand hielt... co «LV Endlich war er unten. Gerade kam der Posten um die Ecke. Und der Mann, der doch vielleicht einen Laut gehört haben mochte, lief mit einem Male. Georg Lüdicke stand, wie ein Raubtier zum Sprunge geduckt. Aber der Mann ging nach drüben, und als er sich überzeugt hatte, daß dort nichts Verdächtiges zu bemerken war, setzte er ruhig seine Ronde fort. Jetzt war er um die Ecke. Das „Opossum" pfiff leise. Und an den schlingernden Bewegungen des Leinenseiles, das er festhielt, um dem andern den Abstieg zu erleichtern, merkte er, daß sein Ge fährte auch herunterkam. Die Zeit, bis sich der herabließ, deuchte ihm un endlich! ... Er atmete auf. Da war er, wie ein schwarzer Sack schwebte es durch das Düstere der Sturm nacht. (Fortsetzung folgt.) Macklen. Skizze von Lenelotte Winfeld. (Nachdruck verboten) Noch hing der dunkelgetönte, graue Schimmer un beweglich wie ein schwerer Vorhang am Fenster. Das Licht wollte nicht zunehmen, die Nacht nicht weichen. Edda lauschte auf das Hämmern ihres Blutes in Herz und Schläfen, desses Rhythmus gegen das gelassene Schreiten der Zeit anstürmte. Sie lauschte auf das feine, ironische Ticken der Uhr, das so wissend klang. „Du mußt nicht fiebern und rasen", sagte das silberne Ticken. „Nicht wartend nach dem Fenster starren, ob denn das Licht noch nicht zunehme. Es wächst zur rechten Zeit es wächst über Finsternis und Grau hinaus." Edda hörte die tiefen Atemzüge ihres Mannes, die durch die halbgeöffnete Tür drangen. Er konnte schlafen! Ihn plagten nicht Reue und Scham. — Edda sah sich wieder in der Stellung der Horcherin an der Tür des Arbeitszimmers, durchlebte die quallvollen Minuten noch einmal. Wie sie am Schlüsselloch mit Äug' und Ohr das Tutt der beiden drinnen verfolgte, immer in Furcht, von den Dienstboten in der unwürdigen Lage ertappt zu werden! Wie sie dann auf dem Gange zu sammengebrochen und erst auf ihrem Bette wieder er wacht war! Ahnte Gerd, daß sie alles wußte? — Sein Ton war zärtlich und besorgt, als er spät an ihr Lager trat. Sie hatte ihn mit großen Augen angesehen, in ungeheurem Staunen über seine — Wandlungsfähigkeit. Dies Staunen verdrängte anfangs Zorn und Schmerz. In den stillen Stunden der Nacht kam die Verzweiflung. Gerd liebte die andere mit dem kindlichen Gesicht, der rührenden Gestalt- Rasend« Eifersucht war in Edda. Sie sah wieder und wieder, wie Gerd das fremde, junge Weib küßte, wie er die kleine Gestalt in seine Arme nahm. Wieder und wieder hörte sie die kosenden Worte der beiden. Ein Rest von Besinnung hatte Edda nicht weiter schauen und lauschen lassen, aber ihre Phantasie ergänzte das Bruchstück des Erlauschten. In EddaS wunder Seele tobte wütende Eifersucht. Ihr Gerd, ihr guter Kamerad, ihr Gatte, ihr Kind — ge hörte einer anderen. Schwarz kroch der Haß gegen diese andere durch Eddas Seele. Könnte sie doch noch einmal an der Tür lauschen, könnte sie eindringen und die Elende ermorden! — Da meldete sich mitten im Schnauben der Leidenschaft fein und bedächtig die Scham. „Spielst du nicht eine sehr erbärmliche Rolle in dieser Sache? — Könntest du es noch einmal tun? — Es jemals gestehen, daß du gehorcht hast? —" Der Haß verkroch sich, Edda brach in Tränen aus. Wie eine Erlösung kam es über sie, daß sie endlich, endlich weinen konnte. Sie drückte den Kopf in die Kissen, um ihr Schluchzen zu ersticken, und dachte nichts weiter, als daß sie sehr, sehr unglücklich sei. Dann wurde es still in ihrer Seele, still wie im Grabe. Haß und Zorn und Schmerz — alles tot. Da — was war das? — Vom Fenster her stahl sich ein lichter Streif in das schwere, dunkle Grau. Diese Nacht würde also noch einmal zu Ende gehen — der neue Tag kommen? Edda kehrte das müde Gesicht ganz dem Fenster zu. stützte den Kopf in die Hand und wartete. Wartete auf das Wachsen des Lichts. Edda atmete tief auf. Sie erlebte dies Erwachen des Tages in einer seltsamen Stimmung mit. Hatte sie nicht selbst in lächelnden Disputen mit Gerd die polygame Veranlagung der Männer als Regel auf gestellt? — Nicht immer ihre eigene Toleranz gerühmt und freie Kameradschaft zwischen sich und Gerd proklamiert? Jetzt, wo die Probe auf das Exempel zu machen war, verflüchtigte sich ihre Toleranz schmählich? — Was wußte sie als Weib von den Vorgängen in einer Mannesseele! — Mochte er im Aufwallen Ler Stunde auch anderen Frauen hold sein — ihr, seinem Weibs, gehörte doch seine Liebe. Dessen war sie sicher. Gerd log nie. — Edda erschrak Beinahe hätte sie sich Gerds kostbare Licke verscherzt Denn könnte er sie noch lieben, wenn Lie häßliche Eifer sucht Herrschaft über sie behalten? Edda stand fettig angekleidet im Reiseanzug am Tische. Sie war sehr bleich, aber in ihren Augen lag heiterer Sieg. So fand sie Gerd. Er überflog mit einem Blick ihre Erscheinung, sah den gepackten Koffer neben ihr und blieb bestürzt stehen. Sie wollte fort — warum? „Edda —!" Es klang betrübt und erstaunt. „Jetzt bereut er", dachte Edda. Sie ging rasch zu ihm und nahm herzlich seine Hand. „Es ist nur eine Strafe, ldie ich mir selbst auferlege. Liebster, eine kurze Verbannung. Wenn wir uns in einigen Wochen wiedersehen, haben die Dinge ein neues und klares Gesicht. Wir hatten Zeit, uns selbst zu finden." Er blickte immer erstaunter jdrein. „Wofür willst du dich strafen, Edda?" „Du weißt recht gut, was zwischen uns geklärt werden muß", sagte Edda erzwungen ruhig. -Du sprichst in Rätseln, Kind." Von Seelengröße war bei Edda nichts zu bemerken, als sie jetzt aufsprang. „Das ist zu stark! — Du willst doch nicht leugnen, daß Lu gestern abend ein Stelldichein in deinem Zimmer hattest!" - In Gerds Gesicht kämpfte Arger gegen Rührung und Heiterkeit. „Du hast gehorcht, Edda? sagte er, jedes Wort unter streichend. Sie senkte scheu die Augen. Wo war die erhabene Morgenstimmung ihrer Seele geblieben? — War sie wieder ein Spielball kleinlicher Eifersucht? — Sie gab sich einen Ruck. „Ich mache dir durchaus keinen Vorwurf, Gerd", sagte sie dozierend und krampfhaft nach dem Fenster sehend. „Es liegt in der Natur der Sache, daß du nicht mir allein in Liebe angehören kannst. Ich gebe dir Freiheit —." „Bist du fertig?" — Er nahm ihr den Hut ab und fing schweigend an, ihren Mantel aufzuknöpfen. „Ich gehe doch", sagte sie trotzig. „Ist das deine Objektivität, deine Seelengröße?" fragte er ironisch. Da barg sie den Kopf in der Sofaecke und weinte. Gerd zog sie an sich. „Dein unseliges Horchen an der Tür bringt dir viel Leiden, Edda. Du hast dir ein falsches Phantasirgebäude konstruiert. Ich hätte dir gestern abend noch die Wahrheit gesagt, aber ich schwieg mit Rücksicht auf deinen leidenden Zustand. Ich ahnte ja die Ursache deines Leidens nicht. Höre also: die vermeintliche Buhlerin in meinem Zimmer war meine Tochter, die ich dir heute auch als die deine zuführen wollte. Ich habe dir oft von dem Mädchen erzählt — konntest du beim Anblick ihrer kindlichen Gestatt nur an „Treubruch" denken? — . - , Das Kind soll in der reinen Luft meines HauseS wachsen. Ich habe sie mit vieler Mühe aus den Händen einer selbstsüchtigen Mutter befreit." Edda schlang die Arme um seinen Hals. „Das Kind soll wachsen — ich verspreche es dir. Unk ich mit ihr. Denn wie klein ich bin, das hat mich der gestrige Abend gelehrt." Gerd küßte ihr lachend die Tränen aus den Augen