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will Im KIltl. auch ohne daß sie es will, eine Kluft zwischen ihr und Euch entstehen, die Euch oft peinlich berühren wird. Aber vergiß niemals, mein Kind, daß das Glück nicht in äußern Dingen besteht, sondern in einem heitern, friedlichen Gleichgewicht der Seele, und diesen köstlichen innern Zustand kannst Du so gut erlangen wie Els, wenn auch vielleicht auf andern Wegen." Lange sann Gertrud Uber diese Worte nach. Die Mutter sprach nicht oft von dem, was ihr Herz bewegte, aber wenn sie es tat, war es ihrer ältesten Tochter jedesmal, als habe sie ein unvergängliches Erbteil erhalten. Gegen Mitternacht kam Els nach Haus. Gertrud hatte den Weihnachtsbaum noch einmal angezündet und spielte mit der Schwe ster Halma, um diese,.— die müde und mür risch vom Dienst heimgekommen war, — auf harmlose Weise zu erheitern, während die Mutter mit einer Handarbeit im Sorgen stuhl saß und an ihr drittes — ihr glückliches Kind dachte. Da tat die Tür sich auf, und Els trat in das stille Zimmer. Ihre Augen strahlten, ihre Wangen glüh ten, und ihr hübscher kleiner Mund glich einer purpurnen Rosenknospe. Weiß und weich ho ben sich ihre zarten Schultern aus der schim mernden Seide, — ja wie ein Strahl aus einer andern Welt, — der Welt der Freude, des Glanzes, des berauschenden Genusses — erschien sie den Ihren . . . Das Glückskind! Das Sonnenkind! Und nun breitete sie ihre Arme aus und flog in Hellem Jubel an den Hals der alten Frau. „O Mutter! Mutter! Ist es denn mög lich, daß die Welt so schön ist? Ich weiß ja erst heut, was „Leben" heißt: Er liebt mich! Er liebt mich!" „Wer?" fragte die Mutter leise, während die Schwestern hoch aufhorchten. „Kurt von Diest. . ." Eine kurze Pause entstand. Dann seufzte die alte Frau tief auf. „Kind! Kind! Das tut nicht gut!" Ein glockenhelles Lachen antwortete ihr. „Und ob es gut tut ... ach! Er ist ja der schönste und beste, der herrlichste Mensch auf Gottes Zweiter Welt. Ihm macht's nichts aus, daß ich ein so armes Ding bin, — gar nichts —! Und morgen will er kommen und Dich fragen, ob Du mich ihm zur Frau geben willst . . ." „Wissen denn seine Eltern davon?" Die reizenden Züge des Mädchens wur den etwas ernster. „Bis jetzt noch nicht. Ich habe Kurt auf dem Eise kennen gelernt, wo seine Schwester ihn mir vorstellte. Er und ich, — wir hatten schon oft gegenseitig unsre Künste bewun dert, — das Schlittschuhlaufen ist ja das einzige Vergnügen, das ich mir gönne, — und von dem ersten Tag unsrer nähern Be kanntschaft an waren wir unzertrennlich von einander. Er hat mich fast täglich auf meinen Wegen durch die Stadt begleitet, hat mit sei nen treuen Augen mein Herz ganz und gar bezwungen, und Gott allein weiß, wie innig ich ihm von jeher vertraute. Er wird noch heut mit seinen Eltern reden, die seinen Plä nen kaum etwas in den Weg legen werden. Als Erbe eines reichen Verwandten hat er eine große Fabrik übernommen und ist ganz selb ständig und unabhängig. Um unsre Zukunft hin ich nicht bange. Ach, und wär' er auch Nicht der reiche Mann, der er ist, — wär's eine Hütte, die ich mit ihm teilen müßte, — mir sollt' es ebenso recht sein. Was liegt da ran?" „Das läßt sich leicht sagen," murrte Mar tha, welche seit Jahr und Tag als Braut eines jungen Bahnbeamten sehnsüchtig auf den Zeitpunkt wartete, wo es ihrem Verlobten durch eine Gehaltszulage möglich sein würde, einen bescheidenen Hausstand zu gründen, — „sehr leicht läßt sich das sagen als künftige Frau Fabrikbesitzer, als Frau von uud zu .." „Aber Martha!" rief Gertrud empört und schloß ihre jüngste Schwester zärtlich in die Arme. „Vergiß, liebe Els, was sie sagte! Da Du doch nun einmal die Glückliche von uns dreien bist, wünsche ich nichts inniger, als daß Dein guter Stern Dir treu bleiben möchte, — immer und immer! Hier, Mutter! Um arme Dein Sonntagskind!" Vier Jahre sind vergangen. Els und Martha sind längst verheiratet, die Mutter ruht draußen auf dem Friedhof unter Efeu und Rosen von ihrer harten Le bensarbeit aus, und Gertrud hat ihre Stel lung aufgegeben, um sich in einer kleinen süd deutschen Stadt ein eignes Heim zu gründen und die Leitung eines Kindergartens zu über nehmen. Sie ist jung und frisch geworden in dieser Tätigkeit, die ihrer Eigenart ganz entspricht, und nur ein wunder Punkt ist in ihrem In nern. Die Nachmittage und Abende sind so lang und einsam für sie, und unerbittlich schleicht dann immer wieder der Gedanke an sie heran: „Warum stehe ich so abseits von dem Pfad, der zu Wonne und Liebe führt? Wa rum hat sie alles, alles, unsre Jüngste, und ich muß von weitem zuschaun und bleibe so mutterseelenallein?" Es wäre ihr nie eingefallen, diese Klage auszusprechen, und sie fühlte sich stets pein lich berührt, wenn ihre Schwester Martha in unzufriedenen Briefen Vergleiche zwischen sich und der bevorzugten Schwester anstellte, aber sie hatte manchen harten Kampf mit sich selbst zu bestehen, und es kostete ihr eine schwere Ueberwindung, endlich den wiederholten Ein ladungen Elsbeths nachzugeben und die Reise nach der Reichshauptstadt, — der alten Hei mat, — anzutreten. Sie fürchtete sich, den häßlichen Regungen des Neides, der Bitterkeit zu verfallen. Ja, Els schien glücklich. Ein schönes stattliches Haus mitten im Garten, — ein prächtiger Junge, des Vaters Ebenbild, — Geselligkeit, herrliche Reisen, — ein liebenswürdiger, freigebiger Gatte, — das war's, was ihr das Schicksal ungebeten be scherte, — nichts, nichts schien ihr versagt zu sein. Sonderbar war's nur, daß sie sich äußer lich so sehr zu ihren Ungunsten verändert hatte. Als Mädchen war sie trotz ihrer Zart heit voll lieblicher Frische, voll gesunden Froh sinns gewesen. Jetzt war sie beängstigend fchmal und blaß, und ihr Lachen hatte etwas Gekünsteltes. Hatte sie das Uebermaß des Glückes so stumpf und gleichgültig gemacht gegen alles Gute, das sie genoß, oder zehrte ein heim licher Kummer an ihr? Fast widerstrebend nahm sie die Aufmerk samkeiten ihres Gatten hin, mit zerstreuter Miene erwiderte sie die Liebkosungen ihres Knaben und lebte nur auf, wenn sie mit ihrer Schwester an die gemeinsamen kleinen Freuden uud Leiden ihrer Mädchenzeit sich er innerte, Von trüben Ahnungen gequält, reiste Ger trud nach einigen Wochen wieder ab. Ein Scheinglück war's, um welche» sie Elsbeth im stillen so oft beneidet hatte. Das empfand sie jetzt mit größter Deutlichkeit. Welches aber mochte der giftige Wurm sein, der an dieser so strahlenden Blüte tod bringend nagte? — — — — Ein Jahr darauf wurde ihr plötzlich diese Frage beantwortet. Die trippelnden Kinderfllßchen, welche tagaus, tagein ihr Haus belebten, hatten sich entfernt, allein saß sie an ihrem Blumen fenster. Da wurde heftig an ihrer Klingel gerissen, und wenige Augenblicke später hing Elsbeth schluchzend an ihrem Halse, während der kleine Otto, vor Müdigkeit und Furcht mit seiner Mutter weinend, die Knie der Tante um klammerte. „Um Gotteswillen, Elsbeth! Was ist ge schehen?" „Nimm mich auf!" flehte die unglückliche junge Frau. „Ich habe sonst keine Heimat mehr. Zwischen meinem Mann und mir ist es aus, seit Jahr und Tag schon. Er liebt eine andre, eine schöne, leidenschaftliche Frau, die Witwe eines Freundes, die viel bei uns verkehrte. Ach, das hab' ich mit ansehn und ertragen müssen, — so lange, lange, — bis er mich selbst um seine Freiheit bat, halb sinn los vor Sehnsucht nach der andern. Ich war zu stolz, um nein zu sagen, und komme nun zu Dir, um hier zu sterben. Zu bitter war die Neige des süßen Trankes, den das Leben mir bot. Von all meinem Glück bleibt mir nichts als die Verzweiflung, — der Ekel vor einer Welt, in welcher keine Treue wohnt." „Und Dein Kind?" fragte Gertrud er schüttert. Ein irrer Blick brach aus den einst so schönen Augen ihrer Schwester. „Es ist sein Sohn, sein Ebenbild! Was kann ich von ihm hoffen?" Nach wenigen Monaten erlag sie einem schleichenden Lungenleiden, verzehrt von Bit terkeit und Gram. Ihr Gatte führte, sobald die Sitte es ihm gestattete, die andre heim, und willfahrte dem Gesuch seiner Schwä gerin, welche die Erziehung seines mutterlosen Sohnes bis zu dessen Großjährigkeit zu über nehmen wünschte. Eine innige Liebe verband diese bald mit ihrem Neffen, und je mehr der Knabe heran reifte, umsomehr schien er die Hoffnungen zu berechtigen, welche Gertrud von Anfang an in ihn gefetzt hatte. Ach, möchte doch das Schicksal seiner Mutter ihm zu einer eindringlichen Predigt werden! „Nicht in den Wendungen unsres Lebens besteht unser Glück oder Unglück," pflegte sie dem Heranwachsenden Jüngling zu sagen, sondern einzig und allein in der Art, wie wir sie ertragen. Bitte Gott nicht um Reichtum, Ehre oder Liebe, sondern um ein starkes Herz, das der Pflicht sich weiht. Alles andre ist ein vergänglicher Rausch, ein gleißender Trug, der die Seele leer läßt . . ." „Auch die Liebe?" fragte ihr Neffe zwei felnd. „Denk an uns beide! Was wäre ich ohne Dich und Du ohne mich? Es muß ein echtes Glück auch in der Liebe geben." „Ja, in der Liebe, die nicht das ihre sucht," erwiderte das alternde Mädchen, „in der opferwilligen Liebe, welche die schönste Tochter der Pflicht ilt. Aber, — mein guter Kurt, — Du bist noch zu jung, um dies ganz zu begreifen."