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Zweites Blatt. WM« L WKW Erscheint wöchentlich dreimal u. zwar Diens tags, Donnerstag und Sonnabends. Bezugspreis viertelj. s Mk. 30 Pf., durch die Post bezogen s Mk.55pf. Einzelne Nummern f0 Pf. > ThmM. N»D. Sirbknlkhn md die NmMnden. Imtsblatt Inserate werden Montags, Mittwochs und Freitags bis spätestens Mittags (2 Uhr angenommen. Insertionsprsis ( 0 Pf. pro dreige spaltene Lorpuszeile. für die Rgl. Amtshauptmannschaft Meißen, für das Rgl. Amtsgericht und den Stadtrach zu Wilsdruff, sowie für das Rgl. Lorstrentamt zu Tharandt. Druck und Verlag von Martin Berger in Firma H A. Berger in Wilsdruff. — Verantwortlich für die Redaktion H. A. Berger daselbst. No. 36. Sonnabend, Sea 23. März 188S. Wetten und Wagen. Original-Roman von E. von Linden. Ucbersetzungsrecht Vorbehalten. (Nachdruck verb oten.) (Fortsetzung.) „Räuber- und Mörderbande!" knirschte er, ich halte Euch in meiner Hand, Auge um Auge, Zahn um Zahn!" Er nahm das kleine Geschoß aus der Westentasche, betrachtete es von allen Seiten und streichelte es fast liebevoll. Gewiß, er war der kleinen gefährlichen Kugel großen Dank schuldig, weshalb er sie auch sorgfältig einpackte und in seinen Schreibtisch ver schloß. Zunächst wechselte er nun seinen Anzug und begab sich zu dem Notar Spehr, der ihn sofort eintreten ließ. „Nun, lieber Meinhardt, was bringen Sie? Darf wohl annehmen, daß Sie mir keinen Anstandsbesuch machen wollen." „Nein, Herr Notar, dazu ist auch meine Zeit mir zu kostbar," erwiderte der Detektiv, lächelnd Platz nehmend. „Ich hätte sehr viel Neues und Interessantes auszupacken, wenn ich es nicht einstweilen noch als mein Gcheimniß bewahren müßte. Es ist kein Mißtrauens-Votum für Sie, Herr Notar!" setzte er rasch hinzu, „betrifft aber ein fremdes Geheimniß." „So, so, na, was haben Sie denn für mich? Schon eine Spur von den geraubten Papieren?" „Ja, auch das, Herr Notar! Darf ich Sie um die Be antwortung einiger Fragen bitten?" „Warum nicht? Wenn ich's kann und darf, sollen Sie Antwort haben." Ec blickte den Detektiv unter seinen buschigen Augen brauen forschend an, der Mann hatte Wichtiges entdeckt, das stand fest, er kannte ihn zu gut. „Existirt noch irgend eine testamentlichc Bestimmung hin sichtlich des gräflich Runeck'schen Erbes?' fragte Meinhardt langsam. Der Notar riß die Augen mit einer entsetzenerregenden Grimasse auf. Dann nickte er kurz. „Hat die Kenntniß Werth für Sie, Meinhardt?" „Großen Werth, Herr Notar! Ich habe Grund zu der Annahme, daß die Papiere mit diesem Testament in Beziehung stehen." „Das weiß ich nicht ganz bestimmt, glaubte es aber." „Dann war es ein Fehler, mich nicht sogleich mit diesem Umstande bekannt zu machen," bemerkte der Detektiv achsel zuckend. - ich will -F zugeben, ist der Fehler nicht mehr zu korrigiren?" „O doch, Herr Notar, wenn man mir aber Vertrauen schenken will, darf ich in den Hauptpunkten nicht im Dunklen tappen. Das Testament liegt beim Gericht?" „Nein, bei mir, ich habe cs aufgesetzt und bin bei der Unterzeichnung gegenwärtig gewesen. Ais beeidigter Notar habe ich die Rechtsbefugnih dazu, aber doch die Vorsicht gebraucht, mir seiner Zeit die Befugnitz gerichtlich beglaubigen zu lassen." „Am 31. Mai ist die Eröffnung des Testaments?" fragte Meinhardt weiter. „Ja, auf Schloß Runeck, wer hat Ihnen das mitge- theilt? Vielleicht Baron Horst?" „Er selber." „Hm, vom Testament kann er doch im Grunde nichts erfahren haben," sagte der Notar nachdenklich. „Vielleicht vom Freiherrn von Lasperg, ich erinnere mich, daß dieser mir er zählte, ihn unterwegs getroffen und mit ihm von dem 31. Mai gesprochen zu haben. Er wird die Geheimhaltung der testa- mentlichcn Angelegenheit nicht mehr für so nöthig gehalten haben." „Unb doch wäre es besser gewesen." Spehr schaute den Detektiv wieder scharf und prüfend an. „Können Sie mir nicht mittheilen, weshalb?" „Man sucht darnach, um es verschwinden zu lassen, nun, da ich das Dokument bei Ihnen weiß, Herr Notar, bin ich ruhig, vorausgesetzt, daß Sie cs sicher genug verwahrt haben." „Es liegt in diesem Schreibtisch, mein Bester! Wer das Geheimfach wirklich fände, was ich bezweifle, der würde den Mechanismus desselben doch nie errathen und schon die Lust verlieren, das Papier zu stehlen." „Das ist Alles sehr gut, Herr Notar," erwiderte Mein hardt, „und ich glaube auch nicht einmal, daß die Spitzbuben es bei Ihnen vermuthen, da sie es bei dem Freiherr» v. Las sem soll." Erbe doch „Na, habe ich mich also auch verplappert," brummte Spehr, „ist mir noch nicht weiter passtrt in meinem Leben. Daran sind Eie schuld mit Ihrer Folterung." „Doch meinetwegen, die ganze Geschichte will ich Ihnen später erzählen, fühle mich jetzt wirklich etwas angegriffen. Also, es ist so, der einzige Sohn und Erbe des Grafen Runeck wurde als Säugling für gestorben erklärt und dann lebend über's Weltmeer gebracht. Diesen Sohn erwarteten wir als Lothario Runigo, und nun kommt einer Namens Frederik Lawrence, der die beweisführenden Papiere hat, dritter Klaffe reist und der „Wer hat Ihnen das gesagt, Herr Notar?" „Der Freund des Beraubten, Sennor Torrendo." „Sie haben sich den Verwundeten noch nicht angesehen?" „Wie konnte ich denn das, mein Lieber, sehen Sie mich gefälligst an. Sie meinen wohl, ob ich eine Runeck'sche Aehnlichkeit entdecken könnte. Hm, die habe ich bereits anders ¬ wo entdeckt." „Vielleicht bei dem Sennor Torrendo —" „Sie sind ein schrecklicher Mensch," rief Spehr, ihm eine fürchterliche Grimasse machend, „so eine Art Gedankenleser." — „Ach nein, Herr Notar! Ich folgere nur, und das ist heute bei Ihnen nicht schwer. Derjenige, welcher ein Runeck'sches Gesicht hat, muß der Erbe sein. Am Ende ist der Sennor so reich, daß er seinem Freunde die Erbschaft zuwenden möchte." „Dann wären beide Betrüger und nicht werth, nur einen Pfennig davon zu erhalten. Nein, das ist nicht denkbar, mein Lieber, danach sieht mir dieser Sennor aus Cuba gar nicht aus, sagen Sie mir offen Ihre Meinung darüber." „Hm, für einen niedrigen Betrüger möchte ich ihn selber nicht halten, Herr Notar!" erwiderte Meinhardt, „obgleich mir die Sache recht sonderbar scheint. Ich sehe keinen Grund, weshalb er einen solchen Betrug in Szene gesetzt haben sollte." Spehr dachte einen Augenblick nach. „Vielleicht läßt er am 31. die Maske fallen," meinte er dann, „er hat Zeit ge winnen und sich hier erst über die etwas romantische Geschichte orientiren wollen." „Dann hätte er die Papiere selber behalten und den Ver wundeten nicht als den Erben bezeichnen sollen." „Auch richtig, doch muß er diese Papiere wieder haben und deshalb das Inkognito lüften," rief der Notar triumphirend. „Gut, danach wäre des Räthsels Lösung nicht schwer. Der Verwundete ist noch immer, wie ich höre, unzurechnungs fähig, und deshalb bis zum 31. Mai auch jedenfalls noch un gefährlich. Es käme also jetzt nur auf die rascheste Herbeiführung der Papiere an." „So ist es, lieber Meinhardt!" nickte der Notar, „übrigens MW^^daß wir beide unsaMiMMMWWWWWMMß glauo^WW^-ELN im vertrauen ouriren, va ich auch tappe. Also, was meinen Sie, Eeheimniß gegen Geyeimniß!" Der Detektiv blickte einen Augenblick vor sich hin. Er hatte einen Mann in der Hand, den er als seinen Todfeind erkannt, der ihm nicht blos sein Glück, sondern auch sein Leben rauben wollte, gab sehr er auch dem Notar in jeder Hinsicht trauen durfte, doch nicht sicher, ob dieser nicht, von der Rück sicht auf seinen Freund geleitet, den Verbrecher ihm entziehen werde. Noch war ihm der Vogel nicht sicher, doch sah er ihn bereits im Neste, wenn er nicht vorher gewarnt wurde. Der Notar ahnte nicht, welche Gedanken den jungen Mann durch wogten und daß diese ebenso sein Herz wie sein Gehirn be schäftigten. Ein Detektiv und eine Herzens-Angelegenheit. Spehr hätte eine solche Idee ins TollhauS verwiesen. Und doch war dem wirklich so, Rudolf Meinhardt liebte ein junges schönes Mädchen, dessen Besitz ihm allerdings noch unerreichbar erschien, denn es war keine Geringere als Toni Steiner, aber er besaß die Gewißheit ihrer Gegenliebe und fühlte damit die Kraft in sich, nöthigenfalls für sie das Unmöglichste zu voll bringen. Die beiden jungen Leute hatten das Geheimniß ihrer Liebe bislang vor fremden Blicken ängstlich zu bewahren gewußt und nur Jeanette Neuburg, die Tochter des Hof-OpernsängerS, zu ihrer Vertrauten erwählt, auf deren Verschwiegenheit sie Fel sen bauen könnte, wie Toni meinte. Die Augen und Eifer sucht sehen aber bekanntlich doppelt. Bernhard Stelling, den Frau Steiner als Schwiegersohn ganz besonders protegirt, hatte die Kleine, welche zwei Vorzüge in ihrer Eigenschaft als hüb sches Mädchen und als einzige Erbin des sehr wohlhabenden Notars besaß, eine gute Partie erklärt und sie demgemäß zu heirathen beschlossen. Er war klug und erfahren genug, einzu- perg oder bei dem alten Stelling in Schloß Runeck suchen wollen. Aber, fwir Menschen sind sterblich, auch Ihnen, Herr Notar, könnte noch vor der Testaments-Eröffnung etwas zu stoßen, ich setze deshalb voraus, daß Sie die Zeugen mit dem betreffenden Geheimfach bekannt gemacht haben." AN- Spehr sah ihn betroffen an. „Ich danke Ihnen für diese Mahnung an den Tod, lieber Meinhardt!" versetzte er sehr ernst. „Man ist in diesem Punkte, so lange eil leidlich gut geht, in der Regel recht sorglos. Der verstorbene Freiherr o. Lasperg wußte darum und verstand das Fach zu öffnen. Schon heute werde ich einen der anderen Zeugen damit bekannt machen müssen, denn — Sie haben Recht — rasch tritt der Tod den Menschen an, wie ein gewisser Schiller sagt. Es hat sich also, wie es scheint, eine förmliche Räuberbande für dieses löbliche Werk organisirt, an deren Spitze am Ende gar ein Baron steht." „Möglich," nickte Meinhardt lächelnd, „Herr Jakob Stelling, in Runeck thäte auch wohl daran, sich mit doppelten Schlössern und Signal-Schüssen zu versehen, wenn er nicht, wie ich fürchte, den Bock zum Gärtner gesetzt hat." Der Notar starrte Meinhardt wieder mit furchtbar auf- geriffcnen Augen an, in welchen sich jetzt eine große Unruhe spiegelte. „Wenn ich nicht überzeugt wäre, daß Sie sich mit mir keinen Scherz erlauben würden, ss könnte ich mich jetzt beinahe versucht fühlen, daran zu glauben. Sie haben mich unruhig gemacht, mein lieber Meinhardt!" „Das bedauere ich, Herr Notar, muß aber doch vorerst mein Geheimniß bewahren. Für mich hat dieser Tag gut be gonnen, es liegt Wahrheit darin, daß Morgenstunde Gold im Munde hat. Noch eine Frage gestatten Sie mir, Herr Notar! Giebt es noch einen näheren Runeck'schen Erben als den Baron Horst?" , Bah, ich kann auch zugeknöpft sein, mein Herr Detektiv!" U-ber das hübsche Gesicht des jungen Mannes zog's wie Schatten. „Pardon, Sie mögen den Titel nicht, werden auch hoffent lich bald einen anderen bekommen," sagte Spehr gutmüthig. „Ich stehe Ihnen dafür, wenn Sic die Papiere wieder herbei schaffen." „I-, wenn man sie noch nicht vernichtet hat, Herr Notar! Der Räuberbauptmann, für den sie Werth hätten, wäre ein Dummkopf, wenn er sie aufbewahren würde. Ist er ein solcher, dann werde ich mein Möglichstes Lhun. Also es giebt noch einen zweiten Runeck'lichen Erben, dem man die Papiere ge raubt hat, der Fremde, welcher im Tunnel hinausgeschleudert und dabei lebensgefährlich verwundet worden ist." mitgetheilt, Mein hardt?" fragte Spehr nach einer „Nein, Herr Notar, weder er noch irgend einer Fhrer Freunde." „Also weder Dr. Waldenrath noch Herr Stelling?" fragte der Notar in wachsender Erregung. „Weder der Herr Sanitätsrath, noch Herr Stelling senior," erwiderte Meinhardt, das letzte Wort betonend. Das feine Ohr des Notars fing diese Betonung auf. „Lieber Meinhardt," sagte er leise. „Sie spannen mich heute auf eine gefährliche Folter. Nur ich und drei Zeugen können von einen solchen Erben etwas wissen. Der eine davon ist todt, die beiden andern habe ich Ihnen soeben genannt. Einer noch wäre vorhanden, der sich die Kenntniß erschlichen haben könnte, das ist der junge Stelling. Aber ihn für einen Verräther oder nur für einen Schwätzer zu halten, fällt mit schwer." „Der junge Stelling ist mit Baron Horst sehr intim," bemerkte der Detektiv. „Sie wissen das bestimmt?" „Ganz bestimmt, Herr Notar! Es ist nicht meine Art, etwas Unsicheres zu behaupten." „Ich weiß, Sie sind darin zuverlässig," nickte Spehr. „Nun wohl, nach Allem, was wir erfahren haben, ist der im Tunnel beraubte und verwundete junge Mann ein Engländer, Namens Frederik Lawrence, den wir als nächsten Verwandten des verstorbenen Grafen Runeck zum 31. Mai, also zur Testa mentsvollstreckung erwarteten. Allerdings war uns ein anderer Name angegeben worden, der Erbe sollte sich Lothario Runigo — alle Wetter, der Junge hieß Lothar nach seinem Vater und aus Runeck hat man Runigo gemacht." „Wie, es sollte der Sohn des Grafen Runeck sein?" rief Meinhardt, sich überrascht erhebend.