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148 bekümmerten. Deutschland hat seinEisenbahnsystem entworfen ohne Rücksicht auf unS; allerdings hän gen wir gleichsam nur an dem einen Faden der Hamburg-Berliner Eisenbahn mit ihm zusammen; aber hat man je daran gedacht uns für mehr anzuse hen als für einen Anhang? Hat jener einheitliche Gedanke, der daS Deutsche System erzeugte, sein Leben je übcrdieGränzeHamburgs zu erstrecken ver sucht? Hat man uns je für wichtig genug gehal ten uns auch nur in eigene Erwägung zu ziehen bei jenem mächtigeren Bahnsystem? Und dennoch sind zwei Dinge gewiß: zuerst daß die eigentliche Kraft und das höhere Leben uns auch für viese Frage aus Deutschland kommen muß; dann aber, daß in der That die Bahnen unseres Landes wich tig genug für Deutschland überhaupt sind, um ihnen diese Theilnahme die sic verdienen, zu verschaffen. Das ist es nun was wir im folgenden andeuten wollen — in der Ucberzeugung, daß eS eine Thor- heit ist von einem selbständigen Schleswig-Holstei nischen Eisenbahnsystem zu reden, und daß die ganze Entwicklung desselben dennoch auf das Sy stem der Deutschen Eisenbahnen, und den Gedan ken der dieses erzeugt und gestaltet, zurückkommeu muß, so wenig jener auch diesen Theil seines Kör pers beachtet hat. Zunächst berühren wir nur beiläufig den ersten Punkt, die entscheidende Verknüpfung des SchleS- wigischen Volkes mit dem Deutschen Leben, welche die noihwendige Folge jener Eisenbahnverbindung sein muß. WaS sich alles daran anschließt, soll hier nicht erörtert werden; doch die große Wichtig keit jener nördlichsten Arme der Deutschen Bahnen leuchtet auch wohl ohne genaue Beweisführung ein. Greifbarer dagegen ist ein zweiter. Bisher haben die Erzeugnisse derEnglischen Industrie noch immer das entschiedene Uebergewicht über die des Zollvereins gehabt. Ganz abgesehen von anderen Gründen, liegt dies hauptsächlich auch in der viel leichteren Versendung zu Wasser; die Nordsee rückt London und selbst die Westküsten Englands uns näher als die Sächsischen und Preußischen Städte, und Hamburg ist daher bisjetzt eigentlich nur der Stapelplatz Englands gewesen. Daß sich das än dern muß, sowie erst die Eisenbahnen vom Innern Deutschlands aus bis an die nördlichste Gränze reichen, ist klar; und wir hegen deshalb trotz der großen Schwierigkeiten die entschiedene Hoffnung, daß jeder Schritt für die Entwicklung des Bahn- systemS ein Schritt zur Annäherung an den Zoll verein sein wird; doch wird man hier eben nur noch hoffen, nicht rechnen können. Wesentlich unabhän gig davon aber ist die Folge jener Bahnen für den Absatz unserer Landesproducte. Es kann keinen Zweifel leiden, daß die Herzogthümer nicht dazu bestimmt sind Fabriken und Manufacturen zu er ziehen, sondern daß sie sich den Erzeugnissen des Ackerbaues zuwenden müssen, und unter ihnen hauptsächlich der Production der Fettwaaren. Frü her bildete die Kornausfuhr den Hauptartikel, und der Walzen sowie die Gerste derHerzogthümer hat ten ihren sichern Absatz in England. Es kann hier nicht entwickelt werden, welche Gründe dies zum Theil schon umgestaltet haben, zum Theil noch fer ner umgestalten werden. Wir machen nur, was England betrifft, auf die Concurrenz des Nord amerikanischen KornS aufmerksam, zu dem sich in neuester Zeit auch die But >n auS Nordamerika ge sellt hat. Während wir so auf dem Englischen Markt bedrängt werden, öffnet sich durch die Eisen bahnen ein ausgezeichneter Markt im Innern Deutschlands, der bisher durch die Transportko sten zur Achse fast unzugänglich war. Schon hat es Fälle genug gegeben in denen das Pfund But ter in Leipzig theurer bezahlt ward, als eine ent sprechende Qualität in London. Somit kann jene ^Verbindung von großen Folgen werden; der Ein fluß den dies auf den Wohlstand der Landleute und ! Gutsbesitzer haben muß, ist unberechenbar, und die materiellen Interessen Deutschlands werden alle diejenigen auf daS engste mit dem großen Vater land verknüpfen, denen die Einheit deS geistigen Lebens nicht hinreicheu dürfte. Will man aber von einem Eisenbahn sy st ein der Herzogthümerreden, so wird dieses bei richtiger Auffassung seine Grund lage gerade in dem Bedürfniß suchen müssen die LandeSproducte, vorzüglich Butter und Rindvieh, auf die schnellste und wohlfeilste Weise von den Haupterzeugungspunkten nach Hamburg, und von da weiter zu befördern. In der That zeigt ein Blick auf die Karte, daß wenigstens alleprojectirtenZweig- bahnen hiervon ausgchcn. Am wichtigsten aber ist wohl ein dritter Punkt, den wir hier, weil seine Verwirklichung noch im Schooße der Götter ruht, nur entfernt berühren wollen. Es haben sich bei den Betrachtungen der neuern Verhältnisse Deutschlands hauptsächlich zwei Punkte herausgestellt, die immer entschiedener die ganze Aufmerksamkeit der höher Gebildeten in Anspruch nehmen; wir meinen die Auffassung der Eisenbahnlinien als eines Vertheidigungssystems, und die Nothwendigkeit einer Deutschen Kriegs flotte. Beide Punkte lagen bisher gänzlich ausein ander; und so forderte cS die Natur der Sache. Aber gerade hier glauben wir, daß die Eisenbahnen Schleswig-Holsteins von der größten Wichtigkeit sein müssen, und wenn sich das vollzieht, was be gonnen ist, auch sein werden. Ein Verhältniß ist es vor allem daS die Entwicklung einer Deutschen Marine zu lähmen scheint — die Trennung der Ost- und Nordsee. Jeder Schritt daher, der beide einander nähert, muß auch die Deutsche Kriegs flotte ihrer Entstehung näher bringen. Nun be sitzen die Herzogthümer an der Westküste den Ha fen von Glücksstabt, dessen Ausbau diesen Som mer beginnen wird; an der Ostküste die beiden in derThatausgezcichnetcn Häfcn von Kiel und Flens burg; alle drei, vorzüglich die beiden letzteren, sind leicht zu Kriegshäfen zu machen; der Flensburger kann sogar an drei Stellen von den Ufern aus voll ständig geschlossen werden. Möge man sich nun die Entwicklung jenerJdeedenkenwiemanwill,so ist eS wenigstens unmöglich dieseHauptplätze in fremden Händen zu lassen; das aber heißt: sie befestigen. Denkt man sich jetzt diese 3 Plätze durch Eisenbahnen verbunden, so ist es klar, daß diese Eisenbahnen ein hochwichtiges Werkzeug der Vertheidigung dersel ben unter einander, und somit auch der Entwicklung der Seemacht selber sein müssen. Dazu kommt, daß in der Mitte die Festung Rendsburg als Knoten punkt des Schleswig-Holstein'schen Canals und der Glückstadt-Flensburger Eisenbahn liegt, was ein vortreffliches Arsenal abgäbe. Wir sind nicht vertraut genug mit der Kriegswissenschaft, um über allgemeine Anschauungen hinausgehcn zu können. Allein das muß auch dem Laien elnleuchten ohne Mühe: zuerst, daß es gänzlich unmöglich ist, daß ! c wir auf die Dauer einer Marine entbehren können s — ist nicht schon jetzt die Deutsche Handelsmarine l stärker als die Französische, die Schleswig-Holstei- ! > nische allein stärker als die Dänische? Und ist es > möglich, daß man einen solchen Besitz schutzlos las- > f sen wird? Dann aber, daß der Hamburger Han- ! j del und der der westlichen Ostsee fester Schutzpunkte ; bedarf, jener gegen Helgoland, dieser gegen Kopen hagen, und daß dazu keine besseren Punkte gefun- j den werden können, als die drei genannten Häfen; endlich, daß ihre Verbindung unter einander gleich sam ihr zweites Leben sein wird. Sollte ein großer Staatsmann die Entwickelung dieser Verhältnisse leiten, er würde beginnen bei der Befestigung jener Plätze und die Eisenbahnen nachfolgen lassen; das Schicksal zeichnet uns zuerst die letzteren hin — werden wir zögern den Wink zu beachten oder zu verstehen? Werden wir fernerhin noch dieses Land und seine Entwicklung nicht in die Berechnungen, Hoffnungen und Forderungen in denen wir leben aufnehmen? Werden wir zaudern anzuerkcnnen, daß eS das Auge ist, mit welchem Deutschland in die Zukunft seiner Seemacht, in die Möglichkeit einer Anlegung Deutscher Colonieen, in den künf tigen Ruhm undStolz einer Deutschen Flagge hincinblickt? (Allg. Ztg.) Die Reform des Englischen Eisen bahnwesens. London, 13. April. Es leidet jetzt wohl kaum mehr einen Zweifel, daß die Englische Regierung, die in dem bekannten Pamphlet „über Eiseubahn- Reformen"*)hingeworfeneJdee eineSAnkaufs aller Eisenbahnen und einer Verwaltung derselben nach gleichmäßigen und sehr niedrigen Ansätzen langsam aber sicher verfolgt. So eingewurzelt d. System der Compagnien ist,und so bereitwillig man großartige Unternehmungen der Privatindustrie überläßt, so wird doch die Ucberzeugung immer herrschender,daß der Staat ein solches factischesMonopol deSTraus- ports nicht denPrivaten überlassen darf,und daß es für denStaat ungemein vorteilhaft sei, dieses neue Communicationsmittel soviel als möglich allen Volksklassen zugänglich zu machen, auch wenn da bei kein direkter Vorcheil herauSkommt. Mit einem solchen Plan können vorerst Regierung und Parla ment nicht geradezu auftreten, und es ist merkwür dig, mit welch langsamen aber sichern Schritten sie sich ihrem Ziele nähern. Die stehende Comitc des Unterhauses über das Eisenbahnwesen hat am 30. März ihren dritten Bericht über den Stand des selben geschlossen, und 16 Resolutionen in Betreff neuer Eisenbahnbillö gefaßt. Bericht und Resolu tionen sind gleich interessant, man thut aber wohl, die Resolutionen vor dem Bericht zu lesen, weil der Plan der Regierung in diesen viel klarer zu Tage liegt, als in dem Bericht, wo der wahre Sinn mit *) Erst vor Kurzem ist uns die fragliche Brochure zu Häuden gekommen. Sie bietet auch für Deutschland ein so hohes Interesse, daß wir uns veranlaßt finden dieselbe von der nächsten Nummer ab, vollständig in un sern Spalten aufjunehmen. d. Red.