Volltext Seite (XML)
10 Bis diesen Herbst wurde der Betrieb auf der Harzbahn von Braunschweig bis Vienenburg und; umgekehrt regelmäßig mit Locomotiven und von da auswärts nach Harzburg mittelst Pferden, abwärts aber durch die Wirkung der Schwere auf der stark geneigten Bahn geführt. Ein vierjähriger Betrieb aufderHarzbahn, wäh rend welcher Zeit kein einziges Unglück, welches? Menschenleben gefährdete, sich zutrug, hat gezeigt, daß das Abwärtsfahren aufso stark geneigten Bah nen bei gehöriger Vorsicht ohne Gefahr geschehen kann. — Die Bahnstrecke von Vienenburg bis Harzburg konnte unter den obwaltenden Verhältnissen für den Betrieb mit Pferden sehr wohlfeil gebaut und dieselbe auch nach Amerikanischer Art mit Platt schienen von zwei Zoll Breite und 1 Zoll Dicke, auf fortlaufende Langholzschwellcn genagelt, auSge- führt werden. Es zeigte sich aber baw oaß die durch Pferde kräfte auögeführten Bergfahrten bei der sehr wech selnden Frequenz der Harzbahn, ungenügend, dem ausdehnbaren Betrieb aus derselben hinderlich und selbst bei den obwaltenden Verhältnissen, welche eine hinlängliche Beschäftigung für die verwende ten Pferde gestatteten, dennoch kostspielig waren. Tie Leistlingen der Pferde waren sehr gering. Für jeden vierrädrigen Personenwagen, der höch stens mit 2-1 Personen beseht werden konnte, wa ren zwei Pferde erforderlich, welche die etwas über 1 Meile lange Bergfahrt in höchstens 35 Minuten, als die kürzeste Zeit, nicht ohne große Anstrengung zurücklegten; während die Thalfahrt gegen 13 ja sogar nur 7 Minuten währte. Zum AuswäriS-Tranöport der leeren Stein-und Holzwagen bedurfte man je nach der Größe der Wagen entweder 2 Pferde zu 2 Wagen oder 2 Pferde zu 3 Wagen, welche die Bergfahrt in 1 '/> Stunde zurücklcgten. Mehr konnten die Pferde bei regelmäßiger Dienstleistung, ohne bald dienstun fähig zu werden, nicht leisten. Diese Umstände, und die schon jetzt sich bestätigte Aussicht, daß der Betrieb der Harzbahn beim An schluß an die Hauptbahn, welche von Braunschweig über Oschersleben nach Magdeburg führt, sich be deutend vergrößern wird, gaben Veranlassung die Leistungen der zwischen Vienenburg und Braun schweig gehenden Locomotiven auf der steilen End strecke der Harzbahn zu erproben. Tie hierzu gewählten Locomotiven, eine Ameri kanische von Norris, eine Englische von Forrester in Liverpool und eine auf der hiesigen Bahnhofswerk- stältenach etwas verändertem AmcrikanischenPrin- cipe eonstruirteLocomotive,welche für stark steigende Bahnen construirl waren, zeigten durch die angc- stelllen Probesahrtcn die Möglichkeit, die Bergfahr ten zwischen Vienenburg und Harzburg mit Loco- motiven auszuführen. Obwohl die Resultate mir diesen Maschinen aus der mit Plattschienen cvnstruirten Bahn noch nicht genügend ausfielcn, so hatte man doch die Ucber- zeugung gewonnen, baß bei soliderer Construction der Bahn und mit kräftigeren Maschinen die Berg fahrten mittelst Locomotiven mit großem Vortheile für den Betrieb sich bewerkstelligen lassen würden. Sobald diese Ueberzeugung gewonnen war, er- lheilte die hohe Staatsregicrung den Befehl zum Umbau dermit leichten Schienen construirtenBahn- strecke und zum Ankauf geeigneterLocomoriven, um den Betrieb auf der ganzen Harzbahn mittelst Lo comotiven zu beschaffen. An die Stelle der leichten Schienen kamen soge nannte Vignoles-Nails 68 Psd. Englisch p. Pard schwer, auf eichenen Querschwellen Zoll stark mit Hakennägeln befestigt. Die Querhölzer wurden von Mittel zu Mittel 2 Fuß 8 Zoll Braunschweigisch von einander gelegt. Unter den Schienenstößen liegen schmiedeeiserne, 9 Pfd. Englisch schwere Untcrlagplatten. Der Oberbau von Wolfcnbüttel nach Oschersle ben hat dieselbe Construction, nur liegen die Quer hölzer weiter entfernt. Dagegen der Oberbau von Braunschweig nach Vienenburg ist nur mit 5-1 Psd. Englisch pr. Aarb schweren Vignoles-Nails aus fortlaufenden Lang- holzschwcllcn construirl. Tie Erfahrung hat für stärkere Schienen und Querholzunterlage entschieden, daher bei den neu angelegten Braunschweigschen Bahnen durchweg 68 Pfd. schwere Nails und Querholzuntcrlagcn ge nommen sind. DieWahlder fürdie Bergsahrten geeignctenLocb- motiven war ohneZweifel eine schwierige zu nennen. Nach reiflicher Ueberlegung und nach Kenntniß- nahme der Leistungen der neuen Stephenson schcn Patent-Locomotiven anOrt und Stelle wurden sür denvorlicgendenZweck imMonatMai zweiLocomo- tiven von gleicher Construction bei Robert Stephen son in New-Castle u./T. in Bestellung gegeben. In den Monaten August und September lang ten die bestellten Maschinen in Vienenburg an. Sie bedurften bei ihrer Zusammensetzung nicht der geringsten Nachhülse, sind durchweg schön und solide gearbeitet und ihr Gang war gleich bei den ersten Probefahrten über alle Erwartungen leicht, sanft und sicher, so daß sie sofort dem Betriebe über geben werden konnten. Am 23. October 1843 wurde nun mit der neuen Patent-Locomotive, die den Namen „Crodo" er halten hatte, eine Probefahrt von Braunschweig nach Harzburg vorgenommen, um die Leistungen dieser Maschine zu erproben. Die Locomotive Crodo hatgekurbelte Treibachsen mit inseitigen Lagern und innen liegenden Cylin- dern von 15 Zoll Durchmesser; einen Kolbenhub von 24 Zoll; 3 Paar 4 Fuß 9 Zoll Durchmesser haltende gekuppelte Räder; variable Erpansion, einen Zugregulator; einen 12 Fuß 3 Zoll langen Kessel mit 135 Stück 1 Zoll Durchmesser hal tende schmiedeiserne Siederöhren; Handpumpe rc. (Sämmtliche hier angeführte Maße sind Englisch.) Ueberhaupt ist die Construction dieser neuen Pa tent-Locomotive so wesentlich von der alten Con struction verschieden, baß sie kaum alö eine blos veränderte, sondern als eine völlig neu umgestaltete Construction angesehen werden muß, welche durch ihre Einfachheit, Solidität und Zweckmäßigkeit und durch die hieraus entspringenden Vortheilc den Lo- comolivenbau um einen bedeutenden Schritt der Vervollkommnung cntgegengeführl hat. Der der Locomotive Crodo außer ihrem sechsrä- derigen Tender, welcher Wasser und CoakS für 10 Deutsche Meilen faßt, angehängteWagenzug wurde aus 35 Wagen sormirt, worunter sich 2 große sechs- räderige zum Theil besetzte Personenwagen und 3 beladene Güterwagen befanden; die übrigen 30 Wagen waren leere Holz- und Stein-Transport wagen. Der ganze aus diesen 35 Wagen formirtc Zug mit 144 Rädern hatte ein Gewicht, welches hinrei chend genau 175,000 Pfd. Braunschweigisch be trug. Mit diesem Wagenzuge wurde mit einem Dampfdrücke von 55 Pfd. Englisch die 1^ Deut sche Meilen lange Strecke von Braunschweig bis Wolsenbüttel, auf welcher die stärkste Steigung 1:800 beträgt, in 18 Minuten zurückgelegt. Von der Station Wolsenbüttel bis zur Station Schladen, unter gleichem Dampfdrücke wie oben, wurde diese Strecke von 2 hä Meile, auf welcher die stärkste Steigung 1: 200 beträgt, in 26 Minuten durchlaufen. Die nächste Strecke bis Vienenburg, 1 Meile lang mit einer Steigung von 1: 154 und einer Curve von 240 Braunschw. Rüchen Radius wurde in 14 Minuten zurückgelegt. Der Dampfdruck war bis 60 Pfd. gesteigert. Auf der Station Vienenburg wurden, weil die Bahn von da gleich außerhalb des Bahnhofes mit einer Steigung von 1:102 beginnt und bis Harz burg bis zu 1:46 zunimmt, 5 leere Wagen im Ge wichte v. 20,400 Pfd. vom Zuge abgchängt, sodaß also noch 30 Wagen mit 124 Rädern im Gewichte von 154,600 Psd. Braunschw. zu bewegen waren. Tie Entfernung von Vienenburg bis Harzburg beträgt 1hj« Meile und wurde in 21 Minuten zu- rückgelcgt. Der Dampfdruck war bis auf 70 Pfd. Englisch gespannt. Selbst auf der stärksten Steigung von 1:46 ar beitete die Maschine regelmäßig und fand ein Schlei fen der Locomotivräder auf den Schienen durchaus nicht statt. Die ganze Länge der Harzbahn von nahe 6'« Deutsche Meilen war also in 79 Minuten durch laufen. Das Wetterwährcnd der Fahrtwar trocken; doch wurde der Wagenzug durch fortwährend mä ßigen Seitenwind etwas an die Schienen gepreßt. Die Locomotive Crodo consumirte während die ser beschriebenen Fahrt durchschnittlich 130 Pfd. Braunschw. Coaks und 21 Cubikfuß Braunschw. Wasser pr. Meile. . Fürdie gewöhnlichenPersonenzüge aus der Bahn von Braunschweig nach Oschersleben consumirt sie nur 80 Pfd. Braunschw. Coaks und 12 Cubikfuß Braunschw. Wasser pr. Meile, und leichtere Per- soncnzüge bei gutem Wetter haben oft nur 60 Pfd. Coaks nöthig gemacht. Die schwere Last auf der sehr bedeutenden Stei gung und zugleich in den Curven hatte weder auf die Kuppelstangen noch auf irgend einen andern Theil der Maschine nachtheilig gewirkt. Nachdem sich nun gezeigt hatte, daß die Locomo tive Crodo mit der angehängten Last von 30 Wa gen die stärkste Steigung mit angemessener Ge schwindigkeit passirt hatte, so wurde der ganze Wa genzug nach Vienenburg hinabgefördert, die abge lösten 5 Wagen noch angehängt und nun der aus 35 Wagen bestehende Zug mit der Locomotive Crodo von Vienenburg aufwärts gezogen. Diese 35 Wagen vermochte indeß die Maschine nicht mehr über die Stelle mit der Steigung von 1:46 zu fördern, indem man den Dampfdruck nicht über 70 Pfv. Englisch steigern wollte. Sie blieb mitten auf dieser Strecke stehen, jedoch ohne daß ein Schleifen der Räder stattfand. Die Kraft der Ma-