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WchMt für WM Beilage zu Nr. 106. Donnerstag, den 16. September 1913. Aus Stadt und Land. Mitteilungen aus dem Leserkreise für diese Rubrik nehmen wir jederzeit dankbar entgegen. — Der König hat an Generalobersten v. Hausen am 12. September nachstehendes Telegramm gesandt: An dem Tage, an dem Sie vor einem Jahre von Ihrem ver antwortungsvollen Posten als Oberbefehlshaber der 3. Armee leider krankheitshalber zurücktreten mußten, gedenke ich Ihrer, mein lieber Generaloberst von Hausen, in anfrich- tiger Dankbarkeit. Es wird für Sie immer eine erhebende Erinnerung bleiben, an dem unvergleichlichen Vordringen unserer tapferen Truppen durch Belgien und Frankreich an so hoher Stelle verdienstvollen Anteil zu haben. — Im Anschluß an die in Nummer 99 des Wochenblattes gemeldete Auszeichnung, die einem hiesigen Unteroffizier der Landwehr nach der Eroberung Nowogeorgiewsk durch unseren Kaiser zu teil wurde, mag nachstehender Brief folgen. Rußland, den 28. August 1915. Mein heiß- und innigstgeliebtes Muttchen! kk. Nun sind wir endlich einmal auf einige Tage zur Ruhe gekommen, nachdem wir die Festung Nowogeorgiewsk, die größte in Nußland-Polen, eingenommen haben. Ich danke meinem lieben Gott vieltausendmal, daß er mich in diesem schweren Kampfe behütet hat und bitte ihn, mich auch ferner in seinen Schutz nehmen zu wollen, damit ich nach dem bald zu erhoffenden Frieden wieder gesund in mein Heim und in Deine Arme, mein liebes Muttchen, eilen kann. Ueber den Kamps um die Festung kann ich folgendes mitteilen: Sechs Tage und sechs Nächte bin ich in vollem Kampfe gewesen; es hat so manche Granate neben mir eingeschlagen, aber zum Glück mich nicht getroffen. Am 19. August lagen wir im Walde. Ich stand hinter einem dreiteiligen Baume. Einer von diesen wurde von einer Granate getroffen. Die Stücke des gespalteten Baumes flogen 50 Meter nach rechts und links. Ich glaubte sicher in dem Moment, für mich sei es vorüber. Ich stand in einem Sandloche, wurde aber nur verschüttet. Als ich mich herausgearbeitet hatte, be merkte ich, daß ich unversehrt geblieben war. Infolge des starken Artilleriefeuers mußten wir uns im freien Felde nochmals eingraben. Es war ein harter Tag, den ich in meinem Leben nicht wieder vergessen werde. Unsere Kom pagnie war als erste zum Sturm befohlen. Es gelang uns auch, bald in die Forts und in die Zitadelle einzurücken. 2600 Gefangene, 300 Geschütze, vieles unübersehbares Kriegsmaterial, 80 Automobile, gegen 200 Pferde — un gefähr 400 lagen erschossen da — waren unsere Beute. Obwohl die Getreide- und Futterspeicher von den Russen in Brand gesteckt worden waren, .gab es noch große Mengen Nahrungsmittel, die unsere Truppen in Empfang nehmen konnten. Am 20. August kam nun der herrlichste Tag. Nach mittags 3 Uhr besuchte Seine Majestät Kaiser Wilhelm unsere Brigade Pfeil. Nachdem er den Führern und Mannschaften seinen herzlichsten Dank für das tapfere Ver halten und das siegreiche Vorgehen ausgedrückt hatte, ließ er sich von jeder Kompagnie je einen Unteroffizier und einen Mann, die mit zu den Tapferen gehörten, vorstellen, er nannte sie zu Rittern und heftete ihnen das Eiserne Kreuz selbst an. Denke Dir, liebes Muttchen, ich gehörte auch mit zu den ersteren. Du weißt, ich habe nie nach Aus zeichnungen gegeizt, doch um so größer ist meine und gewiß auch Deine Freude. Ich habe vor Freude geweint. Auch dieser Tag wird mir unvergeßlich bleiben. Mit Stolz werde ich das Eiserne Kreuz bis ans Ende meines Lebens tragen, wenn es mir vergönnt sein sollte, wieder glücklich heimzukehren. Herzliche Grüße und Küsse sendet Dir Dein B. ' — Die Kriegsbetstunde beginnt am nächsten Freitag um 8 Uhr. — Die kommandierenden Generale des XII. und XIX. Armeekorps haben eine Bekanntmachung über Be standserhebung von Militärtuchen in Friedensfarben erlassen. — Das Los der Königlich Sächsischen Landes lotterie Nr. 28733 gehört mit zu den ausgesuchten Glücks nummern. Am 7. Ziehungstage der fünften Klaffe der vorigen 166. Landeslotterie fiel am 14. April d. I. das große Los im Betrage von 500000 Mark auf diese Mrmmer. Am zweiten Ziehungstage der vierten Klasse der 167. Landeslotterie fiel wiederum auf dieselbe Nummer ein Hauptgewinn von 30000 Mark. — Sächsische Lehrer im Felde. Nach der „Leip ziger Lehrerzeitung" haben bisher 582 sächsische Lehrer den Heldentod für das Vaterland gefunden. 534 sächsische Lehrer erhielten für tapferes Verhalten das Eiserne Kreuz, 181 wurden mit der Friedrich-August-Medaille ausgezeichnet. — Einlösung der Zinsscheine der Reichskriegs anleihen bei den Postanstalten. Zur Erleichterung der Einlösung der Zinsscheine der Kriegsanleihen sind die Reichs-Postanstalten angewiesen worden, die Zinsscheine der' Reichskriegsanleihen künftig — zunächst versuchsweise — in Zahlung zu nehmen oder gegen bar umzutauschen. Die am 1. Oktober fälligen Zinsscheine der ersten Kriegs anleihe werden bereits vom 21. September ab eingelöst. Hierdurch wird hoffentlich allen denen, die bisher wegen Schwierigkeit der Einlösung der Zinsscheine von der Zeich nung auf die dritte Kriegsanleihe absahen, der Entschluß zum Zeichnen erleichtert werden. Die Zeichnungen auf die dritte Kriegsanleihe werden noch bis zum 22. September, mittags 1 Uhr, bei allen Postanstalten entgegengenommen. — Braunkohlenversand auf der Elve. Im Schiff fahrtsverkehr auf der Elbe wurden aus dem böhmischen Braunkohlenrevier nach Meißen 1914: 11970 Tonnen und 1913: 12098 Tonnen zu 1000 Kilogramm verfrachtet. — Die Kohlenoerfrachtung zu Wasser von Aussig und Boden bach nach Deutschland überhaupt betrug 1914: 1416600 und 1913: 1498780 Tonnen zu 1000 Kilogramm. — Neuestes aus Deutsch-Ostafrika. Die jüngst aus der Kolonie im Leipziger Misstonshause eingelausenen Briefe stammen aus der Zeit bis Mitte April. Sie atmen durchweg getrosten Mut und geben ein getreues Bild zu versichtlichen Hoffens. Mancher Brief, der von Eltern an ihre Kinder in der deutschen Heimat gerichtet ist, wird noch späteren Zeiten ein Zeugnis von der Innigkeit und Zart heit deutschen Familienlebens sein. Unter der Trockenheit der ersten Monate im Jahr hatte das Schutzgebiet ziemlich zu leiden. Besonders lästig war der Staubwind, der mancherlei Augenentzündungen verursachte. Die Fleisch vorräte scheinen genügend zu sein, wenn auch kein Ueber- fluß vorhanden ist. Doch stehen Kolonisten und Missions leute, auch Weiß und Schwarz einander getreulich bei und helfen sich aus mit dem, was sie besitzen. Daß auch weiße Kinder trotz der Schlangengefahr barfuß laufen und die Hausfrauen erfinderisch werden, indem sie z. B. aus Zuckerrohr Sirup als Ersatz für Zucker bereiten, deutet an, an welchen Zufuhrartikeln vor allem Mangel ist. Die Missionsarbeit erleidet wenig Hemmung. Nur die Erziehungsanstalten können wegen der Knappheit an Lebensmitteln nicht weitergeführt werden. Doch werden immer wieder Taufunterrichtskurse eröffnet. Im entlegenen Jramba-Gebiet ist während der Kriegszeit der Eifer zu lernen in besonderer Weise erwacht und füllt die Schulen. Das alles sind Anzeigen, daß der Fortgang der Friedens arbeit in dieser großen Kolonie durch den Krieg bisher nur wenig aufgehalten werden konnte. Sie wecken von neuem den Wunsch, daß dieses Stück Neu-Deutschland auch fernerhin feindlicher Gewalt trotzen könne. — Kesselsdorf. (Bahnhofsbau.) Am Montag ist mit dem Neubau des Bahnhofsgebäudes begonnen worden. Damit geht ein lange gehegter Wunsch der hiesigen Ein wohnerschaft seiner Erfüllung entgegen; denn je länger je mehr erwiesen sich die Bahnhofsräumlichkeiten, zumal bei großem Andrange und bei ungünstiger Witterung als höchst unzureichend. Es wird ein steinernes Gebäude errichtet,, welches ungefähr 120 Meter näher an den Ort heran zu stehen kommt als das jetzige hölzerne Gebäude. Es wird auch Wohnung für einen Beamten enthalten. Die Bau ausführung ist Herrn Baumeister Bertholdt in Wilsdruff übertragen worden. — Der Brückenbau mit Straßenüber führung ain Braunsdorfer Wege geht nun endlich auch seiner Vollendung entgegen. Es steht zu erwarten, daß wenn nicht abermals neue unerwartete Verzögerungen eintreten, der Anfang Mai vorigen Jahres begonnene Bau in einigen Wochen seiner Bestimmung übergeben werden kann und da mit die lebensgefährliche Ueberschreitung der Gleise ein Ende hat. — Grillenvurg. Von einer Pilzsucherin aus Saal hausen wurde auf einem Flecken eine Steinpilzfamilie von 7 Köpfen im Gewicht von zusammen zwölf Pfund ge funden, wovon der Pilzvater 2 Pfund wog. — Zittau, 12. September. Zu einer Butter- und Eierschlacht kam es gestern auf dem hiesigen Buttermarkte. Da die Butterverkäufer bis zu 1,10 Mark für ein Stückchen Butter verlangten, gingen die erbitterten Hausfrauen zu tätlichen Angriffen über, zumal auch die städtische Markt polizei unter Leitung des Stadtrats Eras vergeblich ver sucht hatte, die Verkäufer zu einer geringen Ermäßigung zu bewegen. Eine ganze Reihe von Ständen wurde attackiert, die Körbe umgeworfen und Butter, Eier und Quark als Wurfgeschosse benutzt und auf die Straße ge- Leicdnel die dritte Kriegsanleihe! An der Adria Originalroman von H. A. Revel. 44 l (Nachdruck verboten.) So aber hatte diese Nachricht Mann und Frau voll kommen unerwartet getroffen. Melitta, so wenig Gemüt und Gewissen sie auch kannte, empfand in diesem Fall doch etwas, was sie selbst nicht einzugestehen wagte — etwas Schmerzliches um den Verlust eines Menschen, der sie wirklich geliebt hatte, — allerdings nicht als Lie, wie sie war, sondern bloß als die, als welche sie sich ihm gezeigt hatte. An ihrem heutigen Schmerz, an der Dumpfheit, die sie einhüllte, merkte sie, daß ihr Kolibius keineswegs so gleichgültig gewesen war, als sie ursprünglich geglaubt hatte. Andererseits empfand sie ein sie befreiendes Gefühl oei dem Gedanken: er hat sich erschossen, um nicht reden zu müssen. Er hätte m nach der Entdeckung, daß ihm die Pläne fehlten, sofort die Anzeige gegen sich und gegen sie erstatten können. Aber er hatte geschwiegen und sich selbst gerichtet. Das sah ihm ähnlich! Von ihm hätte sie nie etwas anderes erwartet. Da zuckte plötzlich in ihr der Gedanke auf: „Wie aber, wenn er etwas Schriftliches hinterlassen hätte? Eine grauenhafte, sie erstickende Angst überkam sie, so daß sie in ihrem Impuls — von Schauern geschüttelt — sich an den Hals ihres Gatten warf. Luigino umfaßte sie zärtlich. Und weichen Tones sagte er: „Du hast ihn lieb gehabt. Ich weiß. Und ich danke dir dafür." Wera hatte Melitta scharf beobachtet. Das Benehmen der jungen Frau kam ihr zu überspannt, zu unnatürlich vor. Es batte eine geradezu verwechselnde Ähnlichkeit mit Gewissensbissen und Angst. Franziska stand regungslos. Sie wollte ihn, an dem ihr Herz noch immer unsagbar treu hing, trösten, ohne es zu wagen, da seine Frau bei ihm war und liebevoll sein Haar streichelte. Der Eintritt verschiedener Gäste zwang die An wesenden sich zu fassen und zu beherrschen. Unter den Neuangekommenen befand sich auch der Kapitän der „Oenone", der sich sofort des Leutnants und seiner schönen jungen Frau entsann und diese auf das herzlichste begrüßte. Dann fiel sein Blick auf Gentile, der sich ver gebens abzuwenden fuchte. „Ah, Mister Thomson", redete er ihn an, ihm Li« Hand bietend. „Sie auch hier? Da ist ja beinahe die Hälfte meiner damaligen Passagiere beisammen." Selbst der geriebenste Gauner und Verbrecher verliert in gewissen Augenblicken die Fassung und begeht einen Fehler, der kaum je wieder gut zu machen ist. Gentile hatte wirklich nicht erwartet, daß ihn der Kapitän, mit dem er kaum ein Wort gewechselt hatte, wiedererkennen könnte. Auch hatte er in dem Moment völlig darauf ver gessen, daß er sich selbst damals Thomson genannt hatte. Luigino aber siel dies sofort auf. Er entsann sich abermals, wie Melitta mit Lem Kapitän gewettet hatte, ob sich ein Gentile auf dem Dampfer befand, wie sie sich dann hatte die Pafsagierliste geben lassen, um den Namen Gentile zu suchen, und wie sie sich ganz besonders nach dem Thomson erkundigt hatte. Und nun stellte sich heraus, daß Thomson und Gentile identisch waren! Und dann später, als er krank gelegen, das Zusammen treffen Melittas mit dem Grafen und dessen eigentüm liches Verschwinden hinterher, ohne seinen — Luiginos — Dank entgegennehmen zu wollen? Luigino fixierte den Grafen, der ihm den Blick in etwas allzufinsterer Weise zurückgab. „Reisen Sie öfters unter dem Namen Thomson, Herr Graf?" fragte Luigino langsam. Gentile glaubte aus der Frage eine Ironie herauszuhören und erwiderte kalt: „So oft es mir gut scheint, Herr Baron." „Sind Sie mit oder ohne Dienerschaft hier, edler Lord?" scherzte der Kapitän in seiner gemütlichen Art, während Luigino nervösen Schrittes den Saal durchmaß. Da sich Gentile nicht gleich auf eine Antwort besinnen konnte, der Kapitän aber glaubte, daß er sich überhaupt nicht an den Diener erinnere, fügte er binru: Ick> meine. haben Sie noch den netten Bengel, der den Herrn Leut nant später von seinen Teerflecken säuberte? Mir ist sein intelligentes Gesicht noch immer in Erinnerung." Luigino unterbrach sein Auf- und Abwandern. „Ach was? Das war Ihr Diener gewesen? In diesem Italiener konnte man freilich nicht den Diener des „Eng länders" Thomson vermuten. Ich habe ihn später auf Lacroma wiedergesehen, als ich dort als Rekonvaleszent lag. Er war furchtbar aufgeregt und weinte, als er mich sah. Seine Anhänglichkeit hat mich ordentlich gerührt. Er war wohl bald aus Ihren Diensten getreten?" Gentile war das Gespräch überaus peinlich, und Melitta hatte alle Blühe, ihre Haltung zu bewahren. „Ja, ich habe den Schurken davongejagt, weil er nach bestohlen hatte", erwiderte Nicola kühl. „So? Und er sah so ehrlich aus. — Ach, nun ver stehe ich!" rief Luigino. „Nun begreife ich, daß er nicht wiederkehrte, als der Ihnen befreundete Justizrat Gohren- stedt den Burschen in Ihr Hotel schickte mit seinem Koffer schlüssel und der Bitte um einen trockenen Anzug. Er er schrak sichtlich bei der Nennung Ihres Namens —" „Das ist wohl sehr natürlich, denn ich habe dem Kerl gedroht, wenn er nicht für immer mir aus den Augen kommt, ihn verhaften zu lassen." „Ich verstehe gar nicht, warum sie es nicht gleich getan haben. Mitleid ist in solchem Falle auf schlechtem Platz. Gemeingefährliche Individuen heißt es unschädlich machen, besonders wenn sie so harmlos und süß aussehen wie der Bengel, dem ich alles eher zugetraut hätte als eine Schlechtigkeit." „Lieber Freund, wollen wir nicht nach Hause gehen? Ich fühle mich wirklich nicht wohl", jagte Melitta, ohne Labei die Unwahrheit zu sagen; denn Liese Gespräche spannten sie geradezu auf die Folter. > s . (Forti etzung folgt.)