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Frau Kläre suchte in ihrem Pompadour, über Klärchen wollte keine Pille nehmen. -Ich bin doch gesund, Mama. Wir haben in Klingtal gegessen. Es gab gebratene Hühner. Eigentlich sollte es Gänsesauer geben —" und Klärchen erzählte noch einmal, was sie zu Frau Glüsing gesagt hatte. „Das war klug gemacht. Leuteessen!" lachte Pauline und klatschte kindisch in die Hände. Adalbert ging an die Tür. „Gute Nacht", sagte er kur, und ging hinaus. Er konnte diese Unterhaltung nicht mehr mitanhören. Jedes Wort traf ihn wie ein Schlag, wie ein Schlag, der das Gebäude seines Glücks zertrümmerte — oder doch zertrümmern wollte. War er denn bisher blind und taub gewesen — oder hatte sich wirklich heute alles verändert? Lange stand er in seinem Zimmer am Fenster und sah auf den Wirtschaftshof, der im Mondschein vor ihm lag. Ein liebes, vertrautes Bild. Wie oft hatte er hier gestanden und über neue Arbeiten und Pläne nachgedacht, wie eifrig hatte er noch heute nachmittag mit dem Nachbar, mit dem netten Glüsing, von allerlei gemeinsamen Plänen und Ver besserungen gesprochen. Sollte denn das alles vorbei sein — was war denn nur geschehen? Ist es denn möglich, daß alles, was bisher schön und fest und ewig war — oder zu sein schien — jetzt plötzlich zusammensank und Schutt und Asche wurde, nur weil ein paar unbedachte Worte gesprochen worden waren? Konte er nicht alles falsch verstanden haben, würden chm nicht die Tanten und Klärchen alles harmlos er klären können, wenn er sie morgen danach fragen würde? Aber er würde nicht fragen. — Endlich strich er sich über die Stirn und sagte: „Ich glaube, ich habe auch Launen oder Nerven. Wie kann man sich doch nur von ein paar törichten Worten erschrecken lassen. Unsinn! — Es ist alles gut. Ich muß morgen früh aufstehen, denn der Peredanz ist erkältet und soll sich schonen. Hat aber keine Lust dazu. Denkt, ich wollte ihn nur einsperren, damit ich allein regieren kann. Alte, gute Seele! So ganz unrecht hat er eigentlich nicht Wenn ich meine Arbeit nicht hätte!" 4. Kapitel. Dem ersten Töchterchen, das in Elbertn geboren worden war, folgten im Laufe der Jahre noch ein Mädchen und ein Knabe, die ebenso, wie Klein-Klärchen, von den Tanten und der Großmutter eifrig gepflegt und erzogen wurden. Die Villa in Buchfeld stand noch immer leer, und die praktische Josephine überlegte längst, ob man das unnütz gewordene Besitztum nicht verlausen und dafür lieber wieder in Berlin eine Wohnung erwerben sollte. Wenigstens für den Winter. Das würde allerlei An nehmlichkeiten bieten, versicherte sie. Adalbert widersprach diesen Worten nicht. Er hatte längst aufgegeben, auf eine Abreise der drei Schwestern zu hoffen. Wenn es jetzt endlich dazu kommen sollte, ihm war es recht. Er hatte nicht wieder Zeit gefunden, mit Klärchen Waldfahrten zu machen oder ihr Märchen zu erzählen. Er hatte viel zu bedenken, es meldeten sich allerlei Sorgen. Das Wetter war für die Elberiner Felder in den letzten Jahren sehr ungünstig gewesen. Es regnete zu viel. Die Ernten verdarben und der erhoffte Gewinn blieb aus. Er hatte niemand, mit dem er seine Sorgen und Befürchtungen besprechen konnte, niemand, der ihm Mut zusprach, wenn es einmal nötig war. Klärchen war oft leidend und immer verstimmt. Sie konnte es gar nicht mehr begreifen, daß sie früher sür das Leben auf dem Lande geschwärmt hatte. Freilich hatte sie es sich damals ganz anders vorgestellt. Ländliche Feste, grüne Bäume und Blumen mußten immer dabei sein. Und nun waren die Bäume kahl und braun, ringsum nichts anderes zu sehen als nasses, schwarzes Land und dahinter der düstere Kiefernwald. Es war trostlos. In der Stadt müßte es viel schöner sein. Tante Pauline erzählte so oft von den prächtigen Läden in Berlin; da gab's auch Theater und Konzerte. Klärchen wollte in die Stadt. Nicht nach Buchfeld, das war auch langweilig, lieber nach Berlin. Adalbert versuchte, sie von diesem Gedanken ab zubringen. Er redete ihr freundlich zu, öfter mit ihm in die Nachbarschaft auf Besuch zu fahren. Das wäre zwar etwas anstrengend, brächte aber doch Abwechslung und Unterhaltung Doch Klärchen konnte ihre ganz unsinnige Angst beim Fahren auf Landwegen nicht überwinden. Sie schrie in Todesangst auf, wenn das Rad an einen Stein streifte, und wenn der Wagen etwas schief nach einer Seite hing, wollte sie hinausspringen. Und die schlechte Laune, die sie nach jeder solcher Fahrt mitbrachte, machte sie zu keinem gern gesehenen Gast. „Der arme Senzke! Die Frau paßt doch ga» nicht aufs Land", hieß es nachher. Fräulein Josephine hatte unterdessen die Elberiner Verhältnisse genau studiert. Die Landwirtschaft erschien ihr jetzt durchaus nicht so rentabel, wie sie es früher gedacht hatte. Die Sparrwenzelschen Werke — das war denn doch ein ganz anderes Ding gewesen. Und dazu kam die entsetzliche Langeweile, unter der Klärchen litt. Das Landleben paßte wirklich nicht für das arme Klärchen. Theater und schöne Läden, wie sie in Berlin waren, würden besser für sie sein. Sie sprach auch immer von Berlin und sehnte sich von Elberin weg. Was Klärchen wünschte, sollte geschehen. Dazu war das Geld da. Klärchen mußte glücklich sein. Sie war die Hauptsache, Joseph Sparrwenzels Enkelin. Es wäre un gerecht, jetzt mehr Rücksicht auf Lothar von Senzkes Sohn zu nehmen. Und ungerecht wollte Josephine nicht sein. Außerdem stimmten Josephines Wünsche mit Klärchens überein. Das bißchen Wirtschaften auf Elberin war für Joseph Sparrwenzels Älteste doch keine genügende Tätigkeit ge wesen. Seit die Werke verkauft worden waren, gefiel ihr das Leben durchaus nicht mehr so gut wie früher. Sie hatte nie aufgehört, den Fortgang von ihres Vaters einstigem Eigentum zu beobachten, und daher wußte sie, daß jetzt gerade ein Wechsel in der Leitung der Werke bevorstand. Das wäre eine Stellung für Adalbert. Was ihm zuerst noch an kaufmännischen Kenntnissen dafür fehlte, würde er sich bald aneignen, denn er war tüchtig und begabt. Und sie, Josephine, würde ihm zur Seite stehen. Sie würde durch ihn die ganze Sache leiten. Von dem vergeblichen Versuch, seinen Onkel für diese Tätigkeit zu gewinnen, wußte Adalbert nichts. Er würde klüger sein, würde daran denken, daß auch sein Vater der einst diesen Werken sein Interesse zugewandt hatte — so dachte Josephine. Denn sie wünschte es so. (Fortsetzung folgte Oer Irrtum äes Gebens. Eine einfache Geschichte von Oskar Geller (Nachdruck vervoten.) Schwül und müde senkte sich der graue Sommerabend über die Residenz; ein heißer Odem lag in der Luft, ein Verschmachten und Verdursten, das die Kräfte abspannt und die Nerven eintönig zermartert. Ein trauriges, asch fahles Relief für das versinkende Tagesgestirn, das in flammender Röte niederstieg — in weiter, unabsehbarer Ferne, von wo es flüchtig und zuckend herüberhuschte in länglichen, blinkenden Streifen, die sich demanthell in das endlose Grau des Himmels bohrten —, in diese bleierne Schwere, die alles Leben niederdrücken wollte. Drüben, wo das Wasser rauschte, wo sich die gelben Wogen drängten und wälzten, hatte sich eine kleine Gesellschaft gelagert; einige blickten auf den Fluß, die tänzelnden, hüpfenden Lichtreflexe zu erhaschen, andere wühlten mit ihren Stöcken im Kies und gähnten dazu, — die Damen aber blickten unverwandt auf die Sonne, auf ihr strahlend Verrauschen auf das glänzende Farbenspiel, das dort in blauvioletten, in rotgelben Schatten erstarb, unmerklich fast in das Grau wieder übergehend. „Nie werde ich das Bild vergessen", Hub plötzlich un vermittelt ein Herr aus der Gesellschaft an, „das mir jetzt wieder so recht lebhaft vor die Augen kommt! Es ist eine grausame Erinnerung", setzte er leise hinzu, mehr für sich. Und als wollte er sie verscheuchen, gewaltsam zurück drängen, fuhr er mit der Hand über die Stirn und schloß die Augen. Der nächst ihm sitzende Herr bewegte langsam seinen Kopf, er bejahte stumm, was auch er mitempfand und was er sich noch immer nicht erklären konnte. „Er war mein Bruder", bemerkte der erste fast un willig, als wollte er bloß für sich allein jedes Recht bean spruchen, über diesen seltsamen Fall nachzudenken, zu sprechen. Es klang wie herbe Eifersucht aus seinen Worten, — aber schon besann er sich eines andern und reichte seinem älteren Freunde die Hand. „Begreifst du es?" fragte er ihn zögernd, leise, ihn lange ansehend. Der Freund hob die Hand gegen den Himmel und nickte bloß stumm. „Hier, an derselben Stelle war es, da — unterhalb der Brücke. Ich sehe ihn noch lebhaft vor mir", begann der erste, „ich fühle es noch, als sei es erst gestern ge wesen." „Wie ist es denn gekommen? Ich kenne den Grund noch immer nicht." „Wie es gekommen? Wie jedes Unglück kommt, das uns so hart trifft. Weil es sein mußte. Er hatte für einen kurzen Augenblick Weib und Kind vergessen, und dieser winzige Moment genügte, ihn zu zertrümmern. Weiß der liebe Himmel, wo er sie getroffen; vielleicht in irgendeiner übermütigen Gesellschaft, wo man um eine Flasche Sekt die Ehre des Nebenmenschen verwettet; vielleicht in einem lauschigen Winkel, wo man alle Welt um sich vergißt, wo die Leidenschaften über den Menschen kommen und eine Seele bändigen, in schmachvolle Ketten schlagen; — viel leicht im Salon, wv man sich artige Abgeschmacktheiten sagt . . . was weiß ich? Genug, daß sie so mächtig in sein Wesen eingegriffen, daß sie in seinem Herzen ein jauchzendes Echo geweift, das in ihm die Stimme des Gewissens ühertönte, ihn betäubte. Er vergaß sein treues Weib daheim, das in stillen Nächten um ihn weinte, das sich abhärmte im tostlosen, unsäglichen Weh; er vergaß sein Kind, das seine Züge trug, und dem er geschworen, ein zärtlicher Vater zu sein. Er folgte bloß jener, die ihn hinausführte auf die Straße freudigen Lebens, die ihn lockte in den Genuß, daß er verkümmere und verderbe an ihr. Wie mahnte ich ihn so ost, wie bat ich ihn, wie flehte ich vor ihm, umzukehren. Ich malte ihm das Bild seines Verfalles in grellen Farben, gedachte des blassen Weibes daheim, dessen sieche Seele stumm duldete ... als sähe ich jetzt noch vor mir diese Wangen, so wächsern wie das Blatt der weißen Rose, diese kranke, zitternde Hand mit den länglichen Fingern... Da fiel er mir um den Hals und weinte und schwur mir, umzukehren. Im Triumphe führte ich ihn heim, — sie hatte nur Liebesworte für ihn, da er vor ihr hinsank und die fiebernde Stirn in ihrem Schoße barg. Ein weh mütiger Glanz erhellte ihre müden Züge, über ihre blut losen Lippen huschte es wie ein erquickend Lächeln, und in den tränenfeuchten Augen erglänzte es schüchtern und zag haft, wie Freude, die sich nicht herauswagt . . . weil man es verlernt, sich zu stellen! Hätte sie ihm doch bittere Vorwürfe gemacht, hätte sie doch seinen Mannesstolz gedemütigt, ihn hart von sich gestoßen und in aufkreischendem, hartem Wort ihn ge nannt, wie ex es verdiente: Meineidiger! Doch sie konnte, sie vermochte das nicht; ihre grenzenlose, hingebungsvolle Liebe war schon bei dem Gedanken glücklich, daß er ihr zurückgegeben sei. Und weil mein Bruder nur zu bald erkannte, wie so unsäglich tief er sein Weib getroffen, und weil er ihre stille Anklage nicht ertragen konnte, — da suchte er wieder Betäubung, die den verzehrenden Gram in seinem Herzen ertöte. Ich weiß nicht, wie lange es dauerte, ich erinnere mich bloß an jenen fürchterlichen Abend, da sie — sein Weib — zu mir kam. Ich saß in meiner Stube; es war schon Abend und ich hatte die Lampe angezündet. Der blaue Schirm dämpfte das Licht, es herrschte im Raume ein schwaches, schattiges Halbdunkel, ein Zwielicht, in dem man die Gegenstände nicht deutlich unterscheiden konnte Sie verschwamme« in zerfließenden Umrissen, — behaglich, wohlig. Da wurde plötzlich die Tür aufgerissen und ein Weib stürmte herein. Allmächtiger, wie sah sie aus. Welcher Jammer in diesen verzerrten Zügen, welch grenzenloser Schmerz, welche Angst in diesen hohlen, starren, brennenden Augen. Das ist Wahnsinn, durchzuckt es mich, — aber bevor ich noch fragen kann, bricht sie kraftlos nieder, während Tränen ihren Augen entstürzten. „Was ist geschehen?" fragte ich sie, ,fasse dich doch . .." Doch ihr verschnürt's die Kehle. Sre kann nur weinen, daß ihr Schluchzen mir durch die Seele fuhr wie ein glühender Stahl. „Diese Schmach", beginnt sie endlich mit zuckender Lippe, „diese Schande, — das überlebe ich nicht! Mein Kind, mein armes Kind!" Stoßweise, keuchend brachte sie bloß mühsam diese Worte hervor, die ich nicht begreifen konnte. „Beruhige dich doch", bat ich sie, „erzähle mir . . ." „Dein Bruder, mein Mann ist zum Verbrecher geworden . . . Sie sind eben bei mir gewesen, seine Kollegen aus dem Amte, — er hat veruntreut . . ." Das traf mich wie ein Blitz. Ich fuhr zusammen und mußte mich an der Lehne des Sessels halten, um nicht umzusinken. „Was sagst, du?" fragte ich tonlos; vielleicht habe ich falsch verstanden. „Er hat veruntreut? Anoertrautes, fremdes Gut ?" Sie nickte mit dem Kopfe. „Wo ist er?" Langsam wandte sie mir das blutleere Gesicht zu; das volle Licht beschien ihre Gestalt — ich werde nie, nie in meinem Leben diesen entsagungsvollen Blick vergessen, den sie mir jetzt zuwarf, da sie meine Frage nach ihm beantwortete: „Weiß ich es, wo er ist? Vielleicht bei ihr!" Ein namenloser Schmerz, ein wilder, harter Zorn er füllte mich. Ich riß mich los von diesem wehen Weibe und lief davon, ihn zu suchen — meinen Bruder, den Verbrecher. Ich fand ihn nur zu bald — in der Umarmung jener, die ihn aus dem Glücke der Familie verdrängt, die ihn auf die unterste Stufe der Verkommenheit gebracht' „Meineidiger!" schrie ich ihn an, „die Polizei sucht nach dir." Schreckensbleich sprang er auf und taumelte zurück. „Was sagst du?" stotterte er lallend hervor — dann riß er sich plötzlich los und lief davon. Ich hinter ihm — durch die nächtlich stillen Gassen, keuchend und rufend. Aber er hörte nicht auf mich; als beflügelte flammender Wahnwitz seine Schritte, so raste er dahin. Hier endlich, auf dieser Stelle, wurde ich seiner habhaft. Die tolle Angst hatte mir Riesenkräfte verliehen, ich packte ihn an der Brust und begann mit ihm zu ringen um sein Leben. „Laß mich los", knirschte er wild durch die Zähne, während ihm die Augen blutunterlaufen aus den Höhlen traten, „ich werde sühnen, was ich verbrochen. Grüße mein Weib und mein Kind" — mit diesen Worten ver setzte er mir plötzlich einen heftigen Stoß in die Brust, daß ich, nach Lust schnappend, zu Boden sank. Ich wollte um Hilfe schreien, aber eine lähmende Gewalt schnürte mir die Kehle zu — ich griff bloß mit krampfhast verkrümmten Fingern ins Leere und fiel in Ohnmacht. Als ich endlich erwachte — es waren mittlerweile einige Leute, die unsern Kampf von der Brücke angesehen hatten, herbeigeeilt — da war alles wieder still. Unten nur gurgelte das Wasser, eintönig und hohl, . . . wie jetzt. . . Nach einigen Tagen stellte es sich heraus, daß er kein Verbrecher gewesen ist. Ein unglückseliger Irrtum hatte sich in seine Berechnungen eingeschlichen, weiter nichts! Ein Irrtum war seine wahn sinnige Liebe, die ihn seinem Weibe und Kinde entfremdete, dieser Irrtum machte ihn in seinem ganzen Wesen zer fahren, zerrüttete ihn und machte sein Denken kraftlos — aus diesem großen Irrtum all die Keinen, an deren alle^ geringstem vielleicht er dann zugrunde gehen mußte. Weil er die Fühlung mit sich selbst verloren und keine Be rechnung mehr hatte für die Kette dieser Fehler ..." Es war mittlerweile finster geworden, und eine Dame aus der Gesellschaft mahnte an den Heimweg. 'S G « s « « « Z