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WchMtt für WM Verlage zu Nr. 79. Donnerstag, äen 9. ^uli 1914. Politische Aunälchau. Deutsches Keich. » Die Strafexpedition auf Nen-Mecklenburg, unserer Kolonie in der Südsee, wegen des Ende vorigen Jahres erfolgten Überfalls von Eingeborenen auf den Oberförster Deininger und den Forstassessor Kempf ist beendet. Die Expedition errichtete an _ der Westküste der Insel in Kamdaru und an der Ostküste in Muliama befestigte Lager und drang dann in zwei starken Kolonnen gleichzeitig von Osten und Westen in das Gebiet der aufrührerischen Stämme vor. Auf außerordentlich anstrengenden Tag- und Nachtmärschen kam es wiederholt zu blutigen Zu sammenstößen mit den Eingeborenen, bei denen eine Anzahl der Aufständischen erschossen und ein großer Teil gefangen genommen wurde. Man ließ dem Gegner keine Ruhe und drang bis in die unwirtlichsten Gegenden vor. Bei einem plötzlichen Überfall gelang es Hauptmann Prey, eine Anzahl der an dem Überfall Deininger-Kempf Beteiligten gefangen zu nehmen. Häuptling Lam, einer der Haupt- rädelsführer, fiel dabei auf der Flucht. Bei der Eiuuahme des Dorfes Banbun fand der-gleichfalls an dem Überfall beteiligte Häuptling Marit seinen Tod. Die am Überfall Beteiligten wurden zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt, alle übrigen Gefangenen wieder freigelassen. -I- Zur Beschlußfassung über das Wahlabkommcn sr>» die sächsischen Landtagswahlen 1915 zwischen National- liberalen und Fortschrittlern trat in Dresden der national- liberale Vertretertag für das Königreich Sachsen zusammen und beschloß nach längerer Aussprache gegen wen^e Stimmen das Abkommen in der vorliegenden Fassung gegen die sich eine Zeitlang Gegenströmungen geltend ge macht hatten, zu genehmigen. Da die fortschrittliche Volkspartei das Abkommen bereits genehmigt hat, so EL es hiermit endgültig geworden. Das Abkommen.baut sich auf dem Grundsatz der Anerkennung des gegenwärtiger: Besitzstandes auf. Die übrigen Wahlkreise, die bisher nicht liberal vertreten sind, werden mit Kandidaten der einen oder der andern Partei besetzt werden. Wegen der Heranziehung der Schweizer zum Wehr- beurag hat die schweizerische Regierung in Berlin eine Note zu 8 11 des deutschen Wehrbeitragsgesetzes über mitteln lassen. Nach diesem Artikel würden die aus ländischen, also auch die schweizerischen Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien, die auf deutschem Gebiete Niederlassungen haben, stärker zum Wehrbeitrag herangezogen als die deutschen Gesellschaften. Die schweizerische Regierung vertritt nun in ihrer Äußerung die Auffassung, daß dieser Artikel mit dem deutsch schweizerischen Niederlassungsvertrag unvereinbar sei. Der Niederlassungsvertrag beruhe auf dem Grundsatz der gleichen Behandlung. -I- Von einer neuerlichen Grenzverletzung durch fran zösisches Militär wird aus Elsaß-Lothringen gemeldet. Danach überschritt ein Leutnant des französischen 152. Linien-Jnfanterie-Regiments mit ungefähr 60 Mann in feldmarschmäßiger Ausrüstung die deutsche Grenze und rückte bis an die Frankenthaler Abgründe bei der Schlucht vor, von wo aus man das ganze Münstertal und bei günstiger Witterung das Gelände bis Neubreisach über sehen kann. Dort hat er seinen Leuten einen längeren Vortrag gehalten und sei darauf unbehelligt nach Frank reich zurückgekehrt. An VerdachtsgmWü unserer Motte anläßlich derek Fahrt nach Norwegen leistet die französische Presse das Menschenmögliche. So widmet das „Echo de Paris' der Übungsfahrt von 42 deutschen Kriegsschiffen an der norwegischen Küste einen Artikel, der die britische Admiralität auffordert, nur recht wachsam zu sein. Denn was man in Berlin als gewöhnliche Spazierfahrt aus gebe, bilde einen Teil jenes Programms, das in der Haupt sache lautet: Die englische Nordseeflotte muß von zwei Seiten bedroht, womöglich eingeklemmt werden. 4- Die Tagesordnung für den sozialdemokratischen Parteitag 1914, der am 13. September in Würzburg zu sammentritt, ist ,letzt vorläufig festgesetzt worden. Außer )en üblichen Berichten des Parteivorstandes, der Kontroll kommission und der Reichstagsfraktion stehen auf der Tagesordnung noch Referate über „Militärstaat und Demokratie", Referent Dr. Lensch und über „Wirtschafts politik und Koalitwnsrechtshetze", Referent Molkenbuhr. Der Bericht der Reichstagsfraktion wird von dem Ab geordneten Vogtherr erstattet werdem Oankrelch. X Ein neues Mittel zur Beseitigung der dreijährigen Dienstzeit hat der radikale Abgeordnete Armez ersonnen, der seinerzeit selbst für das Drenahrsgesetz gestimmt hat. Er brachte nämlich einen Gesetzentwurf ein, durch Len die Rückkehr zur zweijährigen Dienstzeit ermöglicht werden wll. Er schlägt vor, alljährlich 40 000 Freiwillige an- zuwerben, die sich verpflichten sollen, fünf ^zahre zu dienen mW dafür einen erhöhten Sold und nach beendigtem Militärdienst eine Prämie von 2500 Frank erhalten wurden. Hierdurch würde es dem Kriegsminister möglich strn, die übrigen Mannschaften bereits nach 24monatlicher Dienstzeit zu entlassen. Oürkel. X über gewaltige Zukunftspläne, die für die weitere Entwicklung der Türkei von größter Bedeutung sein können, verbreitete sich Finanzminister Dschavid Bei in der Kammer. Er erklärte, die Türkei werde in den nächsten zehn Jahren achtzig Millionen Pfund für Eisenbahnen, Häfen und Bewasserungsarbeiten, fünfzehn Millionen Pfund für das außerordentliche Kriegsbudget und fünf Millionen für Munition, Befestigungen und Kriegsmaterial benötigen. Das Budget werde in sehn Jahren fünfzig Millionen be tragen. Diese Ziffer stoße Besorgnis ein: man müsse aber bedenken, daß die Schienenwege und die Bewäfserungs- rrbeiten in Adana Md Mesopotamien eine gewaltige Er höhung der Einnahmen bewirken würden. Er sei fest überzeugt, daß der Türkei eine glänzende Zukunft bevor- Krhe, nur mW« man an ihrem Fortschritt arbeiten. X Über die schon seit langer Zeit geführten Ver handlungen mit Deutschland gab Finanzminister Dschavid Bey in der Kammer nähere Aufklärungen. Bei diesen Verhandlungen sei, so erklärte der Minister, die schwierigste Frage die der Bagdadbahn gewesen. Im Laufe der Ver handlungen, welche sechs Monate dauerten, habe die Pforte der Umwandlung der vierprozentigen Schuld verschreibungen der Bagdadbahn in fünfprozentige zu gestimmt. Die Pforte habe dagegen die Herabsetzung der ursprünglich mit 270 000 Frank pro Kilometer festgesetzten Baukosten verlangt. Nach langen Verhandlungen sei es gelungen, die Baukosten auf 225 000 Frank herabzusehen. Der Minister gab ferner Aufschlüsse über die russisch türkischen Verhandlungen. Gegen gewisse Vorteile wolle Rußland zum Teil auf sein ausschließliches Vorrecht ver zichten, welches es 1900 bezüglich des Baues der Eisen bahnen vom Schwarzen Meere erlangt habe. Dadurch sei es möglich gewesen, Konzessionen für französische Eisenbahnlinien am Schwarzen Meere einzuräumen. Der endgültige Abschluß des türkisch-russischen Abkommens hänge von einer Verhandlung zwischen der Türkei und Deutschland ab. Rumänien. X Eine Tranerkundgebung des rumänischen Hofes sirr den verstorbenen österreichischen Thronfolger ver öffentlicht das Amtsblatt. Es heißt darin u. a.: „Dieses traurige Ereignis hat die Herzen des Königs und der Königin, die mit den illustren Verstorbenen nicht nur durch enge Familienbande, sondern auch durch Bande aufrichtiger und erprobter Freundschaft verbunden waren, mit tiefstem Schmerze erfüllt." Dieser Kundgebung des Hofes ist be- sondere Bedeutung beizumessen; denn es ist bekannt, daß bei ähnlichen Anlässen sonst nur die Veröffentlichung der Hoftrauer erfolgte. Diesmal wollte aber der König seinem Schmerz, den ihm der Tod des Erzherzogs Franz Ferdinand, des erprobten aufrichtigen Freundes der rumänischen Nation, verursacht hat, besonderen Ausdruck verleihen. ^us In- unä AusUmck. Berlin, 6. Juli. Das Kaiserliche Statistische Amt be rechnet in seinem neuesten Jahrbuch die Bevölkerung des Deutschen Reiches für die Mitte des Jahres 1S14 auf 67 812 000 Köpfe. Stuttgart, 6. Juli. Die Fortschrittliche Volks partei Württembergs feierte gestern auf der Burg bei Eßlingen das Jubiläum ihres 50jährigen Bestehens. Köln, 6. Juli. Hier streiken seit beute früh alle Trans portarbeiter; sie verlangen bessere Lohn- und Arbeits bedingungen. steuer NallenärLteltreik. über 100 Arzte stellen die Tätigkeit ein. Berlin, 6. Juli. In der Ortskrankenkasse des benachbarten Kreises Niederbarnim haben heute 118 Kassenärzte ihre Tätigkeit eingestellt. In dieser Kasse ist es trotz des Berliner Ab kommens noch zu keinem festen Vertrag zwischen Ärzten und Kassen gekommen, die Arzte glauben vielmehr, daß es zu gar keinem derartigen festen Vertragsabschluß kommen soll, daß vielmehr die Kassenverwaltung durch fortwährendes Hinausziehen der Verhandlungen einen festen. Abschluß zu hintertreiben versuche. Sie wollen das auch daraus e" sehen, daß die Kassenverwaltung die Vertragsfähigkeit Ler Kassenärztlichen Vereinigung anzweifelte. Nach Mitteilung der Kassenärztlichen Vereinigung wurde die Erhöhung der Pauschalsumme an die Arzte nur gefordert, um einen Druck zum schnelleren Abschluß des Vertrages auszuüben. Kücktritt serbischer Konsul«. Eine Folge des Serajewoer Attentats. Berlin, 7. Juli. Nachdem der serbische Generalkonsul in München nach dem Attentat zurückgetreten ist, haben jetzt sämtliche serbische Generalkonsuln im Deutschen Reich, die österreichische Staatsangehörige sind, infolge der Er mordung des österreichischen Thronfolgers in Serajewo ihre Demission gegeben. Sie haben zugleich abgelehnt, die Geschäfte vom 15. d. M. ab auch nur interimistisch weiterzuführen. Ottcntatsplaii auf äen Taren. Russische Anarchisten in Frankreich verhaftet. Paris, 7. Juli. Hier glaubt man, einem groß angelegten Attentats- plan auf den Kaiser von Rußland auf die Spur gekommen zu sein. Auf der Landstraße bei Pontoise wurden nämlich zwei. Männer festgenommen, die in Papier eingewickelt zwei Bomben bei sich trugen. Die Verhafteten sind zwei Anarchisten aus Russisch-Polen namens Kiritscheck aus Olchonsk und Trojanorowski aus Pysdry. Bei der Ver nehmung mit Hilfe eines Dolmetschers erklärte Kiritscheck Ich bin Anarchist und Kommunist und was Sie sonst noch wollen. Die beiden Stahlzyliuder enthalten Pikrin säure und waren für ein Attentat gegen den Zaren be stimmt. Wann und wo dieses auSgeführt werden sollte, darüber fragen Sie uns zu viel, darüber haben wir «ns noch keine Gedanken gemacht, eS würde sich schon eine Gelegenheit gefunden haben. . Der Kommissar wollte nun wissen, wie die beiden ohne Geld und Pässe Rußland erreichen und über die Grenze gelangen wollten. Darauf erfolgte keine Antwort. Die Pariser Polizei erwartet nun die Untersuchung der Stahlzylmder. über Kiritscheks Pariser Aufenthalt fehlen verläßliche Angaben. Es liegen nur einige Berichte der Geheimpolizei vor über Trojanorowski, der im Pariser Luxembourggarten wenige Tage vor dem Hoteldiebstahl mrt verdächtigen Personen.zusammen beobachtet wurde. Cme kranke Armee. Die Schwindsucht im französischen Heer. Paris, 6. Juli. Schon seit langem sind die stetig zunehmenden Krank- yeiten im französischen Heer Gegenstand großer Sorge der verantwortlichen Stellen. Jetzt berichtet der Jnspektions- arzt der französischen Armee, Troussaint, über die er schreckende Zunahme der Tuberkulose. Der Arzt erklärt, die Verhältnisse lägen weit un günstiger als in irgendeinem andern europäischen Militär staat. Das Versteckspielen helfe nichts. Die Bevölkerung müsse erfahren, daß 65 Prozent der unter die Fahne berufenen jungen Leute in höherem oder geringerem Grade tuberkulös seien. Im Jahre 1910 seien von 5214 zurückgestellten Dienstpflichtigen 4314 tuberkulös gewesen. Troussaint schlägt vor, die für diensttauglich erklärten Leute, bei denen Tuberkulose in den Änfangsstadien konstatiert sei, von anstrengenden Dienstleistungen zu be freien. Auch möge man, da die finanziellen Schwierig keiten die Errichtung eigener Militärsanatorien nicht er möglichten, mit Zivilsanatorien Abmachungen treffen. Das Sanitätswesen verfüge über die ganz unzureichende Jahres summe von 15 Millionen Frank. Seneral Stössel erkrankt. Der ehemalige Verteidiger Port Arturs. Petersburg, 6. Juli. Hier eingegangene Meldungen besagen, daß der ehe malige Verteidiger Port Arturs, General Stössel, auf dem Gute seines früheren Adjutanten Ksidi in der Nähe des Städtchens Chmelnik in Südrußland von einem schweren Schlaganfall getroffen worden ist. Er hat das Spkechvermögen verloren und alle Glieder sind ihm ge lähmt. Gegen den General wurden bekanntlich seinerzeit schwere Vorwürfe erhoben, weil er die Festung vorzeitig den Japanern übergeben habe. Das Kriegsgericht ver urteilte ihn auch deswegen, doch wurde er Lem Kaiser von Rußland begnadigt Oer Oberbefehl m Österreich. Erzherzog Friedrich als Generalinspekteur. Wie», 7. Juli. Die Frage der Nachfolgerschaft des verstorbenen Erz herzogs Franz Ferdinand in seiner Eigenschaft als Ober befehlshaber des Heeres ist so gut wie gelöst nach einer Audienz, die Erzherzog Friedrich heute bei Kaiser Fran- Joses hatte. Der Monarch äußerte es als einen Herzenswunsch, daß Erzherzog Friedrich das Generalinspektorat der Armee übernehme. Die offizielle Ernennung des Erzherzogs wird am 15. Juli verlautbart werden. Erzherzog Friedrich wird das Oberkommando der österreichischen Landwehr nieüeAegen und zur Disposition des kaiserlichen Ober befehls gestellt und das Generalinspektorat der Armee übernehmen. Das Generalinspektorat der Marine über nimmt Marinekommandant Admiral Haus. Erzherzog Friedrich wird bereits die Oberleitung über die dies jährigen großen Manöver führen und sich voraussichtlich vorher nach Deutschland begeben, um sich Kaiser Wilhelm in seiner neuen Eigenschaft vorzustellen. Ter Erzherzog ist ein jüngerer Vetter des Kaisers. Er ist am 4. Juni 1856 als Sohn des 1874 verstorbenen Erzherzogs Karl Ferdinand zu Groß-Seelawitz geboren und mit einer Prinzessin von Croy vermählt. Österreichs Zuslanäspolitik. Keinerlei Änderungen infolge des Attentats. Die vielfach ausgesprochene Vermutung, daß durch da- Attentat auf den Erzherzog Franz Ferdinand eine Änderung der auswärtigen Politik Österreichs besonders in bezug auf Serbien eintreten könne, bestätigt sich nicht. Wien, 6. Juli. In der auswärtigen Politik Oster reich-Ungarns wird infolge des Todes der Erzherzogs keine Veränderung eintreten. Diese Politik wird in Gemäßheit der Befehle des Kaisers Franz Josef vom Grafen Berchtold geleitet, welcher in allen wichtigen Fragen mit den österreichischen und ungarischen Premier ministern in fortwährender Verbindung bleibt. Zu Lem Attentat selber erklärt eine hochgestellte Wiener Persönlichkeit: Die Spannung zwischen Osterreich-Ungarn und Serbien hat die Aufmerksamkeit österreichisch-un garischer Staatsmänner seit einiger Zeit in Anspruch genommen. Sie nahm von der Ermordung König Alexander und der Königin Draga ihren Ursprung. Eine verbrecherische Agitation gegen Osterreich-Ungarn durch revolutionäre Gesellschaften ist seit jener Zeit in Belgrad gestattet worden. Die Ermordung des Erzherzogs Fran- Ferdinand und der Herzogin von Hohenberg muß als natürliche Folge dieser Agitation angesehen werden, welche bisher keine serbische Regierung zu unterdrücken ver mochte. Die serbischen Bajonette! In Belgrad geht das Gerücht um, daß die serbische Regierung zugestimmt habe, die Untersuchung über das Attentat von einem österreichischen Polizeikommissar auf serbischem Gebiet führen zu lassen. Ein Blatt erklärt dazu, es könne nicht daran glauben, daß Belgrad den Skandal und die Schande erleben sollte, einem öster reichischen Kommissariat untergeordnet zu werden. Das Blatt Balkan bemerkt, daß das erwähnte Gerücht um so unsinniger sei, als. ia gerade Österreich-