Volltext Seite (XML)
U Laar au», da» die rotdrütmtiche Farbe reifer Kastanien hatte. Einen Bart trug er nicht. Im Gesicht saß eine grobe Nase mit einer Kugelspitze. Sie sab da zwischen einem Paar grober Augen und einem derben, groben Munde. Aber die Augen hatten nicht immer die graue Farbe, der Mund sah nicht immer derb und grob aus. Wenn der Mensch in lustigmachender Weise seinen Spott trieb, wenn unterdrücktes Lachen die Lippen zittern ließ, dann leuchtete dieses Lachen aus bräunlich und grünlich schillernden Augen, und sie sahen mit erweiterten Pupillen nachtdunkel aus, wenn ein beißender Hohn über die Lippen floß, die Mundwinkel sich bitter oder melancholisch herabzogen und Falten und Fältchen das Gesicht schattierten. Dieser Mensch war Ler Steinmetzmeister Ferdinand Klemens, ein Vetter des Christian Klemens. »Bruder Lustig", „Liederjahn" und „Aufschneider" nannten ihn die ehrsamen Vorstadtbewohner. Heute ließ er es sich angelegen sein, den Menschen, die ihm in den Weg liefen, die saumselig in Len Haus» türen standen oder auch nur den Kopf zum Fenster hinauSgesteckt hielten, einen gehörigen Aprilscherz auf« zutischen. Er war jetzt in die Straße gelangt, in welcher sein Vetter, der Krämer, wohnte. Drüben in einem Vor garten ging die behäbige Frau Ackerbürger Wichtig auf und ab. „Tag, Frau Wichtig!" rief er hinüber, und zog den steifen Hut äußerst tief, damit es ihm bei der eiteln und protzigen Frau gleich einen Stein ins Brett brächte. Sie erwiderte seinen Gruß und blieb am Zaune stehen. Er versteckte seine Schalksmiene und wollte mit eiligen Schritten am Zaun vorüber. „Sie haben's ja so eilig", meinte sie. „Sehr eilig. Es kommt ia auch nicht alle Tage vor", entgegnete er. „Was denn! Ist was los?" Sie trat ganz Licht an den Zaun heran. Er blieb stehen. „Es gibt eine Sonnenfinsternis. Ich will zum Glasermeister Licht und mir geschwärztes Glas holen. Auf dem großen Mühlenberg ist alles am besten zu sehen." Tausend Spotteufel sprühten und zwinkerten in seinem Gesicht. Frau Wichtigs rotes, rundes Gesicht nahm einen ängstlichen Ausdruck an. „Herr Klemens! . . . Noch einen Augenblick! . .. Herr Klemens!" rief sie hinter ihm her, La er sich zum Gehen gewandt hatte. Er blieb wieder stehen. „Hier, können Sie vielleicht lesen?" Er holte seine Berliner Zeitung aus der Tasche und zeigte mit dem Finger auf eine fettgedruckte Stelle. Frau Wichtig reckte den Kopf über den Zaun. „Sonnenfinsternis", las sie kleinlaut. „Mein Gott, wenn da man kein Unglück passiert. Man hat schon so lange gemunkelt, daß die Erde untergehen soll." „Das kann schon möglich sein", meinte er. „Wann ist's denn?" „Heute!" Er nahm wieder die Zeitung zur Hand und las: „Vier Uhr fünf Minuten." Alles andere las er nicht. Da stand nämlich noch bedeutend mehr von der Verfinsterung, die erst in einigen Tagen eintreten sollte, für Europa aber nicht sichtbar werden würde. „Da will ich doch gleich das Federvieh einsperren lassen", meinte Frau Wichtig erregt, wollte davonlaufen, erklärte aber noch: „Meine Schwiegermutter hat mir er zählt, daß solche Sonnenfinsternis schrecklich ist. Die armen Tiere schreien und flattern und drängen sich an einander und ersticken. Ich werde das Vieh gleich in den Stall bringen lassen." Sie nickte und lief nun, so schnell «S ihre Behäbigkeit zuließ, in das Haus. „DaS arme Federvieh", lachte der Steinmetz in sich hinein. „He, Lichtlein!' rief er jetzt einem ungefähr zehn jährigen Jungen zu, der an dem Kastanienbaum vor dem Glaserhause lehnte und andächtig durch einen bräunlichen Glasscherben »um Himmel hinaufstarrte. „He, Lichtlein, ist dein Vater drinn?" „In der Werkstätte", entgegnete Ler Junge, ohne sich vom Fleck zu rühren. "" —— Fortsetzung solM Vie t-NLenäe Krabbe. )- Eine seltsame Geschichte von Fr. Neubauer. (Nachdruck verboten^ Paula Noether > Theo Stahl ! Verlobte. Da stand eS nun ganz deutlich in zierlichen Linien auf dem blitzweißen Astrapavier, das Märchen vom Glück, ausgedrückt in fünf Worten auf drei Zeilen. WaS aber zwischen diesen Zeilen stand, das wußte niemand, und in dem schmucken rheinischen Bergstädtchen war man von der Nachricht dieser Verlobung auffallend überrascht. Man war nicht recht darauf vorbereitet gewesen, denn die Geschichte hatte sich so völlig außerhalb des klein städtischen Horizonts eingefädelt und entwickelt, daß selbst die wertgeschätzten Kaffeetanten, die wandelnden Kon kurrentinnen des heimischen Lokalblättchens, um di« inter essante Neuigkeit gekommen waren und nun förmlich aus dem Häuschen gerieten, daß eine Verlobung einmal ohne ihre vorherige Begutachtung zwischen Kaffee und Strick- strumpf zustande gekommen war. Wenn das große Los nach Höhenburg gefallen oder irgendein gekröntes Haupt nach dem genannten Städtchen zum Besuch angemeldet worLen wäre, hätte es keine größere Aufregung unter den Zugehörigen der Lortigen Gesellschaft geben können, als diese kurze Verlobungs anzeige sie zuwege brachte. Man war sozusagen über rascht und angesichts der ungeahnten Plötzlichkeit der Nachricht auch ein wenig gekränkt, weil — ja, weil die Entwicklung Lieses erst durch die Schwatzhaftigkeit der Druckerschwärze offenbar gewordenen Herzensbündnisses dem sonst über allem Zweifel erhabenen Spürsinn Ler p. t. Höhenburger zufälligerweise einmal entgangen war. Das vertrug die gerade in solchen Dingen — Lie im Grunde zwar niemanden etwas angingen — ganz be sonders empfindliche Selbstgefälligkeit der Bewohner des rheinischen Städtchens nicht. UnL doch war es eigentlich kein Wunder, daß diesmal ihre Neugier nicht völlig zu ihrem Rechte gekommen war, denn die Vorgeschichte dieses Ereignisses hatte sich im ver gangenen Sommer fern von Höhenburg an den Gestaden der Ostsee abgespielt, wohin Herr Medizinalrat Roether nebst Frau und Tochter ihre übliche Erholungsreise unter nommen hatten. Ja, genau genommen, waren selbst die Eltern von Fräulein Paula Roether auf eine nicht eben alltägliche Weise zur Kenntnis Ler zarten Beziehungen gekommen, die zwischen den nun Verlobten bestanden, und sie dankten deren rechtzeitige Entdeckung lediglich einem Regenguß, dem Zufall und dem alten Strandwächter Jochen Knaak. Und das hatte sich folgendermaßen zugetragen: Noethers waren bereits vierzehn Tage in Zoppot und hatten wegen des kühlen und feuchten Wetters schon ernst lich die baldige Abreise in Erwägung gezogen, sehr zum Leidwesen Paulas, Lie einen netten Verkehrskreis ge funden hatte, in dem sie sich recht wohl fühlte. Es waren etwa acht Damen, die in der Schar Ler Kurgäste sich bald entdeckt und einen jener kleinen unternehmungs lustigen Zirkel gegründetchatten, die gerade in den deutschen Seebädern eine typische Erscheinung sind. Nun hatte man für den kommenden ersten schönen Tag verabredet, einen gemeinsamen Ausflug nach Hela zu unternehmen, und al ber ersehnte Sonnenstrahl gekommen und die erfahrenen Fischer alle Befürchtungen für den kommenden Tag zer streut hatten, war der geplante Ausflug endgültig fest gesetzt und unternommen worden. Die Gesellschaft war längst davongegangen, und die Mittagssonne brannte auf Strand und Sand am Zoppoter Gestade, als Medizinalrat Roether nebst Gattin ihre 220 bzw. 180 Pfund Bruttogewicht keuchend über Lie Strand- Promenade schleppten. „Pff — pff — weißt du — Eduard — pff", meinte Frau Hermine Roether schnaufend und hochrot von der Anstrengung, „ich glaube — pff — wir bekommen noch Regen .... Die Sonne sticht ganz schauderhaft — pff —" und sie trocknete die feuchten Perlen von ihrer Stirn. „Wo denkst du hin, Hermine", meinte Herr Eduard mit der Miene eines ausgemachten Wetterpropheten, »Leute und regnen — ach" — er blieb prustend stehe» --- Nimi "nzufried »Eduard' — Frau Hermine «ar ob deS sonst um gewöhnten Widerspruchs ihres Gatten ein wenig pikiert Eduard Frau Hermine richtete sich zu -4k ZZs K L s Z -tz- Z- H M Z- L Z ^8^8 « wt . Kanteriempo über' eine Distanz von 80 Meter dem am Ende einer mäßigen Landzunge liegenden Strandwächter- hauS entgegen. Dort saß der alle Jochen Knaak in der offenen Tür, rauchte seine »Piep" und ergötzte sich im stillen an dem lebenden Genrebildchen, das die beiden vor dem Regen flüchtenden Landratten boten. Als diese endlich auf Hör weite herangekommen waren, lud er sie zum Untertreten ein, was sich alsbald in einer jedes Dankeswort aö- schnürenden Atemlosigkeit vollzog. Ohne große Förmlich keiten nahm der alte Jochen die Ankömmlinge auf und meinte nur: „Laten Sei man good sien — dat duert nech all lang". Und richtig: nach einer knappen halben Stunde huschte der erste Sonnenstrahl bereits wieder über die Düne von Hela und die Danziger Bucht. In dieser Zeit hatten auch Medizinalrats ihr physisches Gleich gewicht wiedergefunden und begannen zum Aufbruch zu rüsten. Da siel Frau Hermines Blick auf das inmitten der Kabine montierte Fernrohr, das durch eine Öffnung in der Seitenwand des Häuschens weit ins Freie ragte. Mit begreiflicher und verzeihlicher Neugier trat Frau Hermine an das Teleskop und fragte, ob man damit denn wirklich so weit in die hohe See schauen könne. „Dat wull'ck meinen", grinste Jochen Knaack, „dormit können Sei de Krawwen upp Hela tanzen seihnl" Und er lachte über seinen Witz, daß die Bude wackelte. »Nun, eine tanzende Krabbe habe ich noch nicht ge sehen. Können Sie unS den Apparat nicht mal ein stellen?" Statt jeder Antwort trat Jochen an das Fernrohr, schraubte ein wenig daran und wandte sich dann an Frau Hermine: »So, nu kieken Sei maol dörch." Und langsam begann er das Rohr zu drehen. Weit hinter dem Leucht feuer von Brüsterort begann das Auge der Schauenden seine Wanderung, an Pillau vorüber und an der Nehrung und erreichte langsam die offene, unruhig in der Gewitter nachwirkung wogende See. Es war ein unbeschreiblich schönes Bild und alle Augenblicke hörte man die Medizinal- rätin ein „reizend — wundervoll — entzückend" ausrufen. So war sie bereits bis zur Landspitze von Hela ge kommen, als Frau Hermine plötzlich mit beiden Händen das Rohr umklammerte. „Ha-alt! Ach, wie köstlich - sieh nur, Eduard, — ein Pärchen in einem Strand ... in ... einem Strand . . . korbe . . . i ja, ist denn das möglich? Frau Hermine holte ihr Taschentuch auS dem Pompadour und wischte damit nacheinander über Objektiv und die eigenen Augen. „Da soll doch gleich ..." , „Aber, liebe Hermine, was hast du denn?" „Laß mich", tönte es rauh zurück. „So eine Frech heit, — so ein kecker Patron da — siehste, Eduard, nu hat er sie geküßt!" Aufgelöst vor Erregung saß Frau Hermine alsbald in einem Stuhl, während Herr Eduard an das Fernrohr trat. Seinen Blicken bot sich ein eigenartiges Bild. In sonniger Mittagsruhe lag die Düne, darüber klarblau der Himmel und im fernen Hintergründe die abziehenden Gewitterwolken, in denen von Zeit zu Zeit ein Blitz auf leuchtete. Vorn an der Düne aber saß weltvergessen ein Pärchen in glücklicher Umarmung, schwelgend im Genuss« der ebenso stummen wie nachdrücklichen Sprache ge schlossener Lippen und ohne Kenntnis der drohenden Ge fahr vom jenseitigen Strande: Paula Roether und Theo Stahl — beide auf einem heimlichen Ausfluge ins Land der Liebe begriffen. Schweigend trat der Medizinalrat vom Fernrohr zurück. „Na, hebben Sei nu de Krawwe tanzen seih'n?" fragte ahnungslos lachend Jochen Knaak — als Antwort empfing er wortlos ein Markstück, und zwei Minuten später war er wieder allein. Die Schilderung der weiteren Ereignisse möge die Nachsicht der Leser mir erlassen. Was in der Wohnung des Herrn Medizinalrat Roether sich im Anschluß an diese Fernrohrgeschichte zugetragen hat, entzieht sich füglich -er Öffentlichkeit. Der Phantasie aber bleibt «8 anheim gegeben, sich das übrige selbst auszumalen, das die ein gangs erwähnte Anzeige rücksichtsvoll verschweigt. Wenn Frau Hermine »ach, du liebe Güte" sagte, wußte Herr Eduard, daß ihr Gemütsbarometer bedenkliche Schwankungen aufwies, und so zog er es vor, nicht mehr einzureden, sondern setzte seinen Weg wrt, gefolgt von seiner Gemahlin, die ihre Gewitter-Philosophie zeitweilig durch Kunstpausen unterbrach, in denen sie Stirn, Wangen und Hände trocknete. So war man allmählich ein gutes Stück Weges weiter gekommen, ohne wieder vom Wetter zu reden. Frau Hermine war schließlich wortlos neben dem gleichfalls wortkargen Gatten einhergeschritten, als sie plötzlich stehen blieb. „Eduard — hast du heute Len Referendar nicht be merkt?" „Nein, liebe Hermine. Er wird gewiß noch schlafen und die übliche Morgenpromenade versäumt haben." „Hm — sonderbar." Sehr lange Pause über eine Distanz von dreißig Schritten, „übrigens ein sehr netter Mensch, der Referendar. Findest du nicht auch, Eduard?" »Gewiß, liebe Hermine — finde ich auch. Ihr Frauen findet ja jeden Mann nett, der euch ein bißchen verwöhnt." „O bitte, Herr Stahl ist ein Kavalier vom Scheitel bis zur Sohle. Er gefällt mir sehr — sehr." »Na, dann ist's ja gut. Ich habe nichts dagegen", meinte Herr Eduard etwas ungeduldig. Wieder eine Pause. „Hast du denn gar nichts bemerkt, Eduard?" fragte Frau Hermine. »Ich? — Nee . . . waS denn?" „Natürlich — ihr Männer seid schon die reinsten Traumsusen; wenn wir Frauen nicht wären. . . ." „Gewiß, gewiß, liebe Hermine, — wenn Ihr Frauen nicht wäret ..." — wie gemütlich könnten wir Männer dann manchmal leben, wollte er fortsetzen — aber er tat's nicht. „Daß dir das noch gar nicht ausgefallen ist, Eduard, begreife ich gar nicht." »Ja, was denn nur?" »Na, daß Herr Stahl in unsere Paula total ver schossen ist." „Ach — sieh mal an. Woher weißt du denn das?" »Gott, er bevorzugt sie doch mehr als auffallend." „Na, das ist was Rechtes. Wenn ein junger Mann heute mal 'n bißchen höflich und zuvorkommend ist, bautz, Lrehen ihm die geehrten Mütter gleich die „ernstesten Ab sichten" an. — »Eduard — pff, ich sage dir, du — pff — pff — irrst dich." Sie ließ ihre Blicke suchend den Horizont entlang wandern und entdeckte endlich in der Richtung auf See bad Heubude nordwestlich einige schwarzgraue Wolken spitzen. »Sieh nur — pff — da steigen schon Ge Gewitterwollen auf — pff — pff — ach, du liebe Güte.. die Hitze — pff — pff." ß Z "'S- ZA o s «'S «"Z -b s L -s 2 drohender Haltung empor, um alsbald wieder zusammen zuknicken. „Tja, — du verstehst das eben nicht." „Nein, das verstehe ich wirklich nicht." Uber diese anregende Unterhaltung hatte man ver säumt, den Vorgängen Beachtung zu schenken, die sich in zwischen am nordwestlichen Himmel vollzogen hatten. Dort war inzwischen tatsächlich eine dicke Wolkenwand heraufgezogen, und schon begannen die ersten Tropfen zu fallen. „Hermine, ich glaube, eS regnet", meinte der Medizinal- rat, der den ersten Gruß von oben auf Lie Nasenspitze er halten hatte. »Siehst du, Eduard — ich habe eS doch gleich gesagt! Du natürlich . . ." Frau Hermine hielt es für geraten, Lie Fortsetzung ihres peremtorischen Monologs für eine gelegenere Zeit aufzusparen, denn es begann bereits leb hafter zu regnen. Für das nun folgende Bild bedauert der Verfasser ohne Mithilfe deS Photographen eine annähernd der Wahrheit entsprechende Schilderung in Worten nicht geben zu können. Frau Hermine schürzte ihre Kleider zu etwas mehr als angemessener Höhe, ihr Gatte spannte den Regenschirm auf, und nun ging «S in einem bei 220 beziehungsweise ISO Pfund Bruttogewicht eben möglichen