Volltext Seite (XML)
denn He konnten ja allerdings nicht Een, baß die Briefe in Wirklichkeit von unsern Gegnern noch gar nicht auf gefunden waren. Der Lord wird vermutlich eines Tages ein Buch darüber schreiben, daß persönliche Freiheit in Amerika schutzlos ist — und nach den Erfahrungen, die er bei diesem Abenteuer machte, könnte ich ihm das gar nicht übelnehmen. Während der Untersuchung fielen verschiedene Bemerkimgen, die Fred Cullen die Augen zu öffnen schienen, denn er sah mich mehrere Male fragend an; ich gab ihm jedoch durch Zeichen und Winke zu verstehen, daß er sich zusammennehmen solle, und es gelang ihm auch, ein gleichgültiges Gesicht zu machen Ms bei keinem von uns dreien die Briefe gefunden wurden, gerieten Camp und Baldwin vor Wut beinahe außer sich. Baldwin sprach die Ansicht aus, ich hätte die Briefe wohl überhaupt gar nicht bei mir gehabt, aber Camp blieb dabei, Fred oder Lord Ralles müßten sie in meinem Wagen versteckt haben, obwohl die Cowboys steif und fest darauf schworen keiner von den beiden hätte Zeit gehabt, sie zu verstecken Eine volle Stunde verging damit, daß alle Winkel meines Wagens durchstöbert wurden; sogar meine beiden Nigger mußten sich ausziehen, da ja immer hin die Möglichkeit vorlag, daß die echten Briefe ihnen zugesteckt waren. Als endlich die drei Verschworenen mit dem Scheriff aus meinem Wagen herauskamen, brauchte ich ihnen nur ins Gesicht zu sehen, um zu wissen, daß sie nichts gefunden hatten; der Ausdruck von Enttäuschung und Arger, der auf ihren Zügen lag, war für mich höchst belustigend. Sie sprachen einige Worte mit dem Scheriff, und der Beamte ging mit Fred, Lord Ralles und mir ab. Der Lord verlangte mit Aufgebot vieler und lauter Worte die Vorzeigung eines Verhaftbefehls und drohte, sich wegen des ungesetzlichen Verfahrens an den britischen Konsul, den Gesandten und an Ihrer Majestät Auswärtiges Amt zu wenden. Den Scheriff ließ diese Beredsamkeit völlig kalt; es war, wie wenn Moqui-Jnüianer versucht hätten, mit ihrem Schlangentanz eine Schnellzugs- tokomotive aufzuhalten. Ich muß bekennen, daß ich mit einer gewissen grimmigen Genugtuung daran dachte, daß, wenn ich aus Madges Nähe ferngehalten wurde, der Engländer doch in demselben Loch mit mir sitzen mußte. Die Stadt Ash Forks war zwar erst sechs Jahre alt, jedoch schon so weit in der Zivilisation vorgeschritten, daß sie ein kleines Gefängnis besaß, und in dieses wurden wir abgeschoben. Inzwischen war es dunkel geworden, und da ich einen derben Hunger verspürte, so bat ich den Scheriff, uns etwas zu essen zu besorgen. Der gutmütige Beamte erklärte sich auch bereit dazu, und sobald er hinaus gegangen war, bat Fred mich, ihm das Geheimnis der drei Briefe zu erklären. Ich teilte ihm alles mit, was er wissen mußte, und beschrieb ihm auch, so gut ich's ver mochte, das Pferd, unter besten Sattel die Briefe versteckt lagen. Wir berieten allerlei Pläne, um unsern Freunden draußen Bescheid zukommen zu lasten; dies ließ sich aber offenbar nicht machen. Immerhin war es etwas wert, daß jetzt außer mir noch ein anderer zuverlässiger Mann wußte, wo die Briefe waren. Nach kurzer Zeit kam der Scheriff wieder und brachte einen Laib Hausbrot und eine Schüssel Bohnen. Wäre ich allein gewesen, so hätte ich ihn mit solchem Futter zum Kuckuck geschickt und ihn ersucht, mir durch meine Schwarzen etwas von Nr. 97 besorgen zu lassen. Es reizte mich jedoch, das Gesicht zu sehen, das Lord Ralles beim Esten Lieser echt wildwestlichen Kost machen würde, und deshalb sagte ich nichts. Er schimpfte auch alsbald mordsmäßig, und sein Arger und Zorn machten mir eine ungeheure Freude. Mit unserem Abendesten waren wir sehr schnell fertig. Hierauf streckte Fred, der die Nacht vorher kaum zum Schlafen gekommen war, sich der Länge nach auf den Fußboden aus und war bald eingeschlafen. Lord Ralles und ich setzten uns jeder auf eine Kiste — andere Möbel enthielt der Raum nicht — und zwar in möglichst großem Abstand voneinander. Er war brummig, ich aber pfiff mir lustig ein Liedchen. Ich wäre zu gern bei Madge ge wesen; aber er war auch nicht bei ihr — das war immer hin ein Trost. Außerdem wuchsen mit jeder verstreichenden Minute unsere guten Aussichten. Solange sie die Briefe nicht gefunden hatten, brauchten wir nur still zu sitzen; der Sieg mußte unser bleiben. Ungefähr eine Stunde nach unserem sogenanntett Abendessen kam der Scheriff wieder und sagte mir, Camp und Baldwin wünschten mich zu sprechen. Ich sah keinen Grund, warum ich ihnen diesen Wunsch nicht erfüllen sollte; sie kamen also herein, und Ler Richter war auch bei ihnen. Baldwin eröffnete den Tanz, indem er freundlich sagte: „Na, Herr Gordon, Sir haben Ihre Sache ja recht schlau gemacht und denken gewiß, Ihr Spiel noch zu ge winnen." .Ich habe mich nicht zu beklagen", antwortete ich. Meine sichere Haltung schien Camp zu ärgern, denn er schnarrte spöttisch: „Hm, bald werden wir an der Reihe sein, und wir können Ihnen, wenn wir wollen, die Hölle ziemlich heiß machen. Wer gegen die Gesetze Handels kommt schließlich doch ins Gefängnis." „Ich hoffe, Sie merken sich selber diese Lehre", ant wortete ich heiter. Camp machte zu dieser Bemerkung ein sehr saures Gesicht, Baldwin aber behielt seine Ruhe und sagte: „Nun, wir wissen recht wohl, daß Sie nicht um nichts und wieder nichts Ihre Freiheit und Ihre Stellung aufs Spiel setzen, und wir möchten Sie fragen: was ver dienen Sie bei dem Geschäft?" „Meine Aussichten aufs Gefängnis möchte ich nicht mit denen vertauschen, die Sie selber haben, meine Herren. Und wenn ich auch meine Stellung verliere, so brauche ich deshalb noch lange nicht zu verhungern." „Das ist keine Antwort auf unsere Frage, was Cullen Ihnen für Ihr Risiko bezahlt." „Herr Cullen hat mir nichts gegeben und überhaupt nicht im geringsten angedeutet, daß er mir irgend etwas geben wolle." „Und Herr Gordon hat nichts verlangt und würde, so wie ich ihn kenne, für das, was er getan hat, nicht einen Cent annehmen", sagte Fred, sich vom Fußboden erhebend. „Sie wollen doch nicht behaupten, daß Sie das Mes umsonst tun?" rief Camp ungläubig. „Ja, das ist so ungefähr das Lange und Breite von der Geschichte", sagte ich. „Aber was haben Sie denn sonst für'einen Grund?" fragte Baldwin. Ich hätte ihnen antworten können: „Mein Gerechtig keitsgefühl!" — aber das hätte keinen Zweck gehabt, denn ich wußte, sie hätten das doch nur für Heuchelei gehalten. Ich erwiderte daher einfach: „Herrn Cullens Partei verfügt über die Mehrheit der Aktien und hätte auf anständige Weise gesiegt, wenn Sie mit anständigen Waffen gefochten hätten. Da Sie dies nicht getan haben, so gebe ich mir alle mögliche Mühe, um die Sache in die rechte Ordnung zu bringen." Camp rief: „Um so verrückter von Ihnen", aber Baldwin unterbrach ihn: „Das beweist nur, wie schäbig dieser Cullen ist. Wenn er Ihnen überhaupt was gibt, müßten es wenigstens zehntausend Dollars sein." „Jawohl", rief Camp, „diese Briefe find Geld wert, ob er's Ihnen nun angeboten hat oder nicht!" „Herr Cullen hat mir niemals auch nur die geringste Andeutung gemacht, als ob er mich bezahlen wollte", ant wortete ich. „Nun, Herr Gordon", sagte Baldwin in schmeichelnden Tönen. „Wir wollen Ihnen zeigen, daß wir freigebiger sein können als der andere. Die Briefe gehören aller dings bereits mit Fug und Recht Herrn Camp, aber wenn Sie sie uns ausliefern, so wollen wir dafür sorgen, daß Sie Ihre Stellung nicht verlieren, und wollen Ihnen fünftausend Dollars auszahlen." Ich warf einen Seitenblick auf Fred, der mich mit gespannter Erwartung ansah, und fragte ihn: „Können Sie mir nichts Besseres anbieten?" „Jedem anderen könnten wir's, aber Ihnen nicht", antwortete Fred. Ich hätte ihm für dieses prächtige Wort die Hand schütteln mögen, aber ich begnügte mich, mit dem Kopf zu nicken, und sagte, zu Herrn Camp gewandt: „Sie sehen, wie schäbig die Leute sind!" r (Fortsetzung folgt) s 8 LV K LL « »'n KZ K K Za Vie MunäerqueNe. Eine masurische Geschichte von Fritz Skowronnek. (Nachdruck verboten.) Ein Bündel Wasche unter dem Arm, wanderten die Frauen und Mädchen des Philipponendorfes Piasken lachend und schäkernd zur Waschina. Aus der offenen Tür des Badehauses quoll der feuchte Fradem in dichten Schwaden und stieg wie eine lichte Wolke im Schein ber Frühlingssonne empor. Tage und Tage hatte es gestürmt und geregnet. Heute früh war zum erstenmal wieder die Sonne am klaren Himmel aufgegangen. Sie hatte die Knospen an Baum und Strauch wachgeküßt. Am Zaun der Waschnia standen die jungen Burschen des Dorfes, die zur Vorbereitung für das Fest eben auch ein Bad genommen hatten. Lauter kräftige Gestalten mit Gardemaß, von ausgesprochen germanischem Typus mit langen blonden Haaren und blauen Augen. Bei manchen kräuselte sich schon der sprießende Bart, den kein Scher messer berühren darf, um Kinn und Lippe. Die Helle Hautfarbe hatte durch das Bad einen frischen Glanz er halten, die Backen glühten, als wären sie mit brennendem Rot gefärbt. Manch keckes Scherzwort flog zu den Mädchen hin über, die mit schlagfertigem Witz zu antworten verstanden. Ganz zuletzt kam ein ungleiches Paar angewandert. Eine ältliche Frau, auf deren Antlitz Kummer und Herzeleid ihre Spuren eingeschrieben hatten. Der eigentümlich zögernde Gang, der leere Ausdruck ihrer glanzlosen Augen ließen deutlich erkennen, daß sie blind war. Neben ihr ging ein hochgewachsenes Mädchen, das den rechten Arm sorglich um die blinde Mutter gelegt hatte. Nicht mit Unrecht galt Irina als die Schönste weit und breit, denn die Natur hatte ihr außer den wohlgeformten Zügen des Gesichts noch eine reizvolle Eigentümlichkeit verliehen: hellblaue leuchtende Augen und überreiches schwarzes Haar. Die schweren Zöpfe waren einmal wie ein Diadem um den Kopf geschlungen und hingen dann noch weit über die Taille hinab. Bei ihrem Herannahen zogen die Burschen ihre Mützen. „Segen Gottes, Mutter Warwara! Segen Gottes, Irina". Die Frauen dankten stumm mit einem Neigen des Kopfes. „Wie traurig sie aussieht", flüsterte einer Ler Jünglinge, als die Tür sich hinter den Frauen geschlossen hatte. „Wundert's Lich, wenn ihr Liebster Lavonzieht auf Nimmerwiederkehr?" „Ach was, Liebster! Wenn alle Mädchen so denken sollten, dann würde manche Hochzett nicht zustande kommen." „Na, versuch's doch", fiel ein dritter ein, „ob die Irina dich nimmt. Der Weg ist ja frei, seitdem der Jawor über die Grenze gegangen ist." „Und ich sage, er kommt wieder!" „Was soll ihm das helfen? Die Irina nimmt ihn nicht, weil er wieder altgläubig geworden ist. Und wenn sie schon möchte, die Mutter läßt's nicht zu. Die will keinen Abtrünnigen als Schwiegersohn." „Schwatzt doch nicht wie alte Weiber! Was werden soll, geschieht. Denkt lieber daran, ob Mutter Warwara morgen ein Stück Fleisch zum Fest im Hause hat." „Na, du bist doch der Nächste dazu, Ulas! Wer ein ganzes Kalb schlachtet und einen Zentner Fische fängt, kann den Armen schon etwas davon abgeben. Bei uns ist es nicht so dick. Wenn mir der Himmel heute nacht nicht die Schlingen im Walde gesegnet hätte, müßte ich ein paar Hühner schlachten. . ." Früher als sonst kamen die Frauen aus der Waschnia. Die meisten wollten am Wend nach Eckertsberg zum Kloster wandern, um mit den Brüdern und Schwestern die Nacht im Gebet zu durchwachen. Vorher mußte noch die Wirtschaft beschickt und Las Vieh gefüttert werden. Die alten Frauen, denen der Weg zu weit war, gingen nach Onufrigowen zum Starik, der neben seiner Wohnung einen Beftaal eingerichtet hatte. Irina hatte ihre Mutter nach Hause gebracht und in Len bequemen Lehnstuhl gesetzt. Die Lippen bewegten sich leise, obwohl die Gebete nur in Gedanken gesprochen wurden. Und wie ost kam es vor, daß die Lippen sich mechanisch weiter bewegten, während die Alle mit ihren Gedanken wett weg war, in der Er innerung an die glücklichen Zeiten, als noch ihr Mann, der Onusti. im Hause schaltete. Nun waren es schon fünf § Jahre her, baß er von Lem nächtlichen Gang nicht zurück- gekommen war, aber ost noch, wenn Irina vom Hof mit festem Schritt durch den Flur kam, schrak sie zusammen, denn genau so klang's, wenn Onufri einherschritt. Dann sprach sie die Gebete halblaut, um die traurigen Gedanken zu bannen. Schon lange hatte Irina den Samowar mit Kohlen und heißem Wasser beschickt. Aus dem Kännchen zog der Dust des Tee-Extrakts durch die Stube. Die Mutter schien es nicht zu merken. Sie hatte sich nach hinten über gelegt, so daß die Augen zur Decke emporstarrten, aber die Hände lagen still im Schoß. „Mutter", bat Irina halblaut, „Mutter, komm zu Tisch. Der liebe Gott hat zu allem seine Zeit gegeben, zum Beten, aber auch zum Essen." „Auch zum Sterben, mein Kind. Haben wir heute vor fünf Jahren gegessen, als wir weinend beieinander saßen und auf den Vater warteten?" „Nein, Mutter. Wer wir sollen Lem Vater Lie Ruhe im Grabe gönnen und für seine Seele beten." „Weißt du, wo sein Grab ist? Ich nicht, und kein Mensch weiß es", sprach die Alte mit leiser Stimme. „Ich bete noch immer, daß Gott ihn gesund zurück führt ..." . „Mutter, daran glaubt kein Mensch mehr." „Laß Lie Menschen glauben, was sie wollen. Ich weiß, daß dein Vater Onusti noch lebt." Ihre Stimme wurde laut, ihre Worte flossen lebhaft von den Lippen. „Den Mann hat kein Förster erschossen, denn er war klüger und geschickter als alle! Er ist auch nicht im Moor versunken, denn er kannte jeden Schritt und Tritt und ist hundertmal in finsterer Nacht mit dem schweren Ballen gegangen. Er ist auch nicht im See erstunken, denn er konnte schwimmen wie ein Fisch. Ich sage dir, mein Kind, dein Vater lebt!" Sie hatte sich erhoben und die Hände nach der Tür ausgestreckt. Ihre Augen schienen sich zu weiten.... Wer ebenso schnell verflog Lie Erregung. Müde sank sie in den Sessel zurück. Doch nun war Irina aufgestanden und lauschte auf den festen Mannesschritt, der durch den Flur kam. Es waren nur wenige Sekunden, bis die Tür sich öffnete, aber sie genügten, um ihr eine Blutwelle vom Herzen bis in das zarte Gesicht zu treiben. Auch die Mutter schien den Schritt zu erkennens denn sie hob lächelnd die Hand. „Jawor? Bist du es?" „Ja, Mutter Warwara, ich bin es. Segen Gottes mit dir und mit dir, Irina." „Komm zu mir, mein Sohn, daß ich deine Hände fasse,! wenn ich dich frage." Der große Mann kniete vor der Alten.nieder und streckte ihr die Hände hin. „Frag',, Mutter Warwara, ich will antworten." j „Du bist als Abtrünniger von uns gegangen. Nein, antworte noch nicht, laß mich sprechen. Du hast als ge horsamer Sohn gehandelt. Du bist mit deinem Vater ge gangen, well er es von dir forderte. Weshalb bist du zurückgekommen?" „Weil ich mußte ... ich konnte nicht anders." Ein schneller Blick flog zu Irina hinüber, die noch immer am Tisch stand. Die Blinde hatte die Bewegung wohl gemerkt. Ein feines Lächeln huschte über ihr Gesicht. „Weshalb mußtest du, Jawor?" „Mutter ..." er beugte sich nieder und küßte ihre Hände, „. . . ich kann nicht leben ohne Irina . . . Und wenn ich in die Hölle kommen sollte . . ." „Es ist gut, mein Sohn, daß du so wahr sprichst. Ich. meine, der Himmel hat viele Wege, um die Menschen zur richtigen Erkenntnis zu führen. Dir hat er die Liebe zu meinem Kinde in das Herz gelegt, um dich vor dem Irr glauben zu bewahren, vor dem unsere Großväter geflohen sind in dies Land. Irina, mein Kind, tritt näher ... so, knie nieder . . . daß ich eure Hände vereinige . . ." Mit beiden Armen umfaßte sie die Köpfe der vor ihr Knienden und neigte ihr Gesicht über sie. (Schluß folgt) Der Menschheit Würde ist in eure Hand gegeben, / Bewahret sie! Sie sinkt mit euch! Mit euch wird sie sich hebenK