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»Wahrscheinlich haben sie sich auf einer der Haltestellen eingeschlichen*, bemerkte ein Passagier. Ich schüttelte den Kopf und antwortete: „In diesen Salzwüsten ringsum ist kein Baum und kein Versteck, und es war bis vor einer Stunde Heller Mondschein. Selbst ein einzelner Mann würde es sehr schwierig finden, einer Station auf eine Entfernung von einer Meile zunahe zu kommen, ohne gesehen zu werden; für sieben oder acht Mann aber wäre es geradezu unmöglich.* „Woher kennen Sie die Anzahl?* fragte ein anderer Passagier. „Ich kenne sie gar nicht*, antwortete ich. „Diese Zahl ist vom Zugpersonal angegeben worden; sie glauben, so viele seien es gewesen; ich selber glaube das aber nicht.* „Warum glauben Sie denn nicht, was Ihnen Ihre Leute sagen?* fragte Fräulein Cullen. „Zunächst, weil in solchen Fällen stets eine Neigung zu Übertreibungen vorhanden ist, zweitens, weil die Räuber so schnell wegliefen.* „Ich habe mindestens ihrer sieben gezählt*, behauptete Lord Ralles. „SKn, Lord Ralles", sagte ich, „ich will nicht mit Ihnen über die Güte Ihrer Augen streiten, aber wenn die Leute so stark an Zahl gewesen wären, so hätten sie sich nicht vom Fleck gerührt, und wenn Sie 'ne Flasche Wein halten wollen, so wette ich, es wird sich, sobald wir der Burschen habhaft werden, herausstellen, daß es nicht mehr als drei oder vier waren.* „Topp!* rief er. Ich ließ die Leute stehen und ging nach vorn, um den Bericht des Postbeamten entgegenzunehmen. Er hatte Ordnung gemacht und sagte mir, die Post sachen seien zwar fürchterlich untereinander geworfen; es sei aber höchstens ein einziger Briefbeutel geraubt worden, nämlich der mit den Wertbriefen. Die Räuber hätten ihn ausgeschnitten und die noch vorhandenen Briefe uneröffnet — das machte die Sache immer geheimnisvoller — über den Fußboden des Wagens verstreut. Es schienen aus der ganzen Zahl nur drei zu fehlen, allein auch diese seien vielleicht nur in eins der Sortierfächer geraten. Dann würden sie sich bei sorgfältigerem Nachsuchen schon wieder finden. Ich muß gestehen, ich atmete erleichtert auf, daß die Räuber nicht mehr mitgenommen hatten; ich freute mich darüber so sehr, daß ich mich zu dem Telegraphenapparai begab, um eine nachträgliche Meldung abzuschicken, damit den für die Presse bestimmten Depeschen auch diese günstige Wendung beigefügt werden könnte. Der Mond war unter gegangen, und es machte mir einige Schwierigkeiten, die Stange zu finden, wo der Apparat war. Als ich sie schließlich fand, stand Fräulein Cullen noch da; eine männ liche Gestalt war neben ihr, und als ich näher herankam, hörte ich die junge Dame unwillig sagen: . „Das werde ich niemals zugeben. Es ist unnobel, sich meine Lage in solcher Weise zu nutze zu machen. Nehmen Sie Ihren Arm weg, oder ich rufe um Hilfe!" Das war genug für mich. Mit einem einzigen Satz war ich neben ihr und gab dem Manne mit meiner flachen Hand einen Stoß gegen die Schulter. Verschiedene meiner ehemaligen Kommilitonen können bezeugen, was das besagen will, und diese waren seinerzeit auf meinen Stoß vor bereitet gewesen, was bei dem Manne an der Telegraphen stange nicht der Fall war. Er taumelte zurück, als hätte er einen Stoß mit dem „Viehräumer* einer unserer Lokomotiven bekommen, und fiel dann auf den Boden. Da er seinen Arm um Fräulein Cullen gelegt hatte, so verlor von dem Stoß auch sie den Halt und wäre ebenfalls gefallen, wenn ich sie nicht auf gefangen hätte. Gern hätte ich meinen Arm um sie ge schlungen, aber in diesem Augenblick durfte ich nicht meiner Sehnsucht nachgeben, sondern nur das tun, was ihr wahr scheinlich lieb war. Ich hielt mich daher zurück. Bevor ich Zeit gehabt hatte, eine Entschuldigung bei Fräulein Cullen zu Ende zu bringen, war der Mann wieder auf den Beinen und sprang mit einem zornigen Ausruf auf mich zu. Zu meiner größten Überraschung er kannte ich jetzt an der Stimme Lord Ralles und vergab darüber beinahe, auf meine Deckung zu denken. Obwohl er behende mit seinen Fäusten war, packte ich ihn, als er herankam, an den Handgelenken, und nun hatte er gegen einen Mann von meiner Stärke keine Aussichten mehr. xO, lassen Sie den Streit!" rief Fräulein Cullen. Während ich ihn festhielt, sagte ich: „Lord Ralles, lch hörte vorhin Fräulein Cullens Worte und glaubte, irgend jemand belästige sie. Deshalb schritt ich ein.* Dann lieb ich ihn los, drehte mich um und fuhr fort: „Es tut mir sehr leid, Fräulein Cullen, wenn ich etwas getan haben sollte, was nicht den Umständen an gemessen war." Ich ärgerte mich dabei über mich selbst wegen meiner Voreiligkeit; ich hätte mir doch sagen können, Fräulein Cullen würde schwerlich in eine solche Lage gekommen sein, wenn es nicht halb und halb ihr freier Wille gewesen wäre; und wenn ein Mädchen wirklich Hilfe braucht, so droht sie nicht erst lange, sie werde um Hilfe schreien. (Fortsetzung folgt.) Von Hierär^ten unä ihren Patienten. Plauderei von S. Fietz er. (Nachdruck verboten.) Es ist leider eine alte Erfahrung, daß manche Menschen mehr Herz für Tiere als für ihre nächsten An gehörigen haben und, vor die Wahl gestellt, lieber diese darben lassen, als ihren vierfüßigen Lieblingen auch nur das mindeste zu entziehen. Sonderbare Erfahrungen machen in dieser Hinsicht manchmal die Tierärzte. So wurde einmal mitten in einer bitterkalten Nacht ein Londoner Tierarzt herausgeklingelt, und eine Frage durch das Sprachrohr überzeugte ihn, daß seine Hilfe dringend benötigt wurde. Er stand auf und fand draußen vor seiner Tür einen ausgemergelten, offenbar stark lungen kranken Mann, der bei solchem Wetter nie und nimmer auf die Straße hätte gehen dürfen. Befremdet sagte der Tierarzt: „Mein Herr, Sie haben sich offenbar in der Hausnummer geirrt. Der Arzt wohnt nebenan." Hüstelnd und mit kaum verständlicher heiserer Stimme erwiderte der vermeintliche Patient: „O nein, für mich brauche ich keinen Arzt! Es handelt sich um das Hündchen meiner Frau. Es leidet an Atemnot, und sie ist außer sich vor Besorgnis. Darum hat sie auch nicht telephoniert; sie meinte, Sie würden schneller kommen, wenn ich Sie selber holte." Der Tierarzt ging mit und fand, daß der Patient, um dessentwillen man ihn und den kranken Mann in die schneidend kalte Nacht Hinausgetrieben hatte, nur über füttert war, also das zu viel genossen hatte, was die liebende Gattin ihrem Mann vorenthielt. Als ihr Hund hätte er es jedenfalls besser gehabt! Natürlich sind auch folche Fälle nicht selten, in denen es sich wohl rechtfertigt, daß ein Tierarzt einem Tiere die Ruhe einer ganzen Nacht opfert, so namentlich, wenn es sich um ein kostbares Pferd oder Stück Vieh handelt — stets vorausgesetzt, daß auch eine ernstliche Krankheit vor liegt. Und in solchen Fällen wird es auch keiner als ein unbilliges Ansinnen empfinden, mitten in der Nacht auf stehen zu sollen. Trotz aller Fortschritte der Automobile sind vorläufig doch die Tiere als Beförderungsmittel nicht zu entbehren, und in dieser Erkenntnis gibt sich die indische Regierung schon seit Jahren alle Mühe, das Wesen einer Krankheit zu erkunden, von der die Kamele befallen werden, und die den Namen Surra führt. Die Regierung hat sogar einen eigenen Tierarzt, speziell für Kamele, in Sowawa ange stellt, der nun nach jahrelangen Stüdien eine Kur aus findig gemacht hat, vermittels deren er durch ein lang wieriges Verfahren 75 Prozent der Krankheitsfälle zu heilen vermag. Er widmet sein ganzes Können dieser einen Aufgabe. Hier möge noch eine Anekdote Platz finden, die Str Morell Mackenzie, den Arzt des unvergeßlichen Kaisers Friedrich, betrifft. Der berühmte englische Maler Whistler telephonierte eines Tages an den ihm befreundeten Mackenzie, er möchte doch sofort einmal zu ihm kommen, und dieser folgte dem Rufe, obwohl er kaum Zeit hatte. Er drückte dem Künstler sein lebhaftes Bedauern aus, daß er sich schlecht befände, aber dieser erwiderte zu seinem Erstaunen: „O nein, lieber Freund, ich bin nicht krank! Es wäre mir nur lieb, wenn Sie mal nach dem Hund« sehen möchten." Mackenzie verbarg seine Empörung über reichte die «-»oerleutn Die Geburten: Gesichtspu L zu Leben heißt lieben und Liebe erwerben, - Ein liebloses Leben ist schlimmer als Sterben. Weinen aus dem Zimmer ihrer Herrin. Erschrocken stürzte sie hinein. Da lag das alte Fräulein auf dem Sofa und schluchzte — hatte einen richtigen Weinkrampf — stotterte auf Luisens angstvolle Frage nur immer: „Mein lieber, alter Freund — ich kann mich nicht von ihm trennen." „Von wem denn, gnädiges Fräulein?" „Vom Teetopf, Luise; ich habe ihn ja an Robert ge geben mein alter Freund * Luise stürzte in die Küche und bald lag der alt« Freund in den Armen seiner alten Herrin — und sie lacht« und weinte vor Glück. Und sie schlief mit ihm ei«, und da kollerte der alte Teetopf aus dm Armen hinunter auf den Teppich, und als Luise im Abenddämmern nach ihrer Herrin sah, trat sie darauf, und das Familien-Erbstück barst entzwei. So kam es, daß nach Tante Isidores Tod Luise in den Besitz des altm Teetopses gelangte, der ja nun nur noch alter Plunder war. Das familien-Grd stück. Skizze von Else Roch. (Nachdruck verboten.) ES war einmal ein alter Teetopf, der so alt war, daß er gar nicht mehr wußte, wann seine vier kleinen, zierlichen Füßchen zum ersten Male auf weißem, seidenglänzendem Damast gestanden hatten. Lange, lange mußte es her sein, denn schon mindestens fünf- bis sechsmal war er aus einer alten Hand in eine jüngere übergegangen. Das war nie ohne Eindrücke für den Teetops abgegangen. Beulen! Löcher zeigten sich in dem matten Silber, und jetzt zogen sich sogar tiefe Linien, wie Runzeln und Furchen in einem alten Gesicht, auch über den alten Teetopf. Von was er zählten diese tiefen Spuren des Lebens nicht! Von ge mütlichen Winterabenden, wenn draußen der Schnee wirbelte und kalte Hände sich um seinen warmen, hell blitzenden Leib gelegt — von Hellen, klingenden Stimmen, die um eine Tasse Tee aus dem schönen Teetopf baten — von dämmrig kühlen Sommermorgen auf grünbewachsener Veranda, wo schlanke, junge Frauenhände dem Liebsten den duftig goldigen Trank aus dem alten Teetopf ein- gegofsen. — Von Nächten, wo nur ein mattes Nachtlicht einen Schein warf und ein kleines Sümmchen süßesten Klang gab. Von Nächten, da Unruhe und Trauer im Hause war, wonach der alte Teetopf dann wieder in eine andere Umgebung gelangte. Jetzt waren Lis Hände, die ihn zitternd hielten, auch wieder alt und runzelig, so wie der alte Teetopf auch. Aber hier, in diesem gemütlichen Altjungfernheim, war er lange schon. Wohl dreißigmal mochte der Winter mit Sturm und Schnee und Eis vorübergezogen sein und der Sommer mit Rosendust sich in die Sinne geschmeichelt haben. Zusammen waren sie alt geworden, der Teetopf und seine Herrin, und gar oft hatte er nun schon in der Goldschmiedewerkstatt gestanden und hatte ein Pflaster auf seinen silbernen Leib bekommen. Aber dann tat er auch wieder seine Schuldigkeit, blinkte und blitzte und lächelte aus tausend Fältchen der Hellen Hängelampe zu. Anders war es mit der Herrin. Die lächelte gar nicht mehr, sondern schaute ost finster den Trautgesellen, den Teetopf, an. Und doch liebte sie ihn so zärtlich, und gerade weil sie ihn so liebte, blickte sie ihn so trüb an. Nur in die besten Hände ihrer zahlreichen Verwandten wollte Tante Isidore noch zu Lebzeiten den alten Teetopf legen, prüfen wollte sie alle Neffen und Nichten, wer am würdigsten sein möchte, das Familien-Erbstück dereinst weiter zu vererben. Und diese Prüfung war nicht so leicht, und deshalb trübten sich Tante Isidores behagliche Mienen. Nacheinander wurden die drei Neffen mit ihren Frauen, dann die zwei Nichten mit ihren Männern eingeladen. Der Teetopf blinkte dann in der Mitte des Tisches, und Tairte Isidore erzählte mit ihrer alten, dünnen Stimme die Geschichte seines Lebens, wie er zum erstenmal aus sagenhafter Vergangenheit der Geschlechter blinkend auf- ««taucht war, gleich einem Kometen am Nachthimmel. Sie rühmte, zitternd vor Wehmut, seine Treue, sie pries, hoch- amgerichtet in Stolz, seine Wärme haltende Eigenschast uod war jedesmal in Tränen aufgelöst, wenn die „Erben* wieder geschieden waren. Sa waren die Neffen Hellmut, Karl und Ulrich, sowie dk Nichten Elli und Hertha dagewesen, und die sämt- lud« Nichten-Frauen begannen Tante Isidore mit Ge schenken zu überhäufen. Da wurde gemalt, gebrannt, gestickt und geschnitzt — und Tante Isidore bedankte sich immer mit frohem Lächeln — und legte alle diese köst . dem alten Mädchen der Tante und drückte ihr dab« einen Taler in die Hand, „ich kann den Teetopf jetzt nicht mitnehmen, bringen Sie ihn mir heute nachmittag." „Jawoll, Herr Oberstleutnant — danke auch schön." — Nach einigen Minuten hörte Luise herzbrechendes dieses Ansinnen, nahm sich deS kranken TiereS an und ging. Einige Lage später erhielt Whistler ein dringendes Telegramm, in dem Mackenzie um seinen sofortigen Be such bat. Voller Neugier machte sich der Maler auch gleich auf. „Nun, was gibt's, alter Junge", begrüßte er den Freund, „Sie wissen, ich stehe Ihnen stets gern zu Diensten!" „Ja, sehen Sie, Whistler", erwiderte der Arzt, „ich muß Las Staket in meinem Garten mal neu streichen lassen, und da hätte ich gern Ihren Rat betreffs des passendsten Farbentones gehört!" lichen Dinge in einen Schrank, denn zum Gebrauch waren sie zu schade. Der Teetopf aber blinkte, trotz aller herr lichen Geschenke, noch inmitten des alten Mahagoni büfetts. Da kam eines Tages Robert, der älteste Neffe von Tante Isidore, in die alte Heimat. Er war Oberst leutnant z. D. und lebte mit seiner Familie in Naum burg a. S. Robert brachte seine Frau mit, und so ziemlich ihr erster Besuch galt Tante Isidore. Der Oberstleutnant war ein gemütvoller Mann, und als er nun unter Tante Isidores altem Hausrat stand, wurde ihm das Elternhaus lebhaft vor die Seele gezaubert. „Wie ist es behaglich bei dir, Tantchen", rief er fröhlich mit seiner lauten Kommandostimme, „als wenn ich zu Hause wäre im Elternhaus. Warst du es nicht auch, die den alten Teetopf der Urahne bekommen hatte? Ich entstnne mich seiner als des Urbilds der Behaglichkeit. Lebt er noch, der alte Topf? Oder ist er den Weg alle- Irdischen gegangen?" „Er lebt", sagte Tante Isidore feierlich, stand auf, humpelte schwerfällig ins Nebenzimmer und kam mit dem blanken Silberkrug zurück, „hier ist er. Kennst du ihn noch, Robert?" „I freilich, Tantchen. Gott, wie manche heiße Schale Tee hast du mir daraus eingegossen, als ich noch ein lustiges, junges Haus war — jetzt find wir beide alt ge worden — ja, ja." Der Teetopf stand auf dem Tisch, die Runen seiner Jahre zeichneten sich dunkel ab in dem hellblinkenden Silber. Schwerfällig hatte Tante Isidore wieder ihren Platz eingenommen, lebhaft aber forschten ihre Äuglein in den Gesichtern der Verwandten. Jugenderinnerungen frischte der Oberstleutnant auf, und immer spielte der Teetopf dabei eine Rolle — und Tante Isidore hörte lächelnd zu — nickte — und nickte wieder. „Da hast du ihn", rief sie plötzlich, ergriff den alten Teetopf und preßte ihn in des Neffen Hände, ihr Gesicht aber war blaß geworden und die Hände zitterten, „dir vermache ich ihn, du wirst ihn in Ehren halten und auch deine Kinder anhalten, dies zu tun — gebraucht ihn in Gesundheit und Glück — und Lenst — denkt manchmal der — der Vorbesitzerin — die — die ihn sehr, sehr liebtt* Die Stimme Tante Isidores brach vor Schluchzen. Der Oberstleutnant saß zuerst sprachlos — dann be griff er, und gerührt beugte er sich über die alten Hände der Tante, gerührt küßte seine Frau den welken Mund der alten Dame. „Er wird mein köstlichstes Kleinod sein, Tante Isidore — tausend, tausend Dank!" „Ja, ja, Kinder, und nun geht, lebt wohl." „Luise", sagte draußen in der Küche der Oberstleutnant