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um Mariechen bewarb. Und da die Försterstochter an dem schmucken Bewerber nichts auszusetzen hatte, ergab es sich von selbst, daß sich zwei Paare bildeten. Vorn gingen die zukünftigen Brautleute, in rücksichtsvollem Abstand hinter ihnen Hans und Adele. Der junge Grünrock war in einer merkwürdigen Stimmung. Ein stilles Glücksgefühl erfüllte ihn, das nur durch eine grenzenlose Verlegenheit getrübt wurde. Er war sonst nicht schüchtern, er hatte auch etwas gelernt und viel gelesen, aber hier verließ ihn seine Gewandtheit. Er wußte nicht, was er mit dem Mädchen sprechen sollte. Und dieser Gedanke vermehrte seine Verlegenheit. Adele mußte ihn für einen Bärenhäuter, einen unbeholfenen Hinterwäldler halten. „Schieben Sie immer so gut?" Hans fuhr aus seinen trüben Gedanken auf und er widerte erstaunt: „Weshalb fragen Sie?" Nun lachte Adele laut auf. „Wir können doch nicht wie zwei Stockfische nebeneinander einhergehen. Und da Sie gar keine Anstalten machen, mich zu unterhalten, muß ich es tun." „Entschuldigen Sie, Fräulein, mir geht so vieles im Kopf herum. Und mich drückt das Bewußtsein, daß Sie mir innerlich feindlich gegenüberstehen." „Ich hätte alle Ursache dazu. Sagen Sie mir bloß eins: Weshalb haben Sie unseren alten, lieben Waldmann erschossen?" „Versetzen Sie sich doch in meine Lage, Fräulein: Ich laure auf den Schlingensteller. In dem Augenblick, wo er erscheint, taucht ein Hund vor mir auf. Da mußte jeder Beamte genau so handeln wie ich: zuerst den Hund erschießen und dann den Wilddieb abfassen." „Mein Onkel ist kein Wilddieb!" „Ja, mein Fräulein, das kann ich doch nicht wissen, wenn ein fremder Mensch vor meinen Augen ein Reh aus der Schlinge löst und wegschleppt. Wenn Sie mir an dem leidigen Vorfall eine Schuld beimessen wollen, dann muß ich das ablehnen. Die Schuld trägt allein Ihr Pflegevater. Als nächster Nachbar mußte er wissen, daß ein neuer Beamter, der ihn nicht kannte, ins Revier gekommen war. Er konnte nicht annehmen, daß ich so duldsam sein würde wie mein Vorgänger. Und ich müßte ihn heute noch, obwohl ich ihn kenne, wegen unbefugten Sammelns von Pilzen anzeigen, und jeden Teckel, der im Wald umherstrolcht, totschießen. Das ist nicht nur mein Recht, sondern auch meine Pflicht. Und die würde ich verletzen, wenn ich gesellschaftliche Rücksichten nehmen wollte." „Da muß ich dir vollkommen beistimmen", sagte der Hegemeister, der unbemerkt herangekommen war. „Das habe ich meinem Freund Gruber sofort gesagt, als ich die Geschichte erfuhr." „Aber Oukrl, du glaubst doch nicht, daß Papa das Reh stehlen wollte?!" „Sie machen mir damit den Vorwurf, daß ich die An zeige erstattet habe. Den muß ich noch viel schärfer ab lehnen. Das wäre ja noch schöner, wenn uns das frei stände, über solche Vorfälle aus eigener Machtvollkommen heit zu entscheiden! Nein, das bleibt Sache des Gerichts. Aber Ihrem Pflegevater kann ich den Vorwurf nicht er sparen, daß er als erfahrener Mann und Beamter sich nicht sagte, in welchen Verdacht er sich durch seine Handlung bringen mußte." „Auch das ist richtig, mein Junge!" „Darf ich noch eine Frage an Sie richten, Herr Forst aufseher?" Hans verneigte sich zustimmend. „Halten Sie meinen Pflegevater nach allem, was Sie über ihn gehört haben, für einen Schlingensteller und Wild dieb?" Ihre Stimme zitterte, und ihre Augen blitzten vor Erregung. Überrascht sah Hans sie an. Noch nie war sie ihm so schön erschienen, als in dieser leidenschaftlichen Er regung. Und gleichzeitig fühlte er, daß seine Antwort Mr ihr gegenseitiges Verhältnis von entscheidender Bedeutung werden konnte. Er zuckte deshalb die Achseln. „Das ist eine Ge wissensfrage, die ich nicht beantworten kann." „Bitte, weichen Sie mir nicht aus — ja oder nein?" Jetzt schoß Hans das Blut zu Kopf. Er richtete seine schlanke Gestalt auf und sah ihr fest ins Auge. „Ich bin nicht gewohnt, zu heucheln, mein Fräulein. Vielleicht würde ich klüger handeln, wenn ich Ihnen ein« gewundene Antwort geben würde, aber da ich Ihnen mein« ehrliche Überzeugung sagen soll, antworte ich Ihnen mit einem glatten „Ja"! Das Mädchen zuckte zusammen, wie unter einem Schlage. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. (Fortsetzung folgt.) Vie Versteigerung. Skizze von Ruby M. Ayres, übersetzt von L. Kulol. (Nachdruck verboten.) Bitteren Schmerz empfand John Loder, als er mit verschränkten Armen dastand und da- unordentliche Zimmer betrachtete. Sein Heim — das kleine Haus, wo er soviel Glück und noch mehr Sorgen erfahren hatte — war jetzt nichts als ein öffentliches AuktionSlokal. Die kleine, grün gestrichene Vordertür stand weit offen, um jeden, der Lust hatte, hereinzulassen. Die Blumenbeete und der Grasplatz waren zertreten von Hunderten von Füßen. Neugierige Augen und tastende Finger untersuchten die einfache Ein richtung und die paar Kostbarkeiten, an denen er sich in den letzten sechs Jahren erfreut hafte. Und doch — was hätte er anderes machen sollen? Mit welch anderen Waffen hätte er die schreckliche heran- schleichenbe Blindheit, die ihn nach und nach von der Welt ausgeschlossen hätte, bekämpfen sollen? Nichts als absolute Ruhe und, wenn möglich, eine Seereise: so hatte ihm der stattliche Herr mit der goldgeränderten Brille gesagt. „Und wenn keines von beiden möglich ist?" hatte Loder sehr ruhig gefragt. Die Antwort bestand nur in einem sehr bezeichnenden Achselzucken. „Totale Blindheit". Das war vor vierzehn Tagen. Loder hatte seit jenem Nachmittag, als er aus dem prunkvoll eingerichteten Sprechzimmer in seine bescheidene Behausung zurückgekehrt war, schwere Stunden durchge macht. Ganz allein hatte er an jenem trüben Novembernach mittag die Feigheit, die ihn immer wieder übermannen wollte, niedergekämpft. Zweimal hatte er vor jenem Schubfach gestanden, in dem ein Revolver lag, seit jenem Tage, als „sie" ihn ver lassen hatte, zweimal hatte er ihn in die Hand genommen und der Stimme der Versuchung gelauscht. Es erschien so leicht — eine Sekunde — und dann daL endlose Nichts Aber der Mann in John Loder siegte über den Feig ling, und er hatte beschlossen, den schwereren, steileren Weg zu gehen. Er wollte leben: er wollte sich jetzt nicht unterkriegen lassen, nachdem er so lange gegen ein unabänderliches Ge schick gekämpft hatte; und dann — war „sie" nicht noch irgendwo in der Welt? und war nicht die Hoffnung noch da, daß doch vielleicht eines Tages — So hatte Loder den Revolver wieder fortgelegt und den Entschluß gefaßt, allem, was käme, die Stirn zu bieten. Es gab nur einen Weg: alles zu verkaufen, was er hatte, sich Ruhe zu gönnen und die Seereise zu unter nehmen, die ihm angeordnet war. Loder war ein Mann von schnellem Entschluß. Jetzt, kaum zwei Wochen später, sah er zu, wie rohe Hände sich an seinem Eigentum vergriffen, und wild krampfte sich sein Herz zusammen. „Fünf Pfund — fünf Pfund zehn Schilling — sechs Pfund." So handelten sie, überboten sich und kämpften um den Besitz der Sachen, die er mit solcher Sorgfalt ge sammelt und so lieb gewonnen hatte. Welche Erinnerung, heitere wie traurige, rief nicht jedes Ding wach, das hier von rohen Händen angeboten und verkauft wurde! Da war das Klavier, das er nach monatelangem Sparen gekauft hatte, um der Frau eine Freude zu machen, die er liebte und die ihn beim ersten Ruf des Schicksals im Stich gelassen hatte. Da war der Schreibtisch, den er ihr zur Hochzeit ge schenkt hatte, und in dem er noch an diesem Morgen einige von seinen Briefen aus der Zeit ihrer Verlobung gesunden batte. Da war die Mr mit dem goldenen Zeiger, über Vie sie sich so kindlich gefreut hatte, als er sie mitbrachte. Er entsann sich, wie sie ihm oft nachts zugeflüstert hatte, er sollte auf den reizenden Schlag hören. Da waren die kleinen weißen Babykleider, die —leider nur so kurze Zeit — die süße Frucht ihrer Liebe eingehüllt hatten — alles wurde verkauft — alles sollte er verlieren — vieles war schon in anderen Händen. Er haßte daS Geld, das sie ihm bringen würden — eS schien ihm, als klebe Blut daran; er hätte es zurück schleudern mögen in die blöden, gierigen Gesichter, die das Zimmer füllten. Und doch — wie konnte er weiter leben, wenn er nichts hatte, um den Dämon zu bekämpfen, der nur darauf lauerte, ihn zu überfallen und ihn in die ewige Nacht hinauszustoßen. „Zwei Pfund — zwei Pfund zehn Schilling — drei Pfund -" Sie verkauften jetzt das Klavier — das Klavier, auf dem er so oft gespielt hatte in jenen glücklichen Tagen, die ihm entschlüpft und verloren gegangen waren, wie Perlen, die von der zerrissenen Schnur gleiten und in die Dunkel heit rollen. „Fünf Pfund — fünf Pfund zehn —", mechanisch horchte er auf, als das Angebot höher und höher stieg. „Zwölf Pfund — zwölf Guineen — dreizehn — vier zehn — fünfzehn —" Es schien einen hohen Preis zu erzielen. Er hatte es alt gekauft und hatte weniger dafür bezahlt, als jetzt schon dafür geboten wurde; und das war vor fünf Jahren! Vor Muf Jahren! Ihm kam es vor, als wäre es gestern erst gewesen, als es durch -die schmale, grün ge strichene Tür hereingetragen wurde und „sie" wie ein ausgelassenes Kind auf der Treppe stand und vor Freude in die Hände klatschte. Was für ein Abend war das! Sie hatte nachher gespielt und gesungen in ihrem kleinen Wohnzimmer, und dann hatte sie sich plötzlich auf ihrem Stuhl herumgedreht und ihre Arme um seinen Hals gelegt, als sie ihn hinter sich stehen sah — vor fünf Jahren! Und dann war das Baby gekommen — das kleine, zarte Blümchen, das in ein paar Wochen verwelkt und gestorben war — und dann war ihr Leben nicht mehr dasselbe, glückselige wie vorher. Sie schien nachher nie mehr glücklich und zufrieden zu sein, alle Fröhlichkeit war aus ihrem kleinen Heim gewichen; sie wurde des stillen, engen Lebens müde und wurde auch seiner müde, denn sonst hätte sie ihn wohl nie verlassen, um dem Phantom „Ruhm" zu folgen. Einmal nur hatte er sie seitdem gesehen, und das war, als er, ihr Gatte — der Mann, den zu lieben und zu ehren sie gelobt hatte — wie irgendein Fremder in das Theater gegangen war, um sie zu sehen. Ihre Träume haften sich erfüllt; sie war wirklich be rühmt geworden. „Ich weiß, daß ich etwas leisten kann", hatte sie ihm bei jener letzten fürchterlichen Unterredung gesagt, als er ihr gedroht hatte, ihr niemals zu vergeben, wenn sie wider seinen Willen zum Theater ginge. „Ich weiß, daß ich etwas leisten kann, und ich bin dieses Lebens so müde; willst du mir im Wege stehen?" So war sie gegangen, und er hatte sie nie wieder gesehen, außer an jenem Abend, als sich im Theater ihre Blicke trafen. Sie hatte ihn erkannt und hatte ihm durch den Diener einen Zettel geschickt, er möchte kommen und mit ihr sprechen; aber er war nicht gegangen, und sie waren sich seitdem nicht mehr begegnet. Das Klavier wurde immer noch ausgeboten. „Sieb zehn — achtzehn." Und jetzt hörte man nur noch zwei Stimmen, Li? sich gegenseitig Überboten. Loder sah neu gierig auf, um zu erfahren, wer die beiden wären, aber sie waren ihm beide fremd; ein Mann, der mehr zum Vergnügen zu bieten schien, als aus dem Wunsche, Las Instrument zu besitzen, und eine dicht verschleierte Dame, die ihre Angebote ruhig und bestimmt sagte. Er glaubte, nicht länger in dem Zimmer weilen zu können; ihm war, als ob alle Anwesenden in seinem Gesicht Lie Geschichte seines zerstörten Lebens lesen könnten. Die Leute sahen ihm neugierig nach, als er sich langsam nach hinten stahl und aus den kleinen, unordentlichen Korridor hinaustrat. Ctn paar Männer standen gegen da8 Treppengeländer gelehnt, gerade dort, wo „sie" an jenem Wend das Klavier erwartet hatte, und unterhielten sich sehr laut. „Nichts als altes Gerümpel; nichts in der ganzen Bude ist eine Zehnpfund-Note wert", sagte einer, als Loder vorbeiging. (Schluß folgt.) - bin Uebes Urcben. , Humoreske von A. Gen sich. (Nachdruck verboten.) Leutnant Schneidewitz, der auf Freiersfüßen geht, will seine Auserwählte, eine reizende, junge Witwe, die vor einigen Tagen aufs Land gezogen ist, zum erstenmal in ihrer schön gelegenen Villa besuchen. Er klingelt an der Gartenpforte und tritt, da er bemerkt, daß dieselbe un verschlossen ist, in die nach der Villa führende Kastanien- Allee, als er sich von einer großen Bulldogge angesprungen sieht, die schweifwedelnd, mit allen Anzeichen einer aus gelassenen Freude, ihre mächtigen Tatzen auf seine Schultern legt. Schneidewitz streichelt Las Tier mit der Hand und ruft: „Runter mit den Pfoten! — Das verdammte Biest richtet mich ja schön zu!" Während er von dem Hunde, Ler sich gar nicht be ruhigen will, fortwährend angesprungen und mit Sand beschmutzt wird, hat Schneidewitz das Haus erreicht, dessen Tür von einem Diener geöffnet wird. Erfreut, Frau von S. zu Hause anzutreffen, kitt er in den Salon, immer noch von dem Hunde hegleitet, der mit einem Satz auf das Sofa springt und es sich dort bequem macht. „Infamer Köter!" denkt der Leutnant. „Das Vieh scheint ja recht nett verzogen zu sein!" Bald erscheint Frau von S., und Schneidewitz hat im eifrigen Gespräch mit der Dame den Hund bereits völlig vergessen, als das Tier plötzlich vom Sofa herunterspringt und die eine Pfote auf das Kleid der Dame, die andere auf die Beinkleider des Leutnants legt. Frau von S. scheint sich aber über die Ungezogenheit des Hundes nicht im geringsten zu ärgern, sie liebkost das Tier und benennt es mit allen möglichen Schmeichel namen. „Wirklich ein liebes Tierchen!" pflichtet Schneidewitz bei, während er sich im stillen sagt: „Wenn ich dein Herr wäre, schlüg' ich dich windelweich, niederträchtige Bestie! Leider darf ich's nicht, deine Herrin würde es mir nie verzeihen." Der Hund wird wieder vergessen. Der Leutnant, der ein ausgezeichneter Reiter ist, er zählt gerade eine hochinteressante Sportgeschichte, als der Hund, der sich vernachlässigt sieht, zu knurren beginnt und die Zähne fletscht. „Artig, artig, mein hübsches Tierchen!" meint Frau von S. und streichelt liebkosend das Fell des Hundes. „Ein äußerst drolliges Tier!" bemerkt der Leutnant, während er bei sich denkt: „Diese Frau hat wirklich eine geradezu lächerliche Vorliebe für den häßlichen Köter!" Man begibt sich hierauf in das Eßzimmer, die Dogge natürlich voran. Durch den frischen Bratengeruch an gezogen, stürzt sich das Tier mit einem mächtigen Satze auf die gedeckte Tafel, packt ein gebratenes Huhn und ver schwindet damit in den Garten. Frau von S. bewahrt auch hierbei ihre volle Ruhe und meint nur lächelnd: „Tut nichts, ein recht närrisches Tierchen!" „Sie haben wohl Hunde sehr gern, gnädige Frau?" kann der Leutnant nicht umhin zu fragen. „Ich — Hunde? Ich kann sie nicht ausstehen!" „Wer diese Dogge scheinen Sie doch sehr zu bevor zugen?" „Das ist etwas anderes, weil sie Ihnen gehört!" „Mir?" ruft Schneidewitz erstaunt. „Ich kann keinen Hund von weitem sehen! Mir gehört der Hund nicht!" „Wie, der Hund gehört nicht Ihnen? — Ach, dann gehört der häßliche Köter irgend jemand in der Nachbar schaft, und wir haben die schöne Zeit mit dem Vieh ver trödelt!"