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„Ich habe keine Lust.' „Keine Lust! Du hast dock' früher Lust zum Malen gchabr!" „Damals", warf er ein. „Du hast Talent dazu — warum auf einmal nicht?" Er zuckte die Achseln und schmieg. „Willst du mir nicht wenigstens antworten?" „Es hat keinen Zweck. Du ereiferst dich nur." Josephine war empört. „Was willst du denn tun? Etwas mutz ein Mann dock arbeiten. Wie kannst du so das Leben ertragen?" „Es geht ganz gut", lächelte er, und iah sie dabei fest an. „Essen, trinken, schlafen. Man gewöhnt sich. Du hast es so gewollt." Damit stand er auf, machte ihr eine sehr tiefe Ver beugung, und gleich darauf fiel die Tür hinter ihm ins Schloß. „Du hast es so gewollt —" Das ganze große Zimmer schien voll von dielen Worten zu sein. Josephine war, als müßte sie sich vor ihnen verbergen. Sie legte die Hände vor das Gesicht und blieb still vor dem alten Schreibtisch sitzen. „Du hast es so gewollt —" Was sie wollte, hatte immer geschehen müssen. Das war zum Besten der Familie nötig. Das war ihr Stolz. Sie hatte regiert. Sie hatte die Macht dazu, denn mit Geld kann man alles. So hatte sie gedacht. Und nun war ihre Macht zu Ende. Die beiden letzten von der Familie waren unglücklich, freudenlos, elend. — Wo fand sie eine Macht zu ändern und zu bessern, wenn die Macht des Geldes versagte? Und sie mußte es ändern, denn sie war schuld daran, daß es so gekommen war. Was war Adalbert für ein frischer, fröhlicher Mann gewesen! Begeistert für seinen schönen Beruf, voll Ver trauen in seine Kraft, voll Hoffnung auf die Zukunft — bis — bis sie ihm den Glanz und die Macht des Geldes zeigte. Bis sie ihn glauben lehrte, daß man mit Geld Lebensglück kaufen könnte, bis sie ihn langsam und sicher, mit kluger Berechnung ihren Plänen gefügig machte. „Ich wollte ihn glücklich machen", seufzte sie. „Wer bist du denn, daß du ein Menschenschicksal leiten kannst?" höhnte die leise Stimme in ihrem Innern, die jetzt so oft und so Bitteres redete. „Wer bist du, daß du Menschenherzen und Menschen schicksale leiten willst, und bist doch blind und kennst dein eigenes Herz nicht? Du denkst, Liebe ist's, die dich zum Handeln treibt — und doch hast du die rechte Liebe nie gekannt —" „Ich habe Lothar geliebt!" „Geliebt? Die Liebe sucht nichts für sich. Du hast mir daran gedacht, daß du ihn besitzen wolltest. Und als du merktest, daß er gar nicht an dich dachte, daß all der Reichtum, den du ihm geben wolltest, nicht genügte, dir sein Herz zu kaufen — da haßtest du ihn. „Ihn und die arme junge Frau. Wenn es Liebe ge wesen wäre, hättest du ihn dann in Armseligkeit und Sorgen sterben lassen? „Du wußtest sehr gut, daß sich die beiden in un gewohnter und darum doppelt empfundener Kargheit ab mühten. Hätte nicht dein Vater, dessen Stolz und Liebling du warst, auf ein Wort von dir das Einkommen des tüchtigen Mannes verdoppelt, verdreifacht? „Nur ein Wort von dir — aber du sagtest es nicht. Dein Vater merkte, was in dir vorging, und lachte im stillen." „Das Mädel versteht's. Sie will ihm zeigen, wie dumm er war. Mir kann's recht sein. Finchen soll ihr Vergnügen haben." Nachher starben die beiden, und der Sohn blieb allein übrig — für Liebe und Haß. „Er war Lothars Sohn — ich habe ihn geliebt — ich liebe ihn noch. Ich möchte alles geben, was ich habe, um ihn wieder glücklich zu machen!" „Glücklich zu machen", wiederholte leise die anklagende Stimme, „das wolltest du wohl — aber hast du jemals gefragt, was für ihn Glück ist? Du wolltest ihn nach deinem Willen leiten. Erst hieri«. kann dorthin — du nahmst ihm das, wonach sein Herz schrie, und gabst ihn Geld — immer Geld — nur Geld —" „Ich habe nichts anderes —" „Dann bist du sehr arm. Arme Josephine. Besinn, dich, ob du gar nichts anderes hast. Nur Geld — wn traurig ist es, wenn man nur Geld hat —" Es war schon ganz dunkel geworden, als Josephim sich endlich erhob. Stundenlang mußte sie vor dem alter Schreibtisch gesessen haben. Aber sie war nicht mehr mutlos. Es sollte doch noch alles gut werden. Wenn man den guten Willer hat, ein Unrecht zu sühnen, dann findet man auch einen Weg. — Sie sah jetzt einen Weg. Diesmal hatte sie es falsch angefangen. Welcher Mann läßt sich von einer alten Tante etwas verschreiben? Und wenn es das Beste, Schönste wäre, er wird dagegen sein. Es kommt immer darauf an, wer etwas sagt. Klärchen mußte die Sache in die Hand nehmen. Eine junge, hübsche Frau hatte natürlich mehr Erfolg als eine alte Tante. Josephine nahm sich vor, morgen mit Klärchen über diese Angelegenheit zu sprechen. Klärchen war leider sehr bequem geworden. Das unglückselige Beispiel ihrer Mutter war daran schuld. Und nach der Geburt der Kinder hatte sie sich auch wirklich eine Weile schonen müssen. Jetzt war sie aber gesund, und sie würde natürlich einsehen, daß irgend etwas geschehen müsse. Sie sollte nun mit ihrem Mann reden. Wenn's mit den Sparrwenzelschen Werken nichts werden könnte, -und wenn Adalbert auch durchaus nichts vom Malen hören wollte, dann wäre doch Elberin immer noch da — oder ein größeres Gut. Er sollte nur aussuchen. Es könnte alles eingerichtet werden. Eindringlich und verständig mußte Klärchen das alles sagen. Es würde auch gar nichts schaden, wenn sie etwas von Sichmühegeben und von Klügergewordensein dabei erwähnte. Das würde sie aber jedenfalls am besten wissen, ihr Herz würde ihr schon sagen, was sie in diesem Fall zu tun hätte. Der nächste Tag war ein Sonntag. Beim Mittag essen, das Josephine Sonntags immer unten bei ihren Verwandten einzunehmen pflegte, war man sehr schweigsam. Nur Rose und Klem-Klärchen wurden lebhaft, als sie von Fräulein Dorn sprachen. Heute nachmittag durften sie wieder zu ihr kommen. Sie konnten die Zeit kaum erwarten. Nach dem Essen saßen Klärchen und Josephine, wie allsonntäglich, in dem prächtig eingerichteten Erker von Klärchens Zimmer. . (Fortsetzung folgt.) Die ferienreise. Momentbilder von A. Mark. (Nachdruck verbann.) „Was hat Ihnen heule eigentlich die Witwe getan, Sanden?" fragt ein schlanker, dunkeläugiger Herr sein Gegenüber, einen wohlkonservierten Fünfziger. „Kann ich Ihnen nicht endlich einschenken? Der Stoff ist wirklich süffig, die Temperatur genau getroffen. Linken Sie mal aus, vielleicht bekomm' ich dann etwas mehr Stimmung in Sie hinein . . . Wo in aller Welt zwickt es Sie? Das Diner war vorzüglich, und hier von unserm behaglichen Plätzchen aus sehn wir an diesem schönen Sonntag halb Berlin an uns vorbei zum Grunewald pilgern, ohne uns selbst in ein unangenehmes Gedränge zu begeben. Herz, was willst du mehr? Ich kenne unangenehmere Situationen!" Sie sitzen — zwei mittelalterliche Junggesellen der guten Gesellschaft — am Fenster eines eleganten Austern salons des Berliner Westens; beide haben schon etwas ge lichtete Haare und die tadellosen Allüren des Gentleman. Der Sprecher, Rittmeister a. D. von Labert, stäubt die Asche von seiner Zigarette und lehnt sich in den Stuhl zurück, mit der einen Hand zieht er die Champagnerflasche aus dem Kühler.... „Lassen Sie mich Ihnen ein schenken," wiederholt er. „Sie haben recht," entgeuack der Angeredete und «st A s L st 8^/ K S F FS / ML- ZFMFZ zieht sich die Serviette unter dem Kinn fort. ... „ES ist verteufelt wenig kameradschaftlich von mir, Ihnen hier heute mit einer elegischen Stimmung zu kommen . . . Der Lag ist bildschön, und dies bunte großstädtische Getriebe, dies Durcheinanderschwirren von jung und alt, von reich und arm, zu Fuß, zu Rad, in der Droschke oder der Elektrischen, sieht sich höchst pläsierlich an." Er seufzt doch wieder, als er seinem Gefährten den leeren Sektkelch hinhält. „Nun angestoßen," kommandierte dieser, „nach alter Sitte auf den bekannten General Knusemong." Der Ritt meister mustert scharf sein Gegenüber. „Da kann ich momentan kaum mithalten," entgegnet Sanden und zerknittert ärgerlich die Serviette. „Na, kurz und gut, einmal muß es ja doch raus .... Therese hat mit mir gebrochen." Er sagt dies mit wirklichem Be dauern in seinem liebenswürdigen Gesicht, ein tieferer Atemzug hebt ihm die Weste über dem behaglichen Em- bonpoint. „Also mal wieder „la komme"", meint Tabert, „wenn weiter nichts ist! Darum die Miene, als wäre Ihnen die Gerste verhagelt! Wie oft habe ich Prediger in der Wüste Ihnen schon geraten: verderben Sie sich Ihr bißchen Leben doch nicht durch die Sentimentalität, die Sie durchaus selbst in diese Sorte Abenteuer hineinmischen müssen. Die wirklich schönen Gefühle reserviert man sich doch für eine Sorte Frauen, zu denen man — hat man Glück — seine Mutter, Schwester oder Ehefrau rechnen darf; die andere Sorte wird für die irdischen Rosen, die sie ins irdische Leben sticht, einfach bezahlt .... aber sein Herz dabei? Nein, Perehrter, das ist eine Verschiebung der Werte.... dieser Teil Weiblichkeit cst doch nur yn, yn," mit verächt licher Bewegung schnellt er ein paar Brotkrümel vom Tisch. „Und nun berichten Sie mal: wie kam's mit der schönen Therese? Wollte sie mehr Brillanten, als Sie bezahlen können, oder eine Villa, oder — sollten Sie sie heiraten? Na, was war's?" „Ein reizender Käfer ist und bleibt die Thesi", brummt Sanden. „Hätte sie es sich nur nicht mit der Reise in den Kopf gesetzt! Ich weiß nicht, erzählte ich Ihnen, daß sie Badenserin ist. und nun sollt' ich partout dort rüber mit ihr. ,Du weischt ja nimmer, mei' herz'ger Bub', wie schön 's halt jetzt da drunte is in Bade-Bade... und die Mamma und der Pappa täten sich so arg freue', bettelte sie. Ich war ja bereit, sie allein fahren zu lassen. Aber nein .Kurtele, du muscht mit, und i sag', wenn du nit mitkommfcht, is 's halt mit uns.zwei beid' zu End!' Na, wissen Sie, ich mußte hart bleiben. Die Welt ist ein Nest, und man stößt überall auf Bekannte, mich da öffentlich in dem großen Badeort mit ihr zu zeigen und Papa und Mama im Hintergrund, na, wissen Sie, das ist nicht zu machen! Ich versuch' außerdem auch sie noch ein wenig zu erziehn; nicht jeder Wunsch darf ihr erfüllt werden, und . . ." Der Rittmeister lacht so herzlich, daß ihm der Kneifer von der Nase fällt. „Dies setzt allem die Krone auf! Erziehn! Ha, ha, ha . . . Und das Resultat dieses Versuchs?" „Negativ", murmelt Sanden niedergeschlagen. „Ich darf nicht mehr kommen, und", setzte er zögernd hinzu, „als Peter und ich neulich abends doch mal vorsprachen, öffnete sie gar nicht. Ich sah nur eins ihrer großen dunklen Augen am Guckloch der Korridortür. „Du gehst dei Weg' mit dei Hündele", rief sie. Der andere schüttelt sich vor Vergnügen. „Köstlich — nein — unbezahlbar! . . . Wo ist übrigens Peter, der vierbeinige Gefährte Ihrer Abenteuer? Vorher gab ihm der Ober drüben in der Ecke ein paar Knochen, seit der Atzung würd' er, glaub' ich, spurlos. Es ist nur gut, daß Emil ihm gleich wieder den Maulkorb umtut, sonst würde Ihnen das hübsche Tier am Ende noch weg- gekäschert." „Da ist keine Gefahr", entgegnete Sanden, „er ist zu schlau, um leicht mitzugehn. Er mag sich auch hier noch irgendwo verkrochen haben." Sich erhebend, pfeift er leise und macht die Runde durch das Lokal . . . nirgends eine Spur von Peter. Der Kellner, welcher, an der Tür stehend, auf das Gewühl hinaus schaut, erklärt auch, der Hund wäre gleich nach dem Füttern verschwunden. Mit diesem Bescheid beruhigt sich der Besitzer von Peter, da er dessen Findigkeit keuM. „Das Hündele ist am Ende auH irgend wa8 Nied« lichem, Vierbeinigem auf der Spur", neckt Labert. „Warum soll es im Hundeherzen nicht auch Gefühle geben?" Es wird gegen Abend. Die Sonne sinkt und beleuchtet nur noch das goldene Kreuz auf dem Kirchturm. Die geputzte Menschenmenge flutet zur Stadt zurück. An Kremsern und Rädern hängen die grünen Dekorationen schon matt, verstaubt. Der Austernsalon füllt sich wieder mehr, ein Trupp Radler drängt hinein; hinterher kommt ein kleiner Affenpinscher getrippelt. Sanden sieht ihn zu erst und pfeift nach ihm, es ist der entlaufene Peter. Er scheint sich nicht ganz schuldlos zu fühlen, denn er setzt sich vor Herrchen hin und macht schön. Nun springt er auf einen leeren Stuhl neben ihm, stützt schwanzwedelnd die Vordersüße auf den Tisch und sieht ihn mit menschlich klugen Augen bittend an. „Donnerwetter", fährt da der Rittmeister auf, „sehen Sie doch mal, wie der Köter rausgeputzt ist. Was hat er denn eigentlich um?" Folgendes: Ein zartlila Band von schwerer Seide, oben zu einer Schleife verschlungen. Die beiden Freunde staunen. Woher kann dieser Schmuck stammen? Sanden zieht das weiche warme Tierchen liebkosend an sich. Da steigt ihm ein aufdringliches Parfum aus dem Schleifchen in die Nase. Violette de Parme blanche, ziemlich indiskret gebraucht. Mit einmal wird's ihm sonnenklar. Ihr — Thesis — Leib-Parfum ist das, sein Portemonnaie kann davon erzählen, und heiliger Bimbam ja, dies pastellzarte Violett ist ihre bevorzugte Farbe. Auf dem teuren weißen Hauskleid von Gerson sitzen solche Bandschleifen . . . Nattirlich . . . Peter, in dem guten Glauben, Herrchen folgt mir, ging den gewohnten Weg zu ihr, ward gnädigst angenommen und „ihre liebe, kleine Hand schmückte ihn mit lila Band." In Peter ist der Friedensengel verkörpert, er stellt die Taube mit dem Ölzweig vor — „sie" bändelt wieder an in des Wortes direktester Bedeutung. Außerdem, es ist wirklich rührend von ihr, zu Hause zu sitzen, selbstredend, weil sie dachte: wenn ich nicht mit Kurtele ausgehen kann, dann gar nicht. Der empfindet diese schöne Treue tief und teilt sie seinem Kameraden mit. Tabert, der Zyniker, hat wieder sein polterndes Lachen. „Die Situation reißt mich zum klassischen Zitat hin", ruft er, „ein Zeichen hat der Himmel mir verheißen, er sendet mir das Band usw. Aber, zwei LoZnae monsssuxl Die treue Thesi soll leben und der schlaue Peter daneben!" Sie stoßen mit den Gläsern an, haken die kleinen Finger ineinander und sind quietschfidel. Nur Sanden treibt jetzt zum Aufbruch. Man saß schon so lange und muß sich noch ein wenig die Füße ver treten. „Aha", sagte der Rittmeister schmunzelnd; sie zahlen und trennen sich vor dem Lokal. Als Tabert am Montag durch die Königgrätzer "Straße nach dem Tattersall geht, wo sein Reitpferd einsteht, muß er einer Verkehrsstörung wegen stehenbleiben und mustert unwillkürlich die festgebannte Reihe von Vehikeln vor sich. Er kann durch feinen Kneifer vorzüglich sehen und über blickt die ganze Linie genau. Beinahe zuhinterst hält ein Taxameter mit einem Riesenkoffer auf dem Bock. Im Fond sitzen ein Herr und eine Dame. Aus ihrem pikanten Gesichtchen, das tieffrisiertes Haar umrahmt, schauen ein paar dunkle Glutaugen schmachtend in die Welt; auf dem Schob hat sie einen kleinen Affenpinscher. Dem Hündchen gefällt sein Platz, es hat sich mollig zusammengerollt, aus seinen braunschattierenden Seidenlocken guckt eine zarte Bandschleife. Der Herr erhebt sich eben von ihrer Seite — inzwischen rückten die Wagen langsam näher zum Ritt meister, und der kann deutlich verstehen, was der Passagier dem Rosselenker zuruft: „Sehen Sie oorzukommen, wir wollen beide mit dem Frankfurter Zuge abreisen und ver passen ihn sonst!" „Donner und Doria", flucht Tabert, „wahrhaftig Sanden mit der Thesi. Prophete rechts, Prophete links, und Peter — der Schwerenöter — als Weltkind in der Mitte. Ha, Kurtele, gib nur acht, daß du dir nicht auf dieser Reise bei Mamma und Pappa einen Klotz ans Bein binden läßt auf Lebenszeit . . . Also das nennst du Er ziehung. alter Junge!"