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«r ! Haufen Modeblätter vor sich liegen hatte und die neuen Winterhüte studierte. „Was meinst du, Klärchen, steht mir rosa besser als weiß? Oder soll ich mal einen ganz schwarzen Federhut nehmen?"' — Adalbert hatte diesem Treiben eine Weile zugesehen, aber endlich wurde er ungeduldig. Er meinte es ehrlich mit seiner Arbeit. Wenn er abends müde und hungrig, aber frisch und voll neuer Pläne für die Zukunft ins Zimmer trat, lag Klärchen, umgeben von den drei Damen, auf dem Sofa. Das mußte aufhören. Er sprach mit. dem Arzt und bat um Auskunft übet daS Leiden seiner Frau. Dr. Meyer hatte seine Eigentümlichkeiten, das wußte jedermann; besonders sagte man ihm große Grobheit nach. Aber er war ein tüchtiger Arzt, und wer wirklich krank war, verlangte nach ihm und konnte ihn nachher nicht genug rühmen. Klärchen liebte ihn gar nicht, und ihre Mutter sprach ost davon, es wäre besser, einen Professor aus Berlin kommen zu lassen, als sich auf einen ganz gewöhnlichen Landdoktor, der noch dazu grob und unfreundlich wäre, zu verlassen. Sie war aber viel zu träge, um die Sache zu ändern, deshalb blieb es, wie es war. Als Adalbert nun ernsthast um Auskunft bat — es war nach einem kurzen Besuch, den Dr. Meyer den Damen abgestattet hatte — sah der Arzt erst einmal über seine Brille weg, dem Fragenden scharf ins Gesicht. „Wollen Sie die Wahrheit hören?" „Ja gewiß. Bitte." „Ein bißchen mehr Arbeit und viel weniger alte Weiber. Dann ist Ihre Frau gesund, lieber Herr von Senzke. Empfehle mich." Adalbert war so erstaunt, daß er zuerst nicht wußte, was er sagen sollte. Dr. Meyer sollte sich näher erklären, jedenfalls nicht so schnell weggehen, wie er vorzuhaben schien, darum bat er: „Bleiben Sie doch noch ein Weilchen. Ich wollte gerade frühstücken, und wir könnten zusammen ein Glas Wein trinken." „Danke ergebenst. Habe gar keine Zeit. Da ist in Klingtal eine Arbeitersstau verunglückt. Die Frau Glüsing macht zwar die Sache auch ohne mich — eine Prachtstau, Herr von Senzke — überhaupt die Glüsings, es ist eine Freude, daß die in die Gegend gekommen sind. Das wäre was für Ihre Frau Gemahlin. Es steckt ja manches an, vielleicht auch mal was Gutes. Wso ich muß nach Klingtal. Und für Ihre Frau — wie ich schon sagte: Ein bißchen mehr Arbeü und viel weniger alte Weiber. Empfehle mich." — Am nächsten Tage bat Adalbert seine Frau, mit ihm nach Klingtal zu fahren. „Wir sind den Glüsings schon lange einen Besuch schuldig. Entschließe dich und komme mit", bat er. Er hatte sich den Rat des Arztes zu Herzen genommen. Ein bißchen mehr Arbeit wünschte er auch dringend für Klärchen, das mußte aber erst später kommen. Zuerst sollte sie aufstehen und merken, daß sie gesund sei. Dann konnte man hoffentlich daran gehen, den ersten Teil von Dr. Meyers Verordnung zu befolgen, mit dem zweiten würde es freilich schwieriger sein. „Wenn man krank ist, kann man doch keine Besuche machen", sagte Klärchen mit ängstlichem Gesicht. „Ich glaube, daß du jetzt wieder gesund und kräftig bist. Hast dich doch so schön gepflegt und erholt, mein liebes Klärchen." Er strich mit der Hand über ihr Haar und fügte lächelnd hinzu: „Du siehst auch schon wieder so hübsch aus, wie vor deiner Krankheit." Klärchen lächelte auch und schlug die Becke zurück, mit der sie trotz des reichlich geheizten Zimmers bedeckt gewesen war. Adalbert stellte sich. Die Sache war viel leichter, als er gefürchtet hatte. Er hatte ttnen guten Zeitpunkt ge wählt; Frau Kläre war in eine Patience vertieft; wenn sie aufging, waren Lie neuen Tropfen besser als die alten. Sie war sehr gespannt darauf, was das Orakel verkünden würde. Tante Paulchen hatte eine Sendung Bänder und Spitzen erhalten und wählte daraus einiges zum eigenen Gebrauch. Beide Damen achteten fürs erste nicht auf Klärchen. Und wenn Adalbert mit seiner Frau allein redete, dann — das wußte er ganz bestimmt — dann war K; L 6 5 50000 8 60 8 8 8o 5 86 o i/d alles gut. Klärchen war sehr verständig; sie war jetzt nur durch allzu viel Liebe und Ängstlichkeit verwöhnt worden. Früher war sie ganz anders gewesen. — Wie schön war die erste Zeit in Elberin gewesen, bis die Tanten kamen. Überhaupt diese Tanten! Der Dr. Meyer hatte ganz recht. Weniger alte Weiber. Schade, daß er diese Ver ordnung nicht ebenso wie eine andere Arznei verschreibe» konnte. Klärchen war jetzt aufgestanden. „Komm", sagte Adalbert und schlang den Arm um sie,, „ich begleite dich in dein Zimmer, damit du dich gleich anziehst. Mache dich nur recht niedlich. Ich möchte mein Frauchen doch mal wieder anders sehen, als in diesem langweiligen Morgenrock. Frau Glüsing soll sich über ihre hübsche Nachbarin wundern. Und du wirst sehen, Klärchen, so ein bißchen Gesellschaft tut dir gut, immer im Hause sitzen, ist langweilig —" Josephine war jetzt von einer anderen Seite ins Zimmer getreten. „Soll das etwa ein versteckter Vorwurf für uns sein?" fragte sie mit scharfer Stimme. „Ich kann nur sagen, er trifft uns nicht. Wir haben unsere Häuslichkeit aufgegeben, als wir sahen, daß Klärchen unserer bedurfte. Wir leisten ihr treulich Gesellschaft und tun für sie, was wir können. Wenn sie sich trotzdem nicht wohl fühlt, dann wird es wohl an einem anderen liegen." Adalbert schöpfte tief Atem. „Wie kann man eine harmlose Äußerung so falsch ver stehen", sagte er. Frau Kläre hatte ihre Patience beendet und zugehört. Sie seufzte. „Wenn ich denke, wie einsam ich als junge Frau war", sagte sie. „Den ganzen Vormittag war mein armer Mann im Dienst. Und dann war ich immer elend. — Nein, mein Klärchen soll es besser haben. Solange ich lebe, soll sie nicht so einsam und verlassen sein. Ich leiste ihr Gesell schaft. Eine Mutter opfert alles für ihr Kind. Ich bleibe bei Klärchen." „Das will ich auch tun", versicherte Pauline, die gerade vor dem Spiegel stand und die Wirkung einer Krawattenschleife probierte, „aber in einer Sache hat Adalbert recht. Wir müssen mehr aufs Außere fehen. Man verbauert sonst ganz und gar." Klärchen hatte jetzt die Tür erreicht. — Aber sie blieb stehen und sagte vorwurfsvoll: „Du hast Mama und Tante Josephine gekränkt, Adalbert." Adalbert ärgerte sich. „Bitte, komm, Klärchen", sagte er, „es wird sonst zu spät. Natürlich wollte ich niemand stänken." „Du hast es aber doch getan", beharrte Klärchen eigen sinnig. „Es ist unmöglich, daß man in seinem eigenen Hause jedes Wort ängstlich abwägt —" erklärte Adalbert kurz. „In seinem eigenen Hause —' wiederholte Josephine halblaut. Adalbert war empört. Er bezwang sich nur mühsam und stieß die Tür auf. Was sollte denn das alles heißen? Es war wirklich manchmal nicht auszuhalten mit diesen — diesen Tanten. Doktor Meyer hatte recht. Wenn nur Klärchen wenigstens verständig blieb! Sie stand unschlüssig da. „Tu mir den Gefallen und mache dich rasch fettig", bat Adalbert. „Sonst lohnt sich die Sache nicht. Tante Pauline könnte dir ein bißchen helfen. Laß sie doch rufen." Dann ging er rasch, um noch einmal nach den Werden zu sehen. Klärchen war wirklich in nicht allzu langer Zeit zum Ausfahren bereit. Sie hatte auf Tante Paulchens Rat ein sehr elegantes weißes Kleid gewählt und wollte sich eben den Pelzmantel umlegen lassen, als ihre Mutter erschien. „Aber Kind — du mußt dich ja erkälten", jammerte sie. „Nach deiner langen Krankheit nun gleich mit einem weißen Kleide!" „Weiß ist nicht dünner wie schwarz, Kläre", tröstete Pauline. „Sie kann den Tod davon haben", jammerte die Mutter und winkte dem Diener, der soeben die Haustür öffnete, um zu melden, daß der Wagen vorgefahren sei. , „Machen Sie die Tür zu — solch furchtbarer Zug! Klärchen, ist dir kalt geworden? Du mußt doch lieber schnell eine Tasse Tee stinken." „Ach, laß doch, Mama", sagte Klärchen, „ich könnte höchstens noch ein wollenes Tuch unter den Mantel nehmen." Die Mutter eilte, um ein Tuch zu holen, und Josephine, die jetzt auch dazu kam, sagte tadelnd: „Pauline hätte dir etwas Vernünftigeres vorschlagen sollen, als diese Lünne Gesellschaftsfahne. Damit fährt man im Winter nicht über Land. Die Glüsing wird sich auch wundern; als sie herkam, hatte sie ein ganz einfaches dunkles Woll kleid an." „Sie hatte wahrscheinlich kein anderes", meinte Pauline und zupfte die kostbaren Spitzen an Klärchens Halsausschnitt zurecht. „Glüsings sind einfache Leute. Er hat mir erzählt, er wäre bis jetzt Pächter gewesen, und nun hat er sich Klingtal mit seinem Ersparten gekauft." „Dann ist solch Putz erst recht nicht am Platz", erklärte Josephine. „Fahrt doch lieber zu Mondbergers", riet Frau Kläre, die jetzt Las Tuch um Klärchens Schultern legte. „Mondbergers wohnen auch näher, und du brauchst dich nicht erst zu erkälten." „Und sie wissen deine Toilette besser zu schätzen", sagte Pauline. Adalbert kam, und ihm wurde die Sache vorgetragen. Er war noch ärgerlich von vorher und antwortete kurz. „Wir fahren zu Glüsings." „Ich will aber lieber zu Mondbergers", sagte Klärchen eigensinnig. „Komm, ich habe mit Glüsings zu sprechen, tu mir den Gefallen und komm —" „Aber Mondbergers wohnen näher und sie braucht nicht so lange in der Kälte zu fahren —" „Und das Kleid paßt besser für Mondbergers." „Wenn du keine Lust hast, zu fahren, dann sage es nur." Josephine legte mit diesen Worten den kostbaren Pelzmantel um Klärchens Schultern. „Es geht zu Mond bergers, wenn Lu willst. Du hast nicht nötig, immer nachzugeben." (Fortsetzung folgt.) Vas Skizze von Grete Wolf. (Nachdruck verboten.) Marianne Starnitzky ging in das Kinderzimmer hinüber. Es war noch leer und von jener frischen, kühl duftenden Sauberkeit, wie neue, noch unbewohnte Räume sie haben, die froh auf einen lieben Bewohner warten. Der Fußboden war mit Linoleum überspannt, die Wände mit weißer Ölfarbe gestrichen. Das Bettchen und die kleine Wanne standen bereit; in den Laden des weiß lackierten Wickeltisches lag schön eingeordnet die Baby ausstattung. Jetzt konnte es jeden Tag kommen. Marianne setzte sich auf den Sessel am Fenster. Es war ein wunderlicher Gedanke, zu wissen, daß das Kinder zimmer jetzt eigentlich gar nicht mehr leer war. Das Baby war ja darin. Es bewegte sich, es atmete, es trank und war doch noch durchaus nicht menschenberechtigt auf der Welt. Es war gut, das zu denken. Es nahm eine große Last Einsamkeit von ihrer Seele. Die fühlte sie jetzt manchmal, wenn ihr Mann fort war. Früher hatte sie diese Empfindung nicht gekannt, oder vielleicht hatte sie sie bloß nicht verstanden, wenn sie als dunkle Stimme zu ihr sprach. Wann hätte sie ihr auch begreiflich werden sollen? Als Kind war sie mit ihrer Bangigkeit zur Mutter gelaufen. Oder die Mutter war selber gekommen: „Was hat das Kind heute? . . . Warum spielst du nicht mit den anderen? . . . Vielleicht hat sie Fieber, Fräulein?" Und von einer Woge um sie bemühter Zärtlichkeit war alle Furcht, alles unbewußte Grauen des Alleinseins weggeschwemmt worden. Später war dann irgendeine Freundin da, in die man sich hineinträumte, sich hineinstürzte mit allen Fluten des erwachenden Lebens. Und dort, wo man sich ganz un verstanden fühlte, gab es immer noch die Aussicht auf die Lieb«. Hinter diesem Wort Hötte alles andere zu bestehen auf. Es war, als wenn dann alles gut wäre, als wenn nach der Sonntagsfreude nie mehr ein ganz gewöhnlicher Alltagsmontag kommen könne. Dann war Josef Starnitzky in ihren Lebenskreis ge treten. Sie hatte allerlei Süßes und Wehes durch ihn kennen gelernt und ihn endlich geheiratet. Aber das Leben war auch nach dem Hochzeitstage keineswegs stillgestanden, sondern gleichmäßig weiter- gelaufen, als wisse es von keiner Veränderung. Marianne dachte mitunter, es sei merkwürdig, daß sie sich früher nie hatte vorstellen können, wie es jetzt war, ebenso wie ihr jetzt jede Vorstellung mangelte, daß es einmal anders ge wesen sei. Nur eines hatte sich wirkich verändert, und das war die Ausschau auf die unbestimmt großen und blühenden Hoffnungen, die früher den Horizont ihres Lebens ge schlossen hatten. Sie waren nahegerückt und hatten die schimmernde Fernkontur verloren. Hinter ihnen erhob sich aber aus grauem, schweigendem Wissen nur noch ein Er sehntes: das Kind. Nicht zum erstenmal, aber mit immer neuer Freude sah Marianne es auf dem Wickeltisch liegen, mit weiß rosigen Beinchen strampelnd, die Ärmchen in die Luft wettend, zappelnd und schreiend. Sie sah auch, wie es größer wurde, wuchs und gedieh. Auf einmal war der Tag da, wo es zum letztenmal von ihrer Brust stank. Eine bestürzte Wehmut erfaßte plötzlich die junge Frau. So mußte es kommen. So war es immer ge wesen — das Leben stand nicht still. — Das Kind würde gehen und lallen und sprechen lernen. Es würde Mutters bester Freund, ihr Allerliebstes sein. Und wenn es traurig wäre, so würde sie ängstlich bitten: „Was hat das Kind ... ? Vielleicht hat es Fieber...?" und sie würde es auf den Schoß nehmen, es hin und her wiegen, ihm seine erste, unbewußte Verzagtheit wegküssen und Labei selber herzstaurig sein, weil es nun sein eigenes, kleines Leben unwiderruflich auf sich nehmen mußte. Solange es die Leiden seiner Menschwerdung zu ihr trug, war ja alles noch gut. Aber dabei blieb es wohl nicht. Die Schule kam, die Lehrer, die Freunde ... Es war nicht Eifersucht, was sie so schmerzlich bewegte, nur Trauer über die Unaufhaltsamkeit des Lebens, die sie plötzlich verstand. Ja, das Kind würde heranwachsen, sich selbst gehören und endlich von ihr fortgehen, wie auch sie von ihrer Mutter fottgegangen war, wie Lie von der ihren, und so zurück in alle Zeiten. Es half nichts, sich darüber hinwegzutäuschen. Die Liebe zwischen Mutter und Kind war gewiß das echteste und wunderbarste Gefühl. Aber auch dieses blieb, wie alles Irdische, auf seine vorbestimmten Jahre beschränkt. Nur die Dichter hatten schuld, die die Liebe als etwas Unübersehbares hinstellen konnten, weil jeder einzelne seine Jahre dem Ganzen hinzufügte. Sie verlor sich so sehr in diesem Gedanken, Laß sie nach einem Halt suchen mußte. War es denn unbedingt sicher, daß Lie Liebe schwand, zugleich mit dem Besitz des geliebten Wesens? Es blieb ja die Erinnerung, das Bewußtsein, einen guten und rechten Menschen geschaffen und in die Welt gestellt zu haben. Und dann ... ehe es so weit kam, ehe das letzte Kind sie verließ, war sie ja alt, war das Leben ja fettig .. . dann brauchte nichts mehr zu kommen. Ihre Züge nahmen die ruhige und ergebene Schlaffheit eines erfüllten Lebens, einer sehr alten Frau an. Dann dachte sie plötzlich: „Mein Kind! DaS Kinder zimmer wird voll sein von seinem Lachen. Und das ganze Haus wird erfüllt sein von ihm, wie ich . . . Und wenn es dann doch einmal fottgeht — und es soll ja groß werden und etwas Tüchtiges und nicht immer bei mir bleiben —, dann will ich mich freuen, weil eS Lagewesen ist. . . weil alles dagewesen ist . . . Sie stand rasch auf, sah sich im HinauSgehen noch einmal zärtlich um und schloß dann behutsam Lie Tür hinter sich zu. Dieser lichte, frische Raum sollte durch keinen Schmerz, den sie noch um das Kind leiden mußten gestört werde» — » - . ' MMvj