Volltext Seite (XML)
.Wie sie nur dazu kommen? Ich finde es unnatür lich*, sagte Klärchen und gähnte. — Adalbert liebte seine kleinen Töchter und wäre gern oft mit ihnen zusammen gewesen. Er hatte von seiner Kinderzeit her noch die freundliche Erinnerung an das trauliche Zimmer mit dem rosen- umrunkten Fenster in der Kleinen Markusstraße. Da hatte er ost mit seiner Mutter gesessen und über den Hof gesehen, ob der Vater noch nicht käme. Und wenn der Erwartete endlich gekommen war, saß die kleine Familie um den runden Tisch beim Kaffee. Der Vater las die Zeitung, denn er hatte sonst keine Zeit zum Lesen. Aber über das Blatt hinweg flog sein Blick oft zu Frau und Kind. Wenn die Kaffeestunde vorüber war — das ging immer viel zu schnell — dann begleiteten die beiden ihn zum Hause hinaus bis an den Holzzaun, der Las Gärtchen vom Hof abschloß. Ob es Winter oder Sommer war, das war ganz gleich, bis zur Gartentür ging die Mutter mit. Und einmal, an einem Hellen Wintertag, als gerade der erste Schnee gefallen war, hatten sich alle drei tüchtig mit Schneebällen bekämpft. Sogar auch die Mutter — und wie frisch und fröhlich hatte sie dabei ausgesehen. Adalbert wußte es noch ganz genau. Wenn er sich dann seine Frau vorstellte — schlank und blaß und immer müde, immer im fließenden, lang schleppenden Gewände — wie hätte sich Klärchen schnee ballen können. Das war ein ganz lächerlicher Gedanke. Die beiden kleinen Mädchen — Rose und Klein- Klärchen — die hätten freilich recht gut in dieses Er innerungsbild gepaßt. Aber da war doch wieder eine Unmöglichkeit: Das Fräulein. Wo die Kinder auch erschienen, immer war das Fräulein dabei. .Das ist in guten Häusern Sitte*, sagte Tante Josephine, „und Klärchen hat es nicht nötig, sich mit den Kindern zu quälen. Kinder müssen fortwährend bedient werden.* Wie oft hatte Adalbert schon in Elberin diese Worte gehört. Jetzt ließ er es, wie es war. Aber ost, wenn er an seine glückliche Kinderzeit dachte, wo er neben der Mutter spielte oder arbeitete, dann dachte er: „Wie schön, daß meine Eltern nicht so viel Geld hatten, um diese Sitte der guten Häuser mitmachen zu können.* Seinen kleinen Töchtern hätte er gern seine Liebe ge zeigt, hätte ihnen gern ein gutes Teil seiner Zeit gewidmet, aber dabei störte natürlich das Fräulein. Es wäre un schicklich gewesen — gewiß, sehr unschicklich — wenn er sich hätte mit dem Fräulein schneeballen wollen. Außerdem gab's auch gar keine Gelegenheit zur Er füllung so unmoderner Wünsche. Denn die ehedem so trauliche Kaffeestunde, die an all diesen Erinnerungsbildern schuld war, die war jetzt so ganz anders wie einstmals. Das Fräulein erschien mit den Kindern nur gerade so lange in dem stilvoll eingerichteten Eßzimmer, wie es un umgänglich nötig war, um eine Tasse Milch zu stinken. Dann verschwanden die drei wieder in ihr Reich. Klärchen und Adalbert standen dann auch sehr bald vom Kaffeetisch auf. „Jetzt wird Tante Josephine gleich kommen*, sagte Klärchen und ging in ihr Zimmer. Dort setzte sie sich in den großen, bequemen Lehnsessel und gähnte. Tante Josephine kam alle Tage auf ein Stündchen herunter. Adalbert blieb nicht bei den Damen. Er ging in sein Zimmer. Es war Dämmerstunde. Nach einer alten Sparsamkeitsregel ließ er nicht gleich daS Licht auftlammen, sondern stellte sich ans Fenster und sah auf die Straße. Es schneite. — Leise und geschäftig tanzten die Flocken, unten hasteten Menschen und Wagen vorbei. Alles hatte zu tun. Adalbert dachte an seinen Vater, der auch immer in Eile gewesen war. Nur kurze Minuten waren es gewesen, die er zum Ausruhen im traulichen Stübchen bei Frau und Kind übrig gehabt hatte. Später, als er längst tot war, hatte die Mutter dem Sohn erzählt, daß der Vater seinen schönen, stolzen LebenSberuf aufgegeben habe, um sich mit ihr zu ver einigen. Er hatte sich dann andere Arbeit gesucht, und als er sie gefunden hatte, schaffte er treu und unermüdlich für die Seinen. „Treu und unermüdlich", berichtete die Mutter, „und wenn ich mich jetzt daran erinnere, dann muß ich immer denken, wenn er nicht gerade zu den Sparrwenzels ge kommen wäre, dann hätte es besser werden müssen. Besser für ihn, meine ich. Denn er gab seine ganze Kraft, seinen Fleiß, seine Klugheit. Und die harten Leute gaben ihm dafür nur gerade Brot. Nur das Nötigste. Das war zu wenig, viel zu wenig. Ich weiß, wie die Trauer an ihm zehrte, daß er nichts erwarb, was er dir, seinem Sohn, vererben konnte. Er war zu stolz, um zu fordern. Und so blieb es dabei. Er hat dir aber doch etwas hinterlassen, und das ist mehr als Geld. Ein Vorbild, ein leuchtendes Vorbild ist er für dich. Arbeite auch. Steh treu auf deinem Platz. Halte deines Vaters Andenken hoch. Solch ein Vorbild treuer Pflichterfüllung hat nicht jeder. Das kann man nicht für jGeld kaufen — und wenn man noch soviel hätte." Arbeite — Adalbert biß die Zähne aufeinander, er hätte laut auf schreien mögen. Seine Arbeit! Wo war seine Arbeit? — Er durfte nicht daran denken. Hätte ihm früher jemand gesagt, die Arbeit sei das beste im Leben, dann hätte er lachend gesagt: „Ich weiß noch besseres." Jetzt,wußte er es — Seine Arbeit, seine geliebte Arbeit, draußen im freien Feld, in Wind und Wetter — das war das beste gewesen. Und die hatte man ihm genommen. Wenn er daran dachte, biß er die Zähne zusammen und ballte die Fäuste. Aber weiter tat er nichts. Josephine hatte ihm bald nach seiner Rückkehr von der Reise die Direktorstelle bei den Sparrwenzelschen Werken angeboten. Er hatte sie sofort abgelehnt. Kurz und schroff und so deutlich, daß selbst die zielbewußte Josephine nicht ge wagt hatte, noch einmal von diesem Vorschlag zu reden. Nun lebte er so hin. Vor ihm lag die Zukunft wie ein breiter, Heller Weg, den an beiden Seiten ein goldenes Gitter umschränkte. Keine Klippen, keine Gefahren, keine Anstrengung, keine Freude. (Fortsetzung folgte fallck gewählt! Skizze von Fritz Skowronnek. (Nachdruck verboten.) „Nu zieh' dir mal heute nachmittag das beste Kleid an, das feinste, das du hast." „Wieso Mutter? Wir gehen doch nur zu deiner Halb schwester zu Besuch!" „Ach, sei nicht so schnippisch, Otta. Ich möchte gern wissen, weshalb du die Nase so hoch trägst. Seit dem vorletzten Sonntag, wo du zum Tanz warst, hat sich keiner von den Bauernsöhnen nach dir auch nur umgedreht. Hab' ich dir nicht gleich gesagt, du sollst zu Hause sitzen?! Aber nein, das kommt an wie eine Gräfin, ausgeputzt, mit Handschuhen im Sommer und Federhut, und nächste Woche geht das barfuß zur Arbeit als Scharwerks- margell. Da sollen dann die reichen Bauernsöhne zur Freit kommen." Das Mädel ließ die Strafpredigt der Mutter ruhig über sich ergehen. Sie wußte ganz genau, weshalb die Tänzer so gleichgültig geworden waren. Dem Adam Gollub wollte niemand ins Gehege kommen . . . Seitdem er sie am Montag morgen nach Hause begleitet hatte, wagst sich kein anderer Bursch mehr an sie heran. Der Adam hätte gar nicht einmal im Krug zu sagen brauchen, daß er jedem die Knochen im Leib zerbrechen würde, der hinter der Ottilie Jezorek herschleichen würde. Bloß einer schien sich vor ihm nicht zu fürchten. Der Janek Skorupa. Er war schon zweimal nach Feierabend gekommen und hatte mit den Frauen geplaudert. Wer er war doch lein Fremder, sondern ein Verwandter Otta hatte für dm Besuch Lei der Tante nicht ihr feinstes Kleid angezogen, sondern ein einfaches Kattun- fäbnchen angelegt. Trotzdem sah sie zum Anbeißen aus, wie ein gesunder Apfel. Ihre zarte Haut verbrannte nicht braun, sondern rötlich, dazu die blauen, blanken Augen, das kecke Näschen, der lachende Mund mit den vollen Lippen und den weißen gesunden Zähnen . . . Bei Tante Skorupa sah's ordentlich nobel aus. In der massiv ausgemauerten Seite des Hauses war vorn die Putzstube und dahinter ein kleinerer Raum, in dem Janek arbeitete und schlief. Die Möbel alle neu aus der Stadt gekauft, ein Sofa, ein Spiegel, ein Glasschrank und schöne Gardinen von der Decke bis zum Fußboden, der nach der neuesten Mode braun gestrichen war. Die beiden Frauen waren leise eingesteten und hatten sich in der Putzstube umgesehen. Die Tür nach dem Nebenraum stand offen. Janek saß am Fenster mit dem Rücken zu ihnen und nähte eifrig. Unwillkürlich mußte das Mädel laut auflachen. Es sah aber auch zu komisch aus, wie der Goliath so flink das winzige Werkzeug handhabte. Jetzt sprang er auf und warf den Rock, an dem er arbeitete, auf die Nähmaschine. „Nehmt nicht übel, aber ich mußte den Anzug noch heute fertigstellen, ich hab's versprochen." Otta war hinzugetreten und strich mit der Hand über den Jägerrock aus feinem graugrünen Tuch. „Für den Herrn Förster, nicht wahr?" „Nein, Ottachcn, für den Adam Gollub. Der hat sich in den Kopf gesetzt, daß er genau so aussehen will, wie die Förster, natürlich für sie zum Arger. Aber nun setzt euch vorne hin, ich werde die Mutter rufen und mich auch ein bißchen fein machen . . Er hatte sich wirklich „fein gemacht", als er nach einer kleinen Weile eintrat. Der Helle Jackettanzug kleidete ihn ganz vorzüglich. Dazu blitzblanke Wäsche mit einer kühn geschwungenen Halsschleife und rote Sommerschuhe. Häßlich war er auch nicht, vielmehr ein ganz präsentabler Mensch. Und doch mußte Otta lachen. Ihr kam ein Wort ins Gedächtnis, das sie in der Stadt gehört hatte: „Die Schuster haben bucklige Füß', aber die Schneider sind die Leut'." Sie ärgerte sich, als sie es ausgesprochen hatte, denn Janek hatte aus ihrem Lachen den Spott heraus- aehört. Nur seine Mutter freute sich in ihrer Arglosigkeit darüber und meinst zustimmend, das Schneidern sei ein anständiges, reinliches Handwerk, das seinen Mann nähre. Und ihr Janek sei so fleißig. Er könnte eigentlich schon einen Gesellen annehmen, anstatt die halben Nächte an der Maschine zu sisen. . . Andächtig hatte Frau Jezorek die Auseinandersetzung mit angehört, jetzt nickte sie ihrer Tochter bedeutsam zu und begann. „Ja, die Otta ist auch fleißig. Und sparsam ist sie auch. Sie hat sich in der Stadt ein neues Bett ge schafft ans dem teuersten Inlett, viermal weiß zu beziehen; vl-r lange Stücke Leinwand hat sie sich von mir weben lasten und dabei noch dreihundert Mark auf der städtischen Sparkasse..." Selbstbewußt erwiderte Frau Skorupa: „Mein Janek braucht nicht auf Geld zu sehen, er kann ein ganz armes Mädchen heiraten. Noch in diesem Jahr wird er die andere Hälfte des Hauses untermauern und neu einrichten, EU kann das feinste Mädchen mit der Wohnung zu- ftied-n sein." Mit gleichgültigem Gesicht hatte Otta zugehört, ob- es ip ihr wogte und kochte. Janek war sicherlich krtue schlechte Partie, das sah sie ein, aber die Heiden Mütter taten gerade so, als wenn der Schneider bloß die Hand nach ihr aussstecken brauchte. Das mußte sie ihnen allen dreien uyter die Nase reiben. Sie stand also auf, nahm ihren Hut und reichte Janek die Hand. „Also du gehst auf Freiersfüßen, Janek? Na, ich -iünsch' dir viel Glück, und zur Hochzeit kannst mich auch einladen. Komm Mutter! Oder bleibst du hier? Ich machte noch zu Lehrers gehen und meinen Knix machen. Seitdem ich zu Hause bin, war ich noch nicht da . . .* Janek war rot geworden bis an die Ohren. Er hatte «anz gut verstanden, was dieser spöttische Glückwunsch zu bauten hatte. Ihre Mutter auch, und sie war ärgerlich, daß s'e die Hand hob, um ihrer ungeratenen Tochter eine 'uhlbare Zurechtweisung zu erteilen: „Du dumme Margell, du! Wir sind hier zu Besuch bei Tante Skorupa. Bist du in der Stadt, so kannst du tun, was du w' bstr hast du mir zu gehorchen. Und willst du's nicht, bann geh wieder hin, wo du hergekommen bist." „Wer Jette", fiel Frau Skorupa beruhigend ein, „ärgere dich nicht, die Otta hat doch bloß Spaß gemacht. Und weggehen lasse ich sie nicht. Sie muß uns doch Kaffee kochen, so fein und stark, wie die Herrschaften in der Stadt stinken, ganz ohne Zichorien. . . Der Janek hat vorgestern selbst ein halb Pfund von dem teuersten Kaffee geholt, extra für euch. Komm Otta, du kannst mir zeigen, wie man das macht . . .* Hinter dem Hause in einer dichtberankten Laube sollte der Kaffee gestunken werden. Als Otta mit den Tassen im Arm, die gefüllte Kanne in der Hand, über den Hof nach dem Garten ging, kam ihr Janek mit einem schmucken Jägersmann entgegen. Es war Adam in seinem neuen Anzug . . . Den starken Schnurrbart hatte er flott auf gewichst, auf dem krausen Haar saß keck ein grünes Hütchen mit der Spielhahnfeder. Er grüßte militärisch mit mehrmaliger Verbeugung und schlug die Hacken zu sammen wie ein Leutnant. „Ah, Fräulein Otta . . ." Wieder zweimalige Ver beugung . . . „Darf ich Ihnen die Hand zur Begrüßung reichen?" Er nahm ihr die Kanne ab und schüttelte ihr die Hand. „Habe schon lange nicht das Vergnügen ge habt." Auf den ersten Blick hatte Otta gemerkt, wie un angenehm ihrem Vetter das Zusammentreffen war. Ein Grund mehr für sie, den jungen Mann mit koketter Liebenswürdigkeit zu begrüßen. Sie tat sehr erfreut darüber, daß Herr Gollub mit ihrem Vetter so befreundet sei und ihn am Sonntag nachmittag besuchte, wahrschein lich um ihn zu einer kleinen Bummelei abzuholen, wo möglich gar nach der Stadt . . . Wer erst müßten die Herren Kaffee stinken, etwas ganz extra Gutes . . . Der Vetter Janek sei ein solcher Feinschmecker . . . Ehe Janek sich versah, saß sein Rivale in der Laube an Ottas Seite und raspelte Süßholz, als wenn er dies Handwerk gelernt hätte. Die beiden alten Frauen hatten zuerst etwas verschnupft ausgesehen, als sie den neuen Gast in der Laube fanden, aber Wam war ein Schwere nöter. Er sprach wie ein Buch, erzählte von seiner Soldatenzeit, wobei er einfließen ließ, daß er es beim Jägerbataillon bis zum Vizefeldwebel gebracht. Gelernter Jäger sei er auch und wenn er wollte, könnte er ;eder- zeit im Privatdienst eine gute Stelle erhalten. Weshalb er denn nicht im Königlichen angestellt wäre? fragte Frau Jezorek. „Aus dem sehr einfachen Grunde, meine verehrte Frau Jezorek, weil nur die Jäger mit dem Examen I genommen werden; ich bekam I L, weil mein damaliger Hauptmann mich nicht leiden konnte. Sie wissen ja, Frau Jezorek, wie das dort zugeht." Frau Jezorek wußte es zwar nicht, aber sie fühlte sich geschmeichelt und war weniger zurückhaltend gegen den jungen Mann. Sie hatte ihn früher gar nicht so kennen gelernt, wie nett und liebenswürdig er war, sie wußte nur, daß er vor zwei Jahren in der Gemeinde aufgetaucht war, sich bei der Lehrerswitwe eingemietet hatte und auf großem Fuß lebte, niemand wußte wovon, bis er verhaftet wurde, um eine Strafe wegen Wilddieberei abzusitzen. Seitdem betrieb er das Geschäft ganz offen. Bei allen Jagdbesitzern und Jagdpächtern, deren Revier an die große Königliche Forst angrenzte, stieb er sich umher und saß an jedem Wend und Morgen auf dem Anstand, um die ausstestnden Hirsche zu schießen. Die Forstbeamten hatten ihn alle auf dem «stich, aber sie konnten ihm nicht recht etwas anhaben, denn er ging nicht in die Forst Wilddieben, sondern saß irgendwo in sicherer Deckung auf dem Felde. Und eine sichere Kugel schoß der Bursche . . . Ganz zu Anfang, als noch nstmaud wußte, wer er war, hatte er einen Forstaufiedei keucht, mit dem er beim Bataillon zusammengestanden hatte, und war mit ihni auf den Scheibenstand der Ob-r'örsterei gegangen. Es waren doch alle tüchtige Schütz-n, aber dieser Adam Gollub ... Er schoß nie anders wie frei händig und warf den Schuß so hin, ohne lang zu z-elen, als wenn es selbstverständlich wäre, daß er nickst aus der Zwölf herauskäme. - ? - - (Schluß folgt.)