Volltext Seite (XML)
(Fortletzuna folaU dem Erdbeerberg unter der alten Kiefer. Sie hatte ein weißes Gesicht und lockiges, schwarzes Haar und einen roten Mund, der war so süß wie eine Erdbeere — nein — noch viel süßer —" Adalbert von Senzke war wirklich kein guter Märchenerzähler. Die Geschichte von der Erdbeerprinzeß kam nicht zu Ende. Und bei einem so schlechten Lehr» meister war es nicht zu verwundern, daß Klärchen später auch keine Märchen erzählen konnte. — Im ersten Sommer kamen weder die Tanten, noch die Mutter zu längerem Besuch nach Elderin. Aber al» es zum Winter ging und Klärchens Gesundheit die Fahrten in die Nachbarschaft nicht mehr erlaubte, stellten sich die drei Sparrwenzelschen Schwestern zur Pflege und zur Unterhaltung der jungen Frau ein. Adalbert freute sich aufrichtig über ihr Kommen, da es seiner Frau sichtlich angenehm war. Er hatte längst seine Tätigkeit wieder ausgenommen. Er arbeitete mit Feuereifer und hatte dabei immer das Gefühl, daß er sich seines großen, herrlichen Glücks durch doppelte Tüchtigkeit wert zeigen müsse. Die Zuversicht zu seiner eigenen Kraft wuchs dabei von Tag zu Tag, der alte Peredanz war bald keine Notwendigkeit mehr, er blieb jedoch auf beiderseitigen Wunsch noch einige Zeit auf Elberin. Als der Winter kam, hatte Adalbert viel freie Zeit, und da er nicht allein Besuche in der Nachbarschaft machen wollte, auch nicht viel Freude an der Jagd fand, suchte er eine alte Jugendliebhaberei vor und fing an zu malen. Klärchen erhielt zu Weihnachten ein Bild vom Elberiner Wirtschaftshof, das er in aller Heimlichkeit für sie gemalt hatte. Es wurde als Kunstwerk angesehen, und die Damen bewunderten es lebhaft und aufrichtig. Dadurch kühner gemacht, begann er daS Bild seiner Frau zu malen. Lust und Liebe halfen den Pinsel führen, und es wurde wirklich sehr hübsch und sogar etn bißchen ähnlich. In einem kostbaren Goldrahmen wurde eS im prächtigsten Raum des Elberiner Hauses aufgehängt und sollte, wie Tante Pauline wünschte, den Anfang zu einer Ahnengalerie bilden. Ihrer Meinung nach war eS recht gut möglich, daß irgendwo noch Bilder von früheren Senzkes und Ulmenhofs zu finden waren. Man mußte sie nur suchen und eine ordentliche Summe dafür bieten. .Für Geld ist schließlich alles zu haben — und warum sollen wir für unser Klärchen keine Ahnengalerie kaufen?* »Von den Senzkes werden sich wohl keine Bilder auftreiben lassen. Die waren immer arm wie die Kirchen mäuse und zum Malen hat's bei ihnen sicherlich nie gereicht", erklärte Adalbert lachend. Josephine fand diesen Plan wieder sehr töricht und schalt ihre Schwester Pauline, als sie mit ihr allein war. »Wie kommst du — du gerade auf solche Gedanken! Was haben wir Sparrwenzels mit einer Ahnengalerie zu tun!" „Wir liefern die goldenen Rahmen", antwortete Pauline spitz. Josephine sah die Schwester sorgenvoll an. Pauline hatte jetzt ost wunderliche Pläne, von denen sie nicht ab» lassen wollte. Es wäre doch vielleicht bester, sie unter Vormundschaft zu stellen. Aber jetzt gerade? Jetzt durste auf keinen Fall von Paulines Geistesschwachheit gesprochen werden. WaS hätte das für Aufsehen gemacht! Welchen schädlichen Einfluß hätte es auf Klärchen haben können! Die Sache mußte unterbleiben. Man würbe auch ohne eine feierliche gerichtliche Erklärung Mittel und Wege finden, die Schwester zu leiten und zu beschränken. Josephine traute sich die Kraft zu, ihren Willen burch zusetzen, wenn eS darauf ankam. Mochte Pauline jetzt eine Weile nach Ahnenbildern forschen. Das war eine Unterhaltung für Klärchen. Später würde diese Angelegenheit sicherlich vergessen oder von Wichtigerem in den Hintergrund gedrängt werden. — dergessen. Jetzt gad's nur Hochzeitsgedanken und Hochzeits freude. Neben ihm am Altar stand Klärchen im bräutlichen Schmuck. Als er laut und kräftig sein „Ja" sagte, dachte er nur an sie und war voll Liebe und Dankbarkeit. Nachher saßen sie beide an der Hochzeitstafel, hörten endlose Reden und mußten immer wieder anstoßen und sich für Glückwünsche oder Geschenke bedanken, und abends wurden sie mit Fahnen und Girlanden in Elberin empfangen. Der alte Peredanz, der längst alle Gönnerhastigkeit abgelegt hatte, begrüßte den neuen Herrn mit derselben feierlichen Würde, die er früher nur für „unsern Grafen" aufzuwenden pflegte. Er hielt eine sehr schöne Rede, und dann knickste die Mamsell und überreichte der gnädigen Frau daS Schlüsselbund auf einem seidenen Kissen. Klärchen wußte nicht recht, was sie damit machen sollte. Sie lachte verlegen und sah ihren Mann an. Als sie endlich begriff, daß sie die Schlüssel nehmen sollte, machte sie es so ungeschickt, daß die Schlüssel klirrend zu Boden fielen. Das war kein gutes Zeichen. Mamsell paßte auf so etwas auf, und ihr Gesicht wurde merklich länger. Die Feierlichkeiten nahmen jedoch ihren weiteren Verlauf. Zuletzt kam ein donnerndes Hoch auf den neuen Besitzer von Elberin und seine junge Frau, und dann war auch das überstanden. Besitzer von Elberin! Adalbert von Senzke hielt es immer noch für sehr leicht möglich, daß er plötzlich auf wachte und meiste, es sei alles doch nur ein Traum. Aber endlich gewöhnt man sich an das Glück. — Der Frühling war in diesem Jahr besonders lieblich, die Blumen blühten und dufteten, die Sonne strahlte in ganz wunderbarem Glanz, und der Regen, den der Guts herr von Elberin von Zeit zu Zeit pflichtmäßig ersehnte, tat ganz heimlich in der Nacht seine segenbringende Arbeit. In dieser Frühlingspracht mit blühenden Obstbäumen und grünenden Saaten zeigte Adalbert seiner jungen Frau die neue Heimat. Es gab in Elberin einen zierlichen kleinen Korbwagen, der gerade Platz für zwei Menschen bot. Darin kutschierte Adalbert Klärchen täglich durch sein Reich. Das war für ihn gerade keine ernsthafte Tätigkeit; die konnte man in der allerersten Glückszeit auch noch nicht von ihm erwarten. Er sah auf diese Weise wenigstens, was auf seinen Feldern gemacht wurde. Alles übrige besorgte vorläufig der alte Peredanz. Klärchen war reizend. Sie zeigte zwar nicht qllzuviel Verständnis für die Sommer- und Wintersaat, aber sie sah ihren Gemahl so aufrichtig bewundernd an, wenn er ihr wichtig und weitläufig seine Pläne auseinandersetzte, daß er glückselig und durchaus zufrieden mit ihrer Anteil nahme an seiner Tätigkeit war. Zum Lohn für so viel landwirtschaftliche Mühe lenste Adalbert nachher das Pferd in den Wald, der im jungen Grün prangte. Die Birken am Wege winkten und zitterten; hinter ihnen standen hohe, schlanke Kiefern und rauschten im Frühlingswind. Das Pferd wurde an einen Ast gebunden und durste sich am Grabenrand einen Imbiß Huchen. Die beiden Glücklichen gingen tiefer in den Wald. Da war unter einer mächtigen Kiefer ein Mooshügel. Wilder Thymian und Erdbeerstaut wuchsen darauf und unzählige wilde Veilchen sahen aus dunklen Blättern hervor. Dort setzten sich die beiden und hörten dem Hellen Ruf der Finken zu. „Erzähle mir ein Märchen", bat Adalbert, „das von der Erdöeerprinzeß. Hier muß sie wohnen —" „Ach", sagte Klärchen, „ich kenne die Geschichte gar nicht. Ich kenne überhaupt keine Märchen. Mama hat mir niemals eins erzählt." Adalbert sah lächelnd in Klärchens Gesicht. „Ich glaube, es ist gar kein Märchen. Früher hab' ich es nur immer gedacht, weil es gar zu schön war. Jetzt merke ich aber, es ist Wahrheit." .Dann erzähle du eS doch!" „Männer können schlecht Geschichten erzählen, Klärchen. , Aber ich will'S versuchen, damit du es beizeiten lernst. Also: Es war einmal eine kleine Prinzeß, die wohnte aus I ZK Z K L N ZL 3- I Z Z Z-H HZ L ZA Zl Die letzte Liebeserklärung. Skizze von Jaques Constant. (Nachdruck verboten.) Judith Miller etlte in die Garderobe und warf sich auf den einzigen, wackligen Sessel des kleinen Raumes. Vor ihren schmerzlich geschloffenen Augen wogte noch immer die Vision des aufgewühlten Saales und in ihren Ohren widerhallte hartnäckig der wüste, kreischende Lärm eines feindseligen Publikums. Gequält und angewidert durchlebte sie noch einmal die Begebenheiten des Abends, das Pfeifen, Schreien, Lachen und Johlen, das die beiden letzten Akte von „Phädra" begleitet hatte. Ihre Kammerfrau und Verstaute Rose bemühte sich vergebens, sie zu trösten, während sie ihr das weiße Peplum, das noch von der letzten Reinigung her nach Benzin roch, von den Schultern löste. Judith schüttelte zu allen Trostversuchen verzweifelt den Kopf. Entnervt von der langen Anstrengung, die das Aufrechterhalten ihrer Selbstbeherrschung sie gekostet hatte, brach sie endlich in heftiges Schluchzen aus. Heib und schmerzlich liefen ihr die Tränen über das Gesicht, verwischten die blau gemalten Schatten unter den Augen und zogen häßliche Furchen durch die geschminkten Wangen und das gepuderte Kinn. „Die gnädige Frau tut sehr unrecht, sich wegen dieser dummen, verständnislosen Provinzler so aufzuregen!" „Ach Rose, sag das nicht! Sie waren grausam, aber sie hatten recht. Ich war erbärmlich schlecht. Siehst du, ich muß es eben aufgeben, Liebhaberinnen zu spielen." Mit einer brüsken Bewegung riß die Tragödin die braune Perücke ab und sah in den Spiegel, der ein jämmerliches Bild zurückwarf. Der zerstörte, von Tränen und Schminke fleckige Teint verlieh dem Gesicht einen grotesken, wahrhaft kläglichen Eindruck. Das welke, schlaffe Fleisch der Wangen, des HalseS, der Schläfen war von unzähligen Runzeln und Falten durchzogen und daS an den Wurzeln ergraute Haar zeigte mit grausamer Deutlichkeit das Unvermögen der Färbe kunst. Weder Hydrotherapie und Massage, noch die sorg fältigste Pflege hatten der 'zerstörenden Wirkung der Zeit Einhalt tun können. Judith Miller war neunundfünfzig Jahre alt! Wo waren sie hin, die legendenhaft glücklichen Zetten, oa sie die Andromache, die Ophelia, Denise und Donna Sol spielte! . . . Die Zeiten, da sie biegsam, wechselvoll und unerschöpflich reich, in tausend Gestalten und Masken die entzückte Begeisterung der Menge entflammte. Die glorreiche Vergangenheit machte den heutigen Zu sammenbruch nur noch bitterer. Unerhörte Erfolge ge kannt zu haben, enthusiastische Hervorrufe, jubelnde Ovationen, in Paris vergöttert, von Europa und Amerika akklamiert worden zu sein, um endlich, von Stufe zu Stufe sinkend, auf einer weltverlornen Provinzbühne aus gezischt zu werden! „Und gerade „Phädra", mit der ich immer Triumphe erzielte! Wie ost sagte man mir, daß ich in der LiebeS- szene unübertrefflich sei." Ach, es wäre bester gewesen, auf der Höhe des Ruhmes innezuhalten, Abschied zu nehmen, solange sie sich noch im Vollbesitze ihres Talentes befand! Ja, aber sie war der leichtsinnigen Grasmücke ver gleichbar gewesen. Die in glücklichen Jahren aufgehäusten Schätze hatte sie töricht verschleudert und nun, da sie alt und arm war, blieb ihr nichts, als das Hospital oder das Armenhaus — sie, deren fürstlicher Luxus «inst ganz Paris verblüffte! Hatte sie nicht eben die Vorwürfe des Impresarios ertragen müssen, die üble Laune der Kollegen, die kaum verhüllten, boshaften Anspielungen. Sie schluchzte bitterlich in ihr Taschentuch . . . -Für Madame Miller." Die Tragödin sah mit erstaunten, vom Weinen ent zündeten Augen auf den Theaterdimer, der einen wunder vollen Blumenkorb vor sie hinstellte. „Orchideen? Rosen? Irren Sie sich auch nicht, mein Freund?" „Nein, Madame. Hier ist auch ein Brief für Sie." Judith Miller öffnete neugierig daS Kuvert und sah nach der Unterschrift: Henri Dupouchel? Der Name erweckte keine Erinnerung in ihr. Sie durchflog hastig da, Brief des Unbekannten, der eine seltsame Freude in ihr entfachte. WaS sie laS, war eine Liebeserklärung, so erfüllt von Respekt, Ergebenheit und Sehnsucht, daß fi« sich wider Willen gerührt fühlte. Der Unterzeichnest schrieb, daß er sie vor mehr als zehn Jahren auf einer Pariser Bühne zum erstenmal bewundert habe. Seit dieser Zett sei die enthusiastische JünglingSliebe für sie niemals in ihm erloschen. Wie ost habe er davon geträumt, in den Kreis ihrer Intimen ausgenommen zu werden, in nächster Nähe seine» Ideals zu atmen, aber die Furcht vor Spott und Abweisung habe ihn stets zurüHehalten. Heute, da sie einsam sei, da die Undankbarkeit deS Publikums sie verstoße, heute erbitte er dm Lohn seiner Treue und Beständigkeit. . . Träumerisch und gerührt gab die Schauspielerin sich ihrm Erinnerungen hin. We viele solcher Episteln hatte sie früher erhalten, wie viele, di« nicht einmal an die Oberfläche ihres ruhigen Gleichmut» gerührt hatten! Aber nun, da die holde Jugend dahin war, nun fühlte sie sich zärtlich bewegt, und fi« dachte darüber nach, wie sie diese dankbare Treue, diese letzte Liebe belohnen könnte, die vor den Überresten ihrer Schönheit, ihres Talentes und ihres Ruhme» anbetend auf dm Knien lag. Aber der unerbittliche Spiegel warf ihr ihr Bild wie eine Ohrfeige in» Gesicht. War sie denn verrückt geworden? Vergaß sie denn ihr Alter? WaS würde der unvorsichtige Liebhaber dmken? Gewiß, er konnte nicht erwarten, ein junges Mädchen anzutreffen, aber mußte er nicht erschrocken und desillusioniert daoonstürzen, wenn er sich plötzlich dieser bejahrten Frau gegenüber befand, deren Alter nicht mehr vom Rampenlicht beschönigt wurde? . . . „Der Herr wartet auf Antwort, ob Madame ihn empfangen will?" „O nein, Rose! Ich bin zu häßlich heute abend." „Mer Madame, da wir schon morgen nach Nantes Weiterreisen .. ." „Dann . . . dann ... gib mir «ine Visttkarte. Ich werde dm jungen Mann im Hotel empfangen. Hier ist es doch gar zu trübselig. Rose. eS ist recht lange her, daß ich Liebhaberinnen- rollm gespielt habe. Willst du mich heute abend vertreten, Rose?" . . . Die hinausgezogmen Augenbrauen und weit auf- geristmen Augen der Kammerfrau bewiesen derm grenzen lose Verblüffung. Sie war eine hübsche Person, in der Nähe der Vierzig, mit reifen, aber noch unverweltten Reizen. Sie hatte sich selbst ohne großen Erfolg auf der Bühne versucht und war glücklich gewesen, sich JuditHS Triumphen anzuschließen. Denn sie bewunderte ihr« Herrin und ahmte unwillkürlich derm Kleidung, Frisur, ja selbst dm Tonfall ihrer Stimme nach. Gerade diese Ähnlichkeit hatte der Tragödin den Ge danken einer Stellvertretung etngeaeben und daß Monsieur Dupouchel Judith nur von der Buhn« her kannte, machst die Vertauschung der Rollen zur einfachsten Sache von der Welt. Rose, die an die verwickelten Situationen de» Theater» gewöhnt war, lacht« und ging gutherzig auf dm Vorschlag ihrer Gebieterin «in. Monsieur Dupouchel war ein blonder, rosiger junger Mann, mit «inem dünnen Schnurrbärtchm und hellblauen Augen. Er wartete geduldig, während Judith ein wrntg nervös di« Kammrrfrau schminkst und ihr eines ihrer Hauskleider überwarf. MS guter Junge nahm er auch keinerlei Anstand, in der Kammerfrau di« Tragödin zu sehen, besonder» da Rose ihre Rolle vortr«fflich spielte. Judith konnte e» sich nicht versagen, an der Tür zu horchen und trotz ihrer Traurigkeit über da» Spiel zu lächeln. Als der junge Mann fortgtng, begegnet« er Judith auf dem Gange. -Wer ist die alt« Frau?" fragst er gleichgültig. Am aridem Tage fuhr die Schauspiflergesellschast weiter nach Nanst». Judith sah au» dem Louptfenster und heimlich« Tränen liefen über ihr« Wangen. Mit der ent fliehenden Landschaft schien die Vergangenheit an ihr vorbeizueilm. um rettungSlo» und auf immer zu ver schwinden. Und bst alle Frau weinst haltlos um ihr« Juamü. - - M