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feinen, schmückenden Dinge des Lebens, aber er verstand nicht, sie sich zu schaffen. Er verstand sich nur auf seine Arbeit, aber da stand er seinen Mann, da galt sein Urteil etwas. Das wußte er. Er merkte es an der Art, wie man ihm recht gab und noch mehr, wenn man ihm einmal widersprach. — Das machte ihn stolz und froh. Wenn aber von Kunst und Knnstwerken, von dem, was das Leben schmückt und veredelt, die Rede war, dann mußte er schweigen, dann konnte er nicht mit. Er empfand, daß diese Dinge einen unerklärlichen Zauber ausübten und einen feinen, hohen Genuß bereiten konnten. Aber ihm sagten sie nichts. Was andere lobten und rühmten, gefiel ihm nicht, und wenn ihm einmal etwas behagie, dann sah man ihn verwundert an, und das leise, schnell unterdrückte Lächeln, das er bei solcher Gelegenheit beobachten konnte, machte ihn unsicher. Und da er selbst nicht konnte, sollte seine Frau diesem Mangel abhelfen. Sie sollte das Haus fein machen, den Kindern gute Manieren und höhere Bildung beibringen und auch an ihm selbst etwas ändern und polieren. Er hätte gar nichts dagegen gehabt, wenn sie sich Teppiche und Bilder und neue Möbel ausgesucht hätte, wenn sie den wüsten Hof, der zwischen dem Hause und der Fabrik lag, in einen Blumengarten verwandelt haben wollte. Sie sollte nur bestimmen und fordern — Geld war genug da. Aber Frau Sparrwenzel dachte gar nicht an so etwas. Die große Fabrik war ihr unheimlich, eine Quelle steter Sorge, eine unheimliche Sache. Die kleine Werkstatt von früher war viel schöner ge wesen. Die konnte man übersehen und für Ausfegen und Reinmachen sorgen, wie es einer Hausfrau geziemt. In der Fabrik mußten dazu besondere Leute angestellt werden. Das kostete doch Geld. Sie war stolz darauf, daß sie mit einem Mädchen die ganze Hausarbeit schaffte, und wenn sie bei der groben Wäsche durch eigenes Mittun einen halben Tagelohn für die Waschfrau sparte, dann war sie sogar glücklich. Andern Ehrgeiz kannte sie nicht. Sie hatte von ihren Vorfahren nur das Außere geerbt: das schwarze, wellige Haar, die kühngebogene Nase und die mattgelbe Gesichtsfarbe. Der vorwärtsdrängende Geist jener Leute, die ihr Vaterland um idealer Güter willen verlassen hatten, und der weite Blick, der sie in der neuen Heimat zu Wohlstand und Ansehen hatte kommen lassen, der fehlte ihr. Auch noch in einer andern Beziehung erfüllte Frau Kläre nicht die Hoffnungen ihres Gatten: Er wünschte sich einen Sohn und sie hatte ihm nur Töchter geschenkt. Ms dann nach längerer Zeit wieder ein Kind erwartet wurde und Joseph Sparrwenzel sich fest einbildete, seine Hoffnung würde nun doch noch erfüllt werden, da wurde das dritte Mädchen geboren und Frau Kläre starb bald darauf. Zu jener Zeit war Joseph Sparrwenzel noch ein Mann in den besten Jahren, der sich sehr gut nach Verlauf der schicklichen Trauerzeit um eine zweite Frau hätte bemühen können. Irgendwelches Übermaß von Schmerz hielt ihn auch nicht davon ab. Wer es zeigte sich bald, daß seine älteste Tochter, die damals schon die höhere Töchterschule von Fräulein Neu- manu mit vieler Mühe und wenig Vergnügen durch gearbeitet hatte, den Platz der Mutter im Hause und bei den längeren Schwestern vollständig ausfüllte. Josephine tat noch mehr. Sie wurde dem Vater ein verständnisvoller Kamerad, hatte Sinn für seine Pläne ermunterte ihn durch Beifall und ersetzte ihm aufs beste die Hausfrau und den einstmals ersehnten Sohn. So kam's, daß Joseph Sparrwenzel nicht wieder heiratete. Wenn er später einmal an eine solche Mög lichkeit erinnert wurde, dann dachte er, das hätte Umstände und Zeit gekostet, und wer weiß, wie sich eine Stiefmutter zu den Kindern gestellt hätte. Das war doch immer eine große Frage. Es war jedenfalls bequemer so, und er entbehrte nichts. Bei den Kindern war aber, trotz Josephines guter Pflege, nicht alles in Ordnung. Die kleine Kläre gedieh zwar und wurde täglich der verstorbenen Mutter ähnlicher, aber das Paulcheu, die zweite, war ein Sorgenkind. Es gab da in der großelterlichen Familie einen wunderlichen Onkel, dessen Geist zuzeiten verwirrt war. An den dachten die alten Gärtnersleute, wenn sie die kleine Pauline betrachteten. Sie war ein lebhaftes, lustiges Kind mit einer großen Vorliebe für bunten, glänzenden Putz: manchmal steigerte sich ihre Lebhaftigkeit zu bedenk licher Wildheit und ihre Lustigkeit nahm zu gleicher Zeit so überhand, daß man ihr Lachen stundenlang, sogar tagelang hörte. Solange die Großeltern lebten, nahmen sie das Kind in solchen krankhaften Zeiten zu sich und pflegten und hüteten es sorgsam. Der Zustand besserte sich dann auch immer nach einigen Wochen, aber Pauline mußte auch später noch öfter unter besondere Aufsicht gestellt werden. Als die kleine Kläre erwachsen war, wurde zum ersten mal die Frage der Geselligkeit besprochen. Für sich hatte Josephine an so etwas nicht gedacht. Sie hatte keine Zeit dazu gehabt. Auch wußte sie recht gut, daß ihre kurze, knochige Gestalt und das entschieden Sparrwenzelsche Gesicht mit dem großen Mund und der allzu kräftig entwickelten Nase sich im Ballsaal wenig vorteilhaft erweisen würden. Kläre hingegen hatte das einnehmende Außere der Mutter und ihrer südfranzösischen Ahnsrauen geerbt, außer dem hatte sie Lust am Tanzen und konnte die Zeit kaum erwarten, wo sie die langweilige Schule hinter sich und die verheißungsvolle Zeit des Erwachsenseins vor sich hatte. Tanzen und in Gesellschaften gehen wollte Kläre, wie sollte das eingerichtet werden? Das war eine dunkle, schwierige Frage, die Josephine viel Kopfzerbrechen ver ursachte, die aber, wie manches Dunkle und Schwierige im Leben, eine ungeahnt einfache Lösung fand. Denn eine Tante von der mütterlichen Familienseite nahm das eben erwachsene niedliche Nichtchen zu einem Ball mit, und da fand sich — nicht ohne Zutun der klugen Dame — sofort ein Freier für Kläre Sparrwenzel, der alle Wünsche nach Feinheit und gesellschaftlicher Stellung, die ihr Vater jemals gehegt hatte, aufs herrlichste erfüllte und sogar noch übertraf. Walbert von Senzke war ein hübscher, schneidiger Offizier, bis vor kurzem sogar noch bei der Garde. Also der Traum aller MädchenherzenI Er hatte etwas flott gelebt und viel gespielt, das ließ sich nicht leugnen. Wer Jugend hat nun einmal nicht lauter Tugend, und einen einzigen Fehler durfte man bei so vielen Vorzügen wohl in den Kauf nehmen. Er war vor einiger Zeit in die kleine märkische Stadt Buchfeld versetzt worden, von deren stillen, landschaftlichen Reizen man einen vorteilhaften Einfluß auf den jungen Kriegshelden erwartete. Eine reiche Heirat sollte jetzt das verdienstliche Werk krönen. Kläre strahlte vor Freude, und Vater Sparrwenzel zeigte sich als großdenkender, freigebiger Schwiegervater. Das junge Paar baute sich ein prächtiges Nest und feierte fröhlHe Hochzeit. (Fortsetzung folgt.) Der jVlöräer. Skizze von Maurice A. Manthey. (Nachdruck verboten.) „Aber mein lieber Herr Baron! Sie sehen ja selbst, daß alles gegen Sie spricht. Wer kann denn den tödlichen Schub abgefeuert haben außer Ihnen? Wäre es nicht doch besser, mit einem offenen Geständnis das Gewissen zu entlasten?" So freundlich die Worte des Präsidenten klangen, auf seinem Gesichte zeigte sich nur schlecht verhüllter Hohn. Seine Hände spielten mit der Spagatschnur, die zum Binden der Akten auf dem Gerichtstische lag, und formten sie immer wieder zu einer Schlinge, die er bald öffnete, bald wieder mit raschem Ruck zuzog. Fast schien eS, als deuteten die Hände unbewußt den Willen des Präsi denten an. Auch der junge Mann auf der Anklagebank schien denselben Eindruck empfangen zu haben. Man fah es ihm an, daß er nur mühsam seine Erregung bekämpfte, als sich sein Blick mit jenem des Fragers kreuzte. Er suhlte, daß da an dem Gerichtstische sein Totfeind saß: „Ich kann nur versichern, Herr Präsident", sagte er mit fester Stimme, „daß ich unschuldig an dem Tode meines Vaters bin." „Die Herren Geschworenen würden aber vielleicht mehr Wert auf Beweise als auf Versicherungen legen, mein junger Freund", sagte der Präsident mit ironischer Freundlichkeit. „Sie haben doch jetzt schon beinahe alle Zeugen gehört. Fragen Sie sich selbst, ob man Ihnen glauben kann: Ihr verstorbener Vater hat eine Jagd auf seinen Gütern angesagt und dazu nur wenige intime Freunde eingeladen. Auch Sie sind dabei. Sie haben an demselben Tage einen heftigen Streit mit dem Vater gehabt. Den Grund hierzu wollen Sie uns nicht an geben." „Es handelte sich um ein Familiengeheimnis, das ich nicht preisgeben kann." „Zugegeben. Doch dieses Geheimnis macht die Sache noch verdächtiger. Aber lassen Sie mich ausreden. Kaum stehen die Schützen verteilt, da zeigt sich ein Bock. Er steht Ihnen und nur Ihnen allein schußgerecht. Sie schießen und fehlen. Es ist der erste und auch einzige Schuß, der an diesem Abend überhaupt gefallen ist. Und die Kugel trifft, wie gesagt, nicht den Bock, sondern Ihren Vater, der in einer ganz anderen Richtung gestanden ist." „Ich weiß, daß alles gegen mich spricht; aber ich schwöre es bei dem Allmächtigen, ich bin unschuldig. So wie ich stand, kann meine Kugel gar nicht den armen Vater getroffen haben." „Ein Zufall ist ausgeschlossen, das sagen auch die Sachverständigen. Nehmen Sie aber noch hinzu, daß das tödliche Geschoß genau das Kaliber Ihres Gewehres trägt, daß ferner Sie als Majoratserbe der einzige sind, dem der Tod des Vaters Interesse bringen konnte. Wie erklären Sie denn eigentlich den Vorfall?" Der junge Mann preßte die Hand an die Stirne. „Das ist's ja eben", stöhnte er. „Ich finde keine Er klärung für den geheimnisvollen Tod meines Vaters. Ich weiß nur das eine, mein Gewissen ist rein." „Ich habe Ihnen genügend zugeredet. Wir müssen also fortfahren in der Verhandlung. Amtsöiener, ist noch ein Zeuge draußen?" „Jawohl, Herr Präsident, der Herr Förster Meyer- Heim." „Ah, das ist ja Ihr spezielleröLertrauter, Herr Baron." Der Präsident spricht dies mit besonderer Betonung. Dabei blinzelt er zu den Geschworenen hinüber, als wollte er sagen: „Dem dürft ihr nicht glauben, der wird natürlich für seinen jungen Herrn kämpfen." Der Zeuge trat ein. Ein rüstiger, großer Mann mit tiefliegenden, scharfen Augen. Bevor noch der Präsident eine Frage an ihn richten konnte, begann er: „Meine Herren! Der junge Herr Baron ist unschuldig. Ich stehe Ulit meinem Kopf dafür." „Bedaure, wir können diese Garantie nicht annehmen", witzelte der Präsident. „Vielleicht wenn Sie uns voll gültige Beweise bringen können. Wer soll also den alten Herrn erschossen haben, da nur der eine Schuß fiel?" „Das ist eben der Irrtum. Es sind zwei Schüsse gefallen." „Ah. Und niemand hätte den zweiten gehört!" „Gewiß. Ich bin überzeugt, daß in der gleichen Sekunde, nein, in demselben Bruchteil der Sekunde, der wahre Mörder geschossen hat. So ist es möglich, daß man nur einen Knall hörte." „Das zu beweisen, wird Ihnen schwer werden." „Vielleicht ist es mir möglich. Daß es gute Schützen in unserer Gegend gibt, die einen solchen Meisterschuß ab- zeben könnten, wissen wir ja." Der Förster blickte bei dicken Worten mit seltsamem Ausdruck den Präsidenten an. Es schimmerte in seinen Augen wie unterdrückte Drohung. Mrd auch die andern fühlten die Bedeutung der Worte. In solch einer kleinen Stadt kennt einer den andern. Sie alle wußten, daß der Präsident ein leiden schaftlicher Jäger und ein glänzender Schütze war. 'Zu den Jagden des Barons hatte er nie eine Einladung er halten. Die beiden Herren sympathisierten nicht mit einander. Was hatte der Förster mit diesen Worten sagen wollen? Auch der Präsident fühte, daß ein versteckter Sinn oarin lag. Aber er fand es für besser, nicht darauf zu er widern. „Sie wollen sagen", meinte er, „der wahre Mörder hätte scharf aufgepaßt, den alten Herrn aufs Korn ge nommen und in demselben Augenblick den Hahn abgezogen, als der junge Baron schoß." „Es kann nicht anders möglich gewesen sein. Bitte, meine Herren, wenn die Kugel des jungen Herrn den Ver storbenen überhaupt hätte treffen können, dann müßte er doch wenigstens vier Schritte weiter rechts gestanden sein. Sie können sich selbst überzeugen. In der Deckung, in der sich der alte Herr befand, konnte ihn eine Kugel von der Seite her, wo der Angeklagte stand, nicht treffen. Ich weiß, man nimmt an, der Baron wäre vielleicht nach Empfang der tödlichen Wunde einige Schritte beiseite ge taumelt. Wie kann aber ein Mann mit einem absolut tödlichen Herzschuß noch drei Schritte gehen und dort in gekrümmter Stellung zusammenbrechen! In einem solchen Falle fällt der Körper doch glatt nach vorn, oder der Ver wundete springt vielleicht in die Höhe, niemals aber könnte er sich in der Lage befunden haben, wie er auf gefunden wurde." „Der Baron kann ja vielleicht früher auf einen Augenblick heroorgetreten sein." „Welcher Jäger wird seine Deckung verlaffen, wenn er den Bock erwartet? Die Kugel kann nur von der gegenüberliegenden Waldesecke gekommen sein." Die Erklärung machte sichtbar tiefen Eindruck auf die Geschworenen. Sie flüsterten untereinander. Der Präsident nagte nervös an seinen Lippen. Der Förster fuhr fort: „Wer meine Herren, ich habe noch einen andern Beweis. Sehen Sie, ich habe mir, als ich die Überzeugung gewann, von wo der Schuß gefallen war, nach der Tragweite der Büchse den Ort berechnet, wo der Mörder gestanden ist. Tagelang habe ich dort die Um gebung abgesucht, jeden Grashalm umgedreht, ob nicht doch eine Spur von dem wahren Mörder zu finden sei. Auch heute morgen war ich noch draußen. Und da, meine Herren, habe ich in dem Gebüsch ganz genau an der Waldesecke das hier gefunden." Er griff in die Tasche und legte ein kleines, goldenes Medaillon auf den Gerichtstisch. Kaum hatte einer der Beisitzer des Gerichtshofes einen Blick darauf geworfen, fo stieß er einen Ruf der Überraschung aus. Unwillkürlich blickte er nach der Uhrkette des Präsidenten. Dort hatte früher das ihm so wohlbekannte Schmuckstück gehangen. Es fehlte. Der Präsident selbst war totenbleich in seinem Stuhle zurückgesunken. Seine Hand faßte nach dem Medaillon und schloß sich krampfhaft darüber. Eine Sekunde verging in atemloser Stille. Dann erhob sich der Präsident: „Ich unterbreche auf einige Minuten die Sitzung!" stammelte er mit tonloser Stimme. Er wankte zur Tür, doch kaum hatte sich diese hinter ihm geschlossen, so brach er mit lautem Aufschrei zusammen. Des Publikums bemächtigte sich eine furchtbare Auf regung. Was bedeutete der Zwischenfall? Was bedeutete der finstere Blick des Försters, der sich fest auf die Tür richtete, hinter welcher der Präsident zusammen gebrochen war? Eine halbe Stunde verfloß, da betrat mit bleichem Gesicht der Staatsanwalt wieder den Saal: „Meine Herren", sagte er zu den Geschworenen, „infolge des Unwohlseins des Vorsitzenden wird die Verhandlung ver tagt. Ich bitte, sich nach Hause zu begeben. Der An geklagte aber", fuhr er mit erhobener Stimme fort, „wird sogleich enthaftet, es hat sich seine Unschuld nahezu als gewiß herausgestellt." Am nächsten Tage erfuhr die erstaunte Stai^ Mit, einer kurzen Zeitungsnotiz, daß der Präsident sich er'chossen hat. Die Gründe wurden nicht angeführt, aher noch an demselben Tage waren sie in jedermanns Mund. Zr rischen dem. Präsidenten und dem Baron bestand seit frühester Jugend schon Feindschaft, weil letzterer dem Prässiunren einst die Braut abspenstig gemacht hatte. Die RaA- die dieser ihm damals geschworen, hat er nun ausgeführt. Er war der Meisterschütze gewesen, der zu gleicher Zeck mit dem Sohne geschossen und den Grafen gelötet hatte.