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Stirne Heitz rinnt der Schweiß", bis endlich der letzte beladene Wagen in die weit geöffneten Tore des Hofes schwankt. Jetzt erst gehört die Ernte der» Landwirt, wenn er sie nicht schon vorher auf dem Halms verpfändet hat. Und jetzt, nach getaner Arbeit, im sicheren Besitze, feiert er nach altem Brauch, der zu allen Zeiten und bei allen Völkern in verschiedenen Formen wiederkehrt, das frohe Fest der Ernte. Der Okonomierat hatte es in den letzten Jahren auf das Nötigste beschränkt, sehr zum Arger seiner Leute, die es als ihr unveräußerliches Recht betrachteten, sich an diesem Tage gehörig zu betrinken. Diesmal sollte das Fest wieder mit besonderem Glanze begangen worden, das hatte der Inspektor den Leuten versprochen und auch beim „Herrn" durchgesetzt. Platen machte ihm klar, daß zu weit getriebene Spar samkeit in gewissen Dingen eine Torheit sei, daß manche Unzufriedenheit ausgelöscht würde, wenn man sich bei solchen Gelegenheiten nicht knickrig zeigte. Da die Ernte großartig ausgefallen war, die Preise auf befriedigender Höhe standen, alle Nebenbetriebe glänzend rentierten, so gab der Okonomierat nach, steckte den notleidenden Agrarier diesmal in die Tasche und ließ tüchtig auffahren. In einer der großen Scheunen hatte man Tische und Bänke aufgeschlagen. Es gab reichlich Bier und zu essen. Die Musik — Geige, Trompete und Klarinette — hatte Platen auf seine eigenen Kosten aus Klützow kommen kassen. Das Völkchen war vergnügt und tanzte, daß der Boden zitterte und die Röcke flogen. Der Tag war heiß, und der Schweiß des Vergnügens lief den Leuten über die strahlenden Gesichter. Staub wirbelte auf, dazu lautes Lärmen und das Lachen und Kreischen der Werber, wenn der Galan im heißen Liebes drange gar zu zudringlich wurde. Dem „Herrn" hatten sie mit Ehrentanz, Erntekrone, Ansprache und Lebehochs alle Ehren angetan, die sie zu vergeben hatten und die ihm gebührten. Aber dem Inspektor, der sich ihrs Herzen gewonnen, ihm jauchzten sie zu. Die Mädchen drängten sich an ihn; alle wollten sie mit ihm tanzen, und sie kicherten errötend über seine, der Umgebung und Situation angepaßten Scherze. Die Männer tranken ihm zu und riefen „Hoch" und „Hurra", als er einen kleinen Speech hielt und auf seine Kosten Zigarren verteilen ließ. Der Okonomierat sah und hörte das alles und ärgerte sich. Es war ihm nicht ganz klar, weshalb er sich ärgerte — denn diese Leute waren in seinen Augen nur lebende Maschinen, deren persönliche Meinung und Sympathien ihm höchst gleichgültig waren, sobald sie seine Interessen nicht verletzten. Aber mit diesem Herrn Inspektor hatten sie sich doch gar zu sehr — förmlich, als ob er hier der Herr und Ge bieter sei, und der Okonomierat selbst nur der Inspektor. Und das war doch ärgerlich. Draußen im Garten vor der Laube stand die Tafel für die Gäste. Roloff mußte sich nach langer Zeit wieder einmal für manche Jagdeinladung, für manches Frühstück bei einem Geschäftsabschluß oder beim Kreistag re vanchieren — und so wollte er das „in einem Aufwaschen" abmachen. Freilich, er hatte sich gedreht und gewunden, als ihm Platen die Notwendigkeit davon klar machte; rechnete auch in dieser Zeit, wo noch nicht jeder mit der Ernte zu Rande war, auf manche Absage, was denn auch glücklich eintraf. Aber siebzehn Herren waren es doch geworden. Der Alte fluchte innerlich, ließ sich jedoch nicht lumpen, da er das Gespött des Kreises wie Feuer fürchtete. Auch hatte Lisbeth, weit über seine Anordnungen hinaus, ein furcht bares Gemetzel unter dem Geflügel angerichtet, für Wild und Fisch gesorgt, den Gemüse- und Obstgarten ge plündert. Sie wollte nicht wieder versteckte, spöttische Bemerkungen hören, wenn sie in Klützow mit den Damen der Nachbar schaft zusammenkam, Bemerkungen, die sie oft schamrot gemacht hatten. Es war wie eine stumme und geheime Verschwörung zwischen ihr und Platen — denn üe hatten kaum einige Worte darüber gewechselt — die Ehre deS Hauses zu wahren, dem Geiz und der Schäbigkeit des Hausherrn zum Trotze alles so reich und so schön wie nur möglich zu machen. Das Essen fiel auch vorzüglich aus; und der Okonomie rat schluckte manches Kompliment, manches freilich, das etwas spöttisch klang. Ein alter Agrarier, der durch seinen Witz und feine ungenierte Offenheit berühmt war — übrigens ein Duzbruder des Okonomierats — rief mit schlauem Augenblinzeln: „Prost, Roloff — deine Köchin soll leben! Ich habe lange nicht so gut bei dir gespeist." Ein verständnisvolles Grinsen ging rings um die Tischrunde, das zu diskretem Kichern anschwoll, als der witzige Nachbar hinzufügte: „Und dein Roter ist immer noch besser als' dein Weißer." Da alle diese Nachbaren sich wie eine große Familie seit einem Menschenalter kannten, so war auch diese An spielung verstanden worden. Mit dem Weinkeller auf Tressin batte es nämlich seine eigene Bewandtnis. Er zer fiel in zwei sehr ungleiche Hälften. Die eine, bessere — vorzüglicher Burgunder, alter Rheinwein und französischer Sekt erster Marke — stammte aus Geschenken und dem Nachlasse von Roloffs seligem Schwiegervater her, einem Kenner und Liebhaber eines edlen Tropfens. Nur ganz selten rührte der Alte an diesem Schatz. Die andere Hälfte aber, seinen berüchtigten Mosel, sollte der Gutsbesitzer auf einer Auktion in Berlin er standen haben. Andere behaupteten, für Wein hätte der alte Geizhals überhaupt noch nie einen Pfennig aus gegeben. Dieser anrüchige Mosel, den man auf Grüne berger unter falscher Etikette taxierte, sei ihm für eine Schuldforderung an einen durchgegangenen Weinhändler zugefallen, der feine besseren Marken schon vorher zu Gelde gemacht. Der Alte hatte ursprünglich diesen Krätzer allein auf die Tafel bringen wollen . . . das sei früher auch so ge wesen. „Aber Herr Okonomierat, viele Herren, gerade bei uns in Norddeutschland, trinken Mosel überhaupt nicht gern", meinte Platen lächelnd. „Und offen gesagt, der Mosel wäre auch nicht mein Geschmack." „Ach was — meine Nachbaren sind nicht solche Sybariten wie Sie." „Na, wie ich die Herren kennen gelernt, verstehen sie sich allesamt auf einen guten Tropsen. Überhaupt, auf eine anständige Tafel gehört roter und weißer Wein — zwei Sorten ist das allermindeste — und nachher Sekt." (Fortsetzung folgt.) Der 6derdrett!-^Iä2en. Humoreske von Rudolf Hirschberg-Jura. (Nachdruck verboten.) Zum 15. April stand für das Stadtthearer zu Schminkenburg der Schluß der Winterspielzeit bevor, und die nach dem Beispiel des Aprilwetters und des Königs Klaudius im „Hamlet" mit einem nassen und einem heiteren Auge behaftete Frühlingsstimmung der Schau spieler hatte bereits ihren Einzug gehalten. Man war ja glücklich, die „unglaubliche Schmierenwirtschaft" dieses Winters nun bald hinter sich zu haben. Aber man war auch betrübt, nun nicht so bald wieder einen Gagetag feiern zu können. Denn selbst für diejenigen Mitglieder, denen das Glück eines Sommerengagements winkte, galt es vor dessen Beginn mindestens einige Wochen stiller Zeit zu überwinden, und nur wenige waren vom Schicksal so begünstigt, daß sie in dieser Zeit bei Muttern privatisieren konnten. Für die übrigen bedeutete der bevorstehende Privatzustand ganz wörtlich aus dem Lateinischen über setzt einen „beraubten", einen „leeren" Zustand. Was tun? „Wir mache« eine Überbrettltournee", schlug der Tenorbuffo einigen befreundeten Kollegen vor und fand sogleich begeisterte Zustimmung. Die Geschichte ereignete sich nämlich vor Jahren, als die Überbrettelei noch den Reiz der Neuheit besaß und in den Kreisen des kunst begeisterten Publikums noch ein vornehmeres Ansehen genoß als heutzutage. ZL ZI ff Z oo T L os »c-s , (LG RZ ZN GG Der Tenor selbst war nicht nur Kes StngenS, sondern auch des Gitarrespiels mächtig, außerdem ein gewandter Geschäftsmann und überdies mit der sentimentalen Lieb haberin verheiratet, die sich im Ehestand zu einem über mütigen Charakter entwickelt hatte, also sehr wohl als Diseuse zu verwenden war, und so gab dieses Ehepaar schon einen recht guten Mittelpunkt ab, um den sich ein kleines Überbrettl-Ensemble angenehm kristallisieren konnte. Als Vertreterin des leichtfertigsten Genres wurde die Soubrette gewonnen, die schon von Berufs wegen über einen Vorrat von Couplets verfügte, während die „jugend liche Dramatische" als seriöse Liedersängerin das Banner des höheren Kunstinteresses entfalten sollte, so daß man nicht mit Gewerbesteuern und dergleichen belästigt werden konnte. Dem Kapellmeister wurden die Aufgaben des Klaviers und der Conference anvertraut, und außerdem beteiligte sich noch der erste Held und Liebhaber, um mit seinem klangvollen, klassisch geschulten Organ nicht nur die beliebtesten Poesien der damals aufkommenden Über brettldichter zu rezitieren, sondern dem Publikum auch emige boshafte Satiren zum besten zu geben, die er aus seiner eigenen poetischen Ader spritzte. Diese sechs jungen Leute sahen nun dem 16. April, als dem Beginn ihrer Künstlerreise, mit den freudigsten Erwartungen entgegen, die sich allerdings nicht in ganz vollkommener Weise erfüllten. Denn, wenn auch die niedrigeren Einnahmen des einen Abends durch glänzendere Erfolge des nächsten wieder ausgeglichen wurden, so hatten sie doch durch die täglichen Reisen und das teure Hotelleben viel höhere Kosten als im Winterengagement. Immerhin verdienten sie im Durchschnitt so viel, als sie verbrauchten, und verlebten bei den bunten Abwechslungen dieser Künstlerfahrt so viel Lustiges, daß sich bei der Er innerung daran noch heute ihre Mienen verklären, ver schönen und verjüngen. Besonders jener Abend von Poggenheim ist ihnen unvergessen geblieben. In dieser kleinen Stadt herrschte gerade landwirtschaftliche Ausstellung und infolgedessen starker Verkehr der umwohnenden Gutsbesitzer, und das hatte die Künstlergesellschaft veranlaßt, ihre heitere Tätig keit an dieser Stätte auf zwei Abende auszudehnen. Die Einnahmen waren auch so gut wie noch nie auf der ganzen Tournee, und da der Wirt des Hotels zum „Hohenzollernturm", wo sie ihre heiteren Künstlerabende veranstalteten, ein kunstbegeisterter Herr war, der ihnen zu sehr billigen Preisen Obdach und Atzung gewährte, so stieg die vergnügte Stimmung der sechs Genossen bis zum Übermut, und nach beendeter Vorstellung fanden sie sich an ihrem Tisch mit der Absicht zusammen, das wohl verdiente Wendbrot durch eine Bowle zu veredeln und nickt vor Morgengrauen schlafen zu gehen. Es wurde aber noch vergnügter, als sie gedacht hatten. Es gesellte sich nämlich ein sonnengebräunter, allem An schein nach landwirtschaftlicher Herr zu ihnen, der sich dem Kapellmeister als Paul Maiwald vorstellte und ihm seine herzliche Anerkennung für die Leistungen der Truppe aus sprach. Er schien ihn für den Direktor eines reisenden Tingeltangels zu halten, und sagte, die „Mädels" wären sehr gut, der „Komiker" (er meinte den ersten Liebhaber) mache seine Sache großartig, und der „Spieler" (der Sänger zur Laute) sei famos. Ob er sich zu ihnen setzen und ein Glas Champagner mit ihnen trinken dürfe. Der Kapellmeister überzeugte sich durch ein paar rasch ausgetauschte Blicke, daß die Kollegen ebenso wie er über die ländlich-naiven Kunsturteile dieses Herrn Maiwald entzückt waren, und daß sie nicht den übertriebenen Stolz besaßen, seine Einladung auszuschlagen. Der Herr setzte sich also zu ihnen und sagte, sie möchten die Sektmarke selbst auswählen. Ta wählten sie Pommern, und nun begann unter der Leitung des Kapellmeisters eine immer steigende Fröhlichkeit. Als nämlich der Mäzen von neuem versicherte, die „Mädchen" hätten alle drei ihr Ding brillant gemacht, da erwiderte der. Kapellmeister mit ernster Miene: „Ja, und das sind noch nicht einmal unsere besten Kräfte, das sind nur unsere Lehrmädchen. Ich erlaube ihnen nur ausnahmsweise, heute so lange aufzubleiben. Denn sie müssen früh sehr zeitig aufstehen und die Stube scheuern. Meine Frau ist viel tüchtiger. Sie ist 53 Jahre alt, sieht aber aus wie 26! Sie tritt im Trikot auf als Riesendame und hat ungeheure Kräfte. Vor acht Tagen hat sie in dem Lokal, wo wir auftraten, 5en KeMr haW tot geprügelt, weil er zu langsam servierte. Drum sitzt sie jetzt. Wir schreiben ihr dann eine Ansichtskarte ins Ge fängnis. Es ist eine großartige Frau!" Herr Maiwald hörte mir ernstem Gesicht zu, und die anderen hatten Mühe, bei diesem Mißbrauch seiner Leicht gläubigkeit ebenfalls ernst zu bleiben. Auf die interessierte Frage des Champagnerspenders, ob sie denn bei dem Ge schäft hübsch verdienten, entgegnete der Kapellmeister mit bescheidenem Stolz- „O ja! Wir haben überall frei Essen, Trinken und Schlafen und bekommen von den Wirten pro Kopf 75 Pfennige. Anderwärts dürfen wir auch alle zwei Nummern mit dem Teller absammeln. Das besorgen ge wöhnlich die Lehrmädchen hier. Hübsche Dinger, was? Da gibt oft einer zehn Pfennige statt fünf, und Kupfer nehmen wir überhaupt nicht an. Aber hier hat es die Polizei nicht erlaubt. Es ist ein ziemlicher Einnahme ausfall für uns! Nein, nein, bitte, lassen Sie steckenk Da es die Polizei verboten hat, nehmen wir kein bares Geld. Wir leiden ja auch keine Not. Wie gesagt, wir haben hier Essen und Trinken, und obgleich wir abends nur ein Recht auf ein Butterbrot ohne Belag haben, so will uns der Wirt, weil er eine gute Einnahme gehabt hat, heute Käse dazu geben!" „Aber ich bitte Sie, Herr Direktor!" versetzte der gut mütige Mäzen. „Das ist doch kein Essen Mr Sie. Lassen Sie sich, bitte, ein anständiges Souper servieren, Mr die Mädchen, den Komiker und den Spieler natürlich auch. Sie sollen auch einmal wissen, was gut schmeckt." Der Tenor stellte mit Hilfe des Oberkellners sogleich eine angenehme Speisenfolge zusammen und leistete dann erst dem Winken des ersten Liebhabers Folge, der ihn zu einer kurzen Aussprache beiseite nahm: „Wir dürfen doch unserer Würde nicht so viel ver geben", sagte er, „uns von diesem Bauern in solcher Weife freihalten zu lassen. Das haben wir doch Gott sei Dank nicht nötig. Wir können uns einen guten Bissen auch selbst bezahlen." „Eben weil wir es nicht nötig haben", versetzte der Tenor lachend, „eben weil es nur ein Scherz ist, brauchen mir uns der Sache nicht zu schämen. Es scheint übrigens ein recht begüterter Agrarier zu sein, dem es selbst Spaß macht. Also seien Sie mal auch kein Frosch und machen Sie ruhig mit." Da beruhigte sich der erste Liebhaber in seinem künstle rischen Ehrgefühl und machte sogar mit dem Mäzen Brüderschaft. Als dieser jedoch auch mit den „Mädchen" Brüderschaft machen und Kuß und Handschlag tauschen wollte, da erhob der Kapellmeister mit den Worten Ein spruch, die Lehrmädchen dürften das noch nicht. Er solle warten, bis die Frau Direktor wieder aus Lem Gefängnis käme. Sie sei trotz ihrer Dreiundfünfzig noch eine sehr schöne und temperamentvolle Frau, und er als Gatte habe bei einem so vornehmen Gönner durchaus nichts dagegen. Das schien dem Gönner einzuleuchten, die Soubrette gab ihm aus Gutmütigkeit auch ohne Brüderschaft einen Kuß, und je unglaublichere Verulkung der Champagner spendende Agrarier sich gefallen ließ, offenbar ohne das mindeste zu merken, um so übermütiger wurden die Künstler, und einer um den andern entfernte sich Mr kurze Zeit aus der Tafelrunde, um sich von dem übermächtigen Druck des mit Gewalt zurückgehaltenen Lachens zu be freien. Als sich der Mäzen aber auch selbst einmal entfernt hatte, kam er einfach nicht wieder, und hatte auch die Rechnung nicht bezahlt, und am nächsten Morgen fragte ein Kriminalheamter nach einem längst gesuchten Hoch stapler. Die guten Einnahmen der beiden Tage im „Hohenzollernturm" würden nicht ausgereicht haben, die ganze Zeche zu bezahlen, wenn der Wirt nicht großmütiger weise den Champagner zum Selbstkostenpreise gerechnet hätte. Wirklich ungehalten war über diese Wendung eigentlich nur die seriöse Liedersängerin. Die Soubrette wäre beinahe vor Lachen geplatzt, und der erste Liebhaber sagte: „Famoser Aktschluß! Nun haben wir uns doch AMj dem Proleten wenigstens nicht freihalten Went"