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Schrei. Laute Worte folgen, die man aber nicht mehr verstehen kann. Die Damen im Boote haben genug zu tun, daß sie fest sitzen und nicht seekrank werden. Die Herren be greifen, daß keine Auseinandersetzungen am Platze sind, bis wir das Deck der „Victoria" unter den Füßen haben. In beklommenem Schweigen wird das letzte Stück bis zum Schiffe zurückgelegt." Benno von Meerberg machte eine kurze Pause — und fuhr fort: „Die Musik empfing uns in vorbereiteter Weise mit einem Tusch. Der Kommandant stand im Fallreep, um die Gäste zu begrüßen. Sein scharfes Auge entdeckte aber sofort, was nötig war. Er schickte den Läufer, um einen der Arzte zu holen, noch ehe wir Fräulein Wengers die Treppe hinaufgetragen hatten. Der Stabsarzt und der Assistenzarzt kamen beide an gerannt, als wir gerade mit der Bewußtlosen die letzte Stufe erreicht hatten. „Zunächst in die Messe", befahl der Herr Kapitän. Dahin ging nun also der stille Zug, dem sich noch die beiden Lazarettgehilfen anschloffen. Von den Gästen be gleitete ihn nur die Frau Konsul. Alle andern wurden erst in die Kajüte und dann im Schiffe herumgeführt, um sie von dem betrübenden Ereignis abzulenken. Natürlich mußte ich Fräulein Wengers unter der Obhut der Ärzte lassen und meinen Dienst weiter tun. Der Kommandant war nicht sehr erbaut von der Meldung, die ich ihm zu machen hatte, aber gerecht genug, um meine Handlungs weise korrekt zu finden. Selbstredend sollte ich sofort mit dem Kutter, der klar geblieben war, an Land zurück und die andern holen. Ehe ich von Bord ging, mußte ich aber wissen, wie es mit der Kranken stand. Vorsichtig klopfte ich an die Meffetür. Der Assistenzarzt trat heraus. Und so angst und bange mir auch zumute war, — ich hätte doch beinahe aufgelacht. Denn der Mann war glückselig, daß er mal wieder „eine Patientin" unter den Fingern hatte, statt immer nur dis verdorbenen Magen der Matrosen und allenfalls mal eine gequetschte Hand zu kurieren. Der Stabsarzt hat sich auch darüber gefreut, zeigte es aber nicht mit so rührender Offenheit. — Jedenfalls haben sich beide die größte Mühe gegeben. Die Wunde war schon kunstgerecht zugenäht. Das Bewußtsein war aber noch nicht zurückgekehrt. Nun fragte der Assistenzarzt: „Wohin mit der Kranken? — In der Messe kann sie doch nicht bleiben und im Lazarett liegen ein paar Leute an Darm katarrh." „In meine Kammer", rief ich, „selbstverständlich!" — Die war ja für Damenbesuch aufgeklart. So war mir der brennende Wunsch erfüllt worden, aber — wie es so ost im Leben geht — anders, als ich ihn gemeint hatte. — Der Kutter näherte sich wieder der Landungsstelle. Wie ich erwartet hatte, war dort alles still. Aber zu meinem Erstaunen gewahrte ich, daß die Menge sich nicht verlaufen hatte. Sie schien mir im Gegenteil noch zahl reicher geworden. Als dichter Knäuel standen die Menschen unweit des Ufers und starrten auf irgend etwas in ihrer Mitte — in geradezu unheimlichem Schweigen. Wie ich näher heran kam, ging ein Gemurmel durch die Reihen. Es klang trotzig und feindselig. Ich glaubte sogar ein paar spanische Flüche heraus zu hören. Nichts destoweniger machte man mir Platz. Von beiden Seiten traten die Leute zurück und ließen mir den Weg frei. Ich schritt hindurch, Böses ahnend und doch nicht gefaßt auf das Traurige, das ich hier finden sollte. Vor mir am Boden lag Pedro Jambados in triefenden Kleidern, anscheinend leblos. Seine linke Hand hing schlaff herunter, die rechte war zur Faust geballt, das Haupt tief hintenüber gesunken. Was konnte hier geschihen sein? Unwillkürlich sah ich mich im Kreise um nach dem einzigen, der mir wahrheitsgetreue Auskunft geben konnte. „Wo ist der Konsul?" fuhr ich den ersten besten an. „Zum Arzt gelaufen" war Lie widerwillige Antwort. Und m Erwartung des Arztes standen sie alle um Len Ver unglückten herum, und keiner rührte einen Finger zu seiner Rettung. — Ohne Besinne« warf ich mich neben Jambados nieder, um mit ihm die Äewegungen der künstlichen Atmung an zufangen. Ich hatte den bestimmten Eindruck, datz Las Leben noch nicht entflohen war. Aber es war keine Minute zu verlieren. Der Bootssteurer schickte mir zwei Leute nach. Er mochte wohl fürchten, daß ich unter diesen Menschen nicht ganz sicher sei. Wir zogen dem Ertrunkenen Rock und Weste aus und formten daraus eine Rolle, die wir nnter seinen Rückeu schoben. Taktmäßig wurde dann das Auf- und Abbewegen der Arme oorgenommen. Ich blickte dabei unverwandt in das Antlitz des scheinbar Toten und spähte angstvoll nach einem Zeichen wiedererwachenden Lebens. Minute auf Minute verging. — Der Kreis um uns hatte sich wieder dicht geschlossen. Neugierige Augen sahen von allen Seiten unseren Bemühungen zu. Endlich, — endlich ein mattes, kaum noch wahrnehm bares Heben der Brust, — ein zweites schon deutlicher, Die Lippen öffneten sich ein wenig. Jetzt unverkennbar ein wirklicher Atemzug, ein zweiter, ein dritter. — Carolas Bräutigam war gerettet! — Er schlug die Augen auf, aber sie irrten noch ver ständnislos ins Leere. — Durch die Menge ging wieder ein Gemurmel. Diesmal drückte es Beifall aus, wohl gar Bewunderung. Dann plötzlich kam eine Bewegung unter die Leute, sie machten dem Konsul Platz und dem deutschen Arzte von La Guapra. Ein Diener folgte, mit allem beladen, was man in der Eile an Decken, Wäsche und Heilmitteln zusammengerafft hatte. „Er lebt", flüsterten die Nächststehenden, die noch nicht wagten, ein lautes Wort zu sprechen. „Er lebt?" wieder holte zweifelnd der Arzt. Aber dann, nach einem Blick auf den Geretteten, zum Konsul gewendet, versicherte er: „Es ist wahr." — Ich überlleß nun Lem Arzte die weitere, sachkundige Sorge für den Verunglückten und zog den Konsul beiseite. Mit begreiflichem Interesse forschte ich danach, was denn eigentlich hier vorgegaugen sei. „Ahnen Sie das wirklich nicht?" fragte er ver wundert und, wie mir scheinen wollte, vorwurfsvoll. „Haben Sie wirklich vom Boote aus gar nichts be merkt?" „Nein", beteuerte ich, „denn meine ganze Aufmerk samkeit war auf Fräulein Wengers gerichtet, die durch einen Stein am Kopfe verwundet worden ist. Ich mußte sie halten und ihr das Blut stillen. Gott sei Dank scheint ja die Gefahr . . ." Er unterbrach mich: „Also darum? O ich wußte es ja, es würde eine Rechtfertigung dafür geben!" (Schluß folgt.) kapituliert. Skizze von St. Gerard. (Schluß.) (Nachdruck verbalen.) „Gewiß wird er rasend sein. A propos, möchtest du mir nicht einen Gefallen tun, Edith? Empfange ihn in diesem Zimmer und gib ihm zu verstehen, daß ich ver sprochen wäre. Entschuldige mich mit Kopfschmerz." „Soll ich ihm wirklich sagen, du wärest verlobt?" „Ja, aber nur andeuten — verstehst du? Ick möchte hören, was er dazu sagen wird; deshalb will ich mich hier hinter dem Vorhang verstecken." „Und wenn er mich drängt, den Namen des Bevor zugten zu nennen?" „Hm, warte einen Augenblick. Er haßt den Major Falkner entsetzlich; ebenso ich — also nenne nur Major Falkner. Fred soll mich aber erst noch am Fenster sehen, wenn er um die Ecke kommt. So, jetzt ist er da — er hat mich gesehen — mache deine Sache gut!" Leutnant Marchmont wurde sofort in das Wohn zimmer geführt, war aber sehr erstaunt, Mabel nicht mehr am Fenster oder sonstwo zu entdecken. „Guten Morgen, Miß Edith!" Er reichte der jungen Dame die Hand. „Ich vermeinte Ihre Schwester dort am Fenster zu erblicken, als ich den Weg heraufkam. Sollte ich mich geirrt haben?" „O nein, Mabel war dort", erwiderte Edith. „Sie läßt sich bei Ihnen entschuldigen, da sie Kopfweh hat." „Das tut mir aufrichtig leid. Kam der Anfall erst, nachdem sie mich erkannt hatte?" „Ja — ich glaube — ja. Aber wollen Sie nicht Platz nehmen?" — „Danke bestens." Fred setzte sich, einigermaßen bestürzt. „Sie schämt sich vielleicht, mir zu begegnen", grübelte er; „aber nein, es stände in keinem Zusammenhang mit dem, was sie vorhin in der Laube sagte." Er sah verlegen im Zimmer umher; plötzlich leuchtete es in seinem hübschen, wettergebräunten Gesicht auf und er wandte sich liebenswürdig an seine Nachbarin. „Ich weiß nicht, ob ich mich darüber freuen oder ärgern soll, daß Mabel mich nicht begrüßen will", begann er fast heiter. „Es wäre mir allerdings lieb gewesen, Ihrer Schwester sagen zu können, daß ich ihr keinen Haß nachtrage: Aber vielleicht ist es besser, wenn wir uns nicht mehr begegnen." „Vielleicht", erwiderte Edith etwas verblüfft. „Wissen Sie", fuhr sie, sich zusammennehmend, fort, „daß ich mich viel mit Ihnen beschäftigt habe, seitdem ich in der Zeitung gelesen, daß Ihr Schiff in Portsmouth vor Anker liegt, ich bin äußerst gespannt, zu wissen, was Sie über Mabel denken." „In welcher Beziehung?" „Nun, haben Sie nichts gehört?" — „Nein; was ist es?" „Es ist vorläufig noch Geheimnis; doch Vie als alter Freund " „Sie wollen doch damit nicht sagen, daß —" „Nun, es ist noch ganz unbestimmt das heißt, ich darf noch nicht darüber sprechen." „Ich verstehe vollkommen. Darf ich nicht erfahren, wer der Glückliche ist?" Es ist Ihr Freund, Major Falkner." „Ich wünsche ihm von ganzem Herzen Glück." Das hatte Edith nicht erwartet. Sie glaubte, Fred würde wie toll aufspringen, einige Verwünschungen aus- stoßen und zur Tür hmausstürmen. Statt dessen sogar eine Gratulation? — Wie sollte sie das verstehen? — Was würde Mabel denken? „Es freut mich, daß Sie es so auffassen", sagte sie betreten; sie wußte augenblicklich nicht, was sie noch hin zufügen sollte. „Weshalb? Glaubten Sie vielleicht, datz ich Mabel noch liebe? Ich war ihr früher einmal gut — sehr gut, das ist wahr: doch Liebe muß hin und wieder eine Er mutigung finden, sonst stirbt sie. Dies ist bei mir der traurige Fall. Mir tut nur eins leid, — daß ich nicht schon längst meine Gefühls einer anderen zugeioandt habe, einer anderen, von der ich weiß, daß sie ein warmes Herz besitzt und nicht daran denken würde, jahrelang mit einem Mann zu spielen. Doch jetzt ist es sicher zu spät dazu." Dies waren angenehme Aufklärungen für das hinter dem Vorhang verborgene Mädchen. Wenigstens dachte Edith so und konnte sich nicht enthalten, noch weiter zu gehen. „Wer weiß!" meinte sie teilnahmsvoll; „es käme immer auf einen Versuch an. Wo befindet sich denn die junge Dame, von der Sie sprechen?" „O, ganz in der Nähe. Aber ich habe sie seit einem Jahre nicht gesehen und mag sie während der Zeit längst ihre Zuneigung einem andern geschenkt haben. Sie könnten mir vielleicht die beste Auskunft geben." „Gern, wenn Sie mir den Namen der Dame nennen wollen." „Es ist Mabels Schwester." — „Mr. Marchmont!" /Sitte fürchten Sie nichts. So macht man's bei uns zur See, müssen Sie missen." Lud Fred begann mit einer vollen und nichts weniger als von gebrochenem Herzen zeugenden Stimme: /verläßt der Matrose den heimischen Strand, Dann schaut er gar düster und trübe; Er seufzt und klagt bei der Liebsten an Land Und schwört ihr ewige Liebe. Hoiho, mein Mädchen, hoihee! So macht man's bei uns zur See! Doch wenn er dann kommt an ein fremdes Gestade Hat bald er vergessen sein Schwören; Er sieht, daß die ausländ'schen Schönen nicht fade Und findet bei mancher Erhören. Hoiho, mein Mädchen, hoihee! So macht man's bei uns zur See!" Edith wollte, als er zu singen anfing, böse werden, doch bald brach sie in lustiges Lachen aus. „Sie werden wohl nie am gebrochenen Herzen sterben!" rief sie fröhlich. „Seien Sie dessen nicht st) sicher", flüsterte er, „Merken Sie denn nicht, Latz ich von Mabels Aufenthalt hinter jenem Vorhänge weiß? Erschrecken Sie nicht! Suchen Sie mich unter irgendeinem Vorwande aus dem Zimmer zu entfernen." „Ich kann und will Sie nicht anhören", rief daS schlagfertige Mädchen. „Sie haben wer weiß wie oft Mabel von Ihrer Liebe gesprochen. Kommen Sie jetzt auf einen Augenblick zur Tante." „Mit Vergnügen", entgegnete Fred, und beide ver ließen plaudernd und scherzend das Zimmer. Aufgeregt und dunkelrot kam Mabel zum Vorschein. „So, also das ist die Art, wie man's bei euch zur See macht", rief sie empört. „Fort mit der alten Liebe und los mit der neuen! Aber es geschieht mir ganz recht. Ich hätte ihn besser behandeln müssen und nicht noch Edith dazu auffordern sollen, ihm etwas vorzulügen." Augenscheinlich befand sich Mabel Harwood in reue voller «Stimmung. Sie rannte wie gehetzt aus dem Hause, durchkreuzte den Rasenplatz und eilte nach dem Gartenhäuschen, in dem sie vor einer Stunde noch so siegesbewußt gesprochen hatte. In ihrem Eifer hätte sie beinahe den alten Gärtner umgerannt, der seiner jungen Herrin kopfschüttelnd nach blickte. Plötzlich stand sie Fred und Edith gegenüber, die gar nicht daran gedacht hatten, die alte Tante zu behelligen, sondern sich gegenseitig Aufklärungen machten und schon auf Mabels Erscheinen warteten. „Ah, Miß Mabel, wie geht es Ihnen?" rief Fred, ihr seine Hand hinhaltend. „Ich gratuliere Ihnen zu Ihrer schnellen Genesung. Miß Edith sagte mir. Sie hätten Migräne." Hier fand Edith den Zeitpunkt für geeignet, zu ver schwinden. „Wie gefiel Ihnen denn mein Lied?" fuhr Fred fort, sich an Mabels Verlegenheit weidend. „Was für ein Lied?" stotterte diese, dunkelrot vor Scham und Arger. „Ich weiß, daß Sie mich gehört haben," beharrte Fred mitleidslos. „Und nun werde ich Ihnen sagen, Mabel, weshalb ich das Lied sang und weshalb ich Edith von Liebe sprach. Ich wußte, daß Sie hinter dem Vorhang standen, denn ich konnte Ihre Fußspitzen sehen. Ich ge wann sofort die Überzeugung, daß Ebiths Geheimtuerei in betreff Major Falkners nur Erfindung war. Ich habe nämlich die Unterhaltung zwischen Ihnen und Ihrer Schwester, die vor einer Stunde in dieser Laube stattfand, mitangehört." „Gehört das Spionieren auch unter die Flagge: So macht man's bei uns zur See?" „Verzeihung, ich habe durchaus nicht spionieren wollen. Ich wußte nicht, daß jemand in der Laube war. Erst als ich beim Näherkommen Edith von mir sprechen hörte, stieg der Wunsch in mir auf, zu erfahren, was man über meine Wenigkeit sagen würde. Es tut mir auch nicht leid, daß ich gehorcht habe, denn nun weiß ich doch endlich, woran ich bin. Da ich also — um Ihre eigenen Worte zu ge brauchen — doch gekommen bin, obgleich Sie mich kaum erwarteten, so wissen Sie, daß Sie mich zu jeder Zeit haben können. Es ist also keine Gefahr dabei, wenn Sie mich noch ein wenig länger warten lassen. — Ich bin da mit auch ganz zufrieden, wäre Ihnen aber sehr verbunden, wenn Sie mir genau angeben wollten, wie lange Sie mich noch hinzuhalten gedenken." Mabel ergab sich. „Werden Sie einverstanden sein, wenn ich Ihne« gestatte, die Zeit zu bestimmen?" fragte sie fast schüchtern. „Gewiß!" sagte Fred ruhig, aber sein Gesicht strahlte vor Glückseligkeit.! „Nun denn, nennen Sie die Zeitdauer." „Zwei Minuten", entgegnete Fred und zog seine Uhr hervor. Nach Verlauf der 120 Sekunden — nun — war er da tat, gehörte auch unter die Flagge: So macht Wan'I bei uns zur See! ""