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jvte dieser, den sorgenvollen Blick aus da» fieberglübend» Mädchenantlitz geheftet. Plötzlich hallt ein leiser AuSruf durch das stille Ge mach. Prinzessin Elisabeth hat sich mit schneller Be- wegrmg halb aufgerichtet, — das goldene Haar Mehl wirr um ihre Schultern, di« Augen hält sie starr nach der Tür gerichtet. Ein Abglanz unsäglichen Friedens breitet sich über ihr liebliches Gesicht, als sie flüsternd spricht: „O komme! komme bawl Ich sehe dich — ich schaue ins Auge dir, — so tief, so dunkel wie die Nacht. Ich rufe nach dir — hör« mich, mein Erretter, und komme, — komme bakdl " Selig lächelnd sinkt sie inS Kissen zurück. Eine Zeitlang verharren alle in tiefem Schweigen, bis ruhige Atemzüge verkünden, bad die Kranke wieder einge schlummert ist. Dr. Lenz, über den seltsamen Gefühlsausbruch der Patientin, der ihm ungeahnte Perspektiven zu weisen scheint, aufs äußerste frappiert, blickt erst seinen Kollegen Dvboldt, dann den Fürsten mit einem Blicke an, dessen stumme Frage dieser sofort auffaßt. Er schüttelt trüb lächelnd den Kopf, und auf sein Herz deutend, sagte er: .Mit dem Ding da drinnen ist's bei meiner Tochter richtig, lieber Doktor, ich bürge dafür. Meine Tochter hat ein unbedingtes Vertrauen zu mir und würde mir in jedem Falle gebeichtet haben.' * * O Am Abend desselben TageS, unmittelbar nach dem Nachtmahl, hatte Prinz Hartwich mit dem Fürsten ein wichtiges Gespräch. „Dr. Lenz' Ansicht, daß Elisabeths Krankheit auf seelischen Affekten basiere, teile ich durchaus", sagte der Prinz. „In diesem Falle aber bleibt nur eines: die Allopathie schleunigst über Bord zu werfen; denn psychische Erkrankungen mit chemisch-physikalischen Mitteln heilen zu wollen ist ein Unsinn. Wenn ich hier einen Nat geben darf, " Prinz Hartwich stockte. .Sprich", sagte der Fürst gütig. „So ist es der, es mal mit einem Psychopathen zu oersnchen." Der Fürst schüttelte lebhaft den Kopf. .Ich halte nichts von der Psychopathie." Prinz Hartwich zuckte leicht die Achseln. .Und doch hat sie schon Wunder zuwege gebracht." .Einen Charlatan sollte ich mir ins Haus nehmen?" „Es braucht nicht der erste beste zu sein. In unserer Stadt weilt ein Arzt, den ich deinem vollsten Vertrauen »mpsehlen möchte." .Wer ist das?" .Ein Inder." — .Ein Inder?" Der Fürst sah den Prinzen verwundert an. »Sprichst du im Ernst, Hartwich?" .Durchaus." .Ich kenne diese Wundermänner, die sich Doghins nennen, genau. Glaubst du wirklich, daß ich Elisabeth emem solchen Heiligen anvertrauen könnte?" Prinz Hartwich zuckte die Achseln. .ES ist nur ein Vorschlag. Er mag absurd klingen iu unserer sogenannten aufgeklärten Zeit. Ich stehe indessen aus dem Stand punkt. daß Vorurteile nicht niederreiben können, was Beweis« aufgebaut haben. — Der Inder, von dem ich spreche, ist kein Magier im gewöhnlichen Sinne. Er genießt in seinem Vaterland« einen ausgezeichneten Ruf als Heilkünstler. Ungezählt« Erfolge merkwürdigster Art haben seinen Namen berühmt gemacht, und viele seiner abendländischen Kollegen soll er durch sein umfassendes Wissen in den Schatten stellen. Er hqt die ganze Welt bereist, und überall, wo er gewesen, ist sein Name in dankbarer Erinnerung aller derer, denen er durch seine wunderbare Kunst Gesundheit and Leben wiederschenkte. Er hat auch in unserer Stadt oerschiedentlich mit großem Erfolge praktiziert, und sein Name ist in Ludwigsheim in aller Munde." Der Fürst horchte auf. .Kamara? — Von dem hörte ich schon; aber was du mir da mitteilst, ist mir neu und ich gestehe, datz ich nicht übel Lust habe, ihn einmal kennen zu lernnr. Nur weiß ich nicht. waS Dyboldt und Lenz, sie werden nicht wenig gekränkt sein Besonders Dyboldt ruöchte ich ungern webe tun; er ist anr teuer geworden durch die vielen Jahre Am besten Där's schon man zöge den anderen zu Nat«, ohne daß Dyboldt etwas davon erfährt.' ,DaS dürfte weder ratsam noch Überhaupt durchfüßr» bak sein", entgegnete der Prinz, .solche persönlichen Rück« sichtnahmen erscheinen mir auch wenig am Platze, w» eines geliebten Menschen Leben und Gesundheit in Frag» stehen." Der Fürst war aufgestanden und durchmaß den Salon. Endlich blieb er vor seinem Sohn« stehen, er griff dessen beide Hände und sagte: .Du hast recht, Hartwich. Ich danke dir für deinen guten Rat. Ich werde ihn befolgen und den Inder zu einer Audienz laden lassen." G O Um dieselbe Stunde, da im fürstlichen PalaiS Vater und Sohn die oorgeschllderte Unterredung führten, voll zogen sich im „Schlößchen" seltsame Vorgänge. Der mit großem Gepränge eingezogsne Inder Kamara hatte, in eine Art Priestertracht gehüllt, den weißen FeS um den dunklen Kopf geschlungen, eines der verstecktest gelegenen Gemächer des Hauses betreten und vorsichtig hinter sich abgeschlossen. Er befand sich in einem mit schwarzem Samt auS- geschlageuen Kabinett, in dem nicht nur die Wände, son dern auch Plafond und Fußboden die gleiche Bekleidung zeigten. Im Hintergründe des sonderbaren Gemaches, der verhängten Tür gegenüber, brannten zwei dicke gelbe Kerzen in Ebenholzleuchtern, die gleichsam aus der Wand gewachsen schienen. Ihr Heller Schein siel flackernd über den düsteren Raum, den nicht ein einziges Möbel zierte. Kamara wart sich nieder und berührte den Fußboden mit seiner Stirn, halblaute Worte murmelnd. Dann richtete er sich zu halb liegender, halb sitzender Stellung auf, griff in die Falten seines schwarzen Gewandes, all dem er ein kleines Porträt zum Vorschein brachte, das er unterhalb der beiden Leuchter an die Wand heftete. Es war das Bild der Prinzessin Elisabeth. Des Inders Augen flammten auf, um gleich darauf den starren, unbeweglichen Ausdruck des Beschwörers an zunehmen. Den Blick unverwandt auf das Porträt ge richtet, atmete er in tiefen Zügen, die Luft dabei nach Möglichkeit anhaltend und nur langsam wieder ausstoßend „Elisabeth, Elisabeth!" flüsterte er, und ohne Aufhören .Elisabeth!" Sein Flüstern ward «um Rus, sein Rus zum pathetischen Befehl. „Elisabeth — Elisabeth!" Als er nach einer Stund« sich erbob, atmete er schwer, — von der Stirn perlte ihm kalter Schweiß, und seine Bewegungen verrieten Erschöpfung. Er löschte die Kerzen aus und verbarg das Bild wieder in seinem Talar- Dann richtete er sich vollends bock, riegelte die kleine Tür auf und verließ, unauffällig wie er gekommen, das nacht- schwarze, fensterlose Gemach. Ein breiter, luftiger Säulengang, der sich seitlich am Garten entlang zog, tat sich vor ihm aus. Zwei seiner indischen Getreuen kamen ihm entgegen- sie kreuzten die Arme über die Brust und murmelten ihrer' ehrerbietigen Gruß. Der Gebieter dankte flüchtig und betrat daS Frühstückszimmer. Es enthielt keine Tür: dickt aneinandergereihte Perlenschnüre schloffen den Eingang, von schwarzen Bedientenbänden eilfertig zur Seite gerissen, als Kamara eintrat. An dem großen Frühstückstische, der lediglich mit eine, sorgfältigen Auswahl von Obst, Nüssen und Beeren besey! war, nahm er Platz. In bester Laune machte er sich daran, sein Mah! zu verzehren als ein erneutes Rieseln des Perlenvorbangs einen Besucher anzeigte Ein gelbliches Gesicht blickte im selben Moment durch die Schnüre, und «m« weiblich« Stimme flüsterte: .Radschah?" .Tritt ein", sagte der Angeredete. Eine hagere Frauengestalt mit welken, häßlichen Zügen betrat das Zimmer. Ihr Blick war stechend, ihr schwarzes, settglänzendes Haar, glatt gescheitelt, schmückte ein N«tz auS Silberfiligran. Die großen braunen Füße waren nackt, ihre Kleidung bestand auS zinnoberroten und lilafarbenen Stoffen, die, mit glitzerndem Tand förmlich übersät, in graziösem Faltenwurf lang von den Schultern bernieder- wallten. .Ich bringe dte Post, Bruder", sagt« sie und letzte ein kleines Tablett aus Palmblättergeflecht» aut dem Priese und Zeitungen lagen, vor ihm nieder. Am! rvob Vor prüs .iS» ist gut", sagte Kamara kurz, und al» die Inderin Licht sogleich ging, wiederholte er: .Geh, Larta." Aber Laria ging nicht. .Ich möchte dich daran erinnern, Bruder, daß eS beut kleben Jahre sind, daß du mir ein Versprechen gabst, dessen Erfüllung ich noch harre." Kamara fuhr auf. — .Du behelligst mich! Ich bin nicht in der Stimmung, mit dir zu verhandeln." ,DaS bist du leider nie, mein Bruder", kam eS halb demütig, halb bitter zurück. .Nenne mich nicht Bruder", fuhr der Angeredete die Sprecherin an, — .ich muß in letzter Zeit dich wiederholt daran erinnerul" (Fortsetzung folgt.) Vie Stärkere. Eine Freske von S. Bruno Ganzke. (Nachdruck verboten.) Sie hatte die Augen wieder geschloffen. DaS matte, blasse Gesicht sah leicht auS den Kiffen hervor. Die Hände lagen wie leblos auf der roten Decke. LS waren die Hände eines kranken Menschen, der sich in einem langen vergeblichen Kamps erschöpft hat. Das feine blaue Geäder zeichnete sich klar unter der durch sichtigen Haut ab. Dir Augen öffneten sich langsam und schwer, als hebe sich nur zögernd eine lastende Hand von den Liderm Die Augen blickten über die Dinge dieser Welt hinaus in eine weit« verschleierte Ferne, sie sahen starr vor sich hin. In ihnen brannten nicht mehr Helle Kerzen, eS war wie daS letzte Aufflackern eines verlöschenden Lichts. Sie mußten einst schön gewesen sein, diese Augen, als daS strahlende Leben in ihnen noch leuchtete, als der frische Wagemut der Jugend in ihnen noch glänzte; aber die Unruhen und Leiden der Seele hatten über die blanken Spiegel graue Schleier gehängt, die alle frühere Pracht verhüllten und di« vergangene Herrlichkeit kaum ahnen ließen. Di« schmalen Lippen der Kranken öffneten sich ein wenig und die Worte kamen wie wiedererwachte Harfen klänge durch die Stille: .Die Sonne geht zur Rüste. Ich sah sie wohl zum letztenmal." Leise griff eine starke Hand nach der zarten der Kranken und faßte sie leicht und vorsichtig: .Du wirst sie noch oft sehen, Hedwig." Ein Lächeln flog wie ein scheuer Vogel über ihr Ge sicht: »Heute sehe ich sie zum letztenmal. Ich weiß es. — Und so sterbe ich doch im Sommer, wenn die Rolen blühen. Und schön ist es, so hinüberzugehen. Das habe ich mir immer ersehnt und ich gehe gern, so gern." .Du wirst wieder gesund werden, die warme Luft —' .DaS'alle- hilft nicht mehr, Eduard", unterbrach sie ihn. .das kommt zu spät." .ES ist nicht zu spätl" .Ich fühl« eS. Mich kann nichts mehr retten. Du »eißt eS so auch. Wozu täuschst du mich? — Und gut ist's, datz ich gehe. Ich wollte, ich hätte eher gehen können." .Hedwig, waS sprichst du?" .Ich hätte eher gehen müssen, doch ich konnte eS nicht. Ach war wie festgeschmiedet an dich und die Fessel war zu stark. Ich hatte dich zu lieb. Ich mußte bei duc bleiben. Und ich hätte dich so gern frei gewußt ' .Frei?" Seine Stimme zitterte. .Ja frei, frei von mir. Es war niemals so »wischen ins, wie es hätte sein sollen. Und das hat schwer auf mir gelastet, mein Leben lang. Wir lebten nickt mit einander. Ich war kein Weib für dich. Und du hast mich euch nie geliebt." .Hedwig l" Er steht sie erschrocken an und bebt ab wehrend die Hand. .Nie", sagte sie noch einmal. .Wie geduldet kam ich mtr neben dir vor. ES war eine Demütigung für mich, i» neben dir zu leben. Aber ich besaß keinen Stolz, denn ich liebte dich so sehr. Ich war feig, sonst hätte ich längst »on dir gehen müssen. Dann wärst du frei gewesen. Frei! So habe ich mein Leben vertrauert wie du das deine. Und wir beide sind alt geworden, im Lügen. Und wenn mir jetzt der Tod nicht die Lippen öffnete, so würden wir «vir bisher weiterleben. wir beide, unfrei. Aber einmal muß ich doch den Mut haben, dir zu sagen, wie eS war." — Über das Gesicht der Kranken flog eine lichte Röte. »Jetzt, wo es zu spät ist, habe ich den Mut gefunden, jetzt erst, den Mut der Wahrheit. — Ich habe dich geliebt, es war aber doch wohl nicht die rechte Liebe: denn hätte ich dich wirklich geliebt, so wäre ich von dir gegangen, und du hättest dein Leben von neuem beginnen können. So sind wir beide zugrunde gegangen. Du an mir, von der du dich aus Mitleid oder aus Schwäche nicht frei machtest. Ich an meiner törichten Liebe zu dir. Wir haberZ beide an uns gesündigt, eine Sünde, für die es kein VeM reihen gibt." Es war, al« sei frisches, junges Leben in den ver gehenden Leib der Kranken eingekehrt. Sie sprach ruhig und bestimmt wie jemand, der lange bedacht hat, was er sagen will, und die Worte hatten vollen Klang. »Du hättest glücklich werden können, glücklich mit jener andern, die du geliebt hast." .Hedwig!" Es klang flehend wie eine Bitte. »Und wie du sie geliebt hast. So heiß, s§> tief! Und ich habe das gesehen, all die Jahre! Und wie habe ich gewünscht, daß du mich auch so lieben möchtest. Nur einen Tag, nur eine Stunde. WaS hätte ich dafür ge geben!" Die ungestillte Sehnsucht nach etwa» Unerreich barem zitterte in den heftigen Worten. »Und du gingst an mir vorbei, wie ein Fremder. Mit kargem Wort und kargem Blick. Was war ich dir? — Und ich habe jene andere gehaßt. Wie meinen Todfeind. Und ich habe sie beneidet und bewundert. Was mußte sie sein, die dich jo ganz gewonnen hatte. Ich wollte kämpfen gegen sie, aber bald erkannte ich, wie ohnmächtig ich war. Und dann erwachte mein Groll gegen dich, daß du meine große Liebe nicht erkanntest. Und diesen Groll hab« ich gehegt und gehütet wie ein schwaches Kind. Aber meine Liebe zu dir war größer als er. Ich wollte diese Liebe aus- reißen wie Unkraut. Umsonst. Immer habe ich gedacht, daß ich dich noch einmal zurückgewinuen könnte — nicht zurück, ich hatte dich ja nie besessen. Aber ich gab die Hoffnung nicht auf. Vielleicht würde es mir doch ge lingen, und so habe ich gekämpft gegen jene andere — stärkere, die dich mühelos gewonnen halte. Und in diesem Kampf bin ich zugrunde gegangen." Durch die frischen grünen Blätter der Akazien und Linden strich sacht der Wind und eine warme Luftwelle trug durch das offene Fenster den Blütenduft ins Zimmer. „Sommer nach Sommer ging dahin. Ohne Duft und Farbe für mich. Und meine Jugend schwand und siel ab wie eine welke Blüte, die niemand, erfreut hat. Dir sollte sie duften und leuchten und du hast sie verschmäht." Ein Vogel rief im Gesträuch und durch die Stille scholl das Helle Gezwitscher. Er rief lockend und bittend, und bald kam Antwort. Dann vereinigten sich die Stimmen, ln lustigem Flug stiegen die Sänger in die Höhe und der Gesang verflog. Die Kranke stützte den Kopf in die linke Hand, mit der rechten glättete sie die Falten der Decke. Die Lebende. Eduard, war stärker als ich, und ich gab den Kamps bald auf. Doch — dann als jene andere starb, da flammte noch einmal wie ein Freudenfeuer die Hoffnung in mir auf, daß ich dich gewinnen würde. Du solltest die andere vergessen und bei mir das Glück finden, das du mit ihr verloren hattest. Du warst ganz in Schmerz versunken. Ich ließ dir Zeit, zu vergessen, Ich kam immer wieder und versuchte von neuem den törichten Kampf. Die Tote war stärker als ich. Sie hielt dich und gab dich nicht loZ Und dieser letzte ver gebliche Kampf hat mir die Lebensfreude und den Lebens« mut ganz genommen — und auch meine Liebe zu dir starb wie eine Blume, um die sich keiner sorgte. Und nun gehe ich — besiegt!" Die Kranke legte sich müde in die Kiffen zurück und tbre Augen schlossen sich langsam. Die letzte Sonnenglut verfloß am Himmel in lichten roten Wellen, und wie ver webendes Geflüster kam es aus dem sachten Rauschen der Baume. Di« schwerst« Last, nur gut gefaßt, ' w rd leicht getragen. Die Freude wehrt nicht allen Plagest, aüeuy sie Hilst sie alle tragen