Volltext Seite (XML)
Ihre Blick« luchten Unter den silberglänzenden Ästen der Föhre, am schuppigen, braunen Stamm und nun drunten auf dem Grunde. — Es wird ihr finster vor den Augen. Sie beugt sich unter die Zweige; der Reif rieselt herab auf ihr schwarzes Gewand, da- GraS ist glatt von Eis, hier und da nieder getreten — und dort, ein wenig zur Seite, auf knorrigem, schwärzlichem Wurzelgeäst liegt ihr Sohn. Sein Antlitz ist emporgerichtet. Um Stirn und Augen ruht ein Zug tiefen Friedens. Ernst und stumm, ohne Bitterkeit, ohne Anklage bat sich der Mund ge schlossen. Charlotte starrt und starrt. Dann wankt sie, wie die Eiche wankt, bevor sie stürzt; ein Schrei ringt sich aus ihrer Brust — und endlich gibt Gott ihr eine Stunde des Vergessens. 15. Frühlingssonne strahlt über Niederloh. Auf der Veranda des Herrenhauses steht ein Fahr stuhl, und in ihm ruht Charlotte Hartmann. Denn seit man sie von der Leiche ihres Sohnes fortgetragen, sind ihre Füße gelähmt. Sie, die in ihrem Leben keine Krankheit gekannt, deren Willenskraft auch seelische Leiden unter ihre Hanb zwang, die nicht zu Ermüdende mutz nun ruhen. Ihr zur Rechten ist ein grötzerer Tisch mit Tasten und Geschirr hergerichtet, ein Zeichen, datz hier mehrere Personen ihren Nachmittagstee nehmen sollen. An ihrer anderen Seite steht ein Rolltischchen mit Büchern und Zeitungen bedeckt. Aber Charlotte liest nicht. Ihre Augen wandern hinaus in den lachenden Sonnenschein, und ihre Gedanken wandern mit — nicht in die Früblingspracht, sondern zurück zu einem Winter tag, zu dem stillen Antlitz unter der silbernglitzernden Föhre. Wieder zum tausendsten Male kreisen sie um die Frage: Ging er schon mit dieser Absicht fort? Muhte de halb Georg zurückbleiben? Oder überwältigte ihn die Emsamkeit des Waldes, die Erkenntnis, datz die Last seines Unglücks zu schwer für ihn sei? Erschien ihm in der hehren Stille der Winlernacht der Tob so lockend, daß er nicht widerstehen konnte, obgleich er es zuvor gewollt? War ihm an der Schwelle der Ewigkeit Verstehen und Vergeben für seine Mutter gekommen? Ja! Jal Sie hat es gefühlt: im letzten Augenblick seines Lebens gehörte der Sohn wieder ihr — der Friede in seinem Totenangesicht war jein Grub, ein Vermächtnis für sie. Durch die Glastür, die von Charlottes Zimmer auf die Veranda führt, tritt mit leisem Schritt eine schlanke Frau. Hinter dem erhöhten Kopfende des Fahrstuhls bleibt sie stehen. Schneebleich leuchtet das schmale, weihe Gesicht aus dem schwarzen Krepp ihres Trauerkleides. Die dunklen Augen sind in demütiger Liebe auf die Gelähmte gerichtet. Charlotte hat das leise Geräusch ihres Trittes ver nommen. — »Bist du's Etelka?" »Ja, Mama." — Die junge Frau tritt an die Seite des Stuhls. Zärtlich streichen ihre Finger über die bleichen Hände der Kranken. »Hat dich das Buch etwas zerstreut, Mama? Lore glaubte, dah es dich interessieren würde/ »Das tut es auch, mein Kind. Wer aber viel in der Vergangenheit zu lesen hat, der vermißt nicht das erdachte geschriebene Wort.' Etelka küht schüchtern Charlottes Hand. »Es soll dich ablenken von diesen Gedanken, Mama.' Charlotte sieht sie an mit Augen, die den Ausdruck eines Überwinders haben, Augen, in denen die Oual er loschen ist, die die Dinge dieser Welt nicht mehr mit irbischem Mahstab messen. »Glaubst du, dah es ein Vergessen gibt?' Etelka senkt den dunklen Kopf. Sie fühlt wieder, daß ihr boch das volle Verständnis für diese Seele fehlt. Immer mischt sich leise Scheu, ein unsicheres Tasten in ihr Gefühl für Lothars Mutter. Als damals, vor einem halben Jahr, das Schreckliche geschehen, war sie wpck,enlm g wie von Sinnen gewesen. Erst allmählich begriff sie eS ganz. — Nur mit Lagen und innerem Widerstreben kam sie schließlich nach Mederloh. Von Charlottes Vergangenheit erfuhr sie nichts. Der Justizrat selber verhinderte das mit aller Energie und forderte von Charlotte Schweigen. Niemand außer ihm und ihr sollte das unselige Geheimnis kennen. Für Etelka war Lothar auf dem Anstand verunglückt, nachdem er gerade zuvor der Mutter seine Verlobung mit- geteilt und in rührender Sorge Bestimmungen für die Zukunft seiner Braut getroffen hatte. Eine scharfsinnigere Frau als Etelka würde un zweifelhaft diese so merkwürdig rasch getroffenen Be stimmungen im Zusammenhang mit dem unmittelbar folgenden Unglück nicht für etwas rein Zufälliges an gesehen haben; in Etelka jedoch war der Aberglaube zu wach, sie hielt Lothars Testament für ein Omen, welches das Unglück habe nach sich ziehen müssen. Sie glaubte, ohne zu prüfen und zu grübeln, was man ihr sagte, denn ihr Unterscheidungsvermögen ward durch den verzweifelten Schmerz abgestumpft. Ob jemand aus weiteren Kreisen an Absicht oder Zufall glaubte, erfuhr Charlotte nicht. Sie fragte auch nicht danach. Sobald sie sich von dem Nervenschlag leidlich erholt hatte, ordnete sie mit Bentins Hilfe alle ihre Angelegen heiten nach Lothars Willen. Schon zu Lebzeiten trat sie Niederloh an Etelka Peternoff ab und machte sie und ihre Kinder zu Erben ihres gesamten Vermögens. Georg bekam den Posten eines Administrators. In seinen Händen wußte sie Etelkas Besitz gut auf gehoben. Als dies getan war, ruhte Charlotte. Gleichsam los gelöst von Gegenwart und Zukunft, lebte sie nur noch in der Vergangenheit, nur noch durch diese. Wie sie Etelkas Gegenwart empfand, ob sie ihr Quak oder Freude brachte, wußte niemand. Sie blieb von gleichmäßig milder Freundlichkeit, und jeder» der die beiden Frauen beisammen sah, war tief ge rührt von diesem idealen Verhältnis. Nur eine, Leonore von Torben, sah tiefer mit ihren klugen Augen. Sie spürte, daß Etelka mit all ihrer be rückenden Anmut, mit all dem aufrichtigen Willen zum Pflegen und Umsorgen, mit all ihrer demütigen Dankbar keit dieser Frau geistig keine Stütze, kein Trost sein könne. Außerdem litt Etelka selbst so tief, daß man von ihr die Fähigkeit, andere aufzurichten, nicht erwarten konnte. Ganz langsam nur war die Apathie, in die sie nach dem ersten Ausbruch des Schmerzes verfallen, gewichen. Ganz langsam nur wagte sie sich an Lothars Mutter heran, die, gelähmt und über Nacht zur Greisin geworden, noch in ihrem Krankenstuhl Ehrfurcht gebietend wirkte, wie selten ein Mensch. Etelkas weiche, unselbständige Natur fühlte sich ratlos solcher schweigenden, klaglosen Hoheit gegenüber, und doch war es gerade dies, was ihr schließlich Charlottes Herz zuwandte. Diese Hilflosigkeit, die Etelka am Krankenbett niederknien machte, die Augen mit Tränen füllte und ihr den bangen Ruf: »Mama' erpreßte. »Mama!' So hatte Lothar sie nie genannt. Charlotte sah das junge, zitternde Geschöpf, besten Herz dasselbe Weh zerriß. Langsam hob sie die Hand und Uetz sie auf Etelkas dunklem Scheitel ruhen. »Mein Kind!' — Etelka nahm diese Hand und um klammerte sie krampfhaft. Auf ihren Lippen schwebte noch immer das flehende, stammelnde »Mama!', »Hab' mich lieb, ach, hab' mich lieb! Ich gelobe dir, dich zehnfach, hundertfach zu lieben.' Uber Charlottes Marmorgesicht glitt sanfte Freundlich keit. Beschwichtigend drückte sie die krampfhaft gepreßten Finger. Und zum erstenmal erfüllte sie Lothars Willen ohne Marter. „Wir wollen unS lieben, mein Kind', sprach sie milde. — Frau von Torben sah diese Annäherung voll Er leichterung. Mit der Feinfühligkeit, die sie der innersten Natur Charlottes so nahe brachte, fand sie heraus, datz die An wesenheit von Etelkas Kindern immer neue Pein für di« LS WM Arme bedeuten müsse, und so war sie es, die die Auf nahme der Knaben in ein Erziehungsinstitut beschleunigte. Nun kommt Leonore schon lange ein- bis zweimal wöchentlich heraus nach Mederloh, und stets ist ihr Besuch für die beiden einsamen Frauen ein Labsal. Warm und lebensvoll verscheucht sie auf eine Stunde die tiefe Melancholie von Niederloh. Noch lange Jahre waren der armen Dulderin auf Niederloh beschicken, Jahre, in denen sie es immer mehr lernte, innerlich stille zu werden, in denen sie reifte, wie nur große Seelen unter der Schule des Schmerzes zu reifen vermögen. In immer tieferem Sinne erfaßte sie das letzte Vermächtnis ihres Sohnes, Etelka anfangs als eine schwere Pflicht der Sühne auf sich genommen, das ward ihr mit den Jahren zur schönen Pflicht der Liebe, jener Liebe, mit der sie einst den eigenen Sohn geliebt hatte, — Ende. — Oer allmächtige Dollar. Plauderei von C. Olas. (Nachdruck verboten.) Als Georg Washington im Jahre 1799 starb, war er der reichste Mann der amerikanischen Republik. Dabei vermachte er seinen Erben nur die recht bescheidene Summe von 3 Millionen. Heute gibt es in den Ver einigten Staaten zehn Menschen, deren Vermögen zu sammen 10 Milliarden betragen; es gibt 500 andere, die zusammen über 15 Milliarden verfügen können; eine dritte Gruppe von 5000 Finanzmännern nnd Industriellen kann zusammen 50 Milliarden aufweisen. Natürlich mutz nun jemand da sein, der das viele Geld auch wieder unter die Leute bringt, und da die Männer ausschlietzlich mit dem Geldverdienen beschäftigt sind, fällt die Aufgabe, wie wahnsinnig darauflos zu laufen und das Gold zu vergeuden, den Frauen zu. Zu Tausenden gondeln sie, wenn der Sommer ins Land kommt, auf den Riesendampfern nach Europa. Sie gehen dorthin, um Geld auszugeben, viel Geld, so viel Ge d, als man nur irgend ausgeben kann. Der Laden ist ihre Schule. Ihre Häuser in Amerika sind sozusagen Probiersalons, in welchen sie alles Schöne aus- steilen, bis sie etwas Schöneres gefunden haben. »Man gebe mir den Luxus, des Lebens', sagte einmal eine von ihnen, »und ich werde mich um das, was zum Leben un- bedmgt nötig ist, überhaupt nicht kümmern.' Wenn man ein solches System, das für Demokraten allerdings etwas eigenartig ist, befolgt, kann man schon einen Goldstrom fließen lassen. Man kennt und nennt hundert Frauen in Newuork, die für ihre Toilette jährlich 150 000 Mark aus- gcben: mehr als tausend andere, die mit 75 000 Mark auskommen; fünftausend andere, die sich ihre Kleider monatlich „nur' 3000 Mark kosten lassen. Die Jahres- ichlunrcchnung einer solchen Milliardärsdame sieht etwa io ans: Ballkleider .... 40 000 Mark Gesellschaftskleider . 25000 » Mäntel 12 000 » Wäsche 15 000 , Schuhe 5 000 » Handschuhe .... 3 000 » Hüte 7 000 , Dabei hat jede dieser lieben Frauen rhre Extralieb- b chereien. Die eine schwärmt für luxuriöse Taschentücher und zeigt ihren Gästen die letzten Neuheiten ihrer Samm lung. Da sie in Amerika nichts gefunden hat, was als besonders originell bezeichnet werden könnte, hat sie ihre Bestellungen in Paris gemacht und für ein Dutzend Taschentücher 300 Frank gezahlt. »Da man natürlich dieses Taschentuchmodell für mich allein hergestellt hat', tagt sie, »mußte ick unbedingt zwölf Dutzend kaufen.' Eine andere gab ihr kostbares Leben für seidene Strümpfe bin. „Diese Strümpfe hier", spricht sie, indem sie ihren von einem spinnwebdünnen Strumpf umschlossenen Fuß ,eigt, „kosten 1000 Frank das Paar. Leider werde ich von der Sorte keine neuen mehr kaufen können", fügt sie seufzend hinzu; »der Mann, der sie verfertigt hat, ist nämlich blind geworden!" In demselben Newyork, in welchem Georg Washington vor 100 Jahren mit drei Mllionen der Krösus war, besitzt man beut« für »ebn Milliarden Diamanten, ganz abgesehen von den andern Edelsteinen. Man hat Juwelen für alle Gelegenheiten: für den Abend, für den Morgen, für den Sommer und für den Winter. „Was machen Sie im Sommer mit Ihren Winterbrillanten?' fragte eine jener protzigen Amerikanerinnen eine aus sehr vornehmem Harste stammende Pariserin. — »Ich trage siel' antwortete die vornehme Dame, die nicht über besonders große Glücks güter verfügen konnte und nichts als einen Brillantring besaß. Die Amerikanerin wandte sich schaudernd ab. Dann gibt eS in Amerika Wäschenärrinnen, die der Meinung find, daß ein Nachthemd für 300 Mark recht preiswert ist, und die bereitwillig 5000 Mark für ein Tischtuch bezahlen. Es gibt Frauen, die sich an Blumen berauschen, und die sich im Winter ein Dutzend Rosen für 300 Mark ins Haus bringen lassen. Andere wieder spielen selbst Gärtnerin oder Landwirtin. Sie lasten aus den Urwäldern Bäume ausreiben, die, in irgendeinen Park von Newport verpflanzt, 5000 Mark pro Stück kosten. Und was die Viehzucht betrifft . . . »Was wollen Sie trinken?' fragte eine amerikanische »Landwirtin" ihre Gäste. „Milch oder Champagner? Beides stellt sich für mich auf denselben Preis.' Und die Herren Ehemänner, die, um ihren Frauen zu imponieren, von ihren Waldhütern gezüchtete Wachteln und Fasane schießen, müssen bei der Jahresschlußrechnung konstatieren, datz jeder Vogel sie 1000 bis 1500 Mark kostet. Vergessen darf man auch nicht die „Fundamentalausgaben", als da sind: die Unterhaltung einer grotzen Dienerschaft, deren Löhne sich zwischen hundert Mark pro Monat, die das letzte Dienstmädchen erhält, und 50 000 Mark pro Jahr, die manche Millionäre ihren Küchenchefs zahlen, zu be wegen pflegen. Die Mieten, die für eine Sommervilla in Newport 20 000 bis 60 000 Mark betragen; die Möbel und antiken „Bibelots", von denen Paris allein jeden Monat für 200 000 Mark exportiert. Man darf die Feste, die Bälle, die Kotillons nicht vergessen, bei welchen in einer Nacht 200 000 bis 300 000 Mark hinzuschmelzen pflegen; die Diners, bei welchen jeder Gast — wie das letzthin tatsächlich vorgekommen ist — unter seiner Serviette vier Aktien der United Steel Company findet, oder bei welchen hundert Gäste in zwei Stunden für 10 000 Mark Wein austrinken. Und dann noch ein kurzer Hinweis auf den Newyorker Millionärsschuster, der sich für ein Paar Damenstiefelchen kalten Blutes 600 Mark zahlen läßt . . . Ja, ist denn in Amerika jeder Mensch Millionär? wird man sich verwundert fragen. Gerade das Gegenteil ist der Fall: das Geld ist vielleicht nirgends auf Erdei: so ungleich verteilt wie in Amerika. Genaue Forschungen haben ergeben, datz in den Vereinigten Staaten die meisten Mittelstandsfamilien kaum 2400 Mark pro Jahr zu vec- zehren haben; von zwanzig Familien hat immer nur eine ein etwas größeres Einkommen, während sich oer Millionen Familien mit einem Jahresoerdienst von weniger als 1600 Mark begnügen müssen. Wohl verstanden! das sogenannte Proletariat und die Arbeiter sind nicht mitgezählt. Und trotzdem regt sich der wen n bemittelte Amerikaner über seinen reichen Nachbar nickt im geringsten auf. Wenn der Millionär kein Räuber ist, wird er selbst von dem ärmsten seiner Mitbürger respektiert, denn in Amerika bedeutet der Erfolg alle?, und der Weg zum Erfolg steht jedem offen. „Es ist sein Geld!" sagt die Volksmenge. „Er hat es verdient und hat infolgedsffen das Recht es anszugeben, wie es ihm paßt.' Man ist deshalb auch gar nicht wütend, wenn man erfährt, daß die Millionärsfrau ihrem Hündchen einen Hermelinmantel und ein Diamantenhalsband ge schenkt hat. ßchau' um cilch unck schau' in ckich. Die Raupe ringt, ein Bild der Mühe- Wan einem Blatt zum andern sia> Und wie ich jugendlich noch glühe, Mahnt sie an meine Zukunft mich. Du glücklich Tierchen, darfst dem Alter Den schweren Zoll im Voraus wcuckn Und wiegst verjüngt, ein leichter Falter, Auf Blumen einst »um Tod dich ein. Julius L"nmrr.