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No. 85. PAPIER-ZEITUNG. 2301 Buchgewerbe. Druckindustrie, Buchbinderei, Buchhandel. Sachliche Mittheilungen finden kostenfreie Aufnahme, Mitarbeiterund Berichterstatter erhalten angemessene Bezahlung. Eingesandte Werke finden Besprechung. Musikalien. (Fortsetzung zu Nr. 84.) III. Die Vervielfältigung der Notenschrift geschah zuerst hand schriftlich und vorwiegend, wenn nicht auschliesslich, in Klöstern. Der erste Holztafeldruck, auf welchem sich Noten finden, stammt aus dem Jahre 1443 (im Pariser Louvre). Ferner kennt man von alten Musik- drucken: die Holztafeldrucke von Eucharius Silber alias Frank zu Rom 1493; das Wittenberger Gesangbüchlein von 1523; als ersten Musiktypendruck: P. Tritonius, »Melopoeae«, Augsburg 1507; das erste vierstimmige Liederbuch, Augsburg 1512 (beide von Erhart Oeglin gedruckt); das von Peter Schöffer jun., Mainz 1513, sowie das mit einer Lautentabulatur von Hans Singreyner, Wien 1523, gedruckte deutsche vierstimmige Liederbuch. Die Noten dieser ersten Drucke sind nach dem Verfahren des italienischen Druckers Petrucci her gestellt, d. h. auf vorgedruckte Linien übergedruckt. Ottaviano dei Petrucci, am 14. Juni 14G6 zu Fossombrone bei Urbino geboren, gilt als der Erfinder des Notendrucks durch Typen. Seine Drucke zeigen eine grosse Vollkommenheit; die Typen sind von zierlicher Form, und die Noten stets genau auf die in vorzüg licher Schärfe erscheinenden Linien gedruckt. Der Rath zu Venedig soll ihm am 25. August 1498 ein Privilegium zur Ausnutzung seiner Erfindung auf 20 Jahre ertheilt haben. Von 1502 bis 1511 druckte Petrucci zu Venedig; als letzter Venediger Druck (1509) ist das »Opus Francisci Bossinensis« (tenori ed contrabassi intabolati col soprano in canto figurato) bekannt. Wahrscheinlich veranlasste ihn Mangel an Geldmitteln, den Betrieb seiner Venediger Druckerei an die Buchhändler Amadeo Scotti und Niccoli da Raffaelle abzugeben. Ein zweites Privileg, das er 1513 vom Papst Leo X. erhielt, und das auf 15 Jahre lautete, gestattete ihm den weiteren Druckbetrieb in seiner Vaterstadt, wo 1514—1510 die »Messen« von Josquin ent standen. Um 1523 scheint er gestorben zu sein; wenigstens ist kein Druck späteren Datums von ihm bekannt. Alle Drucke Petrucci’s sind als Inkunabeln des Noten-Typendrucks von grosser Seltenheit und hochgeschätzt. Noten und Linien als Ganzes druckte 1532 erst Hieronymus Grapheus, »Formschneider« zu Nürnberg, jedoch derart, dass jede Note wenigstens mit drei Systemlinien versehen war, und nur die übrigen zwei Linien in längeren Stücken aufgesetzt wurden. Frühzeitige Pflege fand der Musik-Notendruck auch in Frankreich, dessen ältester Notendrucker Pierre Attaignant ist. Er lebte zwischen 1526 und 1550 und druckte mit beweglichen Typen, die zierlich und sauber von Pierre Hautin, dem ältesten französischen Graveur und Giesser von Notentypen, noch mit eckigen Köpfen für einfachen Druck gegossen wurden. Er soll seine ersten Punzen 1525 angefertigt haben. Die Attaignant’schen Drucke, darunter 20 Bücher Motetten, sind sehr selten. Pierre Hautin, der im hohen Alter (1580) starb, lieferte, äusser für Attaignant, auch Stempel für Tylman Susato in Antwerpen. Dieser wahrscheinlich aus Soest in Westfalen (Susatum) gebürtige Tylman war selbst Musiker und errichtete, nachdem er vorher in Köln gelebt zu haben scheint, denn er wird in den Antwerpener Rechnungsbüchern als »Tielmann von Coelen« genannt, 1547 eine Musikdrückerei zu Antwerpen, die er bis zu seinem Tode 1564 betrieb. Während Hautin nur Noten-Typen mit eckigen Köpfen geschnitten hat, machte Guillaume le B, der Stammvater der frühesten französi schen Schriftgiesser-Familie, die sich durch mehrere Geschlechter hindurch erhielt, einen Schritt weiter, indem er Noten-Typen von zweierlei Art schnitt, nämlich eine ältere Art (von 1540), die für den gleichzeitigen Druck von Noten und Linien berechnet war, d. h. jede Type stellte zugleich eine Note und ein Bruchstück des »Fünf- Linien-Systems« vor, und eine spätere (1555), welche die Note für sich und die Linie für sich gab, so dass zweimal gedruckt werden musste. Der älteste Musikdrucker Frankreichs nächst Attaignant ist Robert Ballard, der 1522 von Heinrich II. das Patent als alleiniger königlicher Hofmusikalien-Lieferant, in Gemeinschaft mit seinem Schwager und Geschäftstheilhaber Adrien Le Roy erhielt. Das Patent blieb bis 1776 in den Händen der Familie, die noch 1750 mit den selben Typen druckte, welche Pierre Ballard 1663 um 50000 Lires von dem oben genannten Guillaume le B käuflich an sich gebracht hatte. Michael Magner zu Innsbruck (1650) wandte viereckige Noten mit leeren Köpfen an, bis Joh. Gottlob■ Immanuel Breitkopf, als Reformator des Noten-Typendrucks, 1755 mit seinen Notendrücken mittels beweglicher Type an die Oeffentlichkeit trat und durch diese Vervollkommnung die ersten Anfänge eines deutschen Musikalien-Handels schuf. Sein erstes, ganz mit beweglichen Musiknoten-Typen gedrucktes Werk war: »II trionfo della fedeltä«, eine Tondichtung der Kurfürstin Maria Antonia von Sachsen, in deren Schlussschrift es heisst: Stampato in Lipsia, nella stamperia di Giorgio Gotti. Immanuel Breitkopf, in ventore di questa nuova maniera di stampar la Musica con caratteri separabili e mutabili. E questa Dramma Pastorale la prima opera stampata di questa nuova guisa; commin- ciata nel Mese di Luglio 1755, e terminate Mese d’Aprile 1756.« Auf die Breitkopf’schen Versuche folgten die Arbeiten der französischen Drucker Fournier und Gadon. Aber erst ihrem Lands- manne Eugen Duverger gelang es, ein System zu finden, welches den Fehler des Breitkopf’schen, dass immer die Zwischenräume in den einzelnen gesetzten Stücken sichtbar blieben, vermied. Er setzte die Tonzeichen ohne Systemlinie zu Platten zusammen, stereotypirte dann und schnitt hierauf mittels einer eigenen Maschinerie die Systemlinie genau an der betreffenden Stelle in die Gipsmater. Da aber die Herstellungskosten solcher Platten durch kleine Auflagen nicht gedeckt werden können, erwies sich die Anwendung Duverger'scher Noten nur bei grossen Auflagen als nutzbringend. Nach Ausbreitung der Kupferstecherkunst wendete man auch diese zum Notendruck an. Jetzt bedient man sich am meisten des Zinnstichs oder, zum Zwecke billigerer Herstellung, des Steindruck verfahrens, während man den Notensatz meist nur für solche Drucke anwendet, in denen zugleich auch Typentext erscheinen soll, wie Liederbücher für die Schule, Kommersbücher usw. Der Satz mit Notentypen ist in den letzten Jahren in Anstalten, wie Julius Klinkhardt in Leipzig, ganz ausserordentlich gefördert worden. Die Notenzeichen bestehen jetzt im wesentlichen aus siebenund zwanzig Figuren, während der Ausschluss in Halb-, Ein-, Zwei-, Drei-, Vier- und Fünf-Geviertstücken, sowie in Ein-Geviertstücken des Haupt kegels, »Bau-Quadrate« genannt, besteht. Ueber die Art und Weise der Satz-Ausführung zu sprechen, würde hier zu weit führen; wer dieselbe erlernen will, findet ein treffliches Hilfsbuch hierzu in der »Schule des Musiknotensatzes« von J. H. Bachmann, dem 1876 verstorbenen Faktor der Hänel'schen Druckerei (W. Gronau) in Berlin. Die Vervielfältigung mittels Steindrucks geschieht durch Ueber- tragung des Platten-Abzugs auf den Stein und Hochätzung. Beim Zinnstich ist das Verfahren das folgende: Das Manuskript geht zunächst in die Hände des sogenannten Eintheilers, der es für den Stich einrichtet, indem er die Seiten, die Systeme und ihre Taktzahl genau bestimmt und die besten Wendestellen, d. h. diejenigen Stellen, bei welchen das Blatt gewendet werden kann, lieraussucht. Dann gelangt das Manuskript durch den Faktor in die Stechersäle. Der Stecher theilt, nachdem er die Platte eingerichtet hat, mittels Zirkels die Systeme ab, zieht mit einem Rostral die Notenlinien, punk- tirt die Noten ab, wobei er jeder die ihrem Werthe und ihrer Tonhöhe entsprechende Stellung giebt, zieht an die Punkte senkrechte Hilfs linien, zeichnet mittels Zeichenspitzen Text und Noten nach dem Manuskript auf die Platten und schlägt mit Stempeln die Notenköpfe, Klammern, Schlüssel und Textworte ein. Er muss dabei das Metall selbst, da es sich bei dem Einschlagen um den Stempel hebt, durch Glätthämmer mit einem fein polirten Hammer und Ambos planiren. Dann führt er mit freier Hand unter Benutzung von verschiedenen Sticheln die Bogen, Stiele, Balken, Köpfe und Taktstriche, sowie alle Zeichen aus. Der Grat, der sich dabei ansetzt, muss mit einem drei kantigen Schaber entfeint werden. Die im Stich fertiggestellte Platte wird nach den Angaben des Korrektors verbessert, indem das Metall an der betreffenden Stelle nach hinten hochgeschlagen, flach geschabt und von neuem gestochen wird. Bei grösseren Korrekturen werden oft ganze Systeme weggeschnitten und neu eingelöthet. IV. Nach dem 1891er Adressbuch des deutschen Buchhandels und der verwandten Geschäftszweige« befassen sich nur mit Musikalien handel 644 Firmen, davon 230 mit Musikverlag. Zu ihnen gesellen sich noch 1743 Firmen, welche Buch- und Musikalienhandel treiben. Musik-Leihanstalten bestanden 1891: 485 (gegen 1220 Leihbibliotheken). Handlungen, die ausschliesslich Musiksortiment treiben, finden sich begreiflicherweise nur in den grossen Städten, während der Musikalien handel in den kleinen Städten als Nebenzweig des Buchhandels betrieben wird. So gut wie der Sortimentsbuchhändler am kleineren Platze den Musikalienhandel pflegt, ebenso kann das auch der Papierhändler, bezw. der aus dem Papierhandel herausgewachsene Kleinbuchhändler thun. (Vergl. Nr. 26'27). Gleich dem allgemeinen Buchhandel hat auch der Musikalien handel seine bibliographischen Hilfsmittel. Ohne diese Bezugsquellen- Nachweise würde die Ermittelung des Verlegers oft schwerfällen, die Ertheilung von Fingerzeigen für selten verlangte Spezial-Erzeugnisse fast unmöglich werden.