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1842 PAPIER-ZEITUNG. No. 70. Berichte unserer Korrespondenten. Aus Japan. Der Vulkan Fusiyama und seine Beziehungen zur Papiermacherei. Dort, wo der Stille Ozean mit dem Golf von Suruga tief in das Innere Japans hineinragt und mit schäumenden Wogen das Gestade von Fujigori umbrandet, ragt in gigantischen, himmelanstrebenden Formen der Vulkan Fusiyama empor in den unendlichen Weltenraum. Die üppig grünenden Fluren der drei Provinzen Suruga, Kai und Sagami umschlingen seine ungeheure Basis; undurchdringliche Ur wälder umgürten seine Hüften; flüchtige Wolken umschmeicheln in stets wechselnder Gestalt seine Schultern, und ewiger Schnee bedeckt sein mächtiges, altersgraues Haupt, welches dreizehn Provinzen des Mikadoreiches und eine unermessliche Fläche des weiten Meeres überschaut, dem Segler noch lange sichtbar, wenn das Gestade Japans längst seinem Blicke entschwunden ist. Die Sage erzählt, dass dieser Berg als feuriger Riese in einer einzigen Nacht aus dem Meeres gründe emporstieg, während gleichzeitig im Westen der Insel der Erdboden meilenweit eingesunken und der See von Biwa entstanden sei. ungefähr in das Jahr 260 v. Gründung des Mikado reiches durch den vom Himmel herabgestiegenen Sonnensohn Dschimmu- Tenno (um 660 v. Chr.), also noch vier Jahrhundert weiter zurück. Die Sage von der Entstehung des Fusiyama ist daher einiger massen glaubwürdig, um somehr, als ja ähnliche Naturercheinungen noch heute vorkommen, wie die Katastrophe auf Java vor wenigen Jahren gezeigt hat. Seit seiner gewaltsamen Geburt bis zum Anfang des vorigen Jahrhunderts war dieser König der Vulkane fortwährend in Thätigkeit, und dieUeberlieferung weiss von vielen furchtbaren Aus brüchen zu erzählen, bei welchen der merkwürdige Umstand auffallend ist, dass sie fast immer in regel mässigen Zwischenräumen von 180 Jahren erfolgten. Der letzte grosse Ausbruch fand im Winter des Jahres schwindet. Nur von Mitte Juli bis Mitte September ist es möglich, den Gipfel zu erreichen; im Herbst und Winter machen die unge heuren Schneemassen, welche den Riesenkegel bis unter den Wald gürtel einhüllen, und im Frühjahr die unaufhörlich niederdonnern den Schneelawinen den Aufstieg unmöglich. Im Hochsommer dagegen, wenn fast aller Schnee der Sommergluth gewichen ist, strömen Tau sende von Pilgern herbei, um den mühevollen und gefährlichen Auf stieg zu unternehmen, denn, der Fusiyama ist der heilige Berg der Japaner und für die Bewohner des Mikadoreiches dasselbe, was Mekka für die Bekenner des Islam ist. Als ich im August vorigen Jahres nach zwei mühevollen Tagen, während welcher ein Teifun mich und meinen Führer volle 20 Stunden in eine Schutzhütte bannte, bei Sonnenauf gang den Gipfel des Fusiyama erreicht hatte, traf ich etwa 300 ja panische Pilger an, welche in langer Prozession den grossen Krater umschritten, wobei sie unaufhörlich »Rokon-shosho! Rokon-shosho!« riefen, was soviel bedeutetet wie »Erbarme dich unser!« Eingedenk des Sprichwortes »Mit den Wölfen muss man heulen« mischte ich mich unter sie und rief wacker mit: »Rokon shosho!« Der Umzug rama, dessen Anblick sich mir von der dauerte eine volle Stunde; dabei ging es bergauf, bergab, bald über ungeheure Lavablöcke, bald über das Eis der Gletscher, oft ganz nahe vorbei an dem schwindelerregenden Abgrund des Kraters. Das Pano- höchsten Spitze aus bot, ist wohl das schönste und Die japanische Ueberlieferung, welche dieses Naturereigniss Chr. zurückverlegt, reicht bis zur । Der Fusiyama mit der Bucht von Sagami und der Insel Enoshima. grossartigste der Welt und selbst mit den märchen haften Bildern nicht zu vergleichen, welche die Zauberwelt Indiens dar bietet. Allerdings musste ich seinerzeit in der Gluth hitze Indiens fast ver schmachten, während sich hier zu den Naturschön heiten der Umgebung der Anblick des schönen, kri stallklaren, eiskalten Glet scherwassers und das Aroma der dem Krater entströmenden Schwefel gase gesellten, und das sind Dinge, welche die Stimmung eines begeister ten Sulfitjüngers wesent lich beeinflussen. »Welche Beziehungen hat denn aber eigentlich dieser vielgepriesene Vulkan zur Papiermacherei«, so wird nun mancher der geehrten Leser fragen, und diejeni gen, welche mich als Sul fitmenschen und Patent 1707 statt, währte 40 Tage und war einer der fruchtbarsten von allen, welche die an ähnlichen Ereignissen reiche japanische Geschichte aufweist. Mächtige Ströme glühender Lava ergossen sich über die umliegende Landschaft, und die ausgeworfene Asche bedeckte das Land auf viele Meilen in der Runde. Selbst in Tokio, welches in der Luftlinie 60 engl. Meilen von dem Riesenkrater entfernt ist, bedeckte eine 6 Zoll hohe Aschen- schicht den Erdboden. Der Ostabhang des ungeheuren Bergkegels barst in der Gluthitze entzwei und bildete einen neuen Krater. Dieser letzte grosse Ausbruch scheint die unheimliche Kraft des Vulkanriesen erschöpft zu haben, denn seit jener Zeit fand, abge sehen von einigen kleinen Eruptionen, kein ähnlicher Ausbruch mehr statt. Auch in unserm Jahrzehnt, also nach Ablauf weiterer 180 Jahre, trat die befürchtete Katastrophe nicht ein; möglich, dass dieselbe durch die vulkanischen Ausbrüche auf Java und durch den Ausbruch des Vulkans Bandai - San im Norden Japans abgelenkt worden ist. Auf dem Gipfel des Fusiyama, am Rande des grossen Kraters, 3800 m über dem Spiegel des Stillen Ozeans, steht ein aus Lava blöcken erbauter Tempel, welcher der Göttin »O-Ana-mochi-no-Mikoto«, zu deutsch »Besitzerin des grossen Loches«, geweiht ist. »Das grosse Loch«, nämlich der Krater, ist ein ungeheurer trichterförmiger Ab grund von etwa 2000 Fuss Durchmesser und 700 Fuss Tiefe. An den inneren und äusseren Abhängen des Kraters befinden sich mehrere Gletscher, von den Japanern »Man-nen-yuki« genannt, wörtlich über setzt Zehntausend-Jahre-Schnees, weil der Schnee dieser Gletscher auch im heissesten Sommer nicht ganz wegschmilzt, während der allwinterlich fallende Schnee im Laufe des Sommers wieder ver meier kennen, werden nun vermuthen, dass ich mit dem Plane hervortreten werde, den Fusiyama in einen Sulfitthurm umzuwandeln. Ein solcher Plan wäre eigentlich garnicht so übel, denn alles Erforderliche ist in reichem Maasse vor handen: ein ungeheurer, innen hohler, mit Lavablöcken gefüllter Kegel, in welchen von oben unaufhörlich reines kaltes Gletscherwasser einfliesst, während aus dem Erdinnern Schwefelgase in dem Schachte aufwärts strömen. Man brauchte also am Fusse des Vulkans nur ein Bleirohr von der Peripherie zum Mittelpunkte zu legen und könnte so ohne weiteres ungemessene Mengen von wässriger schwefliger Säure erhalten, welche nur noch über Kalkstein zu leiten wäre und dann sofort zur Zellstoffbereitung verwendet werden könnte. Wie man sieht, war die Natur selbst die Erfinderin des Sulfit- verfahrens, und der Mensch, wie in allem, so auch hier nur der Nachahmer seiner grossen Lehrmeisterin. Mir wenigstens hat der Fusiyama Modell gestanden zu meinem vielgeschmähten Laugen apparat (siehe Nr. 98, Jahrgang 1890 und Nr. 1, Jahrgang 1891); und es sollte mich sehr wundern, wenn nunmehr nicht irgend ein berühmter »manufacturing chemist« in Europa auftreten und behaupten würde, dass er schon vor so und soviel Jahren den Vesuv und den Hekla zur Laugenbereitung verwenden wollte und nur aus dem Grunde davon abgegangen sei, weil der Vesuv von Podgora und der Hekla von Barrow zu weit entfernt ist. Eine solche Erklärung von (H)alleinig massgebender Seite wäre mir aber eine willkommene Bestätigung meiner Behauptung, dass die Vulkane die ersten und ältesten Sulfitthürme sind, — und das ist eine von den Beziehungen des Fusiyama zur Papiermacherei, und zwar eine ideale.